Europarecht

Verlust des Rechts auf Freizügigkeit wegen schwerer Straftaten

Aktenzeichen  Au 6 K 16.1346

Datum:
7.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU FreizügG/EU § 2 Abs. 1, § 4a Abs. 1 S. 1, Abs. 7, § 6 Abs. 1 S. 1, S. 3, Abs. 2 S. 1 – 3, Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5 S. 1, S. 2, § 7 Abs. 2 S. 1, S. 5
RL 2004/38/EG RL 2004/38/EG Art. 7 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 S. 1
GG GG Art. 6
EMRK Art. 8 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Es entspricht der dem Richter allgemein zugänglichen Lebenserfahrung, dass Personen, die ihr strafbares Verhalten als richtig ansehen und deshalb dessen Unrechtsgehalt leugnen, sich in vergleichbaren künftigen Situationen ähnlich verhalten und damit erneut straffällig werden können. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein; hierbei können auch Aufenthaltszeiten vor dem Beitritt des Staates der Staatsangehörigkeit des Ausländers zur Europäischen Union zu berücksichtigen sein. (Rn. 40 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zur Aberkennung des Aufenthaltsrechts hat der Gesetzgeber in Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie mit Art. 6 FreizügG/EU abschließende Sonderregelungen getroffen. Daneben ist kein Raum mehr für eine flankierende Anwendung des für Drittstaatsangehörige geltenden allgemeinen Ausweisungsrechts. (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
1. Die Klage ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid des Landratsamtes … vom 2. Juni 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – BVerwGE 121, 297 – Leitsatz 2).
a) Die Voraussetzungen für die vom Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU -FreizügG/EU) verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt liegen beim Kläger vor (dazu unter a) und b)). Dies gilt selbst bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU (dazu unter c).
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU unbeschadet des § 2 Abs. 7 und des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich alleine nicht, um die Verlustfeststellung zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrundeliegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung sind gemäß § 6 Abs. 3 Frei-zügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Unionsbürgerstatus der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten ist (vgl. EuGH, U.v. 23.3.2004 – Collins, C-138/02 – juris Rn. 61), ist eine Verlustfeststellung nur dann gerechtfertigt, wenn sie sich ausschließlich auf das persönliche Verhalten des Unionsbürgers stützt. Strafrechtliche Verurteilungen alleine können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten des Betroffenen muss eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaates berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. EuGH, U.v. 22.5.2012 – C-348/9 – NVwZ 2012, 1095).
b) Ausgehend von diesen Maßgaben liegt eine vom Kläger ausgehende gegenwärtige tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nach Überzeugung der Kammer vor. Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg, abgeändert durch Urteil des Landgerichts Augsburg vom 24. Januar 2014 (Az. 9 Ls 209 Js 104471/11), wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen verurteilt; die der strafrechtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Umstände lassen ein persönliches Verhalten des Klägers erkennen, das eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, darstellt. Der Kläger ist wegen zahlreicher schwerer Sexualdelikte mehrfach vorbestraft, er ist Wiederholungstäter und seine Sexualproblematik ist nach wie vor nicht therapeutisch aufgearbeitet. Die erste Verurteilung in seiner Heimat zu zehn Jahren Freiheitsstrafe beruhte auf sieben nachgewiesenen Fällen. Nach der Entlassung aus der Haft in Kroatien reiste er in die Bundesrepublik ein. Hier hat er kurze Zeit vor Antritt der zweiten Strafhaft in Kroatien – aufgrund einer weiteren einschlägigen dortigen Verurteilung -vor seiner Ausreise am 17. Juli 2010 erneut eine Gewalt- und Sexualstraftat begangen. Zwar lagen der Verurteilung in Kroatien Straftaten in den Jahren 1992 und 1993 zugrunde, mit Blick auf die Rückfallgeschwindigkeit ist jedoch zu berücksichtigen, dass die bedingte Haftentlassung des Klägers erst im Oktober 2003 bzw. seine Einreise ins Bundesgebiet im März 2004 erfolgte. Beim Kläger hat demnach weder die langjährige Strafhaftzeit noch die erneute Verurteilung in Kroatien zu einer dauerhaften Verhaltensänderung geführt. Vielmehr hat er trotz der zwischenzeitlich bestehenden Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau erneut eine Gewalt- und Sexualstraftat – dieses Mal im Bundesgebiet – begangen.
Eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer schwerer Straftaten ist nach Überzeugung der Kammer gegeben. Der Kläger wurde wegen einer am 17. Juli 2010 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen verurteilt; zudem hat er in Kroatien eine Vielzahl von Straftaten begangen, die gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gerichtet waren. Beim Kläger ist unter Berücksichtigung der der letzten Verurteilung zu Grunde liegenden Tat, der im Vorfeld von ihm begangenen gravierenden Straftaten und dem Umstand, dass er sich durch die deshalb gegen ihn ergangenen Strafurteile (s. Bl. 238 ff. und 267 der Behördenakte) nicht von der Begehung einer weiteren gravierenden Straftaten hat abhalten lassen, von erheblichen charakterlichen Mängeln auszugehen, die zu der Annahme führen, dass er auch künftig weiter schwere Straftaten begehen wird. Aus dem vorgenannten Urteil des Amtsgerichts Augsburg (Az. 9 Ls 209 Js 104471/11) ergibt sich, dass der Kläger am Tattag mit drei Freundinnen habe ausgehen wollen, weil seine Frau vereist gewesen sei, die Geschädigte sei mit dem Kläger und dessen Ehefrau sowie deren Tochter innig befreundet gewesen (Bl. 345 und 353 der Behördenakte); das Gericht hatte keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in seiner Ein-sichts- und Steuerungsfähigkeit durch seine Alkoholisierung erheblich vermindert war. Dem Führungsbericht der JVA … vom 19. Oktober 2015 (Bl. 363 ff. der Behördenakte) ist zu entnehmen, dass der Kläger (am 16.9.2015) zu einer externen Psychotherapeutin ausgeführt worden sei, um ihm bereits während der Haft Gelegenheit zu geben, mit der psychotherapeutischen Aufarbeitung seiner Sexualstraftaten zu beginnen. Diese habe weitere Gesprächstermine abgelehnt, da der Kläger keine Verantwortung für seine Straftaten übernehme und weder Einsicht noch Schuld zeige. Zwar hat sich der Kläger ausweislich dieses Führungsberichts in der Haft beanstandungsfrei verhalten. Dies lässt eine Wiederholungsgefahr aber nicht entfallen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass ein Wohlverhalten in der Haft nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung schließen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11; B.v. 26.1.2015 – 10 ZB 13.898 – NVwZ-RR 2015, 597). Nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts München (B.v. 31.3.2016 – 2 Ws 285/16 u.a.; Bl. 484 ff. der Behördenakte) kann im Hinblick auf die noch nicht aufgearbeitete Sexualproblematik des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass er auch ohne Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begeht; die festgesetzte Dauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren sei u.a. im Hinblick auf die vorliegenden Persönlichkeitsdefizite nicht zu beanstanden. Zumal nach der seitens des Gerichts eingeholten Stellungnahme der psychotherapeutischen Fachambulanz für Gewalt-und Sexualstraftäter vom 11. Oktober 2016 eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorliege und im Hinblick auf deliktrelevante Faktoren von einem Zusammenwirken persönlichkeitsimmanenter und lebensphasischer Faktoren auszugehen sei. Danach imponiere ein opportunistisches Verhaltensmuster im Dienste der Bedürfnisbefriedigung, insbesondere in Lebensphasen, in denen sich der Kläger zurückgewiesen oder benachteiligt fühle.
