Aktenzeichen M 16 K 16.1496
Leitsatz
1. Dem Betriebsleitererfordernis des § 7 Abs. 1 HandwO wird nur dann entsprochen, wenn der Betriebsleiter die Betriebsleitung auch tatsächlich wahrnimmt (materieller Betriebsleiterbegriff); er muss wie ein das Handwerk selbständig betreibender Handwerksmeister die handwerklichen Tätigkeiten leiten und dafür sorgen, dass die handwerklichen Arbeiten „meisterhaft“ ausgeführt werden. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Vergütung, die weit unter dem Marktdurchschnitt liegt, kann ein Indiz dafür sein, dass ein Betriebsleiter rein tatsächlich nicht die meisterhafte Ausführung von handwerklichen Arbeiten gewährleistet, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Bestellung als Betriebsleiter nur zum Schein erfolgt ist. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine weit unterdurchschnittliche Vergütung eines Betriebsleiters bietet regelmäßig Anlass zu sorgfältiger Prüfung, ob eine Betriebsleiterbestellung rechtlich wirksam erfolgt ist und tatsächlich durchgeführt wird. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 3. März 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin damit in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Rechtsgrundlage der Ankündigung der Löschung der Eintragung in die Handwerksrolle ist § 13 Abs. 1 und Abs. 3 HwO. Danach wird auf Antrag oder von Amts wegen die Eintragung in die Handwerksrolle gelöscht, wenn die Voraussetzungen für die Eintragung nicht vorliegen.
Die Voraussetzungen des § 7 HwO für die Eintragung der Klägerin in die Handwerksrolle sind nicht entfallen und liegen weiterhin vor. Nach § 7 Abs. 1 HwO wird eine natürliche oder juristische Person oder eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen, wenn der Betriebsleiter die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle mit dem zu betreibenden Handwerk oder einem mit diesem verwandten Handwerk erfüllt. Es genügt jedoch nicht, dass ein Betriebsinhaber rein formal einen Betriebsleiter einstellt, dieser tatsächlich aber die Betriebsleitung nicht ausübt. Dem Betriebsleitererfordernis des § 7 Abs. 1 HwO wird vielmehr nur dann entsprochen, wenn der Betriebsleiter die Betriebsleitung auch tatsächlich wahrnimmt (materieller Betriebsleiterbegriff). Der Betriebsleiter muss wie ein das Handwerk selbständig betreibender Handwerksmeister die handwerklichen Tätigkeiten leiten und dafür sorgen, dass die handwerklichen Arbeiten „meisterhaft“ ausgeführt werden. Die fachlich-technische Leitung des Betriebes muss in seiner Hand liegen; er muss über den Handwerksbetrieb in seiner fachlichen Ausgestaltung und seinem technischen Ablauf bestimmen und insoweit Verantwortung tragen. Er hat dabei den Arbeitsablauf zu steuern, zu betreuen und zu überwachen und darf sich nicht etwa auf eine bloße Kontrolle des Arbeitsergebnisses beschränken. Seine Tätigkeit muss so angelegt sein, dass sie die handwerkliche Güte der Arbeiten gewährleistet (BVerwG, U.v. 16.4.1991 – 1 C 50.88 – juris Rn. 11 ff.). Bei gefahrgeneigten Handwerken ist zudem zu berücksichtigen, dass hier in besonderem Maß die meisterliche Leitung und Beaufsichtigung erforderlich ist (vgl. BayVGH, B.v. 6.9.1982 – 22 CS 82 A.1473 – NVwZ 1983, 691) und deshalb besonders hohe Anforderungen an die Präsenz des Betriebsleiters zu stellen sind. Bei dem Kraftfahrzeugtechniker-Handwerk handelt es sich um gefahrgeneigtes Handwerk, bei dem aufgrund unsachgemäß ausgeführter Arbeiten ein hohes Gefährdungspotenzial für die Rechtsgüter Gesundheit, Leib und Leben besteht (vgl. VG Würzburg, B.v. 10.10.2012 – W 6 E 12.778 – juris Rn. 27).
