Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Ablehnung eines Asylgesuchs als Zweitantrag

Aktenzeichen  M 1 K 16.35575, M 1 S 16.35576

Datum:
30.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36, § 71a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1 – 3

 

Leitsatz

1 Liegen keine verwertbaren Erkenntnisse über den erfolglosen Abschluss (unanfechtbare Ablehnung oder endgültige Einstellung) eines Asylerstverfahrens in einem sicheren Drittstaat vor, geht die fehlende Aufklärung zulasten des Bundesamtes. (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Kann ein bereits erfolglos durchgeführtes Asylverfahren nicht festgestellt werden, kann allein aus der Ausreise des Ausländers aus einem Drittstaat nicht geschlossen werden, er habe dort seinen Asylantrag zurücknehmen oder das dortige Asylverfahren nicht weiterbetreiben wollen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3 Fehlt eine tragfähige Grundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung, ist der angefochtene Bescheid insgesamt aufzuheben; eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens durch das Gericht findet nicht statt, dies ist dann Sache des Bundesamtes. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 6. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Zu Unrecht stützt der Bescheid die Ablehnung des in Deutschland gestellten Asylantrags als unzulässig auf § 71a AsylG und unterlässt damit die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens des Klägers, auf die er einen Anspruch hat.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Asylantrag als unzulässig abzulehnen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29) setzt die Annahme eines erfolglosen Abschlusses des im sicheren Drittstaat betriebenen Asylverfahrens voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)verfahren noch wiedereröffnet werden kann. Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist. Nach den Erkenntnissen zur Ausgestaltung des ungarischen Asylverfahrens wird in Fällen, in denen ein vorheriges Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt worden ist, ein erneutes Asylbegehren behandelt wie ein Erstverfahren, insbesondere kann der Antragsteller seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen (siehe BVerwG aaO., Rn. 38 bis 40).
Nach diesen Maßstäben durfte das Bundesamt nicht vom Vorliegen eines im Drittstaat erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens ausgehen. Erkenntnisse zu einem Asylverfahren im Drittstaat, insbesondere zu einer negativen Sachentscheidung oder einer endgültigen Einstellung, liegen nicht vor. Ein Asylantragsteller ist auch in der Regel nicht in der Lage, über den Verfahrensablauf ausreichend Auskunft zu geben (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22). Das Bundesamt hätte hier weiter nachforschen müssen; allein von der Ausreise des Ausländers aus dem Drittstaat (zur Weiterreise nach Deutschland) auf eine (stillschweigende) Rücknahme seines dortigen Asylantrags oder seine Absicht, das dortige Asylverfahren nicht weiter zu betreiben, zu schließen, ist nicht tragfähig. Die fehlende Aufklärung geht zu Lasten des Bundesamts, das Bundesamt trägt die Feststellungslast für das Vorliegen eines im Drittstaat erfolglos abgeschlossenen Asylverfahrens (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41; siehe auch Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.).
Da die Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts auch nicht auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestands aufrecht erhalten bleiben kann (siehe hierzu BVerwG aaO., Rn. 21 und 41) ist die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (Nr. 1 des Bescheides) aufzuheben. Damit sind auch die Entscheidungen in Nr. 2 und Nr. 3 des Bescheides aufzuheben (siehe BVerwG aaO., Rn. 21), wie auch die zu Nr. 3 des Bescheides akzessorische Nr. 4 des Bescheides, also der Bescheid insgesamt. Mit der Kassation des Bescheides ist dem Rechtsschutzbegehren des Klägers Genüge getan; eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens durch das Gericht (sog. „Durchentscheiden“) findet nicht statt (BVerwG aaO., Rn. 16 und 17), dies ist nun Sache des Bundesamts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO.


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