Zwar nimmt der Kläger derzeit in wöchentlicher Frequenz an einer forensischen Psychotherapie teil; Aussagen zu eventuell erkennbaren Fortschritten würden laut Mitteilung des Bewährungshelfers vom 6. Dezember 2016 zu einem so frühen Stadium der Therapie jedoch keine getroffen. Das bisherige Wohlverhalten unter dem Druck der strafgerichtlich angeordneten Therapie und staatlicher Kontrolle bzw. Führungsaufsicht lässt nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauer haften Einstellungswandel schließen. Demnach bestehen weiterhin gewichtige Anhaltspunkte für die Gefahr erneuter schwerer Straftaten, insbesondere auch Sexualstraftaten durch den Kläger. Angesichts des hohen Rangs des betroffenen Schutzguts setzt die Aberkennung des Freizügigkeitsrechts einen höheren Grad von Rückfallwahrscheinlichkeit nicht voraus. Denn die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringer, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277, juris Rn. 16). Das Körperverletzungsund Gewaltdelikt des Klägers gefährdet zudem das Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit (s. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Gesundheit der Bürger nimmt aber in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang ein; ihr Schutz ist daher ein Grundinteresse der Gesellschaft, das durch Straftaten, wie sie der Kläger begangen hat, erheblich beeinträchtigt wird (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 19; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 57).
Die auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, führt unter Berücksichtigung der Tat und der Tatumstände, der Persönlichkeitsstruktur des Klägers sowie seines Nachtatverhaltens vorliegend nach der aus der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung des Verwaltungsgerichts zur Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr.
Vor diesem Hintergrund wurde der klägerseitig gestellte Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, dass der Compliancemangel des Klägers, wie er durch Frau … mit Stellungnahme von Dr. … als extrinsisch motiviert bewertet wurde, krankheitsbedingt sei, ein fachärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, weil dieses ergeben werde, dass erst durch eine Therapie eine Einsichtsfähigkeit des Klägers in seine Probleme und Behandlungsfähigkeit vor dem Hintergrund der Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ermöglicht werde, abgelehnt. Denn der unter Beweis gestellte Sachverhalt kann als wahr unterstellt werden. Dies führt jedoch mit Blick auf die Wiederholungsgefahr gerade zu keiner anderen Beurtei 35 lung: Der Kläger ist, wie dargelegt, mehrfach einschlägig vorbestraft, er ist Wiederholungstäter und seine Sexualproblematik ist noch nicht therapeutisch aufgearbeitet (s.a. Bl. 365 der Behördenakte). Soweit dem Kläger zudem krankheitsbedingt erst durch eine bzw. die derzeitige Therapie eine Einsichts- bzw. Behandlungsfähigkeit ermöglicht wird, mag dies die Grundlage für den Erfolg einer Therapie darstellen. Solange diese jedoch nicht erfolgreich absolviert ist, entfällt aufgrund dessen nicht die Wiederholungsgefahr, sondern ist umso größer, als bei Krankheitswert des Verhaltensmangels eine Verhaltensänderung aus eigener Kraft und ohne therapeutische Hilfe erst recht nicht zu erwarten ist. Damit würde die vom Beweisantrag umfasste Tatsache die bereits aus Persönlichkeit und Vorverhalten des Klägers abgeleitete Wiederholungsgefahr noch zusätzlich stützen. Daher kann diese Tatsache als wahr unterstellt und weiter davon ausgegangen werden, dass beim Kläger das nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts bestehende erhebliche Rückfallrisiko bis zum erfolgreichen Abschluss einer Therapie fortbesteht; erst recht heute im entscheidungserheblichen Zeitpunkt erst am Anfang einer gerade begonnenen therapeutischen Aufarbeitung.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere in Fällen wiederholter Straftaten die Prüfung der Frage, ob die von der Behörde angenommene Befürchtung neuer Verfehlungen tatsächlich besteht, grundsätzlich nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert. Das Gericht bewegt sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebensund Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind (vgl. BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82/89 – NVwZ-RR 1990, 649 m.w.N.). Eine Ausnahme kommt danach nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzt, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es bedarf unter Berücksichtigung der gegebenen Einzelfallumstände keines Sachverständigengutachtens, um zu klären, ob die mangelnde Schuldeinsicht des Klägers krankheitsbedingt ist, da dies aus den dargestellten Gründen keine andere Bewertung zulässt. Es entspricht der dem Richter allgemein zugänglichen Lebenserfahrung, dass Personen, die ihr strafbares Verhalten als richtig ansehen und deshalb dessen Unrechtsgehalt leugnen, sich in vergleichbaren künftigen Situationen ähnlich verhalten und damit erneut straffällig werden können.