Darüber hinaus kann eine Vergütung, die weit unter dem Marktdurchschnitt liegt, ein Indiz dafür sein, dass ein Betriebsleiter rein tatsächlich nicht die meisterhafte Ausführung von handwerklichen Arbeiten gewährleistet. Jedoch ergibt sich aus der Vereinbarung einer auffallend geringen Vergütung nicht zwangsläufig, dass die Bestellung als Betriebsleiter nur zum Scheine erfolgt. Allerdings bildet ein derartiger Umstand Anlass zu sorgfältiger Prüfung, ob eine Betriebsleiterbestellung rechtlich wirksam erfolgt ist und tatsächlich durchgeführt wird. Er kann in besonderem Maße Grund für den Verdacht sein, die Betriebsleiterbestellung werde lediglich vorgetäuscht, um die Eintragung in die Handwerksrolle zu erwirken oder aufrechtzuerhalten und das Handwerk in Wahrheit durch Personen auszuüben, die den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen (BVerwG, U.v. 16.4.1991 – 1 C 50/88 – juris Rn. 13, vgl. auch NdsOVG, U.v. 30.8.1994 – 8 L 1990/94 – juris Rn. 9; VGH Hessen, U.v. 18.3.1997 – 11 UE 190/97 – juris Rn. 25; VGH BW, U.v. 23.11.1983 – 6 S 1397/83 – GewArch 1984/4, 124, 125).
Der neue Betriebsleiter der Klägerin erfüllt bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung des Einzelfalls die aufgezeigten Voraussetzungen der Rechtsprechung. Er hat zunächst unstreitig eine Ausbildung als Kraftfahrzeugtechniker-Meister absolviert und mit der Klägerin einen Arbeitsvertrag geschlossen, der eine formale Stellung als Betriebsleiter vorsieht. Vor allem aufgrund der Äußerungen des in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehörten Betriebsleiters geht das Gericht davon aus, dass dieser auch tatsächlich als Betriebsleiter tätig ist und die Anforderungen des materiellen Betriebsleiterbegriffs erfüllt.
Zunächst hält das Gericht den Betriebsleiter für glaubwürdig. Anhaltspunkte, die eine Unglaubwürdigkeit begründen könnten, liegen nicht vor. Auch seine Aussagen sind glaubhaft. Die tatsächlichen Besonderheiten im vorliegenden Fall in Rechnung gestellt, sind die Angaben plausibel und widersprechen sich zudem nicht selbst; ferner decken sie sich mit dem Vortrag der Klägerin.
Die notwendige Präsenz des Betriebsleiters und die Sicherstellung der meisterhaften Ausführung der Arbeiten an Kraftfahrzeugen durch den Betriebsleiter der Klägerin sind auch vor dem Hintergrund der Gefahrgeneigtheit des Kraftfahrzeugtechniker-Handwerks gegeben. Der Betrieb der Klägerin repariert nach der Angabe deren Geschäftsführers anders als eine normale Kraftfahrzeugwerkstatt nicht zu üblichen Zeiten unter der Woche Fahrzeuge. Vielmehr werden nur unregelmäßig Reparaturen durchgeführt. Aufträge werden auch an andere Werkstätten vergeben, wenn der Arbeitsanfall in Anbetracht der nur eingeschränkten Arbeitszeiten des Geschäftsführers der Klägerin zu groß wird. Ein solch eher unübliches Vorgehen ist der Klägerin bzw. deren Geschäftsführer nach eigener Angabe nur möglich, weil der Geschäftsführer über weitere Einnahmen verfügt. Mithin handelt es sich bei dem Betrieb der Klägerin um einen Handwerksbetrieb, der nicht nach wirtschaftlichen Maßstäben geführt wird, die für einen Vollerwerbsbetrieb anzulegen sind. Daher ist der einzige Kraftfahrzeugtechniker-Geselle der Klägerin, der zugleich deren Geschäftsführer ist, häufig nur an zwei bis drei Tagen in der Woche anwesend. Dementsprechend ist der Betriebsleiter durchschnittlich 25 Stunden in der Woche vor Ort im Betrieb. Damit ist auch bei vergleichsweiser geringer Präsenz des Betriebsleiters sichergestellt, dass dieser seinen bestimmenden Einfluss als Betriebsleiter ausüben kann.
Dem widerspricht es auch nicht, dass der Betriebsleiter nach eigener Angabe teilweise mehrere Tage nicht im Betrieb ist, da offensichtlich auch nicht an jedem (Werk-)Tag handwerkliche Tätigkeiten durch den einzigen für die Klägerin tätigen Gesellen ausgeführt werden. Sofern handwerkliche Tätigkeiten durchgeführt werden sollen, wird der Betriebsleiter vorher angerufen, um dann in den Betrieb zu fahren. Diese Abrufbereitschaft steht hier im Einzelfall ausnahmsweise nicht der notwendigen Präsenz eines Betriebsleiters entgegen, da der Geschäftsführer der Klägerin, der gleichzeitig der einzig für die Klägerin tätige Geselle ist, unregelmäßig arbeitet und daher vom Betriebsleiter nicht verlangt werden kann, auf gut Glück zu seiner Arbeitsstätte zu fahren. Zwar muss der Betriebsleiter, um zu seiner Arbeitsstätte zu gelangen, nach Berechnung des Gerichts rund eine Stunde einfach mit dem Auto fahren. Aber dies spricht nicht gegen eine tatsächliche Tätigkeit als Betriebsleiter, mag er teilweise auch nur für wenige Stunden arbeiten. Zum einen ist dem Gericht bekannt, dass auch in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer teilweise ähnliche Anreisezeiten zu ihrem Arbeitsplatz haben. Zum anderen werden dem Betriebsleiter die Benzinkosten ersetzt, so dass eine längere Anreise vor allem einen Zeitverlust bedeuten wird. Darüber hinaus gibt der Betriebsleiter nachvollziehbar an, dass er auch aus anderen Gründen häufig nach München fahren würde.
