Arbeitsrecht

Mitbestimmung bei betrieblicher Berufsbildung

Aktenzeichen  1 ABR 11/12

Datum:
5.3.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 98 BetrVG
§ 117 Abs 2 BetrVG
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Dortmund, 16. September 2010, Az: 6 BV 250/09, Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 2. Dezember 2011, Az: 10 TaBV 21/11, Beschluss

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Personalvertretung wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 2. Dezember 2011 – 10 TaBV 21/11 – aufgehoben.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16. September 2010 – 6 BV 250/09 – wird zurückgewiesen.

Gründe

1
A. Die Beteiligten streiten über die Mitbestimmung der Personalvertretung Cockpit bei der Bestellung eines „Managers Flight Training“ und eines „Managers Ground Training“ durch die Arbeitgeberin.
2
Diese betreibt ein Luftfahrtunternehmen. Für das Cockpitpersonal besteht eine Personalvertretung, die gemäß § 117 Abs. 2 BetrVG nach Maßgabe des Tarifvertrags Personalvertretung Nr. 1 zwischen der Arbeitgeberin und der Vereinigung Cockpit e.V. vom 25. Juli 2007 (TV-PV) gebildet wurde. Gemäß § 1 Abs. 3 TV-PV findet das Betriebsverfassungsgesetz in der jeweils gültigen Fassung Anwendung, soweit der Tarifvertrag nichts anderes bestimmt.
3
Die Arbeitgeberin unterhält eine Trainingsabteilung, in der die dort beschäftigten Arbeitnehmer sowohl das Cockpitpersonal als auch das Kabinen- und Bodenpersonal aus- und fortbilden. Die Positionen des „Managers Flight Training“ und die des „Managers Ground Training“ übertrug die Arbeitgeberin ohne vorherige Beteiligung der Personalvertretung zwei Mitarbeitern, die auch für die Schulung und Ausbildung des Cockpitpersonals zuständig sind.
4
Die Personalvertretung hat geltend gemacht, ihr stehe nach § 1 Abs. 3 TV-PV iVm. § 98 Abs. 2 BetrVG bei der Bestellung der beiden Manager ein Beteiligungsrecht zu, da diese auch für die berufliche Weiterbildung der Mitarbeiter des Cockpits zuständig seien. Die Personalvertretung hat – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Bedeutung – beantragt,
        
1.    
festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, sie vor der Bestellung eines Ausbildungsleiters „Manager Flight Training“ in ihrem Betrieb zu beteiligen, dh. rechtzeitig und umfassend zu informieren;
        
2.    
hilfsweise festzustellen, dass ihr ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 98 Abs. 2 und Abs. 5 BetrVG zusteht, soweit im Betrieb der Arbeitgeberin die Position eines Ausbildungsleiters „Manager Flight Training“ vergeben wird;
        
3.    
festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, sie vor der Bestellung eines Ausbildungsleiters „Manager Ground Training/Chief Ground Instructor“ in ihrem Betrieb zu beteiligen, dh. rechtzeitig und umfassend zu informieren;
        
