Handels- und Gesellschaftsrecht

Abberufung eines Aufsichtsratsmitgliedes

Aktenzeichen  HRB 40823 (Fall 37)

Datum:
21.10.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 134624
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AktG § 103 Abs. 3 S. 3

 

Leitsatz

1. Zwar muss ein Aufsichtsrat bei öffentlichen Äußerungen über die Gesellschaft und deren Organe zurückhaltend sein und unterliegt einem gewissen Mäßigungsgebot. Die Äußerung, eine Entscheidung des Vorstands sei für ihn nicht nachvollziehbar, überschreitet diese Grenze jedoch nicht, da sie sich im Rahmen sachlicher Kritik bewegt und nicht herabwürdigend ist. Gleiches gilt für die Aussage, er wäre – eine Nichtinformation durch den Vorstand unterstellt – hierüber bitter enttäuscht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gerichtliche Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds, welches gleichzeitig auch  Gemeinderatsmitglied ist, kann nicht auf dessen Abstimmungsverhalten im Gemeinderat zu Lasten der Gesellschaft gestützt werden. Eine Verpflichtung, im Gemeinderat die (mutmaßlichen) Interessen der Gesellschaft zu vertreten, besteht nicht, sondern er ist insoweit als gewählter Vertreter zur Wahrung der Interessen der Gemeinde verpflichtet. (redaktioneller Leitsatz)
3. Es besteht keine Verpflichtung des Aufsichtsratsmitglieds, welches gleichzeitig Gemeinderatsmitglied ist, im Vorfeld die Gesellschaft über eine geplante Beschlussfassung zur Bauleitplanung zu informieren. Sämtliche Entscheidungen werden in öffentlicher Sitzung getroffen. Insofern hat die Gesellschaft, insbesondere der Vorstand im Rahmen seiner Pflichten zur Leitung der Geschäfte, während dieses gesamten Prozesses die Möglichkeit, sich über den Fortgang zu informieren und ggf. die Interessen der Gesellschaft zu vertreten. (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Aufsichtsratsmitglied ist nicht verpflichtet, ohne vorherige ausreichende Information und die Übersendung geeigneter Unterlagen zu Aufsichtsratssitzungen „zur Diskussion“ zu erscheinen, insbesondere, wenn die Sitzungen nicht am Sitz der Gesellschaft durchgeführt werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag der Ko… AG vom 20.06.2016 auf Abberufung des Aufsichtsrats … S… wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
3. Der Geschäftswert wird auf 60.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag ist zulässig.
Am 19.04.2016 erfolgte im elektronischen Bundesanzeiger die Bekanntmachung nach § 20 Abs. 1 AktG, dass der Ko… AG als Antragstellerin mehr als 25 % der Aktien der Ka… gehören. Das Gericht hat an der Richtigkeit dieser Mitteilung keinen begründeten Zweifel.
Gem. § 103 Abs. 3 S. 3 AktG besteht daher eine Antragsbefugnis der Antragstellerin.
2. Ein wichtiger Grund gem. § 103 Abs. 3 S. 1 AktG zur Abberufung des Aufsichtsrats S… liegt nicht vor.
a) Verhalten gegenüber dem Vorstand
Die Antragstellerin gründet ihren Abberufungsantrag u.a. darauf, dass der Antragsgegner sich gegenüber der Presse herabwürdigend und herablassend über die Arbeit des Vorstands geäußert habe.
Aus den vorgelegten Artikeln ergeben sich solche Äußerungen nicht. Nicht jede Kritik ist herablassend oder herabwürdigend. Soweit sich aus den Artikeln ergibt, dass der Antragsgegner eine Entscheidung des Vorstands als für ihn nicht nachvollziehbar bezeichnet haben soll, bewegt sich dies im Rahmen sachlicher Kritik und ist nicht herabwürdigend. Gleiches gilt für die Aussage, er wäre – eine Nichtinformation durch den Vorstand unterstellt – hierüber bitter enttäuscht.
