Arbeitsrecht

Abberufung eines Vorstandsmitglieds wegen zerrütteten Vertrauensverhältnisses zu Vorstandskollegen und Aufsichtsrat

Aktenzeichen  23 U 2314/15

Datum:
28.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AG – 2016, 592
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AktG §§ 84 III, 111
BRAO § 45 I Nr. 4, II Nr. 2, III

 

Leitsatz

1 Nimmt ein Rechtsanwalt für ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft ein Mandat wahr, liegt kein Verstoß gegen § 45 II Nr. 2, Abs. 3 BRAO vor, wenn er nach Beendigung dieses Mandats in den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft berufen wird. (red. LS Christoph Syrbe)
2 Thematisiert ein Vorstandsmitglied gegenüber dem Aufsichtsrat immer wieder mögliche Gesetzesverstöße seiner Vorstandskollegen, bedeutet dies noch nicht, dass er unter Missachtung der sich hierfür aus § 111 AktG ergebenden Zuständigkeit des Aufsichtsrats eigene Ermittlungen vorgenommen hat. (red. LS Christoph Syrbe)
3 Nicht jede ernsthafte Kritik oder Auseinandersetzung im Vorstand kann dazu führen, das kritikübende Vorstandsmitglied wegen einer fehlenden Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit abzuberufen. (red. LS Christoph Syrbe)
4 Wie ein Vorstandsmitglied mit dem Aufsichtsrat kommuniziert, um seiner Verpflichtung zur unbedingten Offenheit nachzukommen, bleibt ihm überlassen, so dass er sich hierfür auch eines Rechtsanwalts bedienen darf, ohne dass hieraus Rückschlüsse auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis gezogen werden können. (red. LS Christoph Syrbe)

Verfahrensgang

5 HKO 15118/14 2015-05-29 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 29.5.2015, Az. 5 HK O 15118/14 aufgehoben.
2. Der Beschluss des Aufsichtsrates der Beklagten vom 26.4.2014 über die Abberufung des Klägers als Vorstand wird für unwirksam erklärt und die Bestellung des Klägers zum Vorstand der DEV. E. P. AG wiederhergestellt.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

II. Die zulässige Berufung hat Erfolg.
1. Der Beschluss des Aufsichtsrates vom 26.4.2014 ist für unwirksam zu erklären, weil kein wichtiger Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 AktG vorliegt, auf den sich der Aufsichtsrat berufen konnte.
1.1. Der Beschluss des Aufsichtsrats vom 26.4.2014, mit dem der Kläger als Vorstand abberufen wurde, ist formell wirksam.
1.1.1. Die Wahl von Herrn Dr. R. in den Aufsichtsrat war wirksam. Die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 AktG liegen nicht vor. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass kein Fall des § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG, § 100 Abs. 1 und Abs. 2 AktG vorliegt und auch keine durch Analogie zu schließende planwidrige Regelungslücke besteht. Auf die ausführlichen Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen. Dies wird von der Berufung auch nicht angegriffen.
1.1.2. Der Aufsichtsratsbeschluss ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen § 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO oder § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO nichtig.
1.1.2.1. § 45 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 BRAO versagt dem Rechtsanwalt die Berufstätigkeit als Rechtsanwalt, wenn er oder ein Angehöriger der Sozietät in derselben Angelegenheit bereits beruflich tätig war. Dieses Tätigkeitsverbot ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da der Kläger geltend macht, der Aufsichtsratsvorsitzende habe nicht als Aufsichtsrat tätig werden dürfen, da er bereits als Rechtsanwalt für die Beklagte tätig war.
1.1.2.2. § 45 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BRAO untersagt dem Rechtsanwalt, in Angelegenheiten, mit denen er oder ein Angehöriger der Sozietät bereits als Anwalt befasst war, außerhalb seiner Anwaltstätigkeit beruflich tätig zu werden. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift liegt nicht vor.
1.1.2.2.1. Das Landgericht ist nach Würdigung der Angaben des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. R. in der mündlichen Verhandlung überzeugt, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung – also am 26.4.2014 – das Mandat für das Vorstandsmitglied K. bereits beendet war. Konkrete Anhaltspunkte i. S. des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, aus denen sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung durch das Landgericht ergeben könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Beklagte im Schriftsatz vom 28.1.2015 vorgetragen hat, das Mandatsverhältnis sei vor dem 10.3.2014 (Zeitpunkt der Wiederbestellung von A, K. zum Vorstandsmitglied und Wahl des Herrn Dr. R. zum Aufsichtsratsvorsitzenden) beendet worden und Herr Dr. R. in der mündlichen Verhandlung erklärt hatte, er habe mit Entsendung (am 10.3.2014) in den Aufsichtsrat Herrn K. mitgeteilt, dass das Mandatsverhältnis mit ihm beendet sei, führt nicht dazu, dass die Angaben des Aufsichtratsvorsitzenden nicht glaubwürdig sind, da die Angaben des Aufsichtratsvorsitzenden nicht in sich widersprüchlich sind. Der Senat schließt sich daher der Ansicht des Landgerichts an, dass insoweit kein Verstoß gegen § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO vorliegt.
1.1.2.2.2. Ein Verstoß gegen § 45 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BRAO liegt auch insoweit nicht vor, als der Kläger vorträgt, die Sozietät, der der Aufsichtsratsvorsitzende angehört, habe nicht nur Andreas K. als Vorstandsmitglied sondern auch die Beklagte vertreten. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass – was die Beklagte bestritten hat – die Abberufung des Klägers als Vorstand Gegenstand dieses Mandatsverhältnisses war. Er hat lediglich vorgetragen, der Vortrag der Beklagten, das Mandatsverhältnis zwischen der Beklagten und der Sozietät, der der Ausichtsratsvorsitzende angehört, habe die Abberufung des Klägers nicht zum Gegenstand gehabt, sei als reine Schutzbehauptung zu bewerten. Damit genügt er seiner Darlegungs- und Beweislast nicht.
1.1.2.2.3. Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob ein Verstoß gegen § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO vorliegt, da ein Verstoß nicht zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses führen würde. Selbst wenn der Aufsichtsratsvorsitzende Dr. R. von der Ausübung des Stimmrechts ausgeschlossen gewesen wäre, würde dies nicht zu einer Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats gem. § 108 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG führen, da das betreffende Aufsichtsratsmitglied zur Vermeidung einer Beschlussunfähigkeit „teilnehmen“ kann und muss, sich aber der Stimme zu enthalten hat (BGH, Urteil vom 02.4.2007, II ZR 325/05, juris Tz. 13). Die trotz dieser Verpflichtung zur Stimmenthaltung abgegebene Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden hat zwar die Nichtigkeit seiner Stimmabgabe zur Folge, hatte aber keinen Einfluss auf das – einstimmige – Stimmergebnis. Ein Verstoß gegen § 45 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BRAO hätte auch nicht die Nichtigkeit der Bestellung zum Aufsichtsratsvorsitzenden zur Folge, da weder die BRAO noch das AktG dies vorsehen.
1.2. Der Beschluss des Aufsichtsrats vom 26.4.2014, mit dem der Kläger als Vorstand abberufen wurde, ist – auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 4.4.2016 – aufgrund des Fehlens eines wichtigen Grundes materiell unwirksam.
1.2.1. Gem. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG kann der Aufsichtsrat die Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der gem. § 84 Abs. 3 S. 2 AktG insbesondere bei einer groben Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung gegeben ist. Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses bis Ende der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist, wobei alle Umstände des Einzelfalles gegeneinander abzuwägen sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.2006, II ZR 298/05, juris Tz. 2).
1.2.2. Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt ein wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers nicht in einer Missachtung der sich aus § 111 AktG ergebenden Zuständigkeit des Aufsichtsrates, soweit es um die Aufklärung von Pflichtverletzungen der Vorstandsmitglieder geht.
