Europarecht

Unzulässige Werbung für das staatliche Sportwettenmonopol; unionsrechtliche Kohärenzprüfung

Aktenzeichen  8 C 11/10

Datum:
11.7.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 49 Abs 1 AEUV
Art 56 Abs 1 AEUV
Art 57 Abs 1 AEUV
Art 57 Abs 3 AEUV
Art 3 Abs 1 GG
Art 12 Abs 1 GG
§ 8a RdFunkStVtr BW
§ 58 Abs 4 RdFunkStVtr BW
§ 1 GlüStVtrG BW
§ 2 GlüStVtrG BW
§ 7 GlüStVtrG BW
§ 1 GlüStVtr BW
§ 3 Abs 1 S 3 GlüStVtr BW
§ 4 Abs 1 S 1 GlüStVtr BW
§ 4 Abs 2 S 1 GlüStVtr BW
§ 4 Abs 2 S 2 GlüStVtr BW
§ 4 Abs 4 GlüStVtr BW
§ 5 Abs 1 GlüStVtr BW
§ 5 Abs 2 GlüStVtr BW
§ 9 Abs 1 S 1 GlüStVtr BW
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 3 GlüStVtr BW
§ 10 Abs 1 GlüStVtr BW
§ 10 Abs 2 GlüStVtr BW
§ 10 Abs 5 GlüStVtr BW
§ 11 GlüStVtr BW
§ 21 Abs 1 GlüStVtr BW
§ 21 Abs 2 GlüStVtr BW
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Eine Werbung für das staatliche Sportwettenmonopol, die in stimulierender Weise auf herausragende Sportereignisse Bezug nimmt, ist unzulässig. Gleiches gilt für die Verknüpfung – auch rein informativer – Hinweise auf bestimmte Sportereignisse mit der Ankündigung höherer oder zusätzlicher Gewinnchancen. Unzulässig ist auch eine Aufmachung, die dem Empfänger Entscheidungsdruck suggeriert.
2. Wird die unionsrechtlich gewährleistete Dienst- oder Niederlassungsfreiheit durch die Errichtung eines staatlichen Sportwettenmonopols eingeschränkt, so gebietet das unionsrechtliche Erfordernis der Kohärenz weder die Uniformität sämtlicher Glücksspielregelungen noch eine Optimierung der mit dem Monopol verfolgten Ziele. Es verlangt, dass die rechtliche oder tatsächliche Ausgestaltung anderer Glücksspielbereiche mit vergleichbarem oder höherem Suchtpotenzial der Monopolregelung nicht mit der Folge entgegenwirken darf, dass das Monopol zur Verwirklichung der mit ihm verfolgten Ziele nicht mehr beitragen kann (im Anschluss an das Urteil vom 24. November 2010 – BVerwG 8 C 14.09 -).

Verfahrensgang

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 29. März 2010, Az: 6 S 1287/08, Beschluss

