Aktenzeichen B 1 K 16.189
RL 91/439/EWG RL 91/439/EWG Art. 8 Abs. 1, Art. 9
GG GG Art. 3
ZPO ZPO § 418 Abs. 1, Abs. 2
RL 2006/126/EG RL 2006/126/EG Art. 13 Abs. 2
Leitsatz
1 Bei der Frage der Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins kann sich der Umstand, dass das Wohnsitzerfordernis nicht beachtet worden ist, aus den Angaben im Führerschein selbst ergeben oder aufgrund anderer vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Beweisregel des § 418 Abs. 1 ZPO greift auch bei ausländischen Urkunden ein. (redaktioneller Leitsatz)
3 Durch einen Führerschein, in dessen Feld 8 ein nicht im Ausstellerstaat liegender Ort eingetragen ist, wird nach deutschem Verwaltungsprozessrecht der volle Beweis der Nichtbeachtung des Wohnsitzerfordernisses im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO iVm § 98 VwGO erbracht. (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes für mindestens sechs Monate stellt ein zumindest sachgerechtes Kriterium für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis dar. (redaktioneller Leitsatz)
5 Auch ein juristischer Laie konnte sich nicht der Einsicht verschließen, dass es vom internationalen Recht unter Umständen nicht gebilligt werden würde, wenn ein Staat einem ausländischen Staatsangehörigen eine auch für dessen Heimatland Geltung beanspruchende Fahrerlaubnis erteilt, obwohl sich der Ausländer nur ganz vorübergehend und allein zum Zweck des Erwerbs einer solchen Berechtigung in den ausstellenden Staat begibt. Schutzwürdiges Vertrauen konnte unter diesen Umständen nicht entstehen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Landratsamts … vom 22.02.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Umschreibung seiner am 26.07.2005 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis noch steht ihm der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu.
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist zur Sache sowie zum Klagevorbringen das Folgende auszuführen:
Rechtsgrundlage für die Umschreibung einer ausländischen Fahrerlaubnis in eine deutsche Fahrerlaubnis ist § 30 FeV. Der Wortlaut des § 30 Abs. 1 FeV setzt für eine solche Umschreibung voraus, dass der Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, der die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis für die entsprechende Klasse von Kraftfahrzeugen beantragt, zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger ist zwar Inhaber einer tschechischen Fahrerlaubnis, diese berechtigt ihn aber nicht, Kraftfahrzeuge der Klasse B in der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Die fehlende Berechtigung des Klägers ergibt sich aus den Regelungen des § 28 FeV.
Nach § 28 Abs. 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren Wohnsitz im Sinne des § 7 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Diese Berechtigung gilt jedoch nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV – abgesehen von einer hier nicht einschlägigen Ausnahme für Studierende oder Schüler – nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten.
Der Kläger hat seine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B am 26.07.2005 unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erworben und darf folglich von seiner Fahrerlaubnis im Inland kraft Gesetzes weder Gebrauch machen noch steht ihm ein Anspruch auf Umschreibung zu.
Der Kläger ist nicht berechtigt, auf der Basis seiner tschechischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge der Klasse B in der Bundesrepublik Deutschland zu führen, weil er im Zeitpunkt der Erteilung dieser Fahrerlaubnis am 26.07.2005 seinen ordentlichen Wohnsitz nach Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG nicht in der Tschechischen Republik innehatte. Der Wohnsitzverstoß ergibt sich in der vorliegenden Sache bereits aus dem dem Kläger ausgestellten tschechischen Führerschein, weil darin ein deutscher Wohnort eingetragen ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.9.2012 – 3 C 34.11 – NJW 2013, 487). Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zwei nebeneinander stehende Erkenntnisquellen herausgearbeitet, auf die sich ein Mitgliedstaat stützen kann, um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern. Danach kann sich der Umstand, dass das Wohnsitzerfordernis nicht beachtet worden ist, aus den Angaben im Führerschein selbst ergeben oder aufgrund anderer vom Ausstellermitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen (vgl. EuGH, Urteil vom 1.3.2012 – C-467/10 – Akyüz – NJW 2012, 1314; U.v. 26.4.2012 – C-419/10 – Hofmann – DAR 2012, 319). Die Regelung in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV steht hiermit in Einklang.
Die Eintragung eines in der Bundesrepublik Deutschland liegenden Ortes in Feld 8 des tschechischen Führerscheins des Klägers beweist, dass die dieses Dokument ausstellende tschechische Behörde selbst davon ausging, dass der Kläger damals in Deutschland wohnte. Nach gefestigter Rechtsprechung wird durch einen Führerschein, in dessen Feld 8 ein nicht im Ausstellerstaat liegender Ort eingetragen ist, nach deutschem Verwaltungsprozessrecht der volle Beweis der Nichtbeachtung des Wohnsitzerfordernisses im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 98 VwGO erbracht. Die Beweisregel des § 418 Abs. 1 ZPO greift dabei auch bei ausländischen Urkunden ein. Aus § 418 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 98 VwGO folgt allerdings, dass es dem Beteiligten, zu dessen Nachteil sich die Beweisregel des § 418 Abs. 1 ZPO auswirkt, unbenommen bleibt, den Beweis der inhaltlichen Unrichtigkeit der im ausländischen Führerschein bezeugten Tatsache zu führen.
