Erbrecht

Eigene Wohnzwecke, Steuerbefreiung, Erbschaftsteuerbescheid, Erbschaftsteuererklärung, Bundesfinanzhof, Erwerber, Familienheim

Aktenzeichen  4 K 532/17

Datum:
11.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2018, 445
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin im Rahmen der gegen sie festgesetzten Erbschaftsteuer die Steuerbefreiung unter dem Gesichtspunkt des Erwerbs des Familienheims zusteht.
Die am … 2014 verstorbene E im Folgenden: Erblasserin) wurde aufgrund testamentarischer Erbfolge von ihrer Adoptivtochter … – der Klägerin – allein beerbt.
Zum Nachlass zählte (neben weiterem – zwischen den Beteiligten nicht mehr streitigen – Vermögen) u.a. das mit einem Zweifamilienhaus bebaute Grundstück X-weg 1 in YYY (FlurNr. … der Gemarkung Z). Das Zweifamilienhaus bestand (zunächst, d.h. bis zur Aufstockung der Garage im Jahr 2010) aus zwei gleich großen Wohnungen im Erdgeschoß (EG) und Obergeschoß (OG) mit jeweils 93,6 qm Wohnfläche.
Die Erblasserin wohnte bis zum Jahr 2010 in der Wohnung im OG des Hauses X-weg 1 in YYY. Ende 2010 zog die Erblasserin in die Wohnung im EG. Die Wohnung im OG wurde Ende 2010 durch einen Anbau (Überbau über der angrenzenden Garage) erweitert. Die Kosten für diese Wohnungserweiterung i.H.v. 85.000 € trug die Klägerin sowie deren Ehemann. Nach der Erweiterung hatte die Wohnung im OG eine Wohnfläche von 138,8 qm. Am 10. Januar 2011 bezog die Klägerin mit ihrer Familie (Ehemann und vier Kinder, mithin insgesamt sechs Personen) die Wohnung im OG. Ihre bisherige Wohnung in … in YYY gab die Klägerin nach dem Umzug in die Wohnung im OG des Hauses X-weg 1 in YYY auf. Da die Erblasserin gesundheitlich eingeschränkt war, zu 50% körperbehindert und pflegebedürftig war, übernahm die Klägerin die Pflege der Erblasserin. Die Klägerin bezahlte keine Miete für die Nutzung der Wohnung im OG.
Nach dem Tod der Erblasserin am 2. Februar 2014 wurde die Wohnung im EG von der Klägerin geräumt und stand zunächst leer. Die Klägerin zog in die Wohnung im EG zu keinem Zeitpunkt selbst ein. Seit dem 1. Juli 2015 ist die Wohnung im EG an die beiden Söhne der Klägerin … vermietet.
Im Rahmen der am 3. März 2015 beim beklagten Finanzamt (FA) eingegangenen Erbschaftsteuererklärung machte die Klägerin für den Erwerb des Grundstücks X-weg 1 in YYY die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) geltend.
Am 29. Juli 2015 erließ das FA einen nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid, in dem die Erbschaftsteuer i.H.v. 55.305,00 € festgesetzt wurde. Dieser Steuerfestsetzung legte das FA unter anderem einen Wert des Grundstücks X-weg 1 in YYY – den Angaben der Klägerin in der Erbschaftsteuererklärung folgend – i.H.v. 506.140 € zugrunde. Ferner gewährte das FA die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG nicht, da die Wohnung der Erblasserin nicht von der Klägerin bewohnt werde. Die von der Klägerin im Zusammenhang mit dem Ausbau der Wohnung im OG getragenen Baukosten i.H.v. 85.000 € lies das FA als Nachlassverbindlichkeit zum Abzug zu.
Mit Schreiben vom 10. August 2015 legte die Klägerin Einspruch gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 29. Juli 2015 ein. Ihrer Ansicht nach sei nicht der Erwerb der Wohnung im EG, sondern der Erwerb der Wohnung im OG steuerbefreit nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Die Erblasserin sei aus zwingenden Gründen (Krankheit, Pflegebedürftigkeit) an der Nutzung der Wohnung im OG gehindert gewesen. Dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG hinsichtlich der EG-Wohnung vorlägen, sei nie behauptet worden.
