Europarecht

Keine nationale Gebührenerhebung für die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) – Parallelimport von Arzneimitteln

Aktenzeichen  20 BV 16.2024

Datum:
18.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
PharmR – 2018, 154
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AEUV Art. 291 Abs. 1
AEUV Art. 299
VO (EG) 726/2004 Art. 71,
VO (EG) 297/95 Art. 8 Nr. 3,
VO (EG) 297/95 Art. 10 Abs. 3
AMG § 69 Abs. 1 Satz 1
AMG § 67 Abs. 7 Satz 3

 

Leitsatz

1 Die nationale Arzneimittelbehörde ist nicht berechtigt, aufgrund der allgemeinen arzneimittelrechtlichen Eingriffsermächtigung des § 69 Abs. 1 S. 1 AMG einen für den Gebührenschuldner bindenden, vollstreckbaren Leistungsbescheid zu erlassen, mit dem eine Zahlung von Gebühren an die EMA verlangt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es bestehen unionsrechtliche Spezialvorschriften für den Fall der Geltendmachung nicht gezahlter Gebühren durch die EMA, die einer auf nationalem Recht basierenden Zahlungsanweisung in Form eines Verwaltungsaktes entgegenstehen. (Rn. 16 und 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

18 K 14.4992 2016-04-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, weil der Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2014 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit diesem Bescheid wollte der Beklagte die Klägerin auf der Grundlage von § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG verpflichten, bis zum 30. November 2014 Gebühren in Höhe von 295.940,- EURO gegenüber der EMA zu begleichen und die Zahlung ihm gegenüber nachzuweisen. Für eine solche „Zahlungsanweisung an einen Dritten“ bietet jedoch § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG keine taugliche Rechtsgrundlage. Nach dieser Bestimmung treffen die zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt die Vorschrift eine generelle Ermächtigung zur Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln dar (vgl. BVerwG, U. v. 19.10.1989 – 3 C 35.87 – Buchholz 418.32 AMG Nr. 20). Dabei ergibt sich aus § 64 AMG der Umfang der den zuständigen Behörden obliegenden Überwachung und bestimmt damit auch den in § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG vorausgesetzten Eingriffsbereich (BVerwG, U.v. 22.1.1998 – 3 C 6.97 – BVerwGE 106, 141).
Zwar ist in § 67 Abs. 7 Satz 3 AMG festgelegt, dass an die EMA eine Gebühr für die Überprüfung der Einhaltung der Bedingungen, die in den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften über Arzneimittel und den Genehmigungen für das Inverkehrbringen festgelegt sind, zu entrichten ist, wobei die Bemessung der Gebühr sich nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften richtet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die nationale Arzneimittelbehörde berechtigt wäre, aufgrund der allgemeinen arzneimittelrechtlichen Eingriffsermächtigung des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG einen für den Gebührenschuldner bindenden, vollstreckbaren Leistungsbescheid zu erlassen. Voraussetzung hierfür wäre bereits nach nationalem Recht gewesen, dass das Arzneimittelgesetz eine solche Befugnis der nationalen Arzneimittelbehörde, eine Zahlung von Gebühren an die EMA zu verlangen, klar bestimmt. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Abgabenerhebung. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, der als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im gesamten Bereich des Abgabewesens Geltung beansprucht (BVerwG, B. v. 20.08.1997 – 8 B 169.97 – juris) besagt, dass abgabebegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Abgabelast vorausberechnen kann (vgl. z.B. BVerfG, B. v. 23.10.1986 – 2 BvL 7/84, 2 BvL 8/84 – BVerfGE 73, 388, m.w.N.). Im Bereich des Abgabenrechts werden damit die Anforderungen an eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung durch den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung verstärkt. Danach muss die eine Abgabenpflicht begründende Norm nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein, so dass eine Abgabenlast in gewissem Umfang für den Bürger voraussehbar sowie überschaubar wird. Dies muss auch gelten, wenn ein am Abgabeschuldverhältnis nicht beteiligter Dritter vom Abgabeschuldner die Leistung an den Abgabegläubiger mit bindender Wirkung fordern können soll. Denn auch hier