Zwar muss ein Aufsichtsrat bei öffentlichen Äußerungen über die Gesellschaft und deren Organe zurückhaltend sein und unterliegt einem gewissen Mäßigungsgebot, die genannten Äußerungen bewegen sich aber aus Sicht des Gerichts noch in dem insoweit zulässigen Rahmen.
b) Verhalten gegenüber dem Aufsichtsrat
aa) Klage gegen Aufsichtsratsbeschlüsse vom 23.02.2016
Fälle, die unter § 11 Abs. 2 der Satzung der Gesellschaft fallen würden, waren nach Aktenlage nicht betroffen.
bb) Weitergabe Infos an den Markt M…, Abstimmungsverhalten
Ein satzungsmäßig garantiertes Entsendungsrecht für ein Aufsichtsratsmitglied, wie im vorliegenden Fall Herrn S…, soll dem Entsendungsberechtigten gerade eine Einfluss- und Einbringungsmöglichkeit im Aufsichtsrat garantieren. Insoweit ist eine Interessenvertretung durch die Satzung statuiert. Die Weitergabe von Informationen sieht das Gesetz in § 394 AktG im Übrigen auch vor, der die entsprechenden Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gebietskörperschaft zumindest teilweise von der Verschwiegenheitspflicht befreit. Dies soll der Gebietskörperschaft ermöglichen, ihre Rechte als Aktionär der Gesellschaft wahrzunehmen und auf die Geschäftsführung der Gesellschaft im wohlverstandenen Interesse der Körperschaft einzuwirken. Eine konkrete Weitergabe von Informationen über eine solche Berichtspflicht hinaus ergibt sich für das Gericht nicht.
Vorliegend ist weiterhin zu beachten, dass dem Antragsgegner von der Antragstellerin nicht sein Abstimmungsverhalten als Aufsichtsrat (bei dem er die Interessen der Gesellschaft zu beachten hat), sondern sein Abstimmungsverhalten als Gemeinderat vorgeworfen wird. Hierbei ist der Antragsgegner aus Sicht des Gerichts als gewählter Vertreter zur Wahrung der Interessen der Gemeinde verpflichtet, so dass ihm ein bestimmtes Abstimmungsverhalten nicht vorgehalten werden kann. Eine „umgekehrte“ Verpflichtung, im Gemeinderat die (mutmaßlichen) Interessen der Gesellschaft zu vertreten, sieht das Gericht nicht. Insoweit gehen auch die von der Antragstellerin zitierten Kommentarstellen ins Leere, da diese jeweils das Abstimmungsverhalten als Aufsichtsrat betreffen.
Eine Schädigung der Gesellschaft ist im Übrigen nicht ersichtlich: Es handelt sich offensichtlich um Grundstücke, auf denen sich derzeit die Parkplätze der Ka… befinden. Durch die Aufstellung des Bebauungsplans wurde daher der bestehende Zustand bestätigt. Zwar wurde die Bahn nicht dadurch begünstigt, dass die Grundstücke zum Beispiel als Bauland ausgewiesen wurden, eine solche unterbliebene Begünstigung, auf die die Gesellschaft nach Aktenlage keinen Anspruch hatte bzw. die nicht in irgendeiner Form in rechtswidriger Weise unterblieben ist, ist jedoch gerade nicht einer Schädigung gleichzustellen.
Die Tatsache, dass Herr S… nicht im Vorfeld die Gesellschaft über die geplante Beschlussfassung informiert hat, begründet ebenfalls keinen wichtigen Grund zur Abberufung: Für die Bauleitplanung gibt es konkrete gesetzliche Vorgaben über die Beteiligung der Öffentlichkeit, sämtliche Entscheidungen werden in öffentlicher Sitzung getroffen, Insofern hatte die Gesellschaft, insbesondere der Vorstand im Rahmen seiner Pflichten zur Leitung der Geschäfte, während dieses gesamten Prozesses die Möglichkeit, sich über den Fortgang zu informieren und ggf. die Interessen der Gesellschaft zu vertreten.