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2015 stellte das FA P auf Ersuchen des FA den Grundbesitzwert für das Grundvermögen X-weg 1 in YYY auf den Todestag …2014 i.H.v. 737.007 € fest. Aufgrund des hiergegen von der Klägerin eingelegten Einspruchs erließ das FA P am 16. März 2016 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO geänderten Feststellungsbescheid und stellte den Grundbesitzwert i.H.v. 730.909 € fest. Der Feststellungsbescheid vom 16. März 2016 ist bestandskräftig.
Am 22. August 2016 erließ das FA einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO geänderten Erbschaftsteuerbescheid, in dem die Erbschaftsteuer auf 89.025 € herabgesetzt wurde. Der Steuerfestsetzung legte das FA den i.H.v. 730.909 € bestandskräftig festgestellten Grundbesitzwert für das streitgegenständliche Grundstück zugrunde und lehnte weiter eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr.4c ErbStG ab.
Mit Einspruchsentscheidung vom 16. Januar 2017 wies das FA den Einspruch vom 10. August 2015 gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 29. Juli 2015 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22. August 2016 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 16. Februar 2017 erhobene Klage, die bei Gericht am gleichen Tag eingegangen ist. Zur Begründung führt die Klägerin im Wesentlichen (sinngemäß) Folgendes aus: Der klagegegenständliche Erbschaftsteuerbescheid sei rechtswidrig, weil ihr für das Obergeschoß des ererbten Wohnhauses die Steuervergünstigung als Familienheim zu gewähren sei. Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung seien erfüllt, weil die Erblasserin ausschließlich aus Krankheitsgründen in die Wohnung im EG umgezogen sei. Dieser Umzug sei dringend notwendig gewesen, um den Umzug in ein Pflegeheim zu vermeiden. Eine Selbstnutzung der Wohnung im OG sei der Erblasserin daher aus objektiv zwingenden Gründen nicht möglich gewesen. Im „Pflegeheim Erdgeschoß“ habe die Erblasserin keinen eigenen Haushalt geführt. Auch habe keine Hausgemeinschaft zwischen der Klägerin und der Erblasserin bestanden. Schließlich sei die Wohnung im OG von der Klägerin zu eigenen Wohnzwecken unverzüglich nach dem Auszug der Erblasserin erfolgt. Daher sei die Steuerbefreiung für die von der Erblasserin genutzten Wohnung im OG (93,6 qm ohne den Erweiterungsbau) mit 40,3% (ausgehend vom Anteil der nicht ausgebauten 93,6 qm großen OG-Wohnung an der Gesamtwohnfläche des Hauses von insgesamt 232,4 qm) anzusetzen. Die Steuerbefreiung betrage mithin 294.556 € (= 40% von 730.909 €).
Die Klägerin beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 29. Juli 2015 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22. August 2016 und der Einspruchsentscheidung vom 16. Januar 2017 dahingehend zu ändern, dass die Erbschaftsteuer auf 33.317,00 € herabgesetzt wird,
hilfsweise, für den Fall der vollen oder teilweisen Klageabweisung, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, für den Fall des Klageerfolgs, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Nach seiner Ansicht stehe der Klägerin die Steuervergünstigung für ein ererbtes Familienheim nicht zu. Die Erblasserin habe durch den Umzug vom OG in das EG trotz ihrer Pflegebedürftigkeit ein neues Familienheim im EG des Hauses begründet. Bei der Wohnung im EG habe es sich auch um kein Pflegeheim gehandelt. Pflegebedürftigkeit bedeute nämlich nicht, dass kein neues Familienheim von der pflegebedürftigen Person begründet werden könne. Da die Wohnung im OG von der Klägerin nicht mehr genutzt worden sei, sei im Streitfall der Schutzzweck des § 13 Abs. 1 Nr.4c ErbStG nicht erfüllt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 FGO auf die ausgetauschten Schriftsätze der Beteiligten samt Anlagen, auf die vorgelegte Behördenakte und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. April 2018 Bezug genommen.
