Aktenzeichen 12 T 17/17
Leitsatz
Nachzahlungen einer Erwerbsminderungsrente sind (anteilig) dem Monat zuzuschlagen, für den (und nicht: in dem) sie erfolgen. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
2 M 5584/16 2017-01-03 Bes AGDEGGENDORF AG Deggendorf
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss des Amtsgericht Deggendorf vom 03.01.2017, Az. 2 M 5584/16, wird zurückgewiesen.
2. Der Gläubiger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 03.01.2017 hat das Amtsgericht Deggendorf – Abteilung für Vollstreckungssachen – auf den Antrag des Schuldners vom 15.11.2016 für das näher bezeichnete Pfändungsschutzkonto des Schuldners angeordnet, dass über den nach § 850 k ZPO bescheinigten pfandfreien Betrag dem Schuldner ein weiterer Betrag in Höhe von 4.720,27 € für den Monat November 2016 gemäß § 850 k Abs. 4 pfandfrei belassen wird.
Zur Begründung hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Schuldner von der Deutschen Rentenversicherung Bund für den Zeitraum 01.10.2013 bis 31.10.2016 im November 2016 eine Nachzahlung auf eine volle Erwerbsminderungsrente in Höhe von 4.720,27 € erhalten habe. Die Nachzahlungszeiträume vor dem 02.05.2016 blieben unberücksichtigt, weil vor diesem Zeitpunkt noch keine Pfändung vorgelegen habe. Relevant sei lediglich die Nachzahlung für den weiteren Zeitraum ab dem 02.05.2016 bis 31.10.2016. Diese errechne sich durch anteilige Verteilung der gesamten Nachzahlung in Höhe von 4.720,27 € auf die 37 Kalendermonate des Nachzahlungszeitraumes, vorliegend sei daher eine Rentennachzahlung von durchschnittlich 127,57 € je Monate zu den sonstigen Einkünften des Schuldners hinzuzurechnen. Diese hätten im fraglichen Zeitraum ab 02.05.2016 bis 27.09.2016 lediglich aus Krankengeld in Höhe von 4.570,75 € insgesamt und damit aus monatlich durchschnittlich 761,79 € bestanden. Insgesamt habe der Schuldner daher lediglich über ein durchschnittliches monatliches Einkommen in Höhe von 889,36 € verfügt, das unterhalb des Pfändungsfreibetrages von 1.073,88 € liege. Die Nachzahlungen wären daher unpfändbar.
Gegen diese dem Gläubigervertreter am 10.01.2017 zugestellte Entscheidung wendet sich der Gläubiger persönlich mit Beschwerdeschreiben vom 20.01.2017, bei Gericht eingegangen (jedenfalls) am 23.01.2017.
Mit Beschluss vom 26.01.2017 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landgericht Deggendorf zur Entscheidung vorgelegt.
Mit Beschluss vom 14.02.2017 wurde das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Kammer zur Entscheidung übertragen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme im Beschwerdeverfahren.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist zulässig, §§ 11 Abs. 1 RPflG, 793, 567 ff ZPO. Die Beschwerde enthält die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung, dass Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werde, § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Weiter lässt sich dem Beschwerdevorbringen ein Beschwerdeziel entnehmen, nämlich dass der Gläubiger eine Zahlung des Schuldners auf die titulierte Schuld begehrt. Eine weitergehende Begründung ist nicht erforderlich, § 571 Abs. 1 ZPO. Auf die zulässig erhobene Beschwerde hin findet eine Überprüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht statt (Zöller/Heßler, ZPO 31. Aufl., § 571 Rn. 1, 2).
2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Deggendorf vom 03.01.2017 ist richtig. Die Nachzahlung ist gemäß §§ 54 Abs. 4 SGB I, 850 c Abs. 1 Satz 1 ZPO unpfändbar, so dass auf Antrag des Schuldners der pfändungsfreie Betrag für November 2016 gemäß § 850 k Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO um den Betrag der Nachzahlung zu erhöhen war.
a. Die vorliegende Nachzahlung ist als laufende Geldleistung gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen nach Maßgabe der Vorschriften in §§ 850 c ff ZPO pfändbar.
