Handels- und Gesellschaftsrecht

Beschwerde, Eintragung, Haftbefehl, Gesellschaft, Zulassung, Rechtsbeschwerde, Haftung, Handelsregister, Zweigniederlassung, Gewerbesteuer, Vertreter, Abgabe, Voraussetzungen, Vermutung, sofortige Beschwerde, im eigenen Namen, sofortigen Beschwerde

Aktenzeichen  34 T 1916/21

Datum:
18.8.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22410
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 3128/20 — AGFREISING AG Freising

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Freising vom …, aufgehoben.
2. Der Gläubiger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen ausstehender Gewerbesteuer (sowie Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen) auf Grundlage eines Ausstandsverzeichnis vom 19.08.2019, Gz.: 5.2281.3021.2001/2111, und hat am 04.05.2021 einen Vollstreckungsauftrag zur Verhaftung des Beschwerdeführers auf Grundlage des Haftbefehls des Amtsgerichts Freising vom – erteilt.
Bei der Schuldnerin handelt es sich um die im Handelsregister beim Registergericht Amtsgericht München unter HRB 174696 eingetragene Zweigniederlassung der – einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach rumänischen Recht, vertreten durch die einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer – und -. Der Beschwerdeführer ist eingetragener ständiger Vertreter der Zweigniederlassung mit Sitz in München und als solcher einzelvertretungsberechtigt, mit der Befugnis, im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen.
Am 25.06.2021 reichte der Beschwerdeführer durch seinen anwaltlichen Vertreter beim Amtsgericht Freising einen Schriftsatz vom 31.05.2021 ein, mit welchem Rechtsmittel gegen den Haftbefehl eingelegt und dessen Aufhebung beantragt wurde. Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführer kein vertretungsberechtigtes Organ der – und zur Abgabe der Vermögensauskunft weder berechtigt noch verpflichtet noch in der Lage sei. Der Haftbefehl vom 27.11.2020 wurde dem Beschwerdeführer bis dahin noch nicht ausgehändigt.
Mit Beschluss vom 01.07.2021 hat das Amtsgericht Freising der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Schuldnerin der Gewerbesteuer sei die Zweigniederlassung, die daher auch zur Abgabe der Vermögensauskunft verpflichtet sei und zwar durch den Beschwerdeführer als ständigen Vertreter (Bl. 12/13).
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO zulässig und begründet. Unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen hätte der Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer nicht erlassen werden dürfen.
Der Haftbefehl richtet sich bei juristischen Personen gegen den gesetzlichen Vertreter (Zöller/Seibel ZPO, 33. Auflage 2020, § 802g Rn. 10). Dies sind vorliegend die beiden eingetragenen Geschäftsführer der – mit Sitz in Rumänien, nicht hingegen der Beschwerdeführer als nach §§ 10, 13g Abs. 3, 13e Abs. 2 S. 5 Nr. 3 HGB eingetragener ständiger Vertreter der Zweigniederlassung in München.
Schuldnerin der Gewerbesteuer ist zwar die selbständige Zweigniederlassung. Die Gewerbesteuerpflicht knüpft an den Begriff der inländischen Betriebsstätte an und folgt aus § 2 Abs. 1, 2 S. 1, 2 GewStG. Dabei gilt auch die Zweigniederlassung nach § 12 Nr. 2 AO als Betriebsstätte. Aufgrund der Eintragung im Handelsregister besteht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass eine Betriebstätte am Ort der Zweigniederlassung unterhalten wird (BFH BStBl 81, 560; BFH/NV 00, 688; Klein/Gersch, 15. Aufl. 2020 Rn. 11, AO § 12 Rn. 11).
Dies hat aber nicht zur Folge, dass der ständige Vertreter der Zweigniederlassung zugleich eine organschaftliche Stellung innehat. Hiergegen spricht insbesondere, dass ein ständiger Vertreter nicht zwingend benannt werden muss (OLG München, DNotZ 2008, 627; BeckOK HGB/Müther, 32. Ed. 15.4.2021 Rn. 13, HGB § 13e Rn. 13). Vielmehr handelt es sich bei den nach § 13e Abs. 2 S. 5 Nr. 3 HGB eingetragenen Befugnissen um rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (MüKoHGB/Krafka, 5. Aufl. 2021 Rn. 16, HGB § 13e Rn. 16; aA: OLG Bremen, Beschluss vom 18.12.2012 – 2 W 97/12).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung. Nach hier vertretener Ansicht ist – entgegen der zuvor genannten Rechtsprechung des OLG Bremen – der ständige Vertreter einer Zweigniederlassung kein organschaftlicher, sondern rechtsgeschäftlicher Vertreter, gegen den kein Haftbefehl nach § 802g ZPO zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft namens der Gesellschaft, auch nicht der Zweigniederlassung gerichtet sein kann.


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