In der vorliegenden Sache bestreitet der Kläger nicht, dass er seinerzeit keinen ordentlichen Wohnsitz in der Tschechischen Republik begründet hatte. Die von ihm geltend gemachte rechtliche Unzulässigkeit einer Ungleichbehandlung von solchen „Führerscheintouristen“, die einen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien innegehabt hatte und denjenigen, die – wie der Kläger selbst – sich nur zeitweise zum Zwecke des Erwerbs der Fahrerlaubnis dort aufgehalten hatten, liegt nicht vor. Es ist vielmehr mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn der Gesetzgeber an wesentlich unterschiedlich gelagerte Sachverhalte andere rechtliche Konsequenzen knüpft. Hier ist das Wohnsitzerfordernis in den entsprechenden europa- und nationalrechtlichen Grundlagen ausdrücklich verankert; von einer willkürlichen Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleich gelagerten Konstellationen kann nicht ausgegangen werden, weil die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes für mindestens sechs Monate ein zumindest sachgerechtes Kriterium für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten darstellt. Vor dem Hintergrund der eindeutigen europarechtlichen Lage ist es darüber hinaus unerheblich, wie die nationale Rechtslage in Tschechien im Zeitpunkt des Erwerbs der dortigen Fahrerlaubnis durch den Kläger ausgestaltet war, denn es geht in der vorliegenden Sache nicht um die Berechtigung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse B in Tschechien.
Legt man zugrunde, dass das Wohnsitzerfordernis bereits in der Richtlinie 91/439/EWG ausdrücklich verankert war, so steht dem Kläger auch kein Vertrauensschutz dahin zur Seite, dass der Beklagte gehalten wäre, seine in Tschechien erworbene Fahrerlaubnis insoweit anzuerkennen, als ihm auch im Inland das Führen von Kraftfahrzeugen des Klasse B erlaubt werden müsse.
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger offenbar über längere Zeit mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis am Straßenverkehr in der Bundesrepublik Deutschland teilgenommen hat. Er konnte nämlich, soweit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zeitweilig dazu zwang, auch solche ausländischen EU-Fahrerlaubnisse als für ihr Gebiet gültig anzuerkennen, die unter gewissen – missbilligten – Umständen erworben worden waren, nicht schutzwürdig darauf vertrauen, dass diese auf Dauer Bestand haben werde. Da die Problematik des sog. „Führerscheintourismus“ seinerzeit in den Medien breit erörtert wurde und z.B. große Interessenverbände deutscher Kraftfahrer öffentlichkeitswirksam und in deutlichen Worten auf die Unzuträglichkeiten hingewiesen haben, die aus Urteilen des Europäischen Gerichtshofes resultierten, musste der Kläger vielmehr damit rechnen, dass entweder der Europäische Gerichtshof selbst zu gegebener Zeit eine Korrektur seiner Rechtsprechung vornehmen könnte, oder dass der gemeinschaftsrechtliche Normgeber dieser Spruchpraxis den Boden entziehen würde, wie das mit der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein bereits in dem auf den Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis durch den Kläger folgenden Jahr geschehen ist. Dem Kläger musste folglich bewusst sein, dass die Gültigkeit seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland ungesichert war. Auch ein juristischer Laie konnte sich nicht der Einsicht verschließen, dass es vom internationalen Recht unter Umständen nicht gebilligt werden würde, wenn ein Staat einem ausländischen Staatsangehörigen eine auch für dessen Heimatland Geltung beanspruchende Fahrerlaubnis erteilt, obwohl sich der Ausländer nur ganz vorübergehend und allein zum Zweck des Erwerbs einer solchen Berechtigung in den ausstellenden Staat begibt (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2009 – 11 CS 09.292; s. ferner U.v. 6.11.2012 – 11 B 12.1473 und nachfolgend BVerwG, B.v. 16.7.2013 – 3 B 10.13 – juris).
Soweit der Kläger auf einen Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 21. Januar 2010 – Az. 10 S 2391/09 – hingewiesen hat, führt dies zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt erscheint bereits insoweit nicht vergleichbar, als der dortige Antragsteller seine Fahrerlaubnis (erst) am 28.04.2009 in der Tschechischen Republik erworben hatte. Soweit in dieser Entscheidung auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG eingegangen wird, betrifft dies den Umtausch „alter Führerscheine“, die nicht dem EG-Muster entsprechen und auf der Grundlage der neuen europarechtlichen Regelungen keinen Einschränkungen unterworfen werden sollen. Dass der Kläger aus diesem Zusammenhang nichts zu seinen Gunsten herleiten kann, bedarf keiner näheren Erläuterungen.
Die Klage wird daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.