Handels- und Gesellschaftsrecht

Streit über die Rückerstattung eines Reisepreises nach dem Rücktritt vom Pauschalreisevertrag

Aktenzeichen  159 C 13380/20

Datum:
27.10.2020
Fundstelle:
RRa – 2021, 85
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 346, § 651h

 

Leitsatz

Die Covid-19-Pandemie kann grundsätzlich als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand zu bewerten sein, der die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt. Allein die Tatsache der Pandemie reicht nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht aus, um jeglichen Rücktritt von allen Pauschalreisen zu jedem Zeitpunkt ohne Anfall von Entschädigungszahlungen zuzulassen. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Hierbei sind neben dem Reiseziel und den Umständen vor Ort auch Einreise- und Quarantänebestimmungen zu berücksichtigen. Ein starkes Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung sind die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes. (redaktioneller Leitsatz)
1. Die Covid-19-Pandemie kann grundsätzlich als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand zu bewerten sein, der die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt. Allein die Tatsache der Pandemie reicht nicht aus, um jeglichen Rücktritt von allen Pauschalreisen zu jedem Zeitpunkt ohne Anfall von Entschädigungszahlungen zuzulassen. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Hierbei sind neben dem Reiseziel und den Umständen vor Ort auch Einreise- und Quarantänebestimmungen zu berücksichtigen. Ein starkes Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung sind die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen von § 651 h Abs. 3 BGB kommt es auf eine Prognoseentscheidung an. Es ist zu prüfen, inwieweit die konkrete Reise aus einer ex-ante Betrachtung heraus erheblich beeinträchtigt sein wird. Bloße Unwohl- und Angstgefühle des Reisenden reichen nicht aus. Spätere Ereignisse können die ex-ante Beurteilung nicht nachträglich ändern.   (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 0,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.08.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 568,00 € festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die Klage ist zulässig aber überwiegend unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Amtsgericht München für die Klage örtlich zuständig.
Die internationale und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München ergibt sich aus Art. 24 LugÜ. Die Beklagte hat sich auf das Verfahren eingelassen, indem Klageabweisung beantragt und auf die Klage erwidert wurde. Ein Hinweis auf die eigentlich gegebene Unzuständigkeit des Gerichts (siehe Art. 16 Abs. 1 LugÜ) ist im Gegensatz zu § 39 Satz 2 ZPO nicht erforderlich (Zöller, Anh I, Art. 26 EuGVVO, Art. 24 LugÜ).
II.
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises gemäß §§ 346 Abs. 1, 2, 651 h Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB lediglich in Höhe von 0,80 € zu. Hinsichtlich eines darüber hinaus gehenden Betrages war die Klage als unbegründet abzuweisen.
1. Die Klagepartei ist vor Reisebeginn vom Reisevertrag zurückgetreten. Dieses Rücktrittsrecht steht dem Reisenden vor Reisebeginn grundsätzlich jederzeit zu (§ 651 h Abs. 1 Satz 1 BGB). Folge des Rücktritts des Reisenden vor Reisebeginn ist, dass der Reiseveranstalter seinen Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verliert (§ 651 h Abs. 1 Satz 2 BGB). Gemäß § 651 h Abs. 1 Satz 3 BGB kann der Reiseveranstalter dann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Dies gilt nach § 651 h Abs. 3 BGB aber nicht, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Nach § 651 h Abs. 3 Satz 2 BGB sind Umstände dann unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
Die Covid-19-Pandemie kann grundsätzlich als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand zu bewerten sein, der die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt. Allein die Tatsache der Pandemie reicht nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht aus, um jeglichen Rücktritt von allen Pauschalreisen zu jedem Zeitpunkt ohne Anfall von Entschädigungszahlungen zuzulassen. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Hierbei sind neben dem Reiseziel und den Umständen vor Ort auch Einreise- und Quarantänebestimmungen zu berücksichtigen. Ein starkes Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung sind die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes (Führich, NJW 2020, 2137 (2138)).
