Aktenzeichen 4 K 571/16
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Personengesellschaft stellt eine schädliche Verfügung i.S.d. § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ErbStG dar. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen.
1. Gemäß § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ErbStG i.d.F. vom 22.12.2009 i.V.m. § 37 Abs. 3 Satz 1 ErbStG fällt der Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 ErbStG mit Wirkung für die Vergangenheit u.a. dann weg, soweit der Erwerber innerhalb von fünf Jahren (Behaltensfrist) einen Anteil an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG veräußert oder aufgibt. Gleiches gilt, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs veräußert oder in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt werden (§ 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG).
Der Wegfall des Verschonungsabschlages beschränkt sich gemäß § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG auf den Teil, der dem Verhältnis der im Zeitpunkt der schädlichen Verfügung verbleibenden Behaltensfrist einschließlich des Jahres, in dem die Verfügung erfolgt, zur gesamten Behaltensfrist ergibt (sog. Abschmelzungsmodell). Für Steuerentstehungszeitpunkte bis 31.12.2008 war der verminderte Wertansatz für den Fall der Nachversteuerung mit Wirkung für die Vergangenheit noch völlig entfallen (§ 13a Abs. 5 ErbStG bzw. § 13 Abs. 2a Satz 2 ErbStG jeweils a.F.).
2. Gegenstand des der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerbsvorgangs ist der Anteil an der Mitunternehmerschaft, der Auslöser der Nachversteuerung kann jedoch in der (gesamten) Mitunternehmerschaft begründet liegen. Dann ist § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ErbStG aufgrund der weitgehenden Korrespondenz der Nachversteuerungstatbestände mit den Erwerbstatbeständen dahingehend auszulegen, dass die Alternative „Aufgabe eines Anteils an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG“ auch die Fälle erfasst, in denen eine Aufgabe des (ganzen) Gewerbebetriebs durch eine Mitunternehmerschaft erfolgt (BFH-Urteil vom 16.02.2005 II R 39/03, BStBl. II 2005, 571).
3. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine Personengesellschaft stellt die Betriebsaufgabe i.S.d. § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ErbStG dar. Maßgebender Zeitpunkt i.S.d. § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG ist der Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
3. a. Gemäß R E 13a.6 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2011 (vgl. Bayerisches Staatsministerium Finanzen, gleich lautende Erlasse vom 25.06.2009, BGBl. I 2009, 713, Abschnitt 10 Abs. 1 Satz 2) gilt als Veräußerung auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. R E 13a.6 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2011 bzw. der gleich lautende Erlass vom 25.06.2009 sind ihrer Rechtsnatur nach Innenrecht der Finanzverwaltung und entfalten gegenüber dem Gericht keine Bindungswirkung (Pahlke/Koenig, AO, § 4 Rn. 51).
3. b. In der Literatur wird die bisherige Rechtsprechung des 2. Senats des BFH zur Insolvenz bei Personengesellschaften (BFH-Urteil vom 16.02.2005 II R 39/03, BStBl. II 2005, 571) – nicht unumstritten – dahingehend ausgelegt, bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine Personengesellschaft stelle die Betriebsaufgabe dar (Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Stand April 2016, § 13a Rn. 190; Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13a Rn. 140; Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13a Rn. 122; Esskandari in Gürsching/Stenger, BewG, § 13a ErbStG Rn. 180). Als Begründung hierfür wird angeführt, mit Bestellung des Insolvenzverwalters als Partei kraft Amtes komme den Gesellschaftern fortan keine Mitunternehmerstellung i. S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG mehr zu (Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13a Rn. 140).
Hintergrund der Entscheidung des BFH vom 16.02.2005 war die damalige Diskussion in Rechtsprechung (BFH-Beschluss vom 07.07.2004 II B 32/04, BStBl. II 2004, 747) und Schrifttum (Viskorf, FR 2005, 1175; Hartmann, ErbStB 2005, 203) darüber, ob der Wegfall der Steuervergünstigungen des § 13a ErbStG aufgrund einer solchen in der Insolvenz bzw. dem Konkurs herbeigeführten „erzwungenen“ Aufgabe des Gesellschaftsanteils an der Personengesellschaft mit dem Sinn und Zweck des Nachversteuerungstatbestandes vereinbar sei oder nicht. Denn bei Verlust des steuerbegünstigt erworbenen Vermögens durch Konkurs bzw. Insolvenz innerhalb der Behaltensfrist könnten sich die höheren Risiken betrieblich gebundenen Vermögens niedergeschlagen und deswegen eine Nachversteuerung zu unterbleiben haben. Der BFH hat sich in seinem Urteil vom 16.02.2005 aus Praktikabilitätsgesichtspunkten für eine objektive Sicht entschieden, da sich die „wahren“ Gründe für eine Betriebsaufgabe nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen ließen. Der Wegfall der Vergünstigung tritt damit unabhängig davon ein, aus welchen Gründen begünstigt erworbenes Betriebsvermögen veräußert oder ein Betrieb aufgegeben wird (BFH-Urteil vom 16.02.2005 II R 39/03, BStBl. II 2005, 571).
