Aktenzeichen B 1 K 15.1014
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
RL 2006/126/EG RL 2006/126/EG Art. 12
Leitsatz
Eine polnische Meldeanschrift belegt nicht einen Wohnsitz in Polen, wenn sich bis zu 10 Personen dort für Zeiträume von drei Monaten aufhielten und der Fahrerlaubnisinhaber zugleich sein Gewerbe in Deutschland unterhielt und auch einen Parkausweis beantragt und bewilligt hatte. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Über den Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Das Einverständnis aller Beteiligten ist – anders als im Falle einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO – nicht Voraussetzung für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid.
2. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Vermeidung von Wiederholungen schließt sich das Gericht im Wesentlichen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an.
1. (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist zur Sache sowie zum Klagevorbringen noch Folgendes auszuführen: Die in Ziffer 1 des Bescheids vom 26. November 2015 getroffene Feststellung ist rechtmäßig. Die dem Kläger am 30. Mai 2014 in Polen erteilte polnische Fahrerlaubnis der Klasse B verleiht ihm nicht das Recht, entsprechende Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen. Dies ergibt sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWG-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in im Sinn von § 7 Abs. 1 oder Abs. 2 FeV i.V.m. Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 im Bundesgebiet haben, vorbehaltlich der Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt diese Berechtigung nicht, wenn sich aus dem Führerschein selbst oder vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt, dass der Fahrerlaubnisinhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Zeitpunkt der Erteilung im Inland hatte. Dies wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV dann angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne dieser Vorschrift im Inland, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt.
Unbestreitbar im Sinn von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 FeV sind die Informationen dann, wenn sie von einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats stammen, selbst wenn sie nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt werden (EuGH, U.v. 01.03.2012 – C-467/10 -Rn. 71). Hinsichtlich der Frage, welcher Beweiswert den vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen für das Nichtbestehen eines ordentlichen Wohnsitzes im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung zukommen muss, ist ausreichend, wenn sich aus ihnen die bloße Möglichkeit einer solchen Sachverhaltsgestaltung ergibt, ohne dass durch sie die Begründung eines reinen Scheinwohnsitzes bereits abschließend erwiesen sein muss. Die nationalen Gerichte haben im Rahmen ihrer Beurteilung der vorliegenden, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen alle Umstände des anhängigen Verfahrens zu berücksichtigen. Dabei kann insbesondere der etwaige Umstand berücksichtigt werden, dass die vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Informationen darauf „hinweisen“, dass sich der Inhaber dieses Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats nur für ganz kurze Zeit aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 01.03.2012, a.a.O., Rn. 74 f.; BVerwG, U.v. 30.05.2013 – 3 C 18.12 – Rn. 21; BayVGH, B.v. 24.11.2014 – 11 CS 14.1090 -; B.v. 20.10.2014 – 11 CS 14.1688 -; B.v. 03.05.2012 – 11 CS 11.2795 – Rn. 30; B.v. 20.05.2015 – 11 CS 15.685 -, alle juris). Die vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden Informationen bilden gleichsam den „Rahmen“, innerhalb dessen die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats alle Umstände eines vor ihnen anhängigen Verfahrens berücksichtigen dürfen. Dabei kann die Funktion der Heranziehung aller Umstände nur darin bestehen, ergänzend zu den vom Ausstellerstaat stammenden Informationen hinzuzutreten, um etwaige Lücken hinsichtlich der Beweiskraft dieser Erkenntnisse zu schließen (BayVGH, B.v. 03.05.2012, a.a.O.; B.v. 15.09.2015 – 11 ZB 15.1077 unter Verweis auf EuGH, U.v. 26.04.2012 Rn. 90).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze liegen behördliche Informationen aus dem Ausstellerstaat vor, die darauf hinweisen, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitraum der Erteilung der Fahrerlaubnis keinen Wohnsitz im Sinn von Art. 12 RL 2006/126 EG in Polen hatte.
Die über das Kraftfahrt-Bundesamt eingeholte Auskunft des zuständigen polnischen Ministeriums vom 29. September 2014 besagt zwar, dass der Kläger nach den dort vorliegenden Informationen seinen Wohnsitz in Polen während 185 Tagen im Kalenderjahr gehabt habe und dass die angegebene Wohnadresse existiere. Aus dieser Auskunft ergeben sich aber gleichwohl Zweifel an der Wohnsitznahme, denn es wird auch angegeben, dass zum Vorhandensein von Familienmitgliedern und zu beruflichen oder Eigentumsinteressen nichts bekannt sei. Die übrigen, von polnischen Behörden gegebenen Informationen belegen einen ordentlichen Wohnsitz indes nicht bzw. ziehen einen solchen sogar in Zweifel. So bescheinigt die Stadt … eine temporäre Meldung des Klägers als einer sich permanent in Deutschland aufhaltenden Person für die Wohnung in … in der ul. … 141/6 für den maßgeblichen Zeitraum. Die Auskunft des polnischen Ministeriums erweckt damit angesichts der Auskunft der polnischen Meldebehörde begründete Zweifel hinsichtlich ihrer Aussagekraft. Die Dienststelle der Kreispolizei … stellte außerdem fest, dass der Kläger zwar vom 29. Mai bis 2. August 2014 in … gemeldet gewesen sei, man habe aber nicht feststellen können, ob persönliche oder dienstliche Verbindungen zum Wohnort in Polen bestanden hätten. In der angegebenen Privatwohnung seien 51 Personen, davon 40 Ausländer gemeldet. Aus der weiteren, im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren von der Kreispolizeibehörde … übermittelten Auskunft und den hierzu vorgelegten Unterlagen (Auskunft der städtischen Liegenschaftsverwaltung) ergibt sich, dass für den Tag des Fahrerlaubniserwerbs durch den Kläger weitere 7 Personen, jeweils für einen befristeten Aufenthalt von 3 Monaten gemeldet waren. Im Zeitraum vom 29. Mai bis 2. August 2014 waren dies in sich überschneidenden Zeiträumen insgesamt zehn Personen, deren Namen darauf hindeuten, dass es sich dabei nicht um polnische Staatsangehörige handelte. Gleichzeitig teilt die Kreispolizeibehörde … mit, dass die Wohnung im fraglichen Zeitraum an einen Herrn … vermietet war und von diesem noch genutzt wird. Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung des Landkreises … vom 26. Oktober 2015 bescheinigt demgegenüber zwar die Tatsache des Führerscheinerwerbs an sich (Bestätigung unter Einhaltung der polnischen Vorschriften), führt aber im Hinblick auf einen ordentlichen Wohnsitz lediglich aus, dass der Kläger in … vorübergehend angemeldet war und selbst erklärt habe, dort über 185 Tage angemeldet gewesen zu sein (4. Spiegelstrich).