c) Es ist zwar davon auszugehen, dass der Kläger den nach dem Erwerb des Daueraufenthaltsrechts (§ 4a FreizügG/EU) eintretenden erhöhten Schutz gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU (siehe auch Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) für sich beanspruchen kann. Das vorgenannte persönliche Verhalten des Klägers, insbesondere auch das der Verurteilung des Amtsgerichts Augsburg zugrunde liegende Verhalten, erfüllt jedoch auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU.
Nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden (§ 6 Abs. 4 FreizügG/EU).
Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU bzw. nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt von fünf Jahren im Bundesgebiet voraus. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass unter dem Begriff des „rechtmäßigen Aufenthalts“ in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/ EG, der durch § 4a FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt wurde, nur ein Aufenthalt zu verstehen ist, der im Einklang mit den in der RL 2004/38/EG vorgesehenen, insbesondere mit den in Art. 7 Richtlinie 2004/38/EG aufgeführten Voraussetzungen steht. Der Betroffene muss also während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG erfüllt haben. Die Zeitspanne, in der zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts fünf Jahre lang ununterbrochen die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG vorgelegen haben müssen, braucht aber nicht der Zeitraum unmittelbar vor der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu sein (vgl. BVerwG, U.v. 31.5.2012 – 10 C 8.12 – NVwZ-RR 2012, 821; EuGH, U.v. 21.12.2011 – Ziolkowski, C-424/10 – juris Rn. 46).
Insoweit ist eine hypothetische Prüfung vorzunehmen, ob auch die vor dem Beitritt Kroatiens liegenden Aufenthaltszeiten in Einklang mit den Voraussetzungen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG zurück gelegt worden sind (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2015 – 10 C 14.2655 – juris Rn. 24). Zwar können Zeiten, in denen der Kläger hier eine Freiheitsstrafe verbüßt hat, nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden. Der Kläger lebte aber zunächst seit 25. März 2004 bei seiner vormaligen zweiten Ehefrau, die über ausreichende Erwerbseinkünfte verfügte, seit Zuzug bestand auch Krankenversicherungsschutz (Bl. 6 der Behördenakte). Ab 1. September 2004 war er als Arbeitnehmer beschäftigt (Bestätigung des Arbeitgebers vom 26.2.2009, Bl. 145 der Behördenakte) und lebte bis August 2010 in Deutschland. Unter Berücksichtigung der Bescheinigung über die Fortgeltung des Aufenthaltstitels kann die zweite Strafhaft in Kroatien im Falle des Klägers als Abwesenheit aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grund angesehen werden (§ 4a Abs. 7 FreizügG/EU; Bl. 189 der Behördenakte: Bescheinigung über die Fortgeltung des Aufenthaltstitels vom 15.6.2010). Der Kläger hat damit – wovon auch der Beklagte zu Gunsten des Klägers ausging – die Voraussetzungen des Daueraufenthaltsrechts i.S.v. § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erfüllt (vgl. BVerwG, U.v. 31.5.2012 – 10 C 8.12 – NVwZ-RR 2012, 821).
Gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/ EU nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Hierbei wird an das geschützte Rechtsgut angeknüpft, so dass gesteigerte Anforderungen an das berührte Grundinteresse der Gesellschaft zu stellen sind. Ausreichend ist insoweit eine konkrete Wiederholungsgefahr. Dies ist insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schwerer Vergehen anzunehmen (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt Kommentar zum Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 51). Diese schwerwiegenden Gründe sind vorliegend gegeben. Der Kläger wurde aufgrund der Gewalt- und Sexualstraftat vom 17. Juli 2010 nach § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. verurteilt (AG Augsburg, Az. 9 Ls 209 Js 104471/11, Bl. 342 ff. der Behördenakte). Der Tatbestand nach § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. beinhaltete eine nach oben offene Strafandrohung von nicht unter zwei Jahren, demnach ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB). Eine konkrete Wiederholungsgefahr hinsichtlich künftiger Verbrechen ist gegeben (s.o. unter b), dies gilt insbesondere auch, weil der Kläger noch keine Therapie erfolgreich abgeschlossen hat. Die Grundinteressen der Gesell schaft sind auch deshalb in besonderem Maße betroffen, weil der Kläger erneut eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen hat, an deren konsequenter Bekämpfung mittels präventiver Maßnahmen ein besonderes gesellschaftliches Interesse besteht.