II.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das FA hat die von der Klägerin begehrte Steuervergünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG zu Recht versagt.
a) Der Erbschaftsteuer unterliegt der Erwerb von Todes wegen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als Erwerb von Todes wegen gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –) als auch der Erwerb aufgrund Vermächtnisses im Sinne des § 2147 BGB. Die Steuer entsteht mit dem Tode des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers, soweit sie nicht steuerfrei ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).
b) Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ist (ab 1. Januar 2009) der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes (BewG) durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 von der Erbschaftsteuer befreit, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt.
aa) Ein Familienheim i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG setzt u.a. voraus, dass der begünstigte Erwerber nach dem Erbfall die in einem bebauten Grundstück i.S. des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG befindliche Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmt; dazu muss der Erwerber innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung der Wohnung fassen und durch den Einzug in die Wohnung tatsächlich umsetzen (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFHvom 23. Juni 2015 II R 39/13, BFHE 250, 207, BStBl II 2016, 225). Die Absicht des Erwerbers zur Selbstnutzung des Hauses lässt sich als eine innere Tatsache nur anhand äußerer Umstände feststellen; dies erfordert, dass der Erwerber in die Wohnung einzieht und sie als Familienheim für eigene Wohnzwecke nutzt (BFH-Urteil in BFHE 250, 207).
bb) Ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Gebäude, in dem sich nicht der Mittelpunkt des familiären Lebens befindet, ist kein steuerbegünstigtes Familienheim i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG; nicht begünstigt sind deshalb Zweitwohnungen oder Ferienwohnungen (Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 13 Rz. 61; vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 II R 35/11, BFHE 242, 153, BStBl II 2013, 1051 zu § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG), da die Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG eng auszulegen ist (Halaczinsky UVR 2016, 216, 220 m.w.N.). Dass der Erwerber zuvor mit dem Erblasser in einer Hausgemeinschaft gelebt hat, wird von § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG nicht gefordert (Meincke, ErbStG, 16. Aufl. 2012, § 13 Rz. 28). Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt aber auch dann vor, soweit Verwandte des Erblassers Räumlichkeiten des Hauses im Rahmen eines gemeinsamen Hausstandes mit dem Erblasser bewohnen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 2009 II R 69/06, BFHE 224, 151, BStBl II 2009, 480 zu § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG).
cc) Ein zivilrechtlich einheitliches Eigentum ist nach dem Nutzungs- und Funktionszusammenhang aufzuteilen. Danach ist die Steuerbefreiung für die zu eigenen Wohnzwecken genutzten Räume anteilig zu gewähren und für die anders genutzten Flächen unabhängig von Art und Umfang dieser Nutzung zu versagen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich bei den zu eigenen Wohnzwecken genutzten Räumen um eine vollständige, abgeschlossene Wohnung handelt. Für die danach vorzunehmende Aufteilung des Grundstückswerts ist allein auf das Verhältnis der Nutzflächen abzustellen. Dabei kommt es auf die tatsächliche Nutzung und deren Umfang an. Die Größe des Gebäudes ist unerheblich (BFH-Urteil in BFHE 224, 151 m.w.N.).
dd) Jedoch scheidet eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für ein Familienheim aus, wenn der Erwerber von vornherein gehindert ist, die Wohnung in dem von Todes wegen erworbenen Einfamilienhaus für eigene Wohnzwecke zu nutzen und deshalb auch tatsächlich nicht einzieht; unerheblich ist in diesem Zusammenhang, welche Gründe der Aufnahme einer Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke entgegenstehen. Nutzt der Erwerber das Haus nach dem Erwerb nicht für eigene Wohnzwecke, kommt eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG selbst dann nicht in Betracht, wenn zwingende Gründe i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG den Erwerber an einer Selbstnutzung des Hauses hindern (BFH-Urteil vom 23. Juni 2015 II R 13/13, BFHE 250, 203, BStBl II 2016, 223 m.w.N.). Die unentgeltliche Überlassung der Wohnung zur Nutzung an einen Dritten stellt keine Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken dar. Dies gilt auch bei einer unentgeltlichen Überlassung an Angehörige i.S. des § 15 AO (BFH-Urteil vom 5. Oktober 2016 II R 32/15, BFHE 256, 359, BStBl II 2017, 130).
