Europarecht

6 AV 7/20

Aktenzeichen  6 AV 7/20

Datum:
14.1.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:140121B6AV7.20.0
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO knüpft in generell-abstrakter Weise an den Streitgegenstand einer Klage und die dafür bestehende (oder in Anspruch genommene) behördliche Zuständigkeit an.

Tenor

Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.
Die öffentliche Zustellung dieses Beschlusses an den Antragsteller wird bewilligt.

Gründe

I
1
Der Antragsteller, ein deutscher Staatsangehöriger, begehrt von der Antragsgegnerin Gewährung von Konsularhilfe. Er hält sich nach seinen Angaben in der Russischen Föderation in Moskau auf, gibt aber seinen Wohnort nicht an.
2
Die Deutsche Botschaft in Moskau lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 ab, da der Antragsteller sich ohne ausreichende Mittel zu einer Reise in die Russische Föderation entschlossen habe und zudem nach eigenem Bekunden nicht beabsichtige, in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Dagegen hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Berlin Klage erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt (VG 34 K 523/20 und VG 34 L 522/20). Zudem hat er die Verweisung der Verfahren an das Bundesverwaltungsgericht beantragt, da dem Rechtsstreit Vorgänge im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes zugrunde lägen.
3
Mit per Fax übersendetem Schreiben vom 30. Dezember 2020 hat der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht sinngemäß beantragt, das zuständige Gericht zu bestimmen. Dazu führt er im Wesentlichen aus, dass in der Türkei ein politisch motivierter Giftanschlag auf seine Person verübt worden sei, der mit dem Fall N. zusammenhänge. Er habe den Vorgang jetzt auch beim Bundesnachrichtendienst anhängig gemacht, da das Bundesamt für Verfassungsschutz sich bislang nicht zu Ermittlungen in der Sache geäußert habe. Daher lägen dem Rechtsstreit Vorgänge im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes zugrunde, die die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für die Entscheidung des Rechtsstreits begründeten.
II
4
Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts, über den der Senat gemäß § 53 Abs. 3 Satz 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, bleibt ohne Erfolg.
5
Der Senat stellt Zweifel an der Zulässigkeit des Antrags zurück. Diese ergeben sich zum einen daraus, dass der Antragsteller keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat (vgl. zu diesem prozessrechtlichen Erfordernis: BVerwG, Urteil vom 13. April 1999 – 1 C 24.97 – Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19). Zum anderen bestehen Zweifel an der Statthaftigkeit des Antrags, denn nach dem Wortlaut eröffnet § 53 Abs. 2 VwGO eine Zuständigkeitsbestimmung nur in Fällen mangelnder örtlicher Zuständigkeit nach § 52 VwGO. Zwar wird die Vorschrift bei rechtswegübergreifenden Kompetenzkonflikten analog angewendet (BVerwG, Beschluss vom 10. April 2019 – 6 AV 11.19 [ECLI:DE:BVerwG:2019:100419B6AV11.19.0] – Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 41 Rn. 5 m.w.N.). Ob eine entsprechende Anwendung auch in Fällen mangelnder sachlicher (oder instanzieller) Zuständigkeit oder bei insoweit bestehenden Kompetenzkonflikten in Betracht kommt, braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden, denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
6
Für eine konstitutive Zuständigkeitsbestimmung wäre nur Raum, wenn die in § 53 VwGO geregelten Anforderungen in sinngemäßer Anwendung erfüllt wären, d.h. im vorliegenden Fall nach den Regelungen der §§ 45 – 50 VwGO die sachliche Zuständigkeit keines Gerichts oder verschiedener Gerichte in Betracht käme. Das ist nicht der Fall. Denn das Prozessrecht enthält für den vom Antragsteller geltend gemachten Anspruch auf konsularische Hilfe gemäß § 5 KonsG (Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse – Konsulargesetz vom 11. September 1974, BGBl. I S. 2317, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. März 2020, BGBl. I S. 673) eine widerspruchsfreie Zuweisung der sachlichen Zuständigkeit gemäß § 45 VwGO an das Verwaltungsgericht.
7
Entgegen der Annahme des Antragstellers liegen die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO nicht vor. Nach dieser Bestimmung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über Klagen, denen Vorgänge im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes zugrunde liegen. Damit sollen sämtliche Verfahren, die Angelegenheiten des Bundesnachrichtendienstes betreffen, wegen der Gefahr des Bekanntwerdens sensibler Informationen dem Bundesverwaltungsgericht als Eingangsinstanz zugewiesen werden (BT-Drs. 14/4659 S. 55 und BT-Drs. 14/7474 S. 14 f.). Diese weit zu verstehende Sonderbestimmung der instanziellen Zuständigkeit knüpft in generell-abstrakter Weise an dem Streitgegenstand einer Klage und der dafür nach dem einschlägigen Fachrecht bestehenden (oder in Anspruch genommenen) behördlichen Zuständigkeit an; die Entscheidungskompetenz übergeordneter Stellen für bestimmte vom Bundesnachrichtendienst durchgeführte Maßnahmen steht der Anwendbarkeit des § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO nicht entgegen (BVerwG, Urteile vom 23. Januar 2008 – 6 A 1.07 – BVerwGE 130, 180 Rn. 25 und vom 30. Mai 2018 – 6 A 3.16 [ECLI:DE:BVerwG:2018:300518U6A3.16.0] – BVerwGE 162, 179 Rn. 12). Für Entscheidungen über Anträge auf Gewährung konsularischer Hilfe sind u.a. Berufskonsularbeamte als Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes zuständig (§ 5 i.V.m. § 18 KonsG). Selbst wenn der Bundesnachrichtendienst in einem auf Gewährung konsularischer Hilfe gerichteten Verwaltungsverfahren Amtshilfe geleistet oder die vom Antragsteller angeführte Notlage mitverursacht hätte, ergäbe sich daraus nicht die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO für eine Klage gegen die ablehnende Verwaltungsentscheidung des Auswärtigen Amtes.
8
Die Bewilligung der öffentlichen Zustellung beruht auf § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 186 Abs. 1 und § 185 Nr. 1 ZPO, da der Antragsteller unbekannten Aufenthalts ist.


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