d) Der Kläger kann sich nicht auf den erhöhten Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen, der auf den Aufenthalt im Bundesgebiet in den letzten zehn Jahren -rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Verlustfeststellung – abstellt. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden, § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, § 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dient, setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-145/09 – juris). Im Falle einer Verurteilung wegen Straftaten ist § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU im Übrigen dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2014 – 19 ZB 13.2013 – juris).
Die Verbüßung einer Freiheitsstrafe ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen; dies gilt auch, wenn sich der Unionsbürger vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – NVwZ-RR 2014, 245). Der Kläger hat trotz der zunächst erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt, der bereits bestehenden Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau und der ihm erteilten Bescheinigung über die Fortgeltung des Aufenthaltstitels (vom 15.6.2010, Bl. 189 der Behördenakte) am 17. Juli 2010 erneut eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen. Ausgehend vom Zeitpunkt der Verlustfeststellung am 2. Juni 2016 befand sich der Kläger – im Anschluss an die zweite Strafhaft in Kroatien – in Deutschland für zwei Jahre und zehn Monate (bis 23.3.2016) in Haft. Diese Zeit der Strafhaft stellt nicht lediglich eine für den Integrationszusammenhang unschädliche Unterbrechung dar; sie kann daher bei den gegebenen Gesamtumständen (s.o. unter Nr. 1 b) keine Berücksichtigung finden.
e) Das Landratsamt hat sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sind bei der Verlustfeststellung insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Der Beklagte hat die in § 6 Abs. 1 Satz 3 FreizügG/EU aufgeführten Belange in seine Entscheidung einbezogen und vertretbar gewichtet. Insbesondere hat er die Aufenthaltszeiten des Klägers im Bundesgebiet und dessen familiäre Bindungen angemessen gewürdigt. Es kann vorliegend nicht beanstandet werden, dass er trotz dieser Umstände den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den Vorrang gegeben und die Wiederholungsgefahr als derart schwerwiegend gewichtet hat, dass die persönlichen Belange des Klägers zurückzutreten haben.
Der Einwand des Klägerbevollmächtigten, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass die Qualität der Therapien und die Kapazitäten in Kroatien mit jenen in Deutschland nicht vergleichbar seien, greift nicht durch. Zwar ist davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der Verlustfeststellung seine Therapie, die ausweislich der vorgenannten Stellungnahme vom 6. Dezember 2016 auf längere Zeit ausgerichtet ist, in Deutschland möglicherweise nicht zu Ende führen kann, dies führt jedoch nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Verlustfeststellung (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris). Denn nach der Rechtsprechung kommt es für die Rechtmäßigkeit einer ausländerbehördlichen Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers darauf an, ob der Betroffene eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für wichtige Rechtsgüter darstellt und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse am Verbleib des Unionsbürgers in Deutschland deutlich überwiegt. Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung ausspricht, ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus dem Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen „jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt“ (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris Rn. 35).
f) Die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts des Klägers ist auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die nunmehrige dritte Ehefrau des Klägers die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Einen Verstoß gegen Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK hat der Beklagte zu Recht verneint. Der Kläger kann sich auf den Schutz seines Familienlebens berufen, da seine Ehefrau in Deutschland lebt. Die eheliche Lebensgemeinschaft des Klägers fällt zwar grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 6 GG; eine Aufenthaltsbeendigung wird dadurch aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung eine umfassende Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (EGMR, U.v. 25.3.2010 – Mutlag/Bundesrepublik Nr. 40601/05 – InfAuslR 2010, 325; U.v. 13.10.2011 – Trabelsi/Bundesrepublik Nr. 41548/06 – juris Rn. 54).
