Aktenzeichen 1 AZR 853/08
§ 77 Abs 4 S 1 BetrVG
§ 308 Abs 1 ZPO
Leitsatz
Die Verletzung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG bei einer einseitigen Änderung einer im Betrieb geltenden Vergütungsordnung kann dazu führen, dass die betroffenen Arbeitnehmer eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmten Entlohnungsgrundsätze verlangen können.
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Karlsruhe, 28. August 2007, Az: 2 Ca 406/06, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 6. Mai 2008, Az: 14 Sa 104/07, Urteil
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. Mai 2008 – 14 Sa 104/07 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Höhe einer Sonderzuwendung.
2
Die Beklagte betreibt Fachkliniken für Anschlussheilbehandlung und Rehabilitation. Sie ist nicht tarifgebunden. Der Kläger ist bei ihr seit 1975 als Koch/Konditor beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrags vom 20. September 1974 erfolgt seine Vergütung nach dem „Bundes-Angestelltentarif (BAT). Vergütungsgruppe VIb“.
3
Bei der Beklagten galt seit dem 1. Januar 1989 für die Arbeitsbedingungen eine Betriebsvereinbarung (BV 1989), deren Abschluss nach einer vorangestellten Präambel in Anlehnung an den Bundes-Angestelltentarifvertrag und den Bundesmanteltarifvertrag für die Arbeiter erfolgt ist. §§ 2, 3 BV 1989 lauteten:
„§ 2
Eingruppierung und Vergütung
1.
Eingruppierung und Vergütung für Angestellte
1.
…
2.
Die Vergütung erfolgt nach Grundvergütung (§ 27 BAT), Ortszuschlag (§ 29 BAT) und der tariflichen Stellenzulage. § 33 BAT ist ausgeschlossen.
3.
Für die Grundvergütungen gelten die Bemessungsgrundsätze im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände für die unter die Anlage 1a fallenden Angestellten.
4.
Für Teilzeitbeschäftigte findet § 34 BAT Anwendung.
5.
Beim Ortszuschlag findet das Haushaltsstrukturgesetz von 1975/76 entsprechende Anwendung.Die Vorschriften über den Bewährungsaufstieg und die Beihilfe finden keine Anwendung.
2.
…
§ 3
Zeitzuschläge und Überstundenvergütung
1.
Bei Zeitzuschlägen für Überstunden, Sonn- und Feiertags- und Nachtarbeit gelten sowohl für Angestellte als auch für Arbeiter die gleichen Zuschläge. Es gelten die in der Anlage 2 dieser Vereinbarung vereinbarten Zeitzuschläge.
2.
Die Zeitzuschläge finden in der jeweils gültigen Fassung BAT/BMT-G/VkA Anwendung.“
4
In Anlage 2 BV 1989 waren als Zeitzuschläge für die Arbeit an Samstagen „0,75 DM“ und im Nachtdienst „1,50 DM“ vorgesehen. Anlage 6 BV 1989 lautet:
„Vereinbarung über die Gewährung einer Monatszuwendung
1.
Der Arbeitnehmer erhält in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung, wenn er am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis steht und nicht für den ganzen Monat Dezember ohne Vergütung zur Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit beurlaubt ist und seit dem 1. Oktober des Kalenderjahres beschäftigt ist.
2.
Der Arbeitnehmer hat die Monatsvergütung zurückzuerstatten, wenn er bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet.
3.
…
4.
Für die Berechnung der Zuwendung gilt die Monatsvergütung des Monats September des Kalenderjahres.
5.
…
7.
Der Mitarbeiter erhält für jedes Kind lt. Lohnsteuerkarte eine erhöhte Zuwendung von DM 50,–, wenn am Stichtag 1. Oktober des Kalenderjahres das Kind das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
8.
…
9.
Die Auszahlung erfolgt zum Ende des Monats November.“
5
Nach Anlage 7 BV 1989 erhalten die Arbeitnehmer unter den dort bestimmten Voraussetzungen in jedem Kalenderjahr ein Urlaubsgeld iHv. 500,00 DM.
6
Die Beklagte kündigte die BV 1989 zunächst „vorsorglich … zum Zwecke der Aktualisierung“ zum 31. Dezember 1995 und erneut am 18. März 2003 zum 31. Dezember 2003. Ihren Arbeitnehmern zahlte sie bis zum Jahr 1993 als jährliche Monatszuwendung einen Betrag iHv. 100 % der für den Monat September des jeweiligen Jahres gewährten Grundvergütung nebst Ortszuschlag und Allgemeiner Zulage. Ab 1994 verringerte sie die Höhe der Monatszuwendung entsprechend dem Bemessungssatz für die Zuwendung nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 (TV Zuwendung Ang). Den Betriebsrat beteiligte sie hierbei nicht. Seit Mai 2004 beträgt der Bemessungssatz im TV Zuwendung Ang 82,14 %.
7
Im Jahr 2005 zahlte die Beklagte ihren Beschäftigten eine Monatszuwendung, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob bei allen Arbeitnehmern ein einheitlicher Bemessungssatz von 41,7 % der jeweiligen Septembervergütung zugrunde gelegt worden ist. Den in Nr. 7 Anlage 6 BV 1989 vorgesehenen kinderbezogenen Teil der Monatszuwendung erbrachte die Beklagte im Jahr 2005 nicht mehr. Der Betriebsrat leitete daraufhin ein Beschlussverfahren mit dem Ziel ein, die Beklagte zur Zahlung der Monatszuwendung in voller Höhe anzuhalten. Mit seinen Hilfsanträgen hat der Betriebsrat ua. die Feststellung begehrt, dass die Anlage 6 BV 1989 Nachwirkung entfaltet. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat durch rechtskräftigen Beschluss vom 28. Februar 2007 (- 12 TaBV 4/06 -) die Anträge abgewiesen.
8
Der Kläger, dessen Grundvergütung zuzüglich Ortszuschlag und Allgemeiner Zulage im September 2005 2.518,04 Euro brutto betrug, erhielt für das Jahr 2005 eine Zuwendung iHv. 1.050,02 Euro. Mit Schreiben vom 5. April 2006 machte er die Zahlung der Monatszuwendung für 2005 „in voller Höhe“ erfolglos geltend.
9
Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe für das Jahr 2005 eine Monatszuwendung in Höhe eines vollen Septembergehalts zu. Der Anspruch ergebe sich aus § 2 seines Arbeitsvertrags und einer vor Abschluss der BV 1989 begründeten betrieblichen Übung. Die Beklagte habe seit dem Jahr 1982 ihren Arbeitnehmern eine Zuwendung in Höhe des Septembergehalts gewährt. Der Anspruch könne zudem auf die BV 1989 gestützt werden, deren Bestimmungen über den 31. Dezember 2003 weiter gölten. Daneben habe die Beklagte durch die Absenkung der Monatszuwendung im Jahr 2005 das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt.
10
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.443,09 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 30. November 2005 zu zahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 997,82 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 30. November 2005 zu zahlen.
11
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die BV 1989 entfalte keine Nachwirkung. Durch die Kürzung der Monatszuwendung sei keine mitbestimmungspflichtige Änderung der Entlohnungsgrundsätze erfolgt, da diese für alle Arbeitnehmer einheitlich auf einen Bemessungssatz von 41,7 % des maßgeblichen Septembergehalts reduziert worden sei.
12
Das Arbeitsgericht hat der Klage iHv. 997,82 Euro stattgegeben und für den Kläger die Berufung zugelassen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger weitere 52,20 Euro zugesprochen. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.