ee) Der Erwerber muss die Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke bestimmen (vgl. Jochum in Wilms/Jochum, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, § 13 Rz 91, 83; Jülicher, a.a.O., § 13 ErbStG Rz 70; Viskorf, a.a.O., § 13 ErbStG Rz 73). Unverzüglich erfolgt eine Handlung nur, wenn sie innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen wird (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Juni 2012 VII ZR 130/11, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 3305, m.w.N.). Angemessen ist regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall. (BFH-Urteil in BFHE 250, 207).
c) Ausgehend von den o.g. Grundsätzen ist der streitgegenständliche Erbschaftsteuerbescheid vom 29. Juli 2015 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22. August 2016 und der Einspruchsentscheidung vom 16. Januar 2017 nicht zu beanstanden:
aa) Das FA ist im Streitfall zunächst zu Recht von einem erbschaftsteuerrechtlichen Erwerb der Klägerin aufgrund Erbanfalls durch testamentarische Erbfolge als Alleinerbin (§ 1937, § 2247 BGB) ausgegangen. Die Höhe des steuerpflichtigen Erwerbs ist – mit Ausnahme der streitgegenständlichen Frage, ob die Steuervergünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG für das Wohnhaus eingreift – zwischen den Beteiligten nicht streitig.
bb) Jedoch liegen bei Übertragung der o.g. Grundsätze auf den Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen für die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG aus nachfolgenden Erwägungen nicht vor.
(1) Zwischen den Beteiligten unstreitig liegen die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG hinsichtlich der von der Erblasserin zwischen Ende 2010 und ihrem Tod genutzten Wohnung im EG des Hauses X-weg 1 in YYY nicht vor. Diese Rechtsauffassung ist auch zutreffend, da diese (grundsätzlich als Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG in Betracht kommende) EG-Wohnung nach dem Tod der Erblasserin von der Klägerin zu keinem Zeitpunkt selbst genutzt worden war, sondern nach einem Leerstand im Jahr 2015 an die beiden Söhne vermietet wurde. Damit ist aber eine Selbstnutzung i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG ausgeschlossen (vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13 Rn. 62).
(2) Auch liegen im Streitfall die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG hinsichtlich der von der Klägerin und ihrer Familie seit Anfang 2011 genutzten Wohnung im OG des Hauses X-weg 1 in YYY nicht vor.
– Die Erblasserin hat – zwischen den Beteiligten unstreitig – die Wohnung im OG aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit und der damit einhergehenden körperlichen Einschränkungen seit Ende 2010 bis zu ihrem Tod nicht mehr bewohnt. Daher hat die Erblasserin die OG-Wohnung bereits mehr als drei Jahre vor ihrem Tod nicht mehr i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG zu eigenen Wohnzwecken genutzt.
– Der Klägerin ist jedoch einzuräumen, dass die Anwendung der im Streit stehenden Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG auch dann zugelassen wird, wenn die Erblasserin aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert gewesen ist.
– Diese zwingenden, objektiven Hinderungsgründe können im Rahmen der Steuerbefreiungsvorschrift in zweifacher Hinsicht gegeben sein. Zum einen können sie in der Person des Erblassers vorliegen und ihn an der Selbstnutzung der Wohnung bis zum Eintritt des Erbfalles hindern; zum anderen können sie in der Person des Erwerbers gegeben sein und ihn von der Ausübung der Selbstnutzung nach dem Erbfall abhalten. In beiden Fällen ist die Inanspruchnahme der Steuerfreistellung dennoch ausnahmsweise zugelassen. Für die letztgenannte Alternative ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass derartige zwingende Gründe dann anzunehmen seien, wenn diese das selbständige Führen eines Haushaltes in dem erworbenen Familienheim beispielsweise infolge von Pflegebedürftigkeit oder Tod des Erwerbers unmöglich machen (vgl. Bundestags-Drucksache 16/11107 vom 26. November 2008 zu § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG). Der Senat sieht keinen Grund dafür, dass die nach den Motiven des Gesetzgebers für die Kriterien der in der Person des Erwerbers eingetretenen Hinderungsgründe im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG nicht auch für die tatbestandliche Alternative der in der Person des Erblassers möglichen Hinderungsgründe nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG gelten sollen (vgl. Finanzgericht -FGMünchen Urteil vom 22. Oktober 2014, 4 K 2517/12, EFG 2015, 238).
