Handels- und Gesellschaftsrecht

Rechtsschutzversicherung: Kostendeckung für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens in einer Arzthaftungssache

Aktenzeichen  25 U 4236/16

Datum:
30.6.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 135281
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 28, § 82
BGB § 166, § 278

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit gemäß § 82 VVG liegt nicht allein darin, dass der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung in einer Arzthaftungssache ein selbständiges Beweisverfahren einleitet, obwohl der Antragsgegner dieses Verfahrens eine gütliche Einigung von vornherein abgelehnt und betont hat, er werde ihm ungünstige Ausführungen eines Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren nicht hinnehmen, sondern weiterhin aus seiner Sicht unbegründete Ansprüche des Antragstellers zurückweisen. Auch bei einem nicht vergleichsbereiten Gegner kann ein selbständiges Beweisverfahren durchaus geeignet sein, zur Vermeidung eines Rechtsstreits beizutragen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Versicherungsnehmer hat im Rahmen einer – hier unterstellten – Verletzung des objektiven Tatbestands einer Obliegenheit nicht für das Verschulden seines Rechtsanwalts einzustehen. Eine Zurechnung von Anwaltsverschulden scheidet von vornherein aus, der Rechtsanwalt ist auch nicht Repräsentant des Versicherungsnehmers oder dessen Wissensvertreter oder Wissenserklärungsvertreter (so auch BGH BeckRS 2003, 04932). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 O 4294/15 Ver 2016-09-16 Endurteil LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16.09.2016, Az. 10 O 4294/15 Ver, aufgehoben.
1.1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in erster Instanz im selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht München I mit dem Az. 9 OH 8933/15 in Sachen „P ./. Frauenklinik Dr. G Gmbh u.a.“ bedingungsgemäß Deckung aus dem mit der Beklagten geschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag (Schadennummer 85822X12/16) für Ansprüche mit einem Schadenswert in Höhe von € 319.145,45 zu gewähren.
1.2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vom RVG-Anwaltskostenbetrag in Höhe von 1.872,35 € gemäß der anwaltlichen Mahnung samt Klageentwurf vom 14.08.2015 in Sachen „P ./. D Rechtschutz-Versicherungs AG“ (Anlage K 20) zu befreien.
1.3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vom Gutachterkostenvorschuss in Höhe von 3.000,00 € gemäß Beweisbeschluss des LG München I vom 21.07.2015 in Sachen „P ./. Frauenklinik Dr. G Gmbh u.a.“/VAz. 9 OH 8933/15″ zu befreien.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 25.266,95 € festgesetzt.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin kann ihren Anspruch zwar nicht auf eine Deckungszusage der Beklagten bezüglich der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens stützen (II.1.), sie hat jedoch einen Anspruch auf Deckung der Kosten eines solchen Verfahrens durch die Beklagte (II.2.), weshalb ihr auch ein Anspruch auf Befreiung von den vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten (II.3.) zusteht. Selbst bei Annahme eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 82 VVG wäre der Klägerin ein etwaiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nicht zuzurechnen, ein eigenes Verschulden der Klägerin vermag der Senat nicht zu erkennen (II.4.). Soweit der Senat in Ziff. 1.1. eine vom Berufungsantrag abweichende Tenorierung gewählt hat, beruht dies darauf, dass mit diesem Antrag letztlich die Feststellung begehrt wird, die Beklagte sei zur Gewährung von Versicherungsschutz verpflichtet (vgl. BGH, VersR 2016, 1184, Rdz. 16, zit. nach juris).
II.1. Soweit die Klägerin meint, in der E-Mail vom 06.01.2015 (Anlage K 1) sei eine Deckungsanfrage bezüglich der Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens zu sehen, folgt der Senat dem nicht. Aus der Vorlage des Schreibens an den Haftpflichtversicherer der Frauenklinik Dr. G GmbH und des Dr. T F vom selben Tag ergibt sich allenfalls, dass die Klägerin dem Haftpflichtversicherer die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vorgeschlagen hat. Aus der verklausulierten Formulierung „… und gehen davon aus, dass Sie hiergegen keine Einwände haben“, ergibt sich nicht hinreichend deutlich, dass die Klägerin bereits mit diesem Schreiben Deckungsschutz für ein solches Verfahren von der Beklagten begehrt. Bereits aus diesem Grund kann im Schreiben der Beklagten vom 22.04.2015 (Anlage K 16) keine Deckungszusage für ein selbständiges Beweisverfahren gesehen werden. Zwar hat die Klägerin im Rahmen der von ihr erhobenen Vorstandsbeschwerde vom 27.02.2015 (Anlage K 14) eine solche Deckungsanfrage gestellt, nachdem die Klägerin aber bestreitet, die im Schreiben der Beklagten vom 22.04.2015 angekündigte Deckungszusage selbst (das Schreiben der Beklagten vom selben Tag; Anlage B 12, Blatt 2) erhalten zu haben, ist ihr zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Deckungszusage zugegangen, welche der von der Klägerin gewünschten Auslegung zugänglich wäre. Aus dem Anschreiben vom 22.04.2015 (Anlage K 16, Blatt 1) ergeben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die angekündigte Deckungszusage auf ein selbständigens Beweisverfahren beziehen könnte. Dagegen spricht bereits die Aufforderung im letzten Absatz, der Beklagten zur gegebenen Zeit die eingereichte Klageschrift nebst gerichtlicher Kostenfestsetzung und gegnerischer Erwiderung zu überlassen.
