Handels- und Gesellschaftsrecht

Keine Verwaltungsrechtswegseröffnung für Klagen im Rahmen jugendhilferechtlicher Dreiecksverhältnisse, die auf dem privatrechtlichen Verhältnis zwischen Leistungserbringer und leistungsberechtigtem Hilfeempfänger beruhen

Aktenzeichen  M 18 K 15.4691

Datum:
11.10.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150160
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
GVG § 17a Abs. 2
SGB VIII § 78b
SGB XII § 75 Abs. 3
BSHG § 93 Abs. 2
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 67 Abs. 2, Abs. 4
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Für Forderungen aus einem Schuldbeitritt des Jugendhilfeträgers (durch Bewilligung der Kostenübernahme) im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis ist der Zivilrechtsweg eröffnet. (Rn. 10 und 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Landgericht München I verwiesen.

Gründe

I.
Die Klägerin ist eine Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt verschiedene Einrichtungen, darunter die Einrichtung … (Clearinggruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge). Die Einrichtung, die zwölf Plätze umfasst, wurde am … Januar 2015 eröffnet. Die Klägerin übersandte an die Beklagte am 20. Februar 2015 den Entwurf einer Entgeltvereinbarung mit einem Tagessatz von 205,41 Euro. Der vorgeschlagene Tagessatz wurde von der Beklagten nicht akzeptiert. Unter dem 2. Juli 2017 teilte der Leiter der Abteilung „…“ mit, dass bis zum Abschluss einer Entgeltvereinbarung ein vorläufiger Tagessatz von 164,33 Euro je Platz und Tag gelte.
Mit Schriftsatz vom … Oktober 2015 reichten die Bevollmächtigten der Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht München auf Zahlung einer Gesamtsumme von 454.113,74 Euro ein. Die Summe setzt sich aus 118 monatsweise aufgegliederten Einzelbeträgen für den Zeitraum vom 13. Januar 2015 bis Ende September 2015 zusammen. Der Zahlungsverweigerung der Beklagten lag die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wegen einer möglichen Rückforderungssumme i.H.v. 1,39 Mio. Euro und die fehlende Auskunftserteilung hinsichtlich des vorgeschriebenen Personaleinsatzes zugrunde.
Aufgrund des gerichtlichen Beschlusses vom 2. November 2015 (M 18 E 15.4692) hat die Beklagte an die Klägerin 222.556,- Euro ausbezahlt. Darüber hinaus leistete die Beklagte mit Zahlungseingang vom 23. November 2015 eine Nachzahlung für die Monate Januar bis Oktober 2015 i.H.v. 212.628,28 Euro. Mit Schriftsatz vom … September 2017 reduzierte die Klägerin die Klagesumme auf 45.398,20 Euro und forderte Prozesszinsen hinsichtlich der gerichtlich angeordneten vorläufigen Zahlung. Hinsichtlich der Teilzahlung erklärten die Klägerbevollmächtigten den Rechtstreit für erledigt.
Nach Hinweis des Gerichts auf eine zu erörternde Verweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit beantragten die Klägerbevollmächtigten unter dem …. Oktober 2017 die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht München I; während die Beklagtenvertreter den Verwaltungsrechtsweg nach wie vor für gegeben ansehen.
Die Frage der Rechtswegeröffnung wurde in der mündlichen Verhandlung am 11. Oktober 2017 mit den Parteien erörtert.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist für die vorliegende Streitigkeit nicht eröffnet.
Nach Anhörung der Parteien – in der mündlichen Verhandlung – war der Rechtsstreit daher nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das Landgericht München I zu verweisen.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine solche Streitigkeit ist vorliegend jedoch nicht gegeben, sondern vielmehr eine zivilrechtliche.
Mit der Klage macht die Klägerin Ansprüche im Rahmen von sozialrechtlichen bzw. jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnissen geltend.
Im jugendrechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen dem Jugendhilfeträger, dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer liegt zwischen dem leistungsberechtigten Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer regelmäßig ein privatrechtlicher Vertrag vor, dem der Jugendhilfeträger durch Bewilligung der Kostenübernahme im Rahmen der bewilligten Maßnahme als weiterer Schuldner beitritt. Durch diesen Schuldbeitritt mittels privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt, durch den der Leistungserbringer zugleich einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Jugendhilfeträger erwirbt, wandelt sich die zivilrechtliche Schuld aus dem zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer geschlossenen (Dienst-)Vertrag nicht in eine öffentlichrechtliche um. Denn ein Schuldbeitritt teilt seinem Wesen nach die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers, zu der er erklärt wird. (vgl. BGH v. 31.3.2016, III ZR 267/15 – juris, Rn. 20 ff.; BayVGH v. 21.4.2017 12 ZB 17.1 – juris, Rn. 2).
Auf einen solchen Schuldbeitritt ist auch die klägerische Forderung gegründet, es ist also der Zivilrechtsweg eröffnet.
An dieser Einschätzung würde auch eine geschlossene Leistungsvereinbarung und eine Entgeltvereinbarung nach § 78b SGB VIII nichts ändern (a.A. wohl OVG NRW v. 16.9.2011, 12 A 2308/10 – juris, Rn. 29 ff., ohne jedoch die Frage weiter zu problematisieren).
Zwar handelt es sich bei Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII um öffentlichrechtliche Verträge. Gegenstand dieser Vereinbarungen ist aber nicht die Beschaffung von Dienstleistungen gegen ein Entgelt, sondern die Klärung der Bedingungen für die Leistungsabwicklung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis im Einzelfall ( vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 78b, Rn. 7). Eine Vereinbarung nach § 78b SGB VIII führt also nicht dazu, dass der Anspruch des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger aus dem jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis herausverlagert wird. Der Anspruch des Leistungserbringers resultiert nicht aus dem öffentlichrechtlichen Vertrag, sondern weiterhin aus dem Schuldbeitritt im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis. Die Vereinbarungen beeinflussen („überlagern“) lediglich das privatrechtliche Erfüllungsverhältnis als zivilrechtliche Seite des sozialrechtlichen Dreiecks (vgl. BGH v. 31.3.2016 a.a.O. Rn. 18, zu Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII). Dadurch ändert sich aber nichts daran, dass der Schuldbeitritt des Jugendhilfeträgers zum zivilrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen Hilfeberechtigten und Leistungserbringer Grundlage des geltend gemachten Anspruchs des Leistungserbringers gegen den Jugendhilfeträger bleibt.
Auch die von der Beklagten im Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 4. Oktober 2017 genannten höchstrichterlichen Entscheidungen (BGH v. 12.11.1991 BGHZ 116, 339; BVerwG v. 30.9.1993 BVerwG 94, 202) rechtfertigen nicht die Annahme der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, da sie keinen vergleichbaren Sachverhalt behandeln. Die beiden Entscheidungen betreffen die Klassifizierung von Pflegesatzvereinbarungen im Sinne von § 93 Abs. 2 BSHG als öffentlichrechtliche Verträge. Zur hier maßgeblichen Rechtsfigur des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses verhalten sich diese Entscheidungen indessen nicht. Letzteres gilt gleichermaßen für die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (v. 19.5.1994 BVerwG 96, 71) sowie des BayVGH (v. 14.9.2017, 12 CE 17.433 – bislang nicht veröffentlich).
Nach alledem ist für die vorliegende Streitigkeit nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet. Zuständig ist das Landgericht München I.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben