Versicherungsrecht

Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  8 O 562/20

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Erfurt 8. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 1 VVG
§ 6 IfSG
§ 7 IfSG
§ 305c Abs 2 BGB
§ 307 Abs 1 S 1 BGB
… mehr
Spruchkörper:
undefined

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die beklagte Versicherung auf Leistung aus einer Betriebsschließungsversicherung in Anspruch.
Der Kläger betreibt in Erfurt … das Restaurant … Zwischen den Parteien besteht eine Betriebsschließungsversicherung für diesen Restaurantbetrieb. Darin sind die „Allgemeine Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung“ (AVB-BS) in der Fassung Januar 2008 einbezogen. Die Haftung erstreckt sich auf maximal 30 Tage mit einer Tageshöchstentschädigung von 380,00 €.
In Abschnitt A der AVB-BS wird unter § 1 der „Gegenstand der Versicherung“ benannt, mit den Nummern 1. „Gegenstand der Deckung“ und 2. „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“. Unter § 2 folgen Ausschlüsse. Die einschlägigen Bestimmungen lauten:
„1. Gegenstand der Deckung
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz-IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt.…
2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger (vgl. §§ 6 und 7 IfSG):“
Es folgt eine tabellarische Auflistung diverser Krankheiten und Krankheitserreger. Nicht aufgeführt ist das neuartige Virus SARS-CoV-2 (COVID-19).
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Auflistung meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger keine im Zeitpunkt der Erstellung abschließende und vollständige Aufzählung enthält (in der Klageschrift heißt es wohl irrtümlich: „eine … abschließende“). Der Verweis auf die gesetzliche Regelung zeige, dass eine vollständige Übernahme der Risiken meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger und einer darauf basierenden Schließung für den Vertragsschließenden gewollt gewesen sei. Anderes könne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer den Bedingungen nicht entnehmen.
Aufgrund einer am 18. März 2020 erlassenen öffentlichen Bekanntmachung der Landeshauptstadt Erfurt schloss der Kläger sein Restaurant ab dem 19. März 2020. Der Kläger geht ohne nähere Angabe von einer Schließungszeit von mindestens 30 Tagen aus, d. h. der maximalen Haftungszeit. Die Geltendmachung eines zusätzlichen „Warenschadens“ in Höhe von 5000,00 € stellt er vorläufig zurück.
Der Kläger beantragt mit am 24. Juni 2020 zugestellter Klage:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten hieraus seit Rechtshängigkeit zahlen.
2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.101,94 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der neuartige Krankheitserreger nicht von der Versicherung erfasst werde. Die Aufzählung in § 1 Abs. 2 AVB-BS sei abschließend. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Hinweis, dass meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger „im Sinne dieser Bedingungen“ „die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger“ seien. Nicht aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger seien somit nicht umfasst. Dies sei für einen durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer deutlich, vor allem für einen gewerblichen Versicherungsnehmer wie hier.
Im Übrigen sei für die Auslegung von Versicherungsbedingungen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt, Juni 2019, habe man die Versicherungsbedingungen nicht so verstehen dürfen, dass sogar im Infektionsschutzgesetz nicht genannte und zum damaligen Zeitpunkt gänzlich unbekannte Viren wie COVID versichert sein sollten.
Weiter rügt die Beklagte die Wirksamkeit der zu Grunde liegenden Rechtsverordnung oder Allgemeinverfügung. Hier sei eine öffentlich-rechtliche Inzidenzprüfung vorzunehmen.
Zudem seien nur sogenannte betriebsinterne oder intrinsische Gefahren versichert, um die es sich vorliegend aber nicht handele. Vielmehr sei die Schließung aufgrund eines allgemeinen „Shutdowns“ erfolgt. Derartige abstrakt-generelle und präventive Gesundheitsmaßnahmen seien jedoch nicht versichert.
Es habe auch nicht die zuständige Behörde die Schließung angeordnet. Insoweit sei erneut eine Inzidenzprüfung nach den Maßstäben des öffentlichen Rechts vorzunehmen.
Darüber hinaus handele es sich um eine Schadensversicherung und nicht um eine Summenversicherung, sodass der Kläger zu einem konkret eingetretenen tatsächlichen Schaden vortragen müsse. Schließlich habe der Kläger gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung verstoßen. Jedenfalls müssten staatliche Hilfen, Kurzarbeitergeld, sowie Anträge auf Ansprüche gemäß der §§ 56 und 65 IfSG berücksichtigt werden. Dies obliege dem Kläger im Rahmen der sekundären Darlegungslast. Der Kläger habe auch einen Außerhausvertrieb vorgenommen, wie sich aus dem Internetauftritt und anderen Quellen ergebe.
Wegen sämtlicher Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Schließungen aufgrund des neuartigen Virus sind nicht vom Versicherungsschutz erfasst. Die vorliegenden Versicherungsbedingungen sind – nach sämtlichen Auslegungskriterien – für einen durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer nicht so zu verstehen, dass der neuartige Krankheitserreger bzw. Schließungen aufgrund dieses Krankheitserregers versichert sind.
Dies ergibt sich aus den folgenden Erwägungen:
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 22. Januar 2020 – IV ZR 125/18, juris Rn. 10).
2. Im Lichte dieser Auslegungsmaßstäbe ist das neuartige Virus eindeutig nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Die Auslegungsprobleme und eventuellen Unklarheiten, die andere Klauselfassungen aufwerfen mögen, bestehen im vorliegenden Fall angesichts des eindeutigen Wortlauts und Sinnzusammenhangs nicht.
a) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird bei einer solchen Gestaltung der Versicherungsbedingungen nicht annehmen können, dass auch die „Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“ bzw. SARS-CoV und SARS-CoV-2 dem von der Beklagten versprochenen Versicherungsschutz im Falle einer Betriebsschließung unterfallen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021 – 7 U 335/20, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Juli 2020 – 20 W 21/20, juris; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. AVB BS 2002 Rn. 9; Rixecker in Schmidt, COVID 19 § 11 Rn. 62; Notthoff, r+s 2020, 551, 552). Dem Versicherungsnehmer wird durch die Vertragsbestimmungen, ihre Formulierung und die optische Ausgestaltung deutlich gemacht, dass vom beklagten Versicherer lediglich ein bestimmter, abschließend formulierter Katalog versichert werden soll.
b) Bereits der einleitende Passus der Versicherungsbedingungen in § 1 Nummer 1 verdeutlicht, dass eine Entschädigung nur dann zu leisten ist, wenn die zuständige Behörde den versicherten Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten – in Nummer 2 konkret genannter – meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger schließt. Durch den ausdrücklichen und unübersehbaren Verweis in der Klammer – „siehe Nr. 2“ – ist auf den ersten Blick erkennbar, dass nur die unter Nummer 2 sogleich folgenden meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger versichert sein sollen. Es handelt sich um einen Sinnzusammenhang.
Es wird somit in den einleitenden Bedingungen gerade kein umfassender und unbeschränkter Versicherungsschutz zugesichert, der in der Folge erst eingeschränkt und zurückgenommen würde. Ein verständiger Versicherungsnehmer muss bereits dem ersten Satz der Bedingungen entnehmen, dass er für sämtliche Einzelheiten zum Umfang des Versicherungsschutzes die Nummer 2 zu lesen hat. Im Übrigen wird ohnehin erwartet, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen insgesamt liest und zur Kenntnis nimmt. Es kommt hinzu, dass die Nummer 1 „Gegenstand der Deckung“ und Nummer 2 „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ in dem ersten Paragrafen „Gegenstand der Versicherung“ – als „Klammer“ – enthalten sind und somit erkennbar zusammengehören und nur zusammen zu würdigen sind.
Somit wird der Blick selbst des flüchtigen Lesers sogleich und von vornherein auf die Nummer 2 und die dort expressis verbis aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger gelenkt. Diese tabellarische Aufzählung ist nach verständiger Auslegung als eine abschließende, enumerative Regelung zu verstehen. Es wird durch den Passus „im Sinne dieser Bedingungen“ zugleich verdeutlicht, dass es sich um eine Einschränkung handelt, dh. dass nicht sämtliche – ob bekannt oder unbekannt – Erreger erfasst werden.
Für eine abschließende Auflistung spricht auch, dass eine Öffnungsklausel in den Versicherungsbedingungen gerade nicht enthalten ist.