Ausgehend von den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerfG (Kammer), B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07, BVerwG, U.v. 23.10.2007 – 1 C 10/07 – jeweils juris; BayVGH, B.v. 19.11.2014 -19 ZB 13.1026 – AuAS 2015, 16) und den maßgeblichen Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, U.v.13.10.2011 a.a.O.) führt diese Prüfung vorliegend zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens gerechtfertigt und damit als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen ist. Soweit der Kläger auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verweist (BVerfG (Kammer), B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris zur Ausweisung eines sog. „faktischen Inländers“), lag dieser bereits ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der Kläger lebte sechs Jahre und vier Monate in Deutschland, bevor er seine zweite Haftstrafe in Kroatien antrat, anschließend erfolgte seine Inhaftierung in Deutschland. Zwar war er während der Zeit vom 25. März 2004 bis zum August 2010 überwiegend in den Arbeitsmarkt integriert und er ist auch jetzt wieder erwerbstätig. Seine wesentliche Sozialisierung und Prägung hat er aber in Kroaten erhalten; er war hier bereits verheiratet und 1989 wurde in … seine Tochter geboren. Er ist mit den Verhältnissen in seinem Heimatland vertraut und spricht Kroatisch. Die jetzige Ehe des Klägers wurde im Januar 2013, während der Haft in Kroatien, geschlossen; die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und deren Tochter wird erst seit seiner Haftentlassung am 23. März 2016 kontinuierlich gelebt; dagegen bestand diese Lebensgemeinschaft im Jahr 2010 nur einige Monate.
Der Kläger ist wegen zahlreicher schwerer Sexualdelikte mehrfach vorbestraft, er ist Wiederholungstäter und seine Sexualproblematik ist therapeutisch nicht aufgearbeitet. Er hat sich weder durch die in Kroatien gegen ihn ergangenen Strafurteile (s. Bl. 238 ff. und 267 der Behördenakte), noch durch die zwischenzeitlich bestehende Lebensgemeinschaft mit seiner jetzigen Ehefrau von der Begehung einer weiteren gravierenden Straftat abhalten lassen. Gegen den Kläger spricht weiter, dass er für die Dauer von fünf Jahren unter Führungsaufsicht steht. Laut dem Beschluss vom 31. März 2016 (OLG München – 2 Ws 285/16 u.a.; Bl. 484 der Behördenakte) kann im Hinblick auf die noch nicht aufgearbeitete Sexualproblematik des Klägers nicht davon ausgegangen werden, dass er auch ohne Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehe.
Nach Abwägung der gegebenen Gesamtumstände und insbesondere im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende Gefahr ist die Kammer der Ansicht, dass ihm eine Rückkehr nach Kroatien zumutbar ist. Der Kläger hat dort die Schule besucht und viele Jahre gelebt, sodass er mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist. Die Kammer ist daher davon überzeugt, dass der Kläger dort wieder Fuß fassen kann.
2. Auch die Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids begegnet keinen rechtlichen Bedenken, so dass auch diesbezüglich die Klage keinen Erfolg hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU dürfen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ihr Freizügigkeitsrecht nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren haben, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 5 FreizügG/EU ist die Verlustfeststellung bereits mit Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Vorschrift gewährt Unionsbürgern einen strikten Rechtsanspruch auf die Befristung (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – BVerwGE 151, 361 juris Rn. 22). Nach § 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf die Dauer von fünf Jahren nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU überschreiten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist in einem ersten Schritt eine an dem Gewicht des Grundes für die Verlustfeststellung sowie dem mit der Maßnahme verfolgten spezialpräventiven Zweck orientierte äußerste Frist zu bestimmen. Hierzu bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Verlustfeststellung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 – BVerwGE 151, 361 juris Rn. 27). Diese ermittelte Frist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK) und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) messen und gegebenenfalls relativieren lassen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles nach der Gewichtung der jeweiligen Belange vorzunehmen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 28). Das Bundesverwaltungsgericht geht nunmehr auch hinsichtlich der Dauer der Frist von einer gebundenen Verwaltungsentscheidung aus, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 29). Die Befristungsentscheidung ist auf der Grundlage der aktuellen Tatsachengrundlage zu treffen und hierbei ist auch das Verhalten des Unionsbürgers nach der Ausweisung zu würdigen (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 31).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die vom Beklagten getroffene Befristungsentscheidung von vier Jahren nach Auffassung der Kammer rechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die zahlreichen einschlägigen Straftaten des Klägers sowie die von ihm ausgehende Wiederholungsgefahr in Relation zu seinen familiären Beziehungen in Deutschland gesetzt und zutreffend gewichtet.
