Arbeitsrecht

Betriebsübergang – Verwirkung des Widerspruchsrechts

Aktenzeichen  8 AZR 872/07

Datum:
22.4.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 613a Abs 1 BGB
§ 613a Abs 2 BGB
§ 613a Abs 5 BGB
§ 613a Abs 6 S 1 BGB
§ 242 BGB
§ 425 Abs 1 BGB
Spruchkörper:
8. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Solingen, 20. März 2007, Az: 5 Ca 1277/06 lev, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 19. September 2007, Az: 7 Sa 769/07, Teilurteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. September 2007 – 7 Sa 769/07 – aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 20. März 2007 – 5 Ca 1277/06 lev – wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung des Feststellungsantrages richtet.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz darüber, ob zwischen ihnen über den 1. November 2004 hinaus ein Arbeitsverhältnis fortbesteht.
2
Der Kläger war seit dem 1. Januar 1972 bei der Beklagten im Geschäftsbereich C I(CI) beschäftigt. Zuletzt verdiente er brutto monatlich 5.634,30 Euro.
3
Dieser Geschäftsbereich verzeichnete seit mehreren Jahren Umsatzrückgänge, welche die Beklagte zu Personalabbaumaßnahmen veranlassten. Am 14. Oktober 2004 vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich. Dieser regelte ua., dass Mitarbeiter, die von dem geplanten Personalabbau betroffen sein würden, Abfindungszahlungen erhalten sollten. Diesem Interessenausgleich sollte eine Namensliste der betroffenen Mitarbeiter beigefügt werden. Der Kläger war zur Aufnahme in diese Liste vorgesehen.
4
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 informierte die Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Übertragung des Geschäftsbereichs CI auf die A GmbH. In diesem Schreiben heißt es ua.:
        
„…   
        
die A-G AG plant, den Geschäftsbereich C I (CI) mit Wirkung zum 1. November 2004 auf die A GmbH zu übertragen.
        
Für die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter, die dem Geschäftsbereich CI zugeordnet sind, führt diese Übertragung zu einem automatischen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse. Dies ist in § 613 a BGB geregelt, dessen Bestimmungen auf den Übergang zwingend anwendbar sind. § 613 a Absatz 5 BGB sieht eine schriftliche Information des von einem solchen Übergang betroffenen Arbeitnehmers vor, der nach § 613 a Absatz 6 BGB dem Übergang auch widersprechen kann.
        
Diese Bestimmungen lauten:
        
        
‚Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
        
        
1.   
den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
        
        
2.   
den Grund für den Übergang,
        
        
3.   
die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
        
        
4.   
die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
        
Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.’
        
Ihr Arbeitsverhältnis ist dem Geschäftsbereich CI zugeordnet und würde deshalb mit dem 1. November 2004 auf A GmbH übergehen.
        
…       
        
1.   
Zum geplanten Zeitpunkt des Übergangs:
        
        
Das Datum des geplanten Übergangs ist der 1. November 2004.
        
2.   
Zum Grund für den Übergang:
        
        
Grund des Übergangs ist die rechtliche Verselbständigung des Geschäftsbereichs CI in der A GmbH und deren anschließende Veräußerung an N GmbH.
        
        
A GmbH mit Sitz in L umfasst das gesamte bisherige CI-Geschäft der A-G AG, also die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte. A GmbH übernimmt das Vermögen von CI. Hierzu gehören insbesondere Produktionsanlagen, Markenzeichen, Patente und technologisches Know-how, Vorräte und Forderungen.
        
        

        
        
Das Unternehmen wird mit einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfügt über hohe Liquidität, um unerwartet auftretende Risiken bewältigen, in neue Geschäfte investieren und Marktchancen besser nutzen zu können.
        
3.   
Zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer:
        
        
Mit dem Übergang des Geschäftsbereichs CI tritt A GmbH in die bestehenden, unveränderten Arbeitsverhältnisse ein. Zur Klärung und Regelung der Einzelheiten haben A-G AG, A GmbH, Gesamtbetriebsrat der A-G AG sowie die örtlichen Betriebsräte am 24. September 2004 eine Überleitungsvereinbarung ‚zur Klärung der rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse betroffener Arbeitnehmer, auf die kollektiv-rechtlichen Regelungen sowie auf die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen’ abgeschlossen, die davon geprägt ist, so weit wie möglich Kontinuität zu wahren:
        
        
–       
Die bei der A-G AG verbrachten und/oder von ihr anerkannten Dienstjahre werden als Dienstzeit bei A GmbH anerkannt.
        
        
–       
Die Zugehörigkeit zu den Arbeitgeberverbänden der Chemischen Industrie wird auch bei A GmbH bestehen, d.h. es bleibt bei den Chemie-Tarifen.
        

        
        
5.   
Zu Ihrer persönlichen Situation:
        
        
Ihr Arbeitsverhältnis wird nach unserer Planung von dem geplanten Personalabbau gemäß Ziffer 4 betroffen sein. Die Zustimmung des Betriebsrats zu Ihrer Aufnahme in die Namensliste liegt derzeit noch nicht vor. Insofern sind Verhandlungen mit dem Betriebsrat noch nicht abgeschlossen. Sie müssen jedoch damit rechnen, nach Abschluss dieser Verhandlungen mit oder ohne Ihre Aufnahme in die Namensliste der zur Kündigung vorgesehenen Mitarbeiter eine Kündigung zu erhalten.
        
        
Zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile stehen Ihnen dann die in unserem Sozialplan vorgesehenen Leistungen zu.
        
        
        
        
        
Die geplante Kündigung wirkt sich auf den Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses nicht aus.
        