II.2. Die Klägerin hat indessen Anspruch auf Übernahme der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens. Der Senat hat im vorliegenden Fall keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens, nachdem Gegenstand dieses Verfahrens auch die von der Klägerin behaupteten Behandlungsfehler waren und die hierfür zuständige Arzthaftungskammer des Landgerichts München I dem Beweisantrag gemäß Beschluss vom 21.07.2015 (Anlage K 3) auch entsprochen hat. Einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 82 VVG vermag der Senat bei unterstellter Anwendbarkeit dieser Norm im Bereich der Rechtsschutzversicherung nicht zu erkennen. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts war es nicht höchst unwahrscheinlich, dass durch ein solches selbständiges Beweisverfahren ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren hätte vermieden werden können. Dies gilt auch in der vorliegenden Verfahrenskonstellation, wonach sich unstreitig in den Behandlungsunterlagen keine von der Klägerin unterschriebene OP-Aufklärungsdokumentation befindet und dieser Punkt möglicherweise erst in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden kann (vgl. Ziff. IV des Beweisbeschlusses des LG München I vom 21.07.2015 im Verfahren 9 OH 8933/15; Anlage K 3, S.3), denn der Ausgang des selbständigen Beweisverfahrens war bezüglich der weiteren Punkte völlig offen, so dass je nach Ausgang dieses Verfahrens auch ein Verzicht auf eine Klage im Hauptsacheverfahren, ein Anerkenntnis des Gegners oder ein Vergleich nicht von vornherein ausgeschlossen waren. Demgemäß ist gemäß § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO ein rechtliches Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Bei der Prüfung des rechtlichen Interesses ist ein großzügiger Maßstab anzulegen (Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 485 ZPO, Rn. 7 a). Der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner eine gütliche Einigung von vornherein abgelehnt und betont hat, er werde ihm ungünstige Ausführungen eines Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren nicht hinnehmen, sondern weiterhin aus seiner Sicht unbegründete Ansprüche des Antragstellers zurückweisen. Auch bei einem nicht vergleichsbereiten Gegner kann ein selbständiges Beweisverfahren durchaus geeignet sein, zur Vermeidung eines Rechtsstreits beizutragen. Besteht die Möglichkeit, dass das Ergebnis der nachgesuchten Beweisaufnahme keine ausreichende Grundlage für die Verfolgung von Ansprüchen bietet, so ist auch damit zu rechnen, dass der Antragsteller unter Umständen von einer Klageerhebung absehen wird. Schon dies reicht aus, ein rechtliches Interesse des Antragstellers i.S.v. § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO anzunehmen(vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 13. Mai 1999 – 1 W 125/99, juris).
II.3. Der Anspruch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgt aus §§ 288, 286, 280 Abs. 2 BGB.
II.4. Bei einem unterstellten Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 82 VVG wäre gemäß § 82 Abs. 3 VVG weitere Voraussetzung einer vollständigen bzw. teilweisen Leistungsfreiheit der Beklagten, dass die Klägerin eine solchen Verstoß vorsätzlich bzw. grob fahrlässig begangen hätte, bzw. sich ein entsprechendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müsste. Dafür, dass die Klägerin vorsätzlich bzw. grobfahrlässig gehandelt hat, bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte. Es handelt sich, wie bereits die divergierenden Standpunkte der Parteien verdeutlichen, um eine schwierige Rechtsfrage, welche die Klägerin als juristischer Laie wohl schwerlich zutreffend beurteilen konnte.
Eine Zurechnung eines etwaigen Verschuldens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist nach Auffassung des Senats nicht möglich. Der Senat schließt sich der Auffassung von Wendt (vgl. r+s 2010, 221 ff, 230, Kapital V Ziff. 3) an, wonach eine Zurechnung von Anwaltsverschulden über § 278 BGB nach ständiger Rechtsprechung des BGH im Rahmen der §§ 6 und 61 VVG sowie vergleichbarer Regelungen von vornherein ausscheidet, der Rechtsanwalt auch nicht Repräsentant des Rechtsschutzversicherungsnehmers bzw. dessen Wissensvertreter bzw. Wissenserklärungsvertreter ist und auch andere Zurechnungsgrundlagen nicht in Betracht kommen (Wendt a.aO. m.w.N.).
Im Übrigen würde der Senat selbst bei einem objektiven Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin Vorsatz bzw. grobe Fahrlässigkeit nicht bejahen. Dieser hat bezüglich der Frage, ob die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens im konkreten Fall sinnvoll erscheint und grundsätzlich geeignet ist, ein späteres Hauptsacheverfahren zu vermeiden, einen weiten Ermessensspielraum, der im vorliegenden Fall jedenfalls nicht vorsätzlich bzw. grob fahrlässig überschritten wurde.
III. Nebenentscheidungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 GKG.

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