1.2.2.1. Die Missachtung der Zuständigkeit des Aufsichtsrates für die Aufklärung von Pflichtverletzungen der Vorstandsmitglieder durch einen Vorstand kann zwar ein wichtiger Grund im Sinne des § 84 Abs. 3 S. 2 AktG sein, wenn es sich um einen gravierenden Verstoß handelt. Im vorliegenden Fall konnte die Beklagte jedoch nicht nachweisen, dass der Kläger eigene Ermittlungen durchgeführt hat. Der Aufsichtsrat hat sich unstreitig in der Aufsichtsratssitzung vom 10.3.2014 mit dem Abschlussbericht der ECOVIS befasst und beschlossen, die Vorwürfe abschließend zu ermitteln (Anlage K 9). Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass der Kläger hierfür nicht zuständig war und hat unbestritten vorgetragen, dass der Kläger hierzu auch nicht vom Aufsichtsrat beauftragt wurde. Die Beklagte hat aber nicht substantiiert dargelegt, dass der Kläger nach dem 10.3.2014 eigene Ermittlungen angestellt hat. Sie hat lediglich vorgetragen, der Kläger habe nach dem 10.3.2014 versucht, die Nachforschungen fortzusetzen (Schriftsatz vom 14.10.2014, S. 7, Bl. 38 d. A.) bzw. der Kläger habe auch nach der Wiederbestellung der Vorstandsmitglieder unbeirrt weitere Nachforschungen angestellt (Schriftsatz vom 28.1.2015, S. 5, Bl. 99 d. A.). Welche Nachforschungen und Ermittlungen der Kläger angestellt haben soll, trägt die Beklagte nicht vor und diese sind auch nicht aus den vorgelegten Anlagen ersichtlich. Der Kläger hat bereits in erster Instanz bestritten, weitere Ermittlungen durchgeführt zu haben.
1.2.2.1.1. Das Landgericht hat zwar in seinem Urteil im unstreitigen Tatbestand ausgeführt, der Kläger habe in der Folgezeit weiter in Bezug auf Pflichtverletzungen seiner Vorstandskollegen geforscht (Seite 5 des Urteils). Der Kläger hat sich gegen diese Feststellungen des Landgerichts mit einem Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes gewandt. Diesen Antrag hat das Landgericht mit Beschluss vom 23.7.2015 zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt seinen Vortrag, bei den genannten Feststellungen des Landgerichts handle es sich um streitigen und nicht unstreitigen Vortrag, im Rahmen der Verfahrensrüge gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 3 ZPO weiter.
1.2.2.1.2. Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger selbst habe in seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 12.5.2014 angegeben, weitere Nachforschungen angestellt haben. Auf Seite 22 des Antrages habe er ausgeführt, der Aufsichtsrat habe den einzigen Vorstand abberufen, der im Laufe seiner Tätigkeit im Bereich „Legal & Compliance“ die im Raum stehenden Straftaten der anderen Vorstände und des „Gründers“ aufgedeckt habe. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass der Kläger unter Missachtung der Entscheidung des Aufsichtsrates weitere Ermittlungen durchgeführt hat.
1.2.2.1.3. Der Kläger hat auch nicht im Schriftsatz vom 4.8.2014 (S. 8, Bl. 8 d. A.) zugestanden, weitere Ermittlungen durchgeführt zu haben. Dort trägt der Kläger vor, er sei als für Compliance des Unternehmens zuständiger Vorstand weiterhin verpflichtet gewesen, die Ermittlungen zu führen und den zuständigen Gremien die Informationen zugänglich zu machen. Ob er entsprechend der von ihm angenommenen Verpflichtung gehandelt hat und welche Maßnahmen er ergriffen hat, trägt der Kläger nicht vor. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger als Vorstand darauf achten musste und durfte, dass die Vorstandsmitglieder sich an die Gesetze halten und er verpflichtet war, bei möglichen Verstößen den Aufsichtsrat zu unterrichten.
1.2.2.1.4. Die Beklagte sieht ein Indiz für weitere Nachforschungen des Klägers auch darin, dass es nach Angaben des Klägers in dem Gespräch, um das der damalige rechtliche Vertreter des Klägers, Herr Rechtsanwalt T., den Aufsichtsratsvorsitzenden gebeten hatte, um die weiteren Ermittlungen gehen sollte. Ein Vortrag des Klägers dahingehend, er habe weitere Ermittlungen durchgeführt, kann darin jedoch nicht gesehen werden. Es ist vielmehr nicht zu beanstanden, wenn der Kläger als Vorstand das Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden sucht, um mit diesem zu besprechen, wie weiter vorgegangen werden soll. Ein Anhaltspunkt für eigenmächtige Ermittlungen des Klägers ergibt sich hieraus nicht.