        
Ihr Arbeitsverhältnis geht trotzdem über und Sie sind verpflichtet, Ihre Tätigkeit bei A GmbH fortzuführen. Die nachfolgend dargestellten Konsequenzen eines eventuellen Widerspruchs treffen auch in Ihrem Falle zu.
        
6.   
Zum Widerspruchsrecht
:
         
        
        
Sie haben das Recht, dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH binnen einer Frist von einem Monat ab Zugang dieses Schreibens schriftlich zu widersprechen. Die Erklärung kann nicht einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden. Sie kann auch nicht an eventuelle Bedingungen geknüpft werden.
        
        
Sollten Sie dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen wollen, müsste das schriftlich mit einer von Ihnen unterschriebenen Erklärung innerhalb dieser Frist erfolgen. Eventuelle Widerspruchsschreiben richten Sie bitte ausschließlich an:
        
        

        
7.   
Zu den Folgen eines Widerspruchs:
        
        
Im Falle eines fristgerechten Widerspruchs bleibt Ihr Arbeitsverhältnis bei der A-G AG und geht nicht auf die A GmbH über.
        
        
Da nach dem Übergang des vollständigen Geschäftsbereichs CI auf A GmbH Ihr bisheriger Arbeitsplatz bei A-G AG nicht mehr vorhanden sein wird und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht, müssen Sie daher im Falle der Ausübung Ihres Widerspruchsrechts mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses durch A-G AG rechnen.
        
        
Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass nach der eindeutigen Regelung in der mit dem Gesamtbetriebsrat der A-G AG und den örtlichen Betriebsräten vereinbarten Überleitungsvereinbarung in diesem Fall kein Anspruch auf eine Abfindung besteht, weder gegenüber der A-G AG, noch gegenüber A GmbH. Im Falle eines Widerspruchs müssen Sie deshalb damit rechnen, Ihren Arbeitsplatz ohne jede finanzielle Leistung zu verlieren. Außerdem sind bei einer eventuellen Arbeitslosigkeit nach einem Widerspruch Ihre Ansprüche auf Leistungen der Agentur für Arbeit in Frage gestellt.
        
        
Wir empfehlen Ihnen daher dringend, von einem Widerspruch abzusehen.
        
        
…“
5
Mit Wirkung zum 1. November 2004 wurde der Geschäftsbereich CI ausgegliedert und auf die neu gegründete A GmbH übertragen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf diese GmbH zunächst nicht und erbrachte seine Arbeitsleistung bei der Betriebserwerberin.
6
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2004 kündigte die A GmbH das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus betriebsbedingten Gründen zum 31. Juli 2005. Mit weiterem Schreiben ebenfalls vom 22. Dezember 2004 erhielt der Kläger die Zusage einer Abfindung nach Transfersozialplan in Höhe von 62.122,00 Euro. Der Kläger erhob vor dem Arbeitsgericht Solingen Kündigungsschutzklage(- 2 Ca 2810/04 lev -).
7
Auf Vorschlag des Gerichts einigte sich der Kläger mit der A GmbH auf einen Vergleich, der vom Arbeitsgericht Solingen am 7. April 2005 nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO festgestellt wurde. Danach blieb es bei einer Abfindung in Höhe von 62.122,00 Euro, jedoch sollte das Arbeitsverhältnis erst zum 30. November 2005 statt zum 31. Juli 2005beendet werden.
8
Am 20. Mai 2005 stellte die A GmbH Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welches am 1. August 2005 eröffnet wurde.
9
Unter dem 29. Juni 2005 mahnte der Kläger bei der Beklagten an, dass diese den Mitarbeitern des ehemaligen Geschäftsbereichs CI, „die nicht auf die A GmbH übergegangen sind“ einen Bonus für das Jahr 2004 ausgezahlt habe. Den übergegangenen Mitarbeitern habe die Beklagte im Informationsschreiben vom 22. Oktober 2004 Gleichbehandlung zugesagt. Damit hafte die Beklagte neben der A GmbH gesamtschuldnerisch für die Erfüllung dieser Ansprüche. Der Kläger bat daher um Überweisung des Bonusbetrages 2004 auf sein Konto.
10
Am 17. Januar 2006 widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH wegen nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung über den Betriebsübergang.
11
Am 12. Juli 2006 ließ der Kläger die vorliegende Klage erheben, die zunächst nur auf die Zahlung eines Bonus für 2004 in Höhe von 832,59 Euro brutto gerichtet war. Mit Klageerweiterung vom 5. Januar 2007 beantragte der Kläger, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien festzustellen.
12
Der Kläger meint, er habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH noch im Januar 2006 wirksam widersprechen können, weil er bis dahin nicht ordnungsgemäß iSd. § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebsübergang unterrichtet worden sei. So rügt er insbesondere eine Falschinformation über die wirtschaftliche Situation der Betriebserwerberin und über die Haftungsverteilung zwischen der Beklagten und der A GmbH.
13
Der Kläger hat, soweit der Rechtsstreit in die Revisionsinstanz gelangt ist, beantragt
        
festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsvertragsverhältnis besteht.
14
Zur Begründung ihres Antrags auf Klageabweisung hat sich die Beklagte darauf berufen, ihr Informationsschreiben vom 22. Oktober 2004 habe den Erfordernissen des § 613a Abs. 5 BGB genügt. Der Widerspruch des Klägers sei verspätet, da er nicht innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist nach Zugang des Unterrichtungsschreibens (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) erhoben worden sei. Zumindest sei das Widerspruchsrecht des Klägers jedoch verwirkt.
15
Das Arbeitsgericht hat nur der auf die Zahlung des Bonus 2004 gerichteten Klage stattgegeben und sie im Übrigen zurückgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage auf Feststellung des Bestandes eines Anstellungsvertragsverhältnisses zwischen den Parteien durch Teilurteil stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag insoweit weiter.


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