Soweit der Verlust der Mitunternehmerstellung als Grund für die Annahme der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Betriebsaufgabe angeführt wird, ist entgegenzuhalten, dass die zum Ertragsteuerrecht ergangene Rechtsprechung des BFH zu dem Ergebnis gelangt, die Betriebsaufgabe sei nicht bereits mit der Eröffnung des Insolvenzbzw. Konkursverfahrens bewirkt, sondern erst durch die Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlagen während des laufenden Verfahrens (BFH-Beschluss vom 01. Oktober 2015 X B 71/15, BFH/NV 2016, 34; BFH-Urteil vom 19. Januar 1993 VIII R 128/84, BStBl. II 1993, 594). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Personengesellschaft beendet die Mitunternehmerschaft nicht (Wacker in Schmidt, EStG, § 15 Rn. 197).
In seinem Urteil vom 04.02.2010 II R 25/08 (BStBl. II 2010, 663) führt der BFH unter Verweis auf den BFH-Beschluss vom 07.07.2004 II B 32/04 (BStBl. II 2004, 747) aus, die „Veräußerung“ durch den Insolvenzverwalter sei dem Insolvenzschuldner zuzurechnen. Jedoch können auch im Wege eines Billigkeitserlasses die zur Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe führenden Umstände wie beispielsweise die krisen- oder insolvenzbedingte Veräußerung keine Berücksichtigung finden.
3. c. Dennoch stellt sich bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über eine Personengesellschaft als schädliches Ereignis und der Eröffnungsbeschluss – im Streitfall vom 01.06.2014 – als für die zeitliche Abgrenzung maßgebender Zeitpunkt dar.
(1) § 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 ErbStG führt im Bereich der Kapitalgesellschaften als nachträglichen Versagungsgrund für die Steuervergünstigung ausdrücklich die Auflösung der Kapitalgesellschaft an. Eine Kapitalgesellschaft wird durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG bzw. § 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG aufgelöst. Mit Urteil vom 21.03.2007 II R 19/06 (BFH/NV 2007, 1321) erachtete der BFH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GmbH als freibetragsschädlich. Gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG gilt als Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft. Bei der Auflösung wird auf Ebene der Anteilseigner die Vermögensmehrung oder – im Falle der Insolvenz – die Vermögensminderung der Kapitalgesellschaft realisiert (Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 17 Rn. 210). Diese ist ertragsteuerrechtlich regelmäßig erst mit Abschluss des Insolvenzverfahrens realisiert (Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 17 Rn. 225).
Dieser Rechtsgedanke gilt nach Auffassung des Senats auch für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Personengesellschaft. Auch eine oHG bzw. KG wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 131 Abs. 1 Nr. 3, 161 Abs. 2 HGB aufgelöst und auf Ebene der Gesellschafter das Vermögensergebnis der Personengesellschaft – im Falle der Insolvenz regelmäßig ein Vermögensverlust – realisiert. Die Verpflichtung eines Kommanditisten ist dabei gemäß §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 HGB auf die Höhe seiner Einlageverpflichtung begrenzt.
Insolvenzrechtlich wird grundsätzlich nicht zwischen Personengesellschaften und juristischer Person differenziert, die Trennlinie ist dort im Umfang der persönlichen Haftung der Gesellschafter – unbeschränkt oder begrenzt – gezogen (Windel in Jaeger, InsO, § 80 Rn. 104).
