Europarecht

untersagung, Kaufpreis, Fahrzeug, Anrechnung, Anspruch, Laufleistung, Kenntnis, Revision, Klageregister, Hemmung, Darlegungslast, Schaden, Umfang, Forderung, Schluss des Jahres, Zulassung der Revision

Aktenzeichen  5 U 323/21

Datum:
11.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 426
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

31 O 620/20 2021-07-05 Endurteil LGBAYREUTH LG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 05.07.2021, Az. 31 O 620/20, teilweise abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.267,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.847,93 € vom 10.10.2020 bis zum 29.11.2021 und aus 8.267,53 € ab dem 30.11.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Volkswagen Typ VW Golf Plus 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer ….
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.08.2020 zu zahlen.
3. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits 1. und 2. Instanz tragen der Kläger 27%, die Beklagte 73%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a ZPO abgesehen, da weder die Revision gegen das Urteil zulässig ist, noch dagegen gemäß § 544 Abs. 2 ZPO die Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden kann.
B.
Die zulässige Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
Die Klage ist teilweise erfolgreich. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 826, § 31 BGB in Höhe von 8.267,53 €, weil die Beklagte dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat.
1. Hinsichtlich der rechtlichen Begründung schließt sich der Senat den Rechtsausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 25.05.2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19 (veröffentlicht u. a. in NJW 2020, 1062) in vollem Umfang an und macht sich diese zu eigen. Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten insbesondere ein Schaden entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags liegt (BGH a.a.O., Rn. 44). Die Kausalität ist zu bejahen, weil davon auszugehen ist, dass der Kläger das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass diesem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht (BGH a.a.O., Rn. 49). Der Kläger hat auch hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung dargelegt, so dass die Beklagte im Hinblick auf § 31 BGB eine sekundäre Darlegungslast trifft, der sie nicht nachgekommen ist.
2. Dem Kläger ist durch den Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug ein Schaden in Höhe des Kaufpreises von 21.428,01 € entstanden. Von diesem Schadensbetrag sind jedoch die vom Kläger gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilausgleichs abzuziehen.
Der Senat nimmt die Anrechnung linear durch Multiplikation des Bruttokaufpreises mit den gefahrenen Kilometern, geteilt durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt des Fahrzeugs vor. Dies ist zulässig (BGH a.a.O., Rn. 79 ff.; Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 397/19, Rn. 35 f.). Der Senat hält unter Berücksichtigung des betroffenen Fahrzeugtyps den Ansatz einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km für sachgerecht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Motoren der Beklagten zwar eine überdurchschnittliche Qualität haben. Es ist jedoch zu beachten, dass allgemein Fahrzeuge, die eine Laufleistung von mehr als 250.000 km aufweisen, auf dem Markt wegen der durch den Betrieb entstandenen Abnutzung aller Fahrzeugteile nahezu keinen nennenswerten wirtschaftlichen Verkehrswert mehr haben.
Der Kläger hat mit dem Fahrzeug unstreitig bis zur mündlichen Verhandlung 153.543 km zurückgelegt.
Dies ergibt vorliegend einen auszugleichenden Gebrauchsvorteil in Höhe von 13.160,48 €. Insgesamt ist dem Kläger daher ein Anspruch in Höhe von 8.267,53 € entstanden.
3. Die Beklagte kann die Leistung nicht nach § 214 Abs. 1 BGB verweigern, da der Anspruch auf Schadensersatz nicht verjährt ist.
Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist 3 Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
a) Das Landgericht hat zwar keine Feststellungen dazu getroffen, wann bei dem Kläger Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis vorlag. Solche Feststellungen sind aber im konkreten Fall entbehrlich. Selbst wenn man den Sachvortrag der Beklagten als richtig unterstellt, wonach beim Kläger bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden war, ist die Verjährung vorliegend gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage, die im November 2018 gegen die Beklagte erhoben wurde, gehemmt worden.
b) Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB setzt lediglich voraus, dass die Musterfeststellungsklage selbst innerhalb der Verjährungsfrist erhoben wird, während die Anspruchsanmeldung zum Klageregister – im zeitlichen Rahmen des § 608 Abs. 1 ZPO – auch später erfolgen kann (BGH, Urt. v. 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, Rn. 21 ff.).