1.2.2.1.5. Auch aus der E-Mail des Klägers vom 26.2.2014 (Anlage B 11) ergibt sich nicht, dass der Kläger am Aufsichtsrat vorbei weitere Ermittlungen durchgeführt hat. Zu berücksichtigen ist ferner, dass es sich bei dieser E-Mail des Klägers um eine Reaktion auf die E-Mail von T. A. gehandelt hat.
1.2.2.2. Die Abberufung des Klägers als Vorstand wurde in dem Beschluss des Aufsichtsrates vom 26.4.2014 nicht auf die Missachtung der Zuständigkeit des Aufsichtsrates gestützt. Da die Beklagte das Vorliegen eines Kompetenzverstoßes nicht nachweisen kann, kann dahingestellt bleiben, ob es sich insoweit um ein zulässiges Nachschieben von Gründen handelt oder ob das Nachschieben verwirkt ist, da die Gründe bereits bekannt waren, als der Beschluss gefasst wurde.
1.2.3. Die Abberufung des Klägers als Vorstand konnte auch nicht auf die „gerichtlichen Aktionen gegen die Gesellschaft“ gestützt werden. Der Kläger war berechtigt, sich an das Landgericht München I und das Oberlandesgericht München zu wenden, um seine drohende Abberufung als Vorstand zu verhindern. Auch dem Kläger als Vorstand der Beklagten steht die Geltendmachung seiner Rechte offen. Dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gänzlich unvertretbar und als rechtsmissbräuchlich anzusehen war, hat die Beklagte nicht vorgetragen und dies ist auch nicht ersichtlich (vgl. MüKo-Spindler, AktG, § 84 Rn. 132).
1.2.4. Auch „das zerrüttete Vertrauensverhältnis zum Aufsichtsratsvorsitzenden und zu den übrigen Mitgliedern des Vorstandes“ kommt nicht als wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers als Vorstand in Betracht.
1.2.4.1. Ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis zwischen den Vorstandsmitgliedern kann ein wichtiger Grund für die Abberufung des Klägers als Vorstand sein. Voraussetzung hierfür ist, dass dieses die Gesellschaft schwer schädigen kann und der Kläger durch sein – nicht notwendigerweise schuldhaftes – Verhalten zu dem Zerwürfnis beigetragen hat (BGH, Urteil vom 13.7.1998, II ZR 131/97, juris Tz. 16; BGH, Urteil vom 24.2.1992, II ZR 79/91, juris Tz. 12, zur GmbH). Es kann aber nicht jede ernsthafte Kritik oder Auseinandersetzung im Vorstand dazu führen, kritikübende Vorstandsmitglieder wegen einer fehlenden Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit abzuberufen (MüKo-Spindler, AktG, § 84 RdNr. 132). Entscheidend für das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist, dass die Fortsetzung des Organverhältnisses unzumutbar ist, mithin eine auf Tatsachen in der Vergangenheit liegende Prognose über die zukünftige Zusammenarbeit und die Arbeit des Vorstandes für die Gesellschaft (MüKo/Spindler, AktG, § 84 Rdnr. 129). Für die Beurteilung, ob ein unheilbares Zerwürfnis eingetreten ist, kommt es nicht entscheidend auf ein etwaiges Verschulden der Beteiligten an, sondern darauf, ob unter den gegebenen Umständen eine gedeihliche Zusammenarbeit noch zu erwarten ist (BGH, Urteil vom 24.02.1992, II ZR 79/91). Ein wichtiger Grund für die Abberufung des Vorstandes kann schließlich auch in der Verletzung der Pflichten gegenüber anderen Organen, insbesondere die mangelnde Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat, liegen (BGH, Urteil vom 26.3.1956, II ZR 57/55, juris Tz. 23).
1.2.4.2. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass dies vorliegend der Fall ist.