(2) Handelsrechtlich wird die Gesellschaft aufgelöst, bleibt jedoch bis zu deren Beendigung erhalten. Der Gesellschaftszweck ändert sich bzw. wird überlagert. Denn die Abwicklung erfolgt nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften. Gemäß § 1 InsO ist „Abwicklungszweck“ in erster Linie die bestmögliche und gleichmäßige Gläubigerbefriedigung (Haas in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl. 2014, § 131 HGB, Rn. 16; Windel in Jaeger, InsO, § 80 Rn. 77; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 80 Rn. 48), in einem Insolvenzplan kann die Gläubigerversammlung eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt eines Unternehmens treffen. Die im Vordergrund stehende Gläubigerbefriedigung kann durch Liquidation des Schuldnervermögens, übertragende Sanierung (asset deal oder share deal) oder durch Sanierung der Gesellschaft erfolgen (Sternal in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, § 1 Rn. 5). Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der vom Gesetzgeber mit § 13a Abs. 5 ErbStG begünstigte Zweck der unveränderten Betriebsfortführung für die Personengesellschaft obsolet geworden.
Insoweit liegt eine Zuführung wesentlicher Betriebsgrundlagen zu anderen betriebsfremden Zwecken – der bestmöglichen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren – vor (§ 13a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG).
(3) Die Vorschrift des § 13a ErbStG begünstigt den Erwerber. Grundsätzlich ist bei diesem der Vermögenserwerb von Todes wegen zum Zeitpunkt der Steuerentstehung – dem Todestag – der Erbschaftsteuer zu unterwerfen. Für erworbenes Betriebsvermögen sind Vergünstigungen gegenüber anderen Vermögensarten vorgesehen, um dem Erwerber eine Betriebsfortführung u.a. zur Erhaltung von Arbeitsplätzen zu erleichtern vor dem Hintergrund, dass er sich aufgrund der Sozialgebundenheit und mangelnden Fungibilität dieses Vermögens als vermindert leistungsfähig darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 16.02.2005 II R 39/03, BStBl. II 2005, 571). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Personengesellschaft stellt dieses Vermögen ein gemäß §§ 35, 36 InsO abgetrenntes Sondervermögen dar, über welches nicht mehr die Personengesellschaft, sondern der Insolvenzverwalter gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis innehat. Es liegt ein gesetzlicher Wechsel der Verfügungsmacht über das Vermögen der Personengesellschaft zu diesem Zeitpunkt vor. Soweit der BFH die Auffassung vertritt, Handlungen durch den Insolvenzverwalter seien dem Insolvenzschuldner zuzurechnen (BFH-Urteil vom 04.02.2010 II R 25/08, BStBl. II 2010, 663; BFH-Beschluss vom 07.07.2004 II B 32/04, BStBl. II 2004, 747), geht die insolvenzrechtliche Auffassung davon aus, dass der Insolvenzverwalter aufgrund der gegensätzlichen Interessen der Gläubiger und des Schuldners, welche jeweils von ihm zu wahren sind, nicht Vertreter des Insolvenzschuldners ist (Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 80 Rn. 34).
3. d. Von Verfassungs wegen sind die mit dem Betriebsvermögen verbundenen Risiken entsprechend zu berücksichtigen. Diese sowie die verminderte Leistungsfähigkeit des Erwerbers werden durch § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG insoweit erfasst, als der Abschlag für diejenigen Jahre anteilig gewährt bleibt, in denen der Betrieb durch den Erwerber fortgeführt wird (sog. Abschmelzungsmodell).
Soweit der Kläger anführt, im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am 01.06.2014 habe lediglich 1 Tag zur Vollendung eines weiteren vollen Jahres der Betriebsfortführung gefehlt, rechtfertigt dies nicht die Gewährung der (anteiligen) Steuervergünstigung. Auch ein Erlass der Erbschaftsteuer mit der Begründung des geringfügigen Unterschreitens der damaligen Fünf-Jahres-Frist war nicht wegen sachlicher Unbilligkeit gerechtfertigt (BFH-Urteil vom 04. Februar 2010 II R 25/08, BStBl. II 2010, 663, Rn. 16). Die Behaltensfristen des § 13a Abs. 5 Satz 2 ErbStG sind eindeutig und klar gesetzlich geregelt.
3. e. Nach alldem war die Klage abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 Abs. 1 FGO.
5. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die grundsätzliche Bedeutung liegt in der Rechtsfrage begründet, ob der zivilrechtliche Insolvenztatbestand den Zeitpunkt des Nachsteuerfalls regiert oder dieser entsprechend dem Einkommensteuergesetz bei gleitender (gestreckter) Abgrenzung den Abschluss bzw. die Beendigung eines Veräußerungs-/Aufgabevorgangs erfordert (vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rn. 253 f.).