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen eine Untersagungsverfügung wegen unerlaubten Glücksspiels. Sie eröffnete im Jahre 2003 in W. eine Wettannahmestelle, in der sie Sportwetten mit festen Gewinnquoten an die Firma … GmbH vermittelte, die nach Angaben der Klägerin in Österreich für das Anbieten und Vermitteln von Sportwetten staatlich konzessioniert ist. Am 30. März 2006 zeigte sie ihre Tätigkeit dem Regierungspräsidium K. an. Daraufhin untersagte ihr das Regierungspräsidium mit Verfügung vom 20. November 2006 unter Anordnung des Sofortvollzugs und unter Androhung von Zwangsgeld, in Baden-Württemberg Sportwetten zu veranstalten, zu vermitteln, hierfür zu werben oder solche Tätigkeiten zu unterstützen, und gab ihr auf, die dafür vorgehaltenen Geräte aus öffentlich zugänglichen Räumen zu entfernen. Eine etwa bestehende Erlaubnis nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz sollte von dem Verbot unberührt bleiben. Zur Begründung wurde auf das staatliche Monopol für Sportwetten nach dem Lotteriestaatsvertrag hingewiesen.
2
Mit ihrer Klage hat die Klägerin beantragt, die Untersagungsverfügung aufzuheben und festzustellen, dass sie berechtigt sei, ohne Erlaubnis des Beklagten Sportwetten zu festen Gewinnquoten (ausgenommen Pferdewetten) an im EU-Ausland konzessionierte Anbieter, insbesondere an die Firma … GmbH, zu vermitteln, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Erlaubnis zur Vermittlung der genannten Sportwetten zu erteilen.
3
Mit Urteil vom 16. April 2008 hat das Verwaltungsgericht der Klage in den Hauptanträgen stattgegeben. Die Untersagungsverfügung könne ihre Grundlage allenfalls im Glücksspielstaatsvertrag finden, der den Lotteriestaatsvertrag am 1. Januar 2008 abgelöst habe. Zwar vermittle die Klägerin Glücksspiele, die hiernach verboten seien. Die Ausgestaltung des staatlichen Sportwettenmonopols durch den Glücksspielstaatsvertrag sei aber mit europäischem Unionsrecht unvereinbar.
4
Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. März 2010 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:
5
Die Untersagungsverfügung sei ein Dauerverwaltungsakt. Für die Beurteilung maßgeblich sei damit die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Die Untersagungsverfügung habe sich für die Zeiträume vor dem 1. Januar 2009 durch Zeitablauf erledigt. Die Klägerin habe ihren Anfechtungsantrag insoweit nicht auf einen Feststellungsantrag umgestellt.
6
Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung sei nunmehr § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV). Die Klägerin habe keine Erlaubnis für eine Vermittlungstätigkeit und könne wegen des staatlichen Monopols auch keine Erlaubnis erhalten. Das staatliche Monopol sei verfassungsgemäß. Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG sei verhältnismäßig. Der Gesetzgeber habe mit der Errichtung des staatlichen Monopols ein geeignetes und erforderliches Mittel gewählt, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Das Monopol sei in materiellrechtlicher und organisatorischer Hinsicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Spielleidenschaft und Wettsucht ausgerichtet. Die Erzielung von Einnahmen sei nicht Gesetzeszweck.
7
Der Gesetzgeber habe ausreichende inhaltliche Kriterien zu Art und Zuschnitt der Sportwetten sowie zu ihrer Vermarktung im Glücksspielstaatsvertrag festgelegt. Wetten seien nur als Kombinationswetten oder Einzelwetten auf den Spielausgang erlaubt. Wetten über das Internet seien nicht gestattet. Diese Vorschriften dienten dem Spielerschutz. Der Glücksspielstaatsvertrag enthalte die erforderlichen wesentlichen Vorschriften zur Vertriebsstruktur. Alle Annahmestellen und Vermittler bedürften der Erlaubnis. Die Vertriebswege seien so ausgewählt und eingerichtet, dass der Spieler- und Jugendschutz gewährleistet sei und der Eindruck vermieden werde, bei der Wettabgabe handele es sich um ein Gut des täglichen Lebens. Das staatliche Angebot über Zeitschriften- und Tabakläden zu vertreiben, vermeide eine Wettabgabe in Anonymität und erleichtere die Information der Spieler. Die Kundenkarte diene dem Spielerschutz. Die Mitarbeiter in den Annahmestellen würden im Hinblick auf problematisches Suchtverhalten geschult. Auch würden Sozialkonzepte kontinuierlich evaluiert. Die Werbung stehe mit den Zielen des Glücksspielstaatsvertrages in Einklang. Eine allgemeine Imagewerbung für den Deutschen Toto- und Lottoblock sei zulässig. Ein gewisser Umfang an Werbung sei erforderlich, um eine Kanalisierung der Spielleidenschaft zu bewirken. Es bestehe auch kein strukturelles Vollzugsdefizit im Hinblick auf die Suchtprävention und den Jugendschutz.