– Im Schrifttum ist weithin anerkannt, dass schwere Erkrankungen oder krankheitsbedingte längere stationäre Klinik- oder Sanatoriumsaufenthalte derartige zwingende Hinderungsgründe darstellen können (vgl. etwa Jülicher a.a.O. § 13 Rn. 68; Kobor in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter ErbStG 6. Auflage 2017, § 13 Rn. 37 42; Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz ErbStG 4. Auflage 2012, § 13 Rn. 53; Meincke ErbStG 16. Auflage 2012, § 13 Rn. 25; Schmitt in Tiedtke ErbStG § 13 Rn. 145). Im Einzelfall ist hierbei nach objektiven Maßstäben zu prüfen, ob die Schwere der (gesundheitlichen) Beeinträchtigungen die Annahme rechtfertigt, der Erblasser habe in der Wohnung nicht mehr wohnen können (vgl. Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz ErbStG 4. Auflage 2012, § 13 Rn. 53).
– Das Gericht zieht im Streitfall nicht in Zweifel, dass ein Umzug der Erblasserin vom Obergeschoß in das Erdgeschoß zahlreiche Vorteile für die Erblasserin mit sich gebracht hat. So musste sie keine Treppen mehr steigen und konnte – wenn möglicherweise auch eingeschränkt – wenigstens zeitbzw. stundenweise das Haus noch verlassen.
– Gleichwohl ist die – zwischen den Beteiligten unstreitige – Pflegebedürftigkeit der Erblasserin nicht ausreichend, um die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG im Streitfall zu erfüllen.
Die zwingenden objektiven Hinderungsgründe können nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Befreiungsvorschrift die Selbstnutzung durch den Erblasser bis zum Eintritt des Erbfalles nur dann ersetzen, wenn diese Hinderungsgründe die Führung eines eigenen Hausstands im Familienheim nicht ermöglichen (vgl. Kobor a.a.O. § 13 Rn. 42 m.w.N.). Dies ergibt sich aus dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Befreiungsvorschrift, die zum einen dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraumes und zum anderen der Lenkung in immobiles Vermögen dient, um das Familiengebrauchsvermögen krisenfest zu erhalten (vgl. Bundestags-Drucksache 16/11107 vom 26. November 2008). Der Schutzzweck der Befreiungsvorschrift ist demnach nicht auf die bloße Erhaltung des in Immobilien ruhenden Vermögenswertes gerichtet, sondern zielt auf die Sicherung des gegenständlich-räumlichen Fortbestandes des eigengenutzten Wohneigentums einer Familie. Anders als durch die Schaffung bloßer sachlicher oder persönlicher Freibeträge, wie etwa nach den Vorschriften der §§ 13a, 13c, bzw. § 16 ErbStG, die lediglich einen betragsmäßig bestimmten Wert des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbes rechnerisch von der Besteuerungsgrundlage ausnehmen, wird durch § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG ein bestimmter Gegenstand des Nachlassvermögens aufgrund seiner konkreten Verwendung von der Erbschaftsteuer freigestellt.
Im Streitfall hat die Klägerin jedoch durch den Umzug in das EG-Wohnung einen eigenen Hausstand begründet. Das Gericht zieht hierbei nicht in Zweifel, dass die pflegebedürftige Erblasserin der Hilfe der Klägerin bzw. ihres Ehemanns bedurft hatte. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass die Klägerin durch den Umzug einen neuen, eigenen Hausstand begründet hat. Daher kann der Umzug der Klägerin in die EG-Wohnung auch nicht einem Umzug in ein Pflegeheim, wie von der Klägerin darlegt, gleichgesetzt werden. Die Klägerin war zur Überzeugung des Gerichts sehr wohl in der Lage, einen eigenen Hausstand zu begründen. Dies zeigt sich auch daran: Die Klägerin war zwar körperlich angeschlagen, jedoch geistig nicht eingeschränkt. Dies wird von der Klägerin im Übrigen auch nicht vorgebracht. Im Übrigen ergibt sich die fehlende geistige Einschränkung der Klägerin auch bereits aus dem Umstand, dass sie im Jahr 2011 das für die Erbfolge maßgebliche Testament errichtet und die Klägerin als Kind angenommen hat. An dieser Einschätzung vermag auch das mit Klageschriftsatz vom 16. Februar 2017 vorgelegte ärztliche „Attest“ vom 22. Oktober 2015 nichts zu ändern. Zwar wird darin bestätigt, dass sich die Klägerin nicht „mehr selbstversorgen“ konnte, die Klägerin aber gleichwohl die Unterbringung in einem Pflegeheim „vehement abgelehnt“ habe. Aus dem „Attest“ vom 22. Oktober 2015 sowie dem „Internistischen Attest“ vom 3. April 2018 (vorgelegt mit Schriftsatz vom 3. April 2018) ist vielmehr ersichtlich, dass der Erblasserin ein eigener Hausstand wichtig war, um nicht in ein Pflegeheim ziehen zu müssen. Überdies hat auch die Klägerin selbst im Schriftsatz vom 25. Juli 2017 vorgetragen, dass eine „Hausgemeinschaft“ zwischen ihr und der Klägerin nicht bestanden habe.