1.2.4.2.1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus dem Schreiben des Klägers vom 22.4.2014, mit dem er die satzungsergänzende Nebenabrede gekündigt hat, nicht, dass der Kläger die weitere Zusammenarbeit mit den Vorstandsmitgliedern Andreas K. und Barbara A. als unzumutbar ansieht. Der Kläger hat die Kündigung der satzungsergänzenden Nebenabrede damit begründet, die weitere Fortführung der Zusammenarbeit mit Herrn A., Herrn K. und Frau A. im Rahmen der satzungsergänzenden Nebenabrede sei für ihn unzumutbar (Anlage B 2). Hieraus ergibt sich nur, dass der Kläger die weitere Zusammenarbeit mit Herrn A., der zum damaligen Zeitpunkt nicht Vorstand war, sowie mit den Vorständen Herrn K. und Frau A. im Rahmen der satzungsergänzenden Nebenabrede als unzumutbar ansieht. Die satzungsergänzende Nebenabrede bindet jedoch den Kläger nur als Aktionär und nicht als Vorstand und der Kläger hat die satzungsergänzende Nebenabrede nicht als Vorstand, sondern als Aktionär gekündigt. Ausführungen dazu, dass der Kläger die Zusammenarbeit mit A. K. und B. A. als Vorstandsmitglieder als für ihn unzumutbar empfindet, enthält das Schreiben vom 22.4.2014 nicht.
1.2.4.2.2. Soweit die Beklagte ein tiefgreifendes, nicht wieder gutzumachendes Zerwürfnis, zu dem der Kläger durch sein Verhalten beigetragen hat, darin sieht, dass in der Sitzung des Aufsichtsrats am 25.1.2014 der Kläger gemeinsam mit dem damaligen Aufsichtsratsmitglied Dr. N. die weiteren damaligen Aufsichtsratsmitglieder mit vermeintlichen Straftaten der Vorstandsmitglieder K., B. A. und M. konfrontiert und damit die Abberufung dieser Vorstandsmitglieder veranlasst haben soll, ist zu berücksichtigen, dass nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers der Entwurf der Strafanzeige vom Aufsichtsratsmitglied Dr. N. und nicht von ihm in Auftrag gegeben und vorgelegt wurde. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass der Kläger wahrheitswidrig Tatsachen behauptet habe, die falsch waren. Die Beklagte hat vielmehr in der mündlichen Verhandlung vom 10.3.2016 angegeben, die Tatsachen seien zutreffend gewesen, sie seien jedoch vom Kläger falsch bewertet worden.
1.2.4.2.3. Auch aus dem Umstand, dass der Kläger das von ihm in der Sitzung des Aufsichtsrates vom 10.3.2013 geforderte „Commitment“ nicht abgegeben hat, folgt nicht, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Kläger zerrüttet ist und der Kläger sich von der Beklagten losgesagt hat. Den Kläger traf keine Verpflichtung, sich zu „committen“. Auf die Aufforderung hin, sich zu „committen“, hat der Kläger unstreitig das Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden gesucht. Das Unterlassen des „Commitment“ kann daher nicht als Lossagen von der Gesellschaft und als mangelnde Bereitschaft, sich weiterhin für die Beklagte zu engagieren, gewertet werden.
1.2.4.3. Eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Aufsichtsrat, die als wichtiger Grund die Abberufung des Klägers als Vorstand rechtfertigen könnte, kann auch nicht darin gesehen werden, dass – wie im Beschluss des Aufsichtsrats vom 26.4.2014 ausgeführt wird – „die Korrespondenz mit Aufsichtsrat und Gesellschaft nur via verschiedener Anwälte“ erfolgt. Die Verpflichtung des Klägers als Vorstand zur unbedingten Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat erfordert nicht, dass der Vorstand direkt, also ohne Einschaltung eines Rechtsanwaltes, mit dem Aufsichtsrat kommuniziert. Bei der Verpflichtung zur unbedingten Offenheit geht es vielmehr darum, dass der Vorstand relevante Umstände gegenüber dem Aufsichtsrat offenlegt; wie er dies macht, bleibt ihm überlassen.
1.2.5. Die „außerordentliche Kündigung der satzungsergänzenden Nebenabrede“, die im Sinne einer Poolvereinbarung sämtliche Aktionäre der Beklagten bindet, stellt keinen wichtigen Grund für die Abberufung des Klägers als Vorstand dar. Der Kläger hat die satzungsergänzende Nebenabrede, die den Kläger als Aktionär und nicht als Vorstand bindet, nicht als Vorstand sondern als Aktionär gekündigt (vgl. 1.2.4.2.1).