Die Argumentation des Klägers, die Meldeliste der städtischen Liegenschaftsverwaltung sei kein Beweis dafür, dass neben dem Kläger für weitere Personen tatsächlich ein ordentlicher Wohnsitz bestätigt worden sei, überzeugt nicht. Denn Gleiches gilt auch für den Kläger, so dass nach seinem eigenen Sachvortrag allein die melderechtliche Erfassung auch für ihn nicht ausschlaggebend sein kann. Die Angaben der polnischen Behörde zur Wohnungsgröße und den Mietverhältnissen beruhen – da die Wohnung im städtischen Eigentum steht – offensichtlich nicht auf bloßen Spekulationen. Für einen tatsächlichen Lebensmittelpunkt des Klägers in … in persönlicher und/oder beruflicher Hinsicht ist nichts ersichtlich. Angesichts dieser Umstände drängt es sich geradezu auf, dass es sich bei der Adresse nur um einen Scheinwohnsitz gehandelt hat und sämtliche Personen dort zwar angemeldet waren, aber nicht dort gewohnt, sondern sich allenfalls nur wenige Tage aufgehalten haben (vgl. einen vergleichbaren Sachverhalt in BayVGH, B.v. 15.09.2015, a.a.O.).
Diese Einschätzung aufgrund der vom Ausstellermitgliedstaat gewonnenen Erkenntnisse wird ergänzt durch die Informationen der Fahrerlaubnisbehörde der Beklagten zu den persönlichen und beruflichen Umständen des Klägers während des fraglichen Zeitraums. Dass der Kläger als Einzelgewerbetreibender sein Gewerbe durchgehend unter einer … Adresse angemeldet hatte, die zudem auch die Wohnadresse der Verlobten des Klägers ist, dass er bereits am 10. Juni 2014 einen PKW auf seinen Namen unter Angabe der Adresse …, am 11. Juni 2014 eine Ausnahmegenehmigung für Parkerleichterungen als Handwerker und am 2. Juli 2014 einen Parkausweis für Anwohner für diese Adresse beantragte – also während des Zeitraums, in dem er für sich als ordentlichen Wohnsitz die polnische Adresse geltend macht – weist darauf hin, dass sein Lebensmittelpunkt im Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis offensichtlich in … war und dass der Aufenthalt in … lediglich der Abholung des polnischen Führerscheins diente und offensichtlich auch nur wenige Tage gedauert hat.
Der Kläger ist diesen von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogenen Umständen auch nicht durch einen substantiierten Vortrag entgegengetreten. Es obliegt ihm, die Unstimmigkeiten der Meldeverhältnisse durch einen substantiierten Vortrag auszuräumen und darzulegen, dass sein Lebensmittelpunkt – trotz der offensichtlichen persönlichen und beruflichen Beziehungen im Inland – während der Hälfte des Jahres in Polen war (vgl. BVerwG, U.v. 30.05.2013, a.a.O.; BayVGH, U.v. 07.05.2015 – 11 B 14.654; B.v. 20.05.2015, a.a.O.).
Auch nachdem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 13. Juni 2016, auf den zur Begründung ergänzend Bezug genommen wird, nochmals deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass es dem Kläger obliege, substantiierte und verifizierbare Angaben zu dem behaupteten Wohnsitz in Polen zu machen, hat sich der Kläger diesbezüglich nicht mehr geäußert.
Die Feststellung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides, dass der Kläger mit seinem polnischen Führerschein nicht berechtigt ist, in der Bundesrepublik Deutschland fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge zu führen, wurde von der Fahrerlaubnisbehörde somit zu Recht getroffen. Auch die übrigen Verfügungen im streitgegenständlichen Bescheid begegnen keinen Bedenken. Insbesondere hat sich die auf § 47 Abs. 2 FeV gestützte Verpflichtung des Klägers in Ziffer 2 des Bescheides, seinen polnischen Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen, nicht durch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erledigt. Sollte der Führerschein wieder aufgefunden werden, hat ihn der Kläger der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.