Im Streitfall hat der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche wirksam am 03.12.2018 zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet mit der Folge, dass die Verjährung durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage im November 2018 gehemmt wurde.
Die Hemmung endete vorliegend gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB 6 Monate nach Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens. Eine vorherige Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister mit der Folge des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB ist nicht erfolgt. Die Beklagte hat den diesbezüglichen Sachvortrag des Klägers nicht bestritten.
Das Musterfeststellungsverfahren wurde am 04.05.2020 durch Klagerücknahme beendet (Quelle: BfJ – Musterfeststellungsklage gegen die V. AG – Musterfeststellungsklage gegen die V. AG (bundesjustizamt.de). Die Hemmung endete somit am 04.11.2020.
Bereits zuvor hat der Kläger die Klage im vorliegenden Verfahren erhoben, die der Beklagten am 09.10.2020 zugestellt worden ist, sodass die Verjährung erneut gemäß § 204 Abs. 1 Nummer 1 BGB gehemmt worden ist.
c) Dem Kläger ist es auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Hemmung zu berufen. Es ist grundsätzlich legitim und begründet im Regelfall keinen Rechtsmissbrauch, wenn ein Gläubiger eine verjährungshemmende Maßnahme ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung ergreift (BGH, Urt. v. 29.07.2021 aaO, Rn. 36).
Besondere Umstände, die das Berufen auf einen Hemmungstatbestand im Einzelfall ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 29.07.2021 aaO, Rn. 37 ff.) hat die Beklagte nicht dargetan.
II.
1. Ein Anspruch auf Verzugszinsen steht dem Kläger nicht zu. Denn er hat in seinem außergerichtlichen Schreiben vom 14.08.2020 (Anl. K 13) den Kaufpreis unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung gefordert, die er auf Basis einer überhöhten Gesamtlaufleistung von 350.000 km errechnet hat. Er hat somit erheblich zu viel gefordert. Dies hindert den Eintritt des Schuldnerverzugs (BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 86).
Der Kläger hat aber einen Anspruch auf die Zahlung von Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit der Klage, § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der zu verzinsende Betrag bei Eintritt der Rechtshängigkeit höher war, als zum Schluss der mündlichen Verhandlung, weil der Kläger einen Teil der Nutzungsvorteile erst während des laufenden Rechtsstreits erlangt hat (vgl. BGH, Urt. v. 30.07.2020 a.a.O., Tz. 38). Der Senat berücksichtigt die lineare Erlangung der Nutzungsvorteile für den Zeitraum bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nach § 287 ZPO in der Weise, dass er von dem zu verzinsenden Betrag bei Rechtshängigkeit (= 9.428,32 €) den zu verzinsenden Betrag bei Schluss der mündlichen Verhandlung (= 8.267,53 €) abzieht, die Differenz von 1.160,79 € halbiert und diesen Betrag (580,40 €) dem zu verzinsenden Betrag am Schluss der mündlichen Verhandlung hinzuaddiert.
Annahmeverzug der Beklagten liegt aus den unter 1. dargelegten Gründen nicht vor. Der Kläger hat seine Forderung in der 1. und in der 2. Instanz auf der Basis einer überhöhten 5 U 323/21 – Seite 5 – Gesamtlaufleistung berechnet. Es liegt mithin durchgängig eine erhebliche Zuvielforderung vor, die den Eintritt des Annahmeverzugs hindert (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2021 – VI ZR 130/20, Rn. 17, juris):
2. Der Kläger hat schließlich einen Anspruch auf Ersatz seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr zuzüglich Kostenpauschale und Umsatzsteuer (Nr. 2300 und Nr. 7002 RVG-VV).
a) Entgegen der Ansicht der Beklagten war die außergerichtliche Einschaltung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig. Der Kläger musste nicht von vorneherein damit rechnen, dass die Beklagte seine Ansprüche zurückweisen wird.
b) Allerdings vermag der Senat keine Gründe für ein Überschreiten der Schwellengebühr nach der Anm. zu Nr. 2300 RVG-VV zu sehen. Die Sache ist weder mit besonderen Schwierigkeiten versehen noch – trotz der umfangreichen Schriftsätze – besonders umfangreich. Wie dem Senat aus einer Vielzahl von Parallelverfahren bekannt ist, vertreten die Bevollmächtigten des Klägers eine Vielzahl von Klägern. In allen Verfahren werden nahezu wortgleiche Ausführungen zur Haftung der Beklagten gemacht.
Der Senat sieht deshalb nur eine 1,3-Geschäftsgebühr als notwendig und damit erstattungsfähig an. Als Gegenstandswert ist der Wert der berechtigten Forderung zum Zeitpunkt des außergerichtlichen Tätigwerdens am 14.08.2020 anzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt wies das Fahrzeug nach dem Inhalt des Schreibens vom 14.08.2020 einen Kilometerstand von 140.000 km auf. Es ergibt sich damit zum Zeitpunkt des außergerichtlichen Tätigwerdens eine berechtigte Forderung von 9.428,32 €. Aus diesem Geschäftswert errechnen sich berechtigte Anwaltskosten von 887,03 €.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Der Bundesgerichtshof hat sämtliche für die Entscheidung des vorliegenden Falls relevanten Grundsatzfragen bereits entschieden.


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