1.2.6. Die Abberufung des Klägers als Vorstand konnte auch nicht auf „das unredliche Unterlassungsverlangen via Rechtsanwalt T. gegenüber dem Mitaktionär und Gründer T. A.“ gestützt werden. Zwar hat der Kläger unstreitig mit Schreiben vom 10.4.2014 (Anlage B 3) T. A. zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Dies betrifft jedoch nur das Verhältnis des Klägers zu T. A., der zu diesem Zeitpunkt kein Vorstandsmitglied war.
1.2.7. Dahingestellt bleiben kann, ob die von der Beklagten geltend gemachten weiteren wichtigen Gründe zulässig nachgeschoben werden konnten, da sie nach dem Vortrag der Beklagten nachträglich entstanden bzw. bekanntgeworden sind. Diese stellen nämlich keinen wichtigen Grund i. S. d. § 84 Abs. 3 AktG dar.
1.2.7.1. Mit der Stellung eines Antrags auf Bestellung eines Sonderprüfers im Vorfeld der Hauptversammlung vom 6.12.2014 hat der Kläger seine Rechte als Aktionär wahr genommen. Hieraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass den anderen Vorständen die Zusammenarbeit mit dem Kläger als Vorstand nicht mehr zumutbar ist.
1.2.7.2. Soweit der Kläger bei der Rechtsanwaltskammer München eine Beschwerde gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden wegen des Vorwurfs der Vertretung widerstreitender Interessen eingereicht hat, ergibt sich hieraus nicht, dass der Kläger nicht bereit ist, den Aufsichtsratsvorsitzenden zu akzeptieren.
1.2.7.3. Auch aus der – nach Ansicht der Beklagten – unnötig langen und breiten Darstellung der vermeintlichen Straftaten der Vorstandskollegen in zwei weiteren Verfahren, die der Kläger gegen die Beklagte führt, ergibt sich kein wichtiger Grund für die Abberufung. Die Beklagte hat weder vorgetragen, dass der Kläger insoweit unwahre Tatsachen behauptet habe noch dass die Vorwürfe abschließend ermittelt wurden.
1.2.7.4. Soweit die Beklagte einen wichtigen Grund darin sieht, dass der Kläger nicht über die für das Bekleiden des Vorstandsamtes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge und offenbar nicht in der Lage oder nicht willens sei, sich diese zu verschaffen, liegt bereits kein substantiierter Vortrag vor. Hinsichtlich des Vortrags der Beklagten, die Hauptversammlung vom 25.1.2014 sei so fehlerhaft vorbereitet worden, dass die Hauptversammlung wiederholt werden müsste, ist zu berücksichtigen, dass der Kläger erst in dieser Hauptversammlung zum Vorstand gewählt wurde.
1.2.7.5. Weshalb ein Verbleib des Klägers im Vorstand nicht mehr vorstellbar sein soll, weil der Kläger seine Kommanditbeteiligung an der … A.GmbH & Co. KG gekündigt und seine operative Tätigkeit eingestellt hat, erschließt sich – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Vorstand neben dem Kläger nur Personen vertreten sind, die zugleich in jedenfalls einer der Gesellschaften der …-Gruppe im operativen Geschäft tätig sind – nicht.
1.2.8. Auch die vorzunehmende Gesamtabwägung der Interessen der Beklagten und des Klägers ergibt nicht, dass der Beklagten die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtszeit unzumutbar ist. Bei der Gesamtabwägung ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Beklagte keinen schwerwiegenden Pflichtenverstoß des Klägers nachweisen konnte. Zugunsten der Beklagten spricht, dass die Bestellzeit des Klägers zum Zeitpunkt der Abberufung noch fast vier Jahre und neun Monate betrug. Allein dies und der Umstand, dass es gewisse Differenzen innerhalb des Vorstandes und zwischen dem Kläger und dem Aufsichtsvorsitzenden gab, hat jedoch nicht ein solches Gewicht, dass der Beklagten die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtszeit nicht zumutbar ist.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 Satz 1 und 2 ZPO, § 711 ZPO.
3. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

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