Die Nachzahlung der Erwerbsminderungsrente (vgl. § 43 SGB VI) stellt – trotz der Auszahlung in einem Betrag – eine laufende Sozialleistung im Sinne des § 54 Abs. 4 SGB I dar und keine Einmalzahlung im Sinne des § 54 Abs. 2 SGB I (vgl. Siefert in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 92. EL Dezember 2016, SGB I § 54 Rn. 19; Smid in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, Anhang Pfändungsschutz gemäß § 54 SGB I Rn. 8, 10). Denn maßgeblich ist nicht die Form der Zahlung, sondern die Anspruchsgrundlage. Ein Anspruch, der zwar in einem Betrag zur Auszahlung ansteht, nach seiner Anspruchsgrundlage aber als wiederkehrende Leistung gewährt wird, ist keine einmalige Geldleistung.
b. Es ist für Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 c ZPO allgemein anerkannt, dass Nachzahlungen (anteilig) dem Monat zuzuschlagen sind, für den (und nicht: in dem) sie erfolgen (Zöller/Stöber, ZPO 31. Aufl., § 850 c Rn. 3), d.h. der Nachzahlungsbetrag ist auf den Nachzahlungszeitraum aufzuteilen und zu überprüfen, ob in dem jeweiligen Monat der Pfändungsfreibetrag überschritten ist.
Nichts anderes kann für die vorliegende Nachzahlung einer Erwerbsminderungsrente gelten, die auf einem Pfändungsschutzkonto eingeht. Denn gemäß § 850 k Abs. 4 Satz 2 ZPO ist § 54 Abs. 4 SGB I entsprechend anwendbar, dieser wiederum verweist insbesondere auf § 850 c ZPO.
c. Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 25.10.2012, Az. VII ZB 31/12, bezüglich der Pfändbarkeit von Sozialleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (sog. Arbeitslosengeld II) entschieden, dass diese Ansprüche ebenfalls gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gemäß §§ 850 c ff ZPO pfändbar sind. Weiter führt der Bundesgerichtshof in Randnummer 20 der Entscheidung wörtlich aus wie folgt:
„[20] Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass der sozialhilfebedürftige Schuldner in besonders gelagerten Einzelfällen Geldleistungen nach dem SGB II erhält, deren Betrag über den nach § 850 c ZPO zu berücksichtigenden Pfändungsfreigrenzen liegt. Ergibt sich diese Konstellation allerdings nur deshalb, weil solche Leistungen für mehrere Monate in einem Zahlbetrag zusammengefasst werden, sind die Einzelbeträge ebenso wie bei den vergleichbaren Fällen der Nachzahlung rückständiger Lohnbeträge für die Berechnung des pfandfreien Betrages dem Leistungszeitraum zuzurechnen, für den sie gezahlt werden (vgl.: Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 850 c Rdnr. 3).“
d. Nachdem für Arbeitseinkommen die Aufteilung von Nachzahlungen auf die jeweiligen Monate des Nachzahlungszeitraumes allgemein anerkannt ist und der Bundesgerichtshof für Nachzahlungen auf Sozialleistungen nach dem SGB II bereits ausgeführt hat, dass diese ebenfalls monatsweise aufzuteilen sind, kann für die vorliegende Nachzahlung auf Sozialleistungen nach dem SGB VI (Erwerbsminderungsrente) nichts anderes gelten.