Im Rahmen von § 651 h Abs. 3 BGB kommt es auf eine Prognoseentscheidung an (BeckOK, § 651 h BGB, Rz. 47; Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 24; Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314 (315)). Es ist zu prüfen, inwieweit die konkrete Reise aus einer ex-ante Betrachtung heraus erheblich beeinträchtigt sein wird. Bloße Unwohl- und Angstgefühle des Reisenden reichen nicht aus (Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 25).
Spätere Ereignisse können die ex-ante Beurteilung nicht nachträglich ändern (Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314 (315); Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 24; anders BeckOK, § 651 h BGB, Rz. 47). Allein die Tatsache, dass der Reiseveranstalter die Reise nicht hat durchführen können, führt demnach nicht zwingend dazu, dass ihm kein Anspruch auf Entschädigung zusteht. Allenfalls die Höhe des Entschädigungsanspruchs mag davon betroffen sein, da der Reiseveranstalter eventuell auf Grund des Ausfalls der Reise weniger Aufwendungen getätigt hat. Die Höhe des Anspruchs muss im Zeitpunkt des Rücktritts feststehen. Nach § 651 h Abs. 5 BGB ist der Reiseveranstalter verpflichtet innerhalb von 14 Tagen den Reisepreis zurückzuerstatten. Käme es auf die zukünftige Entwicklung an, könnte ein zunächst nicht begründeter Anspruch im Laufe der Zeit begründet werden. Das kann nicht richtig sein.
Einen bestimmten Zeitpunkt vor Reisebeginn zu benennen, ab dem eine Stornierung ohne Kosten für den Reisenden grundsätzlich möglich ist, ist nach Auffassung des Gerichts auf Grund der Vielzahl an Fallgestaltungen nicht möglich. Führich (NJW 2020, 2137 (2139)) schlägt als Anhaltspunkt eine Frist von 4 Wochen vor Reisebeginn vor, weist jedoch auch darauf hin, dass dies lediglich eine Empfehlung sei. Aus dem Gesetz würde sich keine Rücktrittsfrist ergeben. Auf der anderen Seite vertritt Prof. Dr. K. T. in seinem Gutachten von April 2020 für den Bundesverband der Verbraucherzentrale die Auffassung, dass alle Reisen bis Ende August 2020 kostenlos storniert werden könnten. Insoweit stimmt das Gericht jedoch Führich zu, dass diese Auffassung zu pauschal sein dürfte und sich allenfalls auf die Aussage von Politikern stützt, die im Frühjahr 2020 ein Interesse daran hatten, zur Eindämmung der Pandemie den Reiseverkehr im Sommer 2020 zurückzufahren (Führich, NJW 2020, 2137 (2140)).
Die sogenannte „Hurrikan Entscheidung“ des BGH (BGH, Urteil vom 15.10.2002 – X ZR 147/01 (Frankfurt a. M)) lässt sich auf die Corona-Pandemie nach Auffassung des Gerichts nicht übertragen. Es kann daher nicht der Rückschluss gezogen werden, dass eine Wahrscheinlichkeit von 20 % für eine bestehende Reisewarnung im Reisezeitraum ausreichend ist. Anders als bei der „Hurrikan Entscheidung“, bei der nach dem Sachvortrag feststand, dass wissenschaftlich davon ausgegangen wurde, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 4 der Hurrikan an dem Urlaubsort auftreten werde, gibt es für die Corona Pandemie keine wissenschaftlichen Aussagen darüber, wann, wo und in welchem Umfang die Pandemie ausbrechen wird. Auch ist die Wahrscheinlichkeit für schwerwiegende Verletzungen des Reisenden bei einem Hurrikan wesentlich höher als bei dem Vorliegen von 50 Erkrankungen an COVID 19 auf 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen, was regelmäßig zu einer Reisewarnung führt. Auch der BGH hat in seiner „Hurrikan Entscheidung“ bereits darauf hingewiesen, dass „sich die Frage, von welchem Gefährdungsgrad an eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist und damit eine Hinweispflicht besteht, nicht in Form einer festen Größe, sondern nur fallweise unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrags beantworten“ lasse.