Weiter geht der Betriebsleiter selbst davon aus, dass er technische Vorgänge steuert, es ist ihm nach eigener Aussage auch wichtig zu wissen, was in dem klägerischen Betrieb geschieht, wenn er nicht anwesend ist. Dem entspricht es, dass er angibt, schwierige Arbeiten an Kraftfahrzeugen selbst durchzuführen und darüber hinaus auch Abnahmen und Probefahrten durchzuführen. Auch die Aussage, dass er bei neuen Aufträgen vorgebe, wie der Arbeitsablauf vonstattengehe, spricht dafür, dass der Betriebsleiter tatsächlich nicht nur Arbeitsergebnisse kontrolliert – was nicht ausreichend wäre -, sondern auch die meisterhafte Ausführung der Arbeiten überwacht und sicherstellt, sofern dies notwendig ist.
Auch eine weitere Tätigkeit als Kurier spricht nicht gegen die notwendige Präsenz des Betriebsleiters im Betrieb der Klägerin. Diese Tätigkeit erfolgt nach der Angabe des Betriebsleiters nämlich lediglich in geringem Umfang und nur, wenn dies mit seiner Betriebsleiterstellung im klägerischen Betrieb vereinbar ist. Wenn seine Anwesenheit im klägerischen Betrieb erforderlich ist, dann lässt der Betriebsleiter seine Kurierfahrten durch Dritte ausführen.
Die objektiv recht niedrige Vergütung des Betriebsleiters ist vorliegend kein Beleg für eine tatsächlich nicht durchgeführte Betriebsleiterstellung, das von der Rechtsprechung angenommene Indiz ist im hier zu untersuchenden Einzelfall bereits widerlegt. Der Betriebsleiter hat nach seinen von der Beklagten nicht bestrittenen, glaubhaften Angaben die fachlich-technische Leitung des klägerischen Betriebes inne. Er konnte darüber hinaus nachvollziehbar angeben, wieso er für ein recht geringes Gehalt tätig wird. Der Betriebsleiter selbst hält sein Gehalt nicht für zu niedrig, sondern sieht in der Tätigkeit bei der Klägerin eine Möglichkeit, seine Rente aufzubessern und in angemessenen Umfang noch weiter zu arbeiten. Zudem hat er nach eigener Aussage kaum Abzüge von seinem Bruttogehalt. Tatsächlich müssen Bezieher einer (Alters-)Rente wesentlich weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen, auch wenn diese bzw. deren Arbeitgeber nicht komplett von allen Sozialversicherungsbeiträgen befreit sind (instruktiv hierzu Bayreuther, NZA-Beilage 2015, 84, 89). Ferner wird der Betriebsleiter auf sein recht niedriges Bruttogehalt wenig steuerliche Abzüge haben, so dass das Bruttofast einem Nettogehalt entsprechen wird. Darüber hinaus bezieht der Betriebsleiter noch weitere Vergünstigungen von der Klägerin, die letztlich das recht geringe Gehalt aufwiegen, wie etwa das Zahlen von Benzin durch die Klägerin und die Nutzung des Büros der Klägerin für seinen Kurierdienst oder eine mögliche Beteiligung am Gewinn der Klägerin. Es kann daher vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass das objektiv recht niedrige Gehalt für den Betriebsleiter als Handwerksmeister keine ausreichende Motivierung darstelle.
Unschädlich ist ferner, dass das Arbeitsverhältnis anders gelebt wird, als im Arbeitsvertrag zwischen dem Betriebsleiter und der Klägerin vereinbart. Individuelle Nebenabreden gehen insoweit vor, der Anstellungsvertrag der Klägerin mit dem Betriebsleiter sieht in § 13 Abs. 2, 2. Halbsatz eine Öffnung vor.
Mithin erfüllt der Betriebsleiter auch tatsächlich die Anforderungen der Rechtsprechung an einen Betriebsleiter. Zu beachten waren dabei die Besonderheiten des Einzelfalls.
Der Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.