Arbeitsrecht

Vertragsauslegung – Verweisung auf Tarifvertrag

Aktenzeichen  4 AZR 235/15

Datum:
20.6.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2018:200618.U.4AZR235.15.0
Normen:
§ 133 BGB
§ 157 BGB
§ 3 S 1 NachwG
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Paderborn, 17. September 2014, Az: 2 Ca 530/14, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 26. Februar 2015, Az: 17 Sa 1403/14, Urteil

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. Februar 2015 – 17 Sa 1403/14 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Anwendung des Lohntarifvertrags für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen (LTV) auf ihr Arbeitsverhältnis sowie daraus resultierende Entgeltdifferenzansprüche für den Zeitraum von Dezember 2013 bis Dezember 2014 gegen die Beklagte.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten, die Möbelhäuser betreibt, aufgrund eines Arbeitsvertrags vom 24. April 1991 seit dem 1. Mai 1991 ua. als Möbeltischler und zuletzt als Lagerarbeiter beschäftigt.
3
Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt (die unterstrichenen Passagen sind maschinenschriftlich in das Formular eingefügt):
        
„§ 1   
Einstellung
        
        
1.    
Der/Die Arbeitnehmer/in wird ab 01.05.1991 als Lagermitarbeiter eingestellt.
        
        
2.    
Der/Die Arbeitnehmer/in wird als Vollzeitkraft/Teilzeitkraft mit 37,5 Std. wöchentlich eingestellt. …
        
        
3.    
Die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgeverträge sind Bestandteil dieses Vertrages.
        
        
        
…       
        
§ 4     
Lohn   
        
        
1.    
Gemäß der in § 1 Absatz 1 genannten Tätigkeit wird der/die Arbeitnehmer/in in die Lohngruppe _______ [nicht ausgefüllt] des derzeit geltenden Lohntarifvertrages für den Einzelhandel eingestuft.
        
        
2.    
Der vereinbarte Lohn beträgt je Std brutto DM 15,50. Außerdem wird vereinbart ab dem 01.08.1991 wird ein Stundenlohn von DM 16,01 gezahlt.
        
        
…       
        
        
        
4.    
Die über den Tariflohn hinausgehenden Lohnbestandteile … können jederzeit unter Einhaltung einer Frist von einem Monat gekürzt oder widerrufen werden. Sie können bei einer Erhöhung der Lohntarife, beim Aufrücken in eine höhere Lohngruppe/-stufe und bei Höhergruppierungen angerechnet werden.“
4
Die Beklagte ist Mitglied des Einzelhandelsverbandes Ostwestfalen-Lippe e.V., der wiederum Mitglied im Einzelhandelsverband Nordrhein-Westfalen e.V. ist. Sie war zunächst Mitglied mit Tarifgebundenheit. Auf ihren Antrag hin führt sie der Verband seit dem 1. November 2004 als Mitglied ohne Tarifgebundenheit („OT-Mitglied“). Die Verbandssatzung sieht eine derartige OT-Mitgliedschaft vor.
5
Bis zum Wechsel in die OT-Mitgliedschaft wurde der Lohn des Klägers regelmäßig entsprechend den Tarifabschlüssen im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen erhöht. Der zu dieser Zeit gültige LTV war zum 31. März 2005 gekündigt.
6
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben sich die Parteien nach dem 1. November 2004 noch im Jahr 2004 im Hinblick auf die Folgen einer Erkrankung des Klägers auf eine neue Tätigkeit als Lagerarbeiter geeinigt. Weitere Einzelheiten sind streitig.
7
Am 1. März 2005 schlossen die Parteien eine „Vereinbarung zur Änderung des Arbeitsvertrages“, die auszugsweise wie folgt lautet:
        
„Die Parteien sind sich darüber einig, dass der zwischen Ihnen bestehende Arbeitsvertrag mit Wirkung ab dem 01.04.2005 wie folgt geändert wird. Die dabei nicht genannten Regelungen gelten weiter. …
        
Arbeitszeit
        
Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40,0 Stunden.
        
Zuschläge
        
Auf Spätöffnungs- und Mehrarbeitszuschläge besteht kein Anspruch.
        