c) Dieser Auslegung steht auch nicht der Klammerzusatz – „(vgl. §§ 6 und 7 IfSG)“ – entgegen. Es handelt sich hier weder um eine statische noch dynamische Verweisung, vielmehr nur um den – vergleichenden – Hinweis auf dort aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger. Dies ergibt bereits der Ausdruck „vergleiche“. Durch das „vergleiche“ erfolgt gerade kein Verweis auf das Infektionsschutzgesetz.
In den Versicherungsbedingungen erfolgt an keiner Stelle ein verbindlicher Bezug zu den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes, mit dem ein „Gleichlauf“ hergestellt werden soll. So wird in § 1 Nummer 1. lediglich vorausgesetzt, dass die zuständige Behörde „aufgrund“ des Infektionsschutzgesetzes tätig wird.
Ein Vergleich ergibt im Übrigen, dass der Versicherungsschutz nicht sämtliche im Infektionsschutzgesetz zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aufgeführten Krankheiten umfasste. So fehlt die Krankheit „humane spongiforme Enzephalopathie, außer familiär-hereditärer Formen“.
d) Anderes ergibt sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht aus dem für ihn erkennbaren Zweck des Leistungsversprechens des Versicherers (s. OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021 – 7 U 335/20, juris). Sicherlich verspricht die Beklagte in der Betriebsschließungsversicherung für zahlreiche Fälle von Krankheiten und Krankheitserregern, die dem Versicherungsnehmer mehrheitlich nicht bekannt sein werden, eine Leistung. Das enthält jedoch nicht zwangsläufig die Annahme, es werde damit ein allgemeines Risiko für jegliche Betriebsschließung aufgrund einer Krankheit oder eines Krankheitserregers i.S. von §§ 6 f. IfSG übernommen. Der Versicherungsnehmer wird erwarten können, dass der Versicherer Risiken für bekannte Krankheiten übernimmt, die in ihren möglichen Auswirkungen abschätzbar sind. Dagegen ist eine berechtigte Erwartung dahin, der Versicherer werde ohne Unterschied und ohne die Möglichkeit, eine Gefahrträchtigkeit einer Krankheit abschätzen zu können, Versicherungsschutz gewähren wollen, nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen nicht nur nicht begründbar, sondern würde die eindeutig formulierte Begrenzung ad absurdum führen und konterkarieren, zumal hier auch ein ausdrücklicher Bezug auf die §§ 6 f. IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht hergestellt wird.
e) Eine solche Auslegung hat bereits das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 15. Juli 2020 – im Falle vergleichbarer Versicherungsbedingungen – in einem Verfahren über eine einstweilige Verfügung vertreten (OLG Hamm, Beschluss vom 15. Juli 2020 – I-20 W 21/20 –, Rn. 4, juris; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021 – 7 U 335/20, juris):
„Die Aufzählung der “versicherten” Krankheiten und Krankheitserreger in Teil B Nr. 8.2.2 der vereinbarten Bedingungen (GA 3 = S. 3 der Antragsschrift) ist abschließend. Der Wortlaut “nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. §§ 6 und 7 IfSG)” und die anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern macht dem – für die Auslegung maßgeblichen – durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur für die benannten, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will. Der Hinweis “vgl. §§ 6 und 7 IfSG” kann vor diesem Hintergrund nicht dahin verstanden werden, dass der Versicherer auch für eine spätere – hier nach Auffassung der Antragstellerin erfolgte – Erweiterung des Gesetzes Versicherungsschutz gewähren würde. Dass der Versicherungsnehmer an einem umfassenden Versicherungsschutz interessiert ist, ist – selbstverständlich – richtig, vermag aber an dieser Auslegung nichts zu ändern.“
Die bei anderen Klauselgestaltungen, etwa mit Verwendung von „namentlich“, aufgeworfenen Auslegungsfragen stellen sich im vorliegenden Fall nicht.
3. Eine Unwirksamkeit der Versicherungsbedingungen bzw. einschlägigen Klauseln wird von dem Kläger nicht angeführt und scheidet aus. Die verwendeten Klauseln sind weder intransparent noch unangemessen benachteiligend. Der Kläger könnte sich somit nicht auf eine Unwirksamkeit der vertraglichen Regelungen vor dem Hintergrund der §§ 305 ff. BGB berufen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Februar 2021 – 7 U 335/20, juris Rn. 43 ff.). Die Klauseln sind nicht iSd. § 305 c Abs. 2 BGB objektiv mehrdeutig. Eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Da die Klage bereits aus diesem Grunde abzuweisen war, kommt es auf die weiteren Einwände der Beklagten nicht an.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, während sich der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO ergibt.


Ähnliche Artikel


Nach oben