4.    
hilfsweise festzustellen, dass ihr ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 98 Abs. 2 und Abs. 5 BetrVG zusteht, soweit im Betrieb der Arbeitgeberin die Position eines Ausbildungsleiters „Manager Ground Training/Chief Ground Instructor“ vergeben wird.
5
Die Arbeitgeberin hat zur Begründung ihres Abweisungsantrags darauf abgestellt, dass die beiden Manager nicht dem Flugbetrieb zuzuordnen seien und deshalb die Personalvertretung Cockpit nicht zu beteiligen sei.
6
Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsanträgen zu 1. und 3. entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beschwerde der Arbeitgeberin die Anträge abgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Personalvertretung ihre Feststellungsanträge weiter.
7
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Personalvertretung ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
8
I. Die Anträge zu 1. und 3. sind zulässig.
9
1. Nach der gebotenen Auslegung unter Berücksichtigung der Antragsbegründung sind die Anträge der Personalvertretung so zu verstehen, dass diese ein Mitbestimmungsrecht des nach § 1 Abs. 3 TV-PV anwendbaren § 98 BetrVG nur in Bezug auf Ausbilder in Anspruch nimmt, die auch das fliegende Personal ausbilden. Die Personalvertretung verlangt erkennbar keine Mitbestimmung bei der Bestellung von Personen, die nicht mit der Schulung des fliegenden Personals befasst sind. Mit der im Antrag zu 3. enthaltenen zusätzlichen Bezeichnung „Chief Ground Instructor“ neben „Manager Ground Training“ ist keine andere oder zusätzliche Stelle gemeint, sondern nur die in der Stellenausschreibung mit „Manager Ground Training“ bezeichnete näher konkretisiert.
10
2. Mit den Anträgen zu 1. und 3. begehrt die Personalvertretung jeweils die Feststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO, da Gegenstand der Anträge ein Streit der Betriebsparteien über das Bestehen und den Umfang eines Mitbestimmungsrechts ist (dazu BAG 21. Juli 2009 – 1 ABR 42/08 – Rn. 16, BAGE 131, 225).
11
II. Die Anträge zu 1. und 3. sind begründet. Der Personalvertretung steht ein Beteiligungsrecht nach § 1 Abs. 3 TV-PV iVm. § 98 Abs. 2 BetrVG bei der Bestellung des „Managers Flight Training“ und des „Managers Ground Training“ zu. Die Arbeitgeberin ist daher verpflichtet, die Personalvertretung vor deren Bestellung rechtzeitig und umfassend zu unterrichten.
12
1. Nach der Senatsrechtsprechung ist der Begriff der betrieblichen Berufsbildung in § 98 BetrVG weit auszulegen. Er umfasst alle Maßnahmen der Berufsbildung iSd. § 1 Abs. 1 BBiG und damit solche der Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung. Hierzu gehören alle Maßnahmen, die über die – mitbestimmungsfreie – Unterrichtung des Arbeitnehmers über seine Aufgaben und Verantwortung, die Art seiner Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs sowie über die Unfall- und Gesundheitsgefahren und die Maßnahmen und Einrichtungen zur Abwendung dieser Gefahren iSd. § 81 BetrVG hinausgehen, indem sie dem Arbeitnehmer gezielt Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln, die ihn zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit erst befähigen (BAG 23. April 1991 – 1 ABR 49/90 – zu B II 2 a der Gründe). Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung sind auch Lehrgänge, die dem Arbeitnehmer die für die Ausfüllung seines Arbeitsplatzes und seiner beruflichen Tätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verschaffen sollen (BAG 10. Februar 1988 – 1 ABR 39/86 – zu B II 1 a der Gründe, BAGE 57, 295).
13
2. Hiernach betreffen die Lehrgänge, die von den in den Anträgen bezeichneten Ausbildern durchgeführt werden, Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung iSd. § 98 BetrVG.
14
a) Gegenstand der Fortbildungsveranstaltungen ist die berufliche Fortbildung des fliegenden Personals. Die in den Anträgen benannten Personen haben nach der vorgelegten Aufgabenbeschreibung ua. das Flugtraining am Simulator zu planen und Programme für Wiederholungsschulungen und Eignungsüberprüfungen des Flugpersonals zu entwickeln. Sie haben auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen Schulungsmethoden zu verbessern und eine sichere, wirtschaftliche und effiziente Schulung zu gewährleisten. Des Weiteren haben sie ein Kommunikationssystem zu erstellen, das den problemlosen Austausch von Informationen zwischen den Abteilungen Schulung, Kabine und Flugbetrieb in allen Fragen des Bodentrainings sicherstellt. Sie haben die Planungsorganisation und Implementierung des typenspezifischen Bodentrainings für das Flug- und Kabinenpersonal im Rahmen der Grundausbildung zu erarbeiten, Schulungsunterlagen zu standardisieren, die Lehrgänge, Lehrgangsinhalte und Lernunterlagen zu bewerten und zu verbessern. Derartige Ausbildungsinhalte gehen weit über die mitbestimmungsfreie Einweisung der Arbeitnehmer in ihren Arbeitsbereich iSd. § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hinaus.
15
b) Die Fortbildung erfolgt innerbetrieblich. Der Begriff der betrieblichen Berufsbildung ist funktional zu verstehen. Demnach ist eine Berufsbildungsmaßnahme immer dann eine betriebliche, wenn der Arbeitgeber Träger oder Veranstalter der Bildungsmaßnahme ist und die Berufsbildungsmaßnahme für die Arbeitnehmer des Arbeitgebers durchgeführt wird (BAG 18. April 2000 – 1 ABR 28/99 – zu B I 2 a bb der Gründe, BAGE 94, 245). Das ist hier der Fall. Die Arbeitgeberin hat rechtlich und tatsächlich beherrschenden Einfluss auf die Durchführung der Fortbildung. Sie bestimmt, wie die Weiterbildung durchgeführt und wer beauftragt wird. Sie betreibt das Trainings- und Schulungszentrum selbst und ist damit Veranstalter und Träger der Maßnahme.
16
c) Die in den Anträgen bezeichneten Stelleninhaber sind mit der Durchführung der betrieblichen Berufsbildung beauftragte Personen. Beide Manager sind nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts für die Schulung und Ausbildung des Cockpitpersonals persönlich zuständig und führen sie auch durch. Sie haben nach den Stellenbeschreibungen einen maßgeblichen, verantwortlichen und gestaltenden Einfluss auf die Ausbildung auch des fliegerischen Personals. Beide Manager sind mit der Ausbildung persönlich betraut.
17
d) Für die Anwendung des durch § 1 Abs. 3 TV-PV in Bezug genommenen § 98 Abs. 2 BetrVG kommt es nicht darauf an, ob die Ausbilder dem persönlichen Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes oder des TV-PV unterfallen. Dies ergibt sich aus dem Zweck des Beteiligungsrechts aus § 98 Abs. 2 BetrVG. Dieser besteht im Schutz der Arbeitnehmer vor unqualifizierter Fort- und Weiterbildung. Die Beteiligung des Betriebsrats/der Personalvertretung bei der Bestellung der Ausbilder soll eine an den Interessen der Arbeitnehmer orientierte Ausfüllung von Gestaltungsspielräumen bei der betrieblichen Berufsbildung gewährleisten (BAG 24. August 2004  – 1 ABR 28/03 – zu B II 4 b der Gründe, BAGE 111, 350). Auf die Rechtsbeziehung der Ausbilder zum Arbeitgeber kommt es deshalb nicht an.
18
e) Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin führt dieses Normverständnis nicht zu einer unzulässigen Ausweitung des Anwendungsbereichs des TV-PV. Der Ausbilder iSd. § 98 Abs. 2 BetrVG wird hierdurch nicht in den in § 2 TV-PV bestimmten persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags TV-PV einbezogen, vielmehr werden lediglich die hiervon erfassten Arbeitnehmer durch das Mitbestimmungsrecht aus § 98 Abs. 2 BetrVG geschützt. Die Auswirkungen auf
die Person des Ausbilders und das Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Arbeitgeber sind nur mittelbarer Natur und erweitern nicht den persönlichen Geltungsbereich des TV-PV.
        
    Schmidt    
        
    Koch    
        
    Linck    
        
        
        
    Manfred Gentz    
        
    Berg    
        
        


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