Sonderzahlungen
        
…       
        
Urlaub
        
…“    
8
Jedenfalls nach Abschluss dieser Vereinbarung gab die Beklagte Tariflohnerhöhungen im Einzelhandel Nordrhein-Westfalen nicht mehr an den Kläger weiter.
9
Mit seiner Klage und in der Berufungsinstanz vorgenommenen Klageerweiterungen hat der Kläger für die Monate Dezember 2013 bis Dezember 2014 Ansprüche auf Differenzentgelt zwischen der ihm monatlich gezahlten Vergütung und dem ihm seiner Auffassung nach zustehenden Tariflohn entsprechend der Lohngruppe III Lohnstaffel d LTV geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, der LTV sei in seiner jeweiligen Fassung auf sein Arbeitsverhältnis aufgrund der zeitdynamischen Klausel in § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags anzuwenden. Diese Klausel sei im Änderungsvertrag vom März 2005 erneut vereinbart worden, weshalb sie nicht mehr als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden könne. Eine nachfolgende, von § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags abweichende Lohnvereinbarung habe es nicht gegeben. Anlässlich seiner Tätigkeitsänderung Ende 2004 sei keine neue Vergütungsvereinbarung geschlossen worden. Vielmehr sollte die bis dahin vereinbarte Eingruppierung und die entsprechende Vergütung hiervon nicht berührt werden. Soweit er seinen Anspruch in der Berufungsinstanz auch auf eine Verletzung der Verpflichtung der Beklagten aus dem NachwG gestützt habe, sei darin keine Klageänderung, sondern lediglich eine weitere Anspruchsbegründung zu sehen.
10
Der Kläger hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.627,44 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. März 2011 zu zahlen;
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 5.424,80 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2014 zu zahlen;
        
3.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ein Entgelt nach der Lohngruppe III Lohnstaffel d ab dem 2. Tätigkeitsjahr, hilfsweise nach der Lohngruppe II Lohnstaffel b des Lohntarifvertrags für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zwischen dem Handelsverband NRW und der Gewerkschaft ver.di zu zahlen.
11
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, schon der Arbeitsvertrag verweise hinsichtlich der Lohnhöhe nicht auf die Tarifverträge des Einzelhandels, es sei vielmehr unter § 4 Nr. 2 des Arbeitsvertrags ausdrücklich ein konkreter Stundenlohn vereinbart worden. Jedenfalls liege eine Gleichstellungsabrede vor, die auch nicht geändert worden sei. In der Änderungsvereinbarung vom 1. März 2005 liege kein Neuabschluss der Klausel aus § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrags. Ihr sei es bei Verwendung des Einleitungssatzes hinsichtlich der Weitergeltung von in der Änderungsvereinbarung nicht aufgeführten Regelungsgegenständen erkennbar nur darauf angekommen, keine redaktionell ganz neu verfassten Arbeitsverträge aufzusetzen. Zudem sei zu diesem Zeitpunkt klar erkennbar gewesen, dass sie sich von den tarifvertraglichen Regelungen zumindest hinsichtlich der Hauptleistungspflichten – wozu neben der ausdrücklich geänderten Arbeitszeit auch das Entgelt gehöre – habe lösen wollen. Ferner sei bereits vor dem Abschluss der Vereinbarung vom 1. März 2005 und nach dem Wechsel in die OT-Mitgliedschaft eine etwaige dynamische Bezugnahme auf den LTV abgelöst worden, so dass die danach abgeschlossene Vereinbarung vom 1. März 2005 nicht auf den ursprünglichen Arbeitsvertrag Bezug genommen habe. Vorsorglich hat sie darauf verwiesen, dass die Tätigkeit des Klägers lediglich nach Lohngruppe II Lohnstaffel b des LTV zu vergüten wäre und der aktuelle Tabellenlohn unterhalb des von ihr derzeit gewährten Lohnes bleibe. Letztlich seien Ansprüche des Klägers aufgrund der jahrelang unterbliebenen Geltendmachung und der insoweit anstandslosen Weiterarbeit zumindest verwirkt.
12
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.


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