wird ein Abgabeschuldverhältnis geschaffen, wenn auch nur die Leistung an einen Dritten verlangt werden kann. Auch die Entstehungsgeschichte des § 67 Abs. 7 Satz 3 AMG stellt dieses Ergebnis nicht in Frage. Die Vorschrift wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften in das Arzneimittelgesetz eingefügt. In der Gesetzesbegründung (BR-Drucksache 91/12 S. 103) heißt es lediglich: „Beim Parallelvertrieb von zentral zugelassenen Arzneimitteln ist keine weitere Zulassung durch die zuständige Bundesoberbehörde erforderlich. Vielmehr ist in den Fällen ein Notifizierungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur durchzuführen. Diese prüft, ob das Arzneimittel den Bedingungen für das Inverkehrbringen entspricht, die für den jeweiligen Mitgliedstaat in der zentralen Genehmigung festgelegt wurden.“ Hätte der Gesetzgeber hier ein im öffentlichen Recht eher untypisches Forderungsrecht zugunsten eines Dritten etablieren wollen, so hätte ein kurzer Hinweis hierauf in den Gesetzesmaterialien nahegelegen. Auch spricht die systematische Stellung der Vorschrift gegen ein materielles Forderungsrecht der nationalen Arzneimittelbehörde. Regelt doch § 67 AMG die allgemeinen Anzeigepflichten, u.a. auch die gegenüber der EMA, so dass viel dafür spricht, dass es sich bei § 67 Abs. 7 Satz 3 AMG lediglich um einen deklaratorischen Hinweis auf die Gebührenpflicht gegenüber der EMA handelt. Zumal auch nur Verstöße gegen die Anzeigepflichten des § 67 Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, gegen § 67 Abs. 5 Satz 1, Absatz 6 Satz 1 und Absatz 8 Satz 1 als Ordnungswidrigkeiten nach § 97 Nr. 7 AMG geahndet werden können.
Das Verwaltungsgericht führt zu Recht in seiner mit der Berufung angegriffenen Entscheidung aus, dass unionsrechtliche Vorschriften dem Erlass einer auf nationalem Recht basierenden Zahlungsanweisung im Form eines Verwaltungsaktes im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG entgegenstehen. Die Gebührenrechnungen der EMA, mit der diese nicht nur den genauen Betrag der Gebühren festlegt, die ihr die Gebührenschuldnerin für die Bearbeitung ihrer Anträge schuldet, sondern auch den Zahlungstermin bestimmt, ist nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union (EuG vom 8.3.2012 – T-573/10 – ABl EU 2011, Nr. C 55, 27) eine den Adressaten beschwerende Maßnahme, die innerhalb der in Art. 263 Abs. 6 AEUV festgelegten Frist hätte angefochten werden müssen. An diese Beurteilung durch ein Unionsgericht ist der erkennende Senat gebunden.
Nach Art. 57 Abs. 1 lit. o) VO (EG) 726/2004 ist Aufgabe der EMA beim Parallelvertrieb von gemäß dieser Verordnung genehmigten Arzneimitteln die Prüfung der Einhaltung der Bedingungen, die in den unionsrechtlichen Vorschriften über Arzneimittel und den Genehmigungen für das Inverkehrbringen festgelegt sind. Nach dem Wortlaut dieser Regelung führt die EMA damit zwar ein Prüfungsverfahren durch. Die Verordnung sieht jedoch nicht vor, dass dieses Verfahren durch eine Genehmigung abgeschlossen wird. Art. 57 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. o VO 726/2004/EG nimmt Bezug auf „genehmigte Arzneimittel“ und überträgt der EMA die Überprüfung der Bedingungen, die „in den Genehmigungen für das Inverkehrbringen“ festgelegt sind. Damit wird auf die bereits von der Europäischen Kommission nach Art. 10 VO (EG) Nr. 726/2004 erteilten Genehmigungen Bezug genommen. Im Notifikationsverfahren ist dagegen keine weitere Genehmigung der EMA für das Inverkehrbringen des zentral zugelassenen Arzneimittels vorgesehen (BGH, U. v. 30.3.2017 – I ZR 263/15 – GRUR 2017, 1160).
Die Gebührenerhebung durch die EMA ist durch die VO (EG) 297/95 geregelt. Nach Art. 8 Abs. 3 Unterabsatz 1 VO (EG) 297/95 wird eine Verwaltungsgebühr u.a. erhoben, wenn die im Fall des Parallelvertriebs erforderlichen Informationen geprüft werden müssen. Art. 10 Abs. 3 VO (EG) 297/95 sieht vor:
„Wird eine gemäß dieser Verordnung geschuldete Gebühr nicht fristgerecht gezahlt, so kann der Verwaltungsdirektor der Agentur unbeschadet der Fähigkeit der Agentur, aufgrund von Artikel 71 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 ein Gericht anzurufen, beschließen, entweder die geforderten Leistungen nicht zu erbringen oder die Leistungen insgesamt oder die laufenden Verfahren bis zur Zahlung der Gebühr, einschließlich Verzugszinsen gemäß Artikel 86 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2342/2002 der Kommission vom 23. Dezember 2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, einzustellen.“
Damit geht das Verwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass unionsrechtliche Spezialvorschriften für den Fall der Geltendmachung nicht gezahlter Gebühren durch die EMA bestehen. Dabei muss auch bedacht werden, dass in der ursprünglichen VO (EG) Nr. 297/95 vom 10. Februar 1995 über die Gebühren der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. Nr. L 35 vom 15. 2. 1995, S. 1) die Klagemöglichkeit durch die EMA jedenfalls ausdrücklich noch nicht vorgesehen war und es deshalb naheliegt, dass der Unionsgesetzgeber die Folgen der Nichtzahlung der Gebühren abschließend geregelt hat. Die Befugnis des Beklagten, die Gebührenrechnungen durch eine auf nationalem Recht beruhende Einzelanordnung gleichsam zu vollziehen, lässt sich auch nicht durch eine allgemeine Amtshilfepflicht der Mitgliedstaaten begründen. Eine Amtshilfepflicht der Mitgliedstaaten kann dem Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung folgend nämlich nur in Bezug auf von den Mitgliedstaaten durchzuführendes Unionsrecht gelten. Folgerichtig besteht keine von Vorgaben des Sekundärrechts unabhängige allgemeine Amtshilfepflicht gegenüber europäischen Behörden. Die neu eingeführten Vorschriften zur europäischen Verwaltungszusammenarbeit (vgl. Art. 8a ff. BayVwVfG) setzen vielmehr solche Vorgaben des Sekundärrechts voraus (Stelkens/Bonk/Sachs, § 8a VwVfG Rdnr. 6, 9. Auflage 2018). Zwar ergreifen die Mitgliedstaaten alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht (Art. 291 Abs. 1 AEUV). Wird allerdings eine europäische Behörde wie hier die EMA durch den Erlass einer Gebührenfestsetzung tätig, so handelt es sich um einen Fall des direkten Vollzugs von Unionsrecht, dem sog. Eigenverwaltungsrecht (Gärditz in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 35 Rdnr. 25). Eine gesonderte Vollziehung dieser Rechtsakte durch nationale Behörden aufgrund eigener Befugnisnorm ist in Ermangelung besonderer Vorschriften, die gerade dies vorsehen, weder erforderlich noch systemgerecht.
Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass die VO (EG) 297/95 das Verfahren zur Erhebung der Gebühren nicht abschließend regelt, eröffnet sich nicht der von dem Beklagten eingeschlagene Weg, die Zahlung mittels nationalem, mit Zwangsgeld bewehrten Verwaltungsakt zu erzwingen. Insoweit steht auch Art. 299 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AEUV einer solchen Handlungsform der nationalen Arzneimittelbehörde entgegen. Danach sind die Rechtsakte des Rates, der Kommission oder der Europäischen Zentralbank, die eine Zahlung auferlegen, vollstreckbare Titel, soweit sie sich nicht gegenüber Staaten richten. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach den Vorschriften des Zivilprozessrechts des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sie stattfindet. Die Europäischen Agenturen mit ihren Eigenverwaltungsentscheidungen (vgl. hierzu Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 VwVfG Rdnr. 345 f., 9. Auflage 2018) sind in dieser Vorschrift dagegen nicht genannt. Soweit sekundärrechtliche Vorschriften fehlen, kommt EU-Eigenverwaltungsentscheidungen eine Titelfunktion nach Art. 299 AEUV (ex-Art. 256 EGV) indes nur zu, soweit es sich zugleich um einen Beschluss i. S. d. Art. 288 AEUV handelt (Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 VwVfG Rdnr. 351). Ob auch die EMA rechtsverbindliche Rechtsakte erlassen kann (vgl. zu den Agenturen: EuGH 22.1.2014 – C-270/12 – Rn. 42 ff. ESMA – NJW 2014, 1359), welche unter Art. 299 Abs. 1 AEUV zu subsumieren sind und auch die gegenständlichen Rechnungen hierzu gehören (wohl bejahend EUG vom 8.3.2012 – T-573/10 – a.a.O. Rn 43), kann hier aber dahinstehen, weil diese Frage auf die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung des Beklagten keinen Einfluss hat.
Weil sich die Anordnung des Beklagten in seinem Bescheid vom 14. Oktober 2014 damit als rechtswidrig erweist, ist die damit verbundene Zwangsgeldandrohung ebenso rechtswidrig.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO der Beklagte.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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