cc) Weitergabe von Informationen im Rechtsstreit Se… bzw. G…:
Es kann dahinstehen, ob der Antragsgegner die aus seiner Sicht vorliegende Nichtigkeit der Beschlüsse des Aufsichtsrats vom 23.02.2016 vor Erhebung der Feststellungsklage gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden gerügt hat.
Jedenfalls stellt eine solche Rüge keine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Feststellungsklage dar. Davon geht offensichtlich auch das Landgericht München II in dem entsprechenden Urteil … aus.
Die Geltendmachung zulässiger Rechtsmittel stellt im Übrigen offensichtlich keinen wichtigen Grund für die Abberufung eines Aufsichtsrats dar.
bb) Fernbleiben bei Sitzungen
Das Gesetz sieht die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds durch das Gericht nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vor. Ein wichtiger Grund sind dabei nicht bloße Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten im Aufsichtsrat.
Zwar kann ein wichtiger Grund auch das Fernbleiben eines Aufsichtsratsmitglieds von Sitzungen sein, sofern es auf eine offensichtliche Boykotthaltung des entsprechenden Aufsichtsratsmitglieds schließen lässt. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Der Antragsgegner hat zur Frage der Teilnahme an den einzelnen Sitzungen fundiert Stellung genommen. Soweit er nicht an diesen teilgenommen hat, hat er sich nachvollziehbar wegen Urlaubs oder beruflicher Verpflichtungen bei kurzfristiger Ladung entschuldigt. Ein Aufsichtsratsmitglied ist auch nicht verpflichtet, ohne vorherige ausreichende Information und die Übersendung geeigneter Unterlagen zu Sitzungen „zur Diskussion“ zu erscheinen, umso mehr, wenn die Sitzungen nicht am Sitz der Gesellschaft durchgeführt werden. Dass im Vorfeld in der Regel keine Unterlagen übersandt wurden, ergibt sich auch aus den Stellungnahmen der Antragstellerin.
Da dem Antragsgegner auch keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern St… und Se… zustand/zusteht, ist der Vorwurf der Erteilung von Anweisungen an diese nicht nachvollziehbar.
c) Schädigung der Gesellschaft
aa) Nicht gefasste Beschlüsse
Wie dargelegt, stellt die dem Antragsgegner von der Antragstellerin vorgeworfene Nichtteilnahme an einzelnen Aufsichtsratssitzungen keinen wichtigen Grund für seine Abberufung dar. Entsprechend gilt dies auch für den Vorwurf, es hätten bestimmte Beschlüsse nicht gefasst werden können.
Unabhängig davon, dass die tatsächliche Entscheidungsfindung und Beschlussfassung im Aufsichtsrat durch das Gericht bei der entsprechenden Entscheidung nicht vorweggenommen werden könnte, handelt es sich bei den von der Antragstellerin vorgetragenen Beschlussgegenständen nach Einschätzung des Gerichts um Fragen der Geschäftsleitung. Diese ist nach § 76 AktG allein Sache des Vorstands, so dass eine Beschlussfassung des Aufsichtsrats hierüber bereits nicht zulässig sein dürfte, diese jedenfalls aber keine Handlungsvoraussetzung für Entscheidungen des Vorstands wären.
Soweit sich die Antragstellerin auf die Vorlage des Urteils des Landgerichts München II, Az. 1 HKO 1441/16 bezieht, so ist für das Gericht in keiner Weise nachvollziehbar, dass Herr Se… oder Herr G… bzw. ihre Anwälte das Urteil vom Antragsgegner erhalten haben. Es handelt sich dabei nicht um eine exklusive Information des Antragsgegners.

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