Gerade auch auf Grund der Dynamik des Infektionsgeschehens ist nach Auffassung des Gerichts für die Beantwortung der Frage der kostenlosen Stornierungsmöglichkeit eine Beurteilung jedes konkreten Einzelfalls erforderlich.
Im konkreten Fall ist hier Folgendes zu berücksichtigen:
Die Klägerin ist knapp 3 Monate vor Reisebeginn von der Reise zurückgetreten. Am 01.04.2020 bestand zwar eine weltweite Reisewarnung. Diese war jedoch zunächst befristet bis Ende April 2020. Auch die Einreisebeschränkungen von Dänemark waren zunächst bis zum 13.04.2020 befristet, wie sich aus den von der Klageseite vorgelegten Sicherheitshinweisen ergibt (Anlage K 9).
Gleiches gilt für die Einreisebeschränkungen von Russland, die vorerst bis 01.05.2020 galten. Damit lag im Zeitpunkt des Rücktritts für den Reisezeitraum vom 28.06.2020 bis 05.07.2020 noch keine Reisewarnung vor. Aus den Befristungen der Reisewarnungen und Einreisebeschränkungen ergibt sich, dass auch von den zuständigen Stellen eine sichere Beurteilung der Lage über diesen Zeitpunkt hinaus auf Grund der Dynamik des Geschehens nicht möglich gewesen ist.
Europa stand Anfang April 2020 noch am Beginn der Pandemie. Es waren von den einzelnen Staaten unterschiedliche erste Maßnahmen und Lockdowns verhängt worden. Es war daher nach Auffassung des Gerichts zu diesem Zeitpunkt noch in keinster Weise absehbar, wie sich die Pandemie in Europa weiter entwickeln wird.
Zwar lagen zu dieser Zeit bereits erste Erfahrungen mit Corona-Ausbrüchen auf Kreuzfahrtschiffen vor. Dennoch war Anfang April 2020 nach Auffassung des Gerichts nicht ausgeschlossen, dass drei Monate später mit einem Hygienekonzept und Testungen der Passagiere die Durchführung der Kreuzfahrt möglich gewesen wäre. Die sich aus dem Hygienekonzept ergebenden Einschränkungen wie z.B. eine Maskenpflicht würden dann keine erheblichen Einschränkungen im Sinne von § 651 h BGB darstellen.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte geht das Gericht davon aus, das bei der ex ante Betrachtung am 01.04.2020 nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass im Reisezeitraum Umstände vorliegen werden, die die Reise erheblich beeinträchtigen.
Letztlich ist auch nicht erkennbar, warum die Klägerin von sich aus von dem Vertrag zurückgetreten ist, und nicht die Entwicklung der Lage abgewartet hat. Es war damit zu rechnen, dass die Beklagte von sich aus den Vertrag storniert, soweit die Kreuzfahrt nicht stattfindet. Auch bei Rücktritt bis 30 Tage vor Reisebeginn wären nur Stornogebühren in Höhe von 20 % angefallen. Der frühzeitige Rücktritt der Klägerin spricht vielmehr dafür, dass ihr bereits zu diesem Zeitpunkt klar war, dass sie die Kreuzfahrt unter keinen Umständen wahrnehmen möchte. Dies sind aber primär bloße Unwohl- und Angstgefühle, die für eine kostenlose Stornierung gerade nicht ausreichen.
2. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Beklagtenseite geltend gemachten 20 % Stornogebühren nicht angemessen sind, liegen nicht vor und wurden von der Klageseite auch nicht vorgetragen.
Die Beklagte behält daher zu Recht 20 % des Reisepreises – mithin 399,20 € – ein.
3. 168 € wurden auf die … Reise-Rücktrittsversicherung +Urlaubsgarantie gezahlt. Eine Rechtsgrundlage für die Rückzahlung der Versicherungsleistungen nach dem Reiserücktritt durch die Klägerin ist nicht erkennbar und wurde von der Klageseite auch nicht vorgetragen.
Es verbleiben dann jedoch 0,80 € Differenz zur Anzahlung der Klägerin (568 € – 399,20 € – 168 €). In diesem Umfang ist die Klage begründet.
III.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 291, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Forderung, in dessen Höhe die Beklagte unterliegt, ist verhältnismäßig geringfügig und verursacht keine höheren Kosten.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO. Aufgrund der Vielzahl an ähnlich gelagerten Fällen mit der stets gleichen Fragestellung, unter welchen Voraussetzungen der Rücktritt vom Pauschalreisevertrag durch den Reisenden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, möglich ist, ohne dass Stornogebühren anfallen, war zur Fortbildung des Rechts und Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung die Berufung zuzulassen.


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