8
Das Monopol verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Gleichheitssatz binde jeden Träger der öffentlichen Gewalt nur in seinem Zuständigkeitsbereich. Pferdewetten und das Aufstellen, die Zulassung und der Betrieb von Geldspielautomaten fielen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Landesgesetzgebers und seien deshalb als Vergleichsmaßstab nicht heranzuziehen. Bezüglich der Spielbanken liege kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, weil der Gesetzgeber unterschiedliche Ausgangslagen vorgefunden habe und der Glücksspielstaatsvertrag in wesentlichen Bereichen auch auf Spielbanken anwendbar sei.
9
Das Monopol sei auch mit Unionsrecht vereinbar. Tangiert sei die Dienstleistungs- oder die Niederlassungsfreiheit. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigten das Monopol, wobei die Festlegung des Schutzniveaus Sache des Mitgliedstaates sei. Der Gesetzgeber müsse das gesteckte Ziel nicht im gesamten Glücksspielbereich in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, sondern nur im Bereich der Sportwetten. Das Kohärenzgebot werde durch die noch von der DDR erteilten Gewerbeerlaubnisse nicht in Frage gestellt. Diese beruhten auf Alt-Rechten und führten nicht zu einer Ausweitung des Sportwettenangebots. Die Länder strebten an, diese Erlaubnisse zum Erlöschen zu bringen. Das gemeinschaftsrechtliche Kohärenzgebot werde auch erfüllt, wenn dieses eine kohärente Glücksspielpolitik insgesamt erfordere. Die Erteilung von Buchmacherkonzessionen sei nicht inkohärent. Diese spielten im Verhältnis zum gesamten Glücksspielbereich nur eine sehr untergeordnete Rolle und machten nach Angaben der Bundesregierung nur 0,5 % des Glücksspielmarktes aus. Für das Spielen in Casinos enthalte das baden-württembergische Spielbankengesetz erhebliche Begrenzungen und Maßgaben zum Spielerschutz. Auch bezüglich der Spielbanken anderer Länder bestünden keine Bedenken hinsichtlich einer konsistenten bereichsübergreifenden Glücksspielpolitik. Dasselbe gelte für das Automatenspiel.
10
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, der Verwaltungsgerichtshof habe sie zu seiner Absicht, nach § 130a VwGO durch Beschluss zu entscheiden, nicht ausreichend angehört. In der Sache rügt sie eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG sowie der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 AEUV. Prüfungsgegen-stand müsse vorliegend ausschließlich die “alte Gesetzeslage”, der Lotteriestaatsvertrag i.V.m. § 284 StGB sein. Nach allgemeinen Grundsätzen sei in Ermangelung einer anders lautenden Regelung des materiellen Rechts jeweils der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung für die Beurteilung der Anfechtungsklage maßgeblich. Das staatliche Sportwettenmonopol verstoße schon deshalb gegen die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit, weil von einer jegliche Rechtfertigung ausschließenden fiskalischen Motivation des Beklagten auszugehen sei. Die gesetzlichen Regelungen über Art und Zuschnitt der im staatlichen Monopol vertriebenen Sportwetten, Vertriebsstruktur und Werbung ließen keine konsequente Ausrichtung am Spieler- und Jugendschutz erkennen. Ferner sei offenkundig, dass ein strukturelles Vollzugsdefizit bei der Vermarktung der staatlichen Sportwetten gegeben sei, das eine Rechtfertigung ebenfalls ausschließe. Ein Verstoß gegen die unionsrechtlich garantierte Dienstleistungsfreiheit folge aus der inkohärenten Glückspielpolitik des Staates, die insgesamt in den Blick zu nehmen sei. Das Sportwettenmonopol müsse demnach in seiner rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung mit Blick auch auf andere Glücksspielbereiche geeignet sein, das mit ihm angestrebte Ziel des Spieler- und Jugendschutzes und der Spielsuchtbekämpfung zu erreichen. Das sei nicht der Fall. Die föderale Zuständigkeitsverteilung könne eine sektorenbeschränkte Betrachtung nicht rechtfertigen.
11
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 29. März 2010 zu ändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 16. April 2008 zurückzuweisen.
12
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
13
Er verteidigt den angegriffenen Beschluss. Ein staatliches Glückspielmonopol sei unionsrechtlich auch nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich zulässig. Auch unabhängig von der Wirksamkeit der Monopolregelung sei die angegriffene Untersagungsverfügung rechtmäßig.


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