Zu Lasten des Klägers sprechen die mehrfachen einschlägigen strafrechtlichen Verurteilungen. Auch die Verurteilungen bzw. Haftstrafen in Kroatien konnten ihn nicht zum Umdenken bewegen.
In der Gesamtschau hält die Kammer eine Befristung der Wirkungen der Verlustfeststellung auf vier Jahre im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK für sachgerecht. Das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlichen Sperrwirkungen überwiegt die persönlichen Interessen des Klägers. Die Frist ist angesichts der derzeit vom Kläger ausgehenden Gefahr auch deshalb angemessen, weil die Sperrfrist, wenn dies aufgrund einer Veränderung der Prognosegrundlagen gerechtfertigt ist, auf Antrag oder von Amts wegen zu verkürzen ist. Einer positiven Entwicklung des Unionsbürgers nach Erlass der Verlustfeststellung, etwa durch eine erfolgreiche Therapie, kann demnach durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris).
3. Die verfügte Abschiebungsandrohung mit Ausreisefrist findet ihre rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
4. Da sich die Verlustfeststellung als rechtmäßig erweist, kommt der – ausweislich der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids – lediglich „hilfsweise“ verfügten Ausweisung vorliegend demnach keine eigenständige Regelungswirkung (und demnach auch kein Rechtsschein einer über die Verlustfeststellung hinausgehenden Regelung) zu, so dass es insoweit am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn die Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist bei Unionsbürgern an die Stelle der Ausweisung getreten (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 18/14 -BVerwGE 151, 361).
Das Aufenthaltsgesetz findet nach seinem § 1 Abs. 2 Nr. 1 grundsätzlich keine Anwendung auf Unionsbürger, zu denen der Kläger als kroatischer Staatsangehöriger zählt. Die Ausnahmen hiervon sind in § 11 FreizügG/EU geregelt. Dort sind die Vorschriften über die Ausweisung weder ausdrücklich genannt, noch ergibt sich ihre Anwendung aus der Begünstigungsklausel in § 11 Abs. 1 Satz 11 Frei-zügG/EU. Diese Bestimmung will eine Schlechterstellung von Unionsbürgern gegenüber Drittausländern vermeiden. Die Anforderungen an die Aberkennung des Aufenthaltsrechts nach § 6 FreizügG/EU bieten aber Unionsbürgern nicht weniger, sondern mehr Schutz als die Regelungen des Ausweisungsrechts nach §§ 53 ff. AufenthG. Der Rückgriff auf das allgemeine Ausweisungsrecht ist auch nicht über die Bestimmung in § 11 Abs. 2 FreizügG/EU eröffnet. Danach findet das Aufenthaltsgesetz dann Anwendung, wenn die Ausländerbehörde das Nichtbestehen oder den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt hat, sofern das Freizügigkeitsgesetz keine besonderen Regelungen trifft. Zur Aberkennung des Aufenthaltsrechts selbst hat der Gesetzgeber aber in Umsetzung von Art. 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG mit Art. 6 FreizügG/EU abschließende Sonderregelungen getroffen. Daneben ist kein Raum mehr für eine flankierende Anwendung des für Drittstaatsangehörige geltenden allgemeinen Ausweisungsrechts (vgl. VG Regensburg, U.v. 9.4.2013 – RO 9 K 12.1006 – juris m.w.N. nachfolgend, BayVGH, B.v. 19.11.2014 – 19 ZB 13.1026 – AuAS 2015, 16).
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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