Darüber hinaus hat die Klägerin durch den Umzug in die EG-Wohnung den Hausstand in der OG-Wohnung (und damit das Familienheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG) Ende 2010 endgültig aufgegeben und in der die EG-Wohnung ein neues Familienheim begründet. Dies zeigt sich daran, dass die Klägerin in die OG-Wohnung mit ihrer sechsköpfigen Familie eingezogen ist und zuvor die von der Erblasserin genutzte Wohnung durch den Garagenüberbau um 45,2 qm auf 138,8 qm auf eigene Kosten erweitert hat. Auch bereits dieser Umstand steht der Annahme eines zwingenden objektiven Hinderungsgrunds i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG entgegen.
(3) Das Gericht sieht sich daher verhindert, die Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG extensiv auszulegen. Steuerbegünstigungsvorschriften sind grundsätzlich unter sinnvoller Würdigung des mit ihnen verfolgten Zwecks auszulegen. Es darf einerseits kein durch das Gesetz nicht belegter Begünstigungstatbestand geschaffen werden; andererseits ist es nicht zulässig, einen von mehreren nach den allgemeinen Regeln der Rechtsanwendung in Betracht kommenden Gesetzeszwecken außer Acht zu lassen und dadurch den Anwendungsbereich der nach ihrem Wortlaut weiter gefassten Norm einzuschränken (BFH-Urteil vom 25. Januar 1995 X R 191/93, BFHE 177, 65, BStBl II 1995, 586). Steuerbefreiungsnormen sind als Ausnahmen vom Grundsatz der Besteuerung grundsätzlich in Bezug auf ihren Wortlaut eher restriktiv auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 1986 VIII R 1/84, BFHE 148, 446, BStBl II 1987, 259). Die tatbestandlichen Grenzen solcher Ausnahmen zu definieren, obliegt allein dem Gesetzgeber. Der Rechtsprechung ist demgegenüber die tatbestandliche Ausweitung der Anwendung einer solchen Rechtsnorm über ihren Wortlaut hinaus verwehrt. Dies hat auch für die gesetzliche Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zu gelten. Demnach kann im Streitfall dahingestellt bleiben, welche anderweitigen objektiven Hinderungsgründe im Allgemeinen für die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 Halbsatz 2 ErbStG ausreichen, wenn – wie im Streitfall – die Erblasserin einen bestehenden Hausstand (hier im OG bis Ende 2010) aufgegeben und einen neuen Hausstand (hier im EG ab Ende 2010) begründet hat.
d) Da die Klage bereits aus den vorgenannten Erwägungen unbegründet ist, musste das Gericht auch nicht darauf eingehen, ob das FA zu Recht die von der Klägerin bzw. deren Ehemann im Zusammenhang mit dem Erweiterungsbau der OG-Wohnung getragenen Baukosten i.H.v. 85.000 € als Nachlassverbindlichkeit zum Abzug zugelassen hat und daher die festgesetzte Erbschaftsteuer zu erhöhen ist. Denn das Gericht darf durch seine Entscheidung die Rechtsposition der Klägerin im Vergleich zum Zustand vor Klageerhebung nicht verschlechtern (sog. Verbot der reformatio in peius, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27. März 2007 VIII R 60/05, BFHE 217, 485, BStBl II 2008, 303). Daher verbleibt es bei der festgesetzten Steuer.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird nicht zugelassen, da kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

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