e. Bei der Nachzahlung von laufenden Geldleistungen (wie hier der Erwerbsminderungsrente) auf ein Pfändungsschutzkonto ist demnach der Nachzahlungsbetrag für die Berechnung des pfandfreien Betrages dem Leistungszeitraum zuzurechnen, für den er gezahlt wurde (wie hier: LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 04.08.2015, Az. 19 T 3589/15, Rn. 4; LG Bielefeld, Beschluss vom 21.10.2004, Az. 23 T 705/04, Rn. 7; im Ergebnis ebenso unter Hervorstellung des existenzsichernden Charakters von Sozialleistungen: LG Frankenthal, Beschluss vom 26.11.2015, Az. 1 T 267/15; Becker in: Musielak/Voit, ZPO 13. Aufl., § 850 k Rn. 5; Riedel in: BeckOK ZPO 23. Ed. Stand 01.12.2016, § 850 k Rn. 29 b; Siefert in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 92. EL Dezember 2016, SGB I § 54 Rn. 39; Ahrens, VuR 2014, 117, ebd.; Rein, ZVI 2016, 50, 51).
f. Dies führt vorliegend dazu, dass die Beschwerde des Gläubigers erfolglos ist. Denn das Amtsgericht hat den Nachzahlungsbetrag entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen zutreffend auf die jeweiligen Bezugsmonate aufgeteilt und errechnet, dass eine Überschreitung des Pfändungsfreibetrages in keinem der maßgeblichen Kalendermonate vorliegt. Der pfändungsfreie Betrag war daher gemäß § 850 k Abs. 4 ZPO in dem Monat der Gutschrift einmalig in Höhe der Rentennachzahlung abweichend festzusetzen. Auf die Ausführungen des Amtsgerichts in dem Beschluss vom 03.01.2017 wird im Übrigen vollumfänglich Bezug genommen.
g. Die Kammer hat hierbei die abweichende Rechtsprechung des Landgerichts Koblenz (Beschluss vom 23.01.2015, Az. 2 T 46/15, diesem folgend AG Ingolstadt vom 03.03.2016, Az. 2 M 3595/13) und des Landgerichts Berlin (Beschluss vom 14.10.2013, Az. 51 T 656/13) berücksichtigt. Die dortigen Erwägungen führen jedoch nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Das Landgericht Berlin, auf dessen Rechtsprechung das Landgericht Koblenz im Wesentlichen Bezug nimmt, führt zur Begründung aus, dass ein Nachzahlungsbetrag nicht für den laufenden Lebensunterhalt benötigt würde (in praeteritum non vivitur) (hierzu unten aa.) und § 850 k ZPO eine Verteilung von Nachzahlungen für mehrere Monate auf diejenigen Monate, für welche die Nachzahlungen gedacht wären, nicht vorsehe (hierzu unten bb.). Dem schließt sich die Kammer nicht an.
aa. Ersterem lässt sich entgegen halten, dass der Schuldner nur deshalb den Betrag nicht für seinen laufenden Lebensunterhalt in der Vergangenheit verwendet hat, weil er ihm nicht zur Verfügung stand. Dass es dem Schuldner durch überobligatorischen Verzicht oder durch Erhalt von Darlehen oder Schenkungen aus dem Freundes- oder Familienkreis – wie auch vorliegend von dem Schuldner vorgetragen – für einen gewissen Zeitraum möglich war, von einem Betrag zu leben, der das ihm Zustehende unterschreitet, kann ihm vorliegend nicht zum Nachteil gereichen. Denn der Rechtsgedanke, dass Unterhalt für die Vergangenheit nicht benötigt und deshalb grundsätzlich nicht verlangt werden kann, soll den Unterhaltsverpflichteten vor unkalkulierbar hohen Nachzahlungen schützen. Dieser Gedanke lässt sich auf die vorliegende Situation nicht übertragen. Es ist nicht ersichtlich, wie ein Rechtssatz zum Schutz des Schuldners, nämlich des Unterhaltsverpflichteten, eine Abweichung von der ebenfalls schuldnerschützenden anerkannten Umrechnungsregel für Nachzahlungen rechtfertigen soll (so auch Ahrens, VuR 2014, 117, 119).
Darüber hinaus verlangt der Schuldner nicht heute von der Rentenversicherung eine Nachzahlung für die vergangenen 37 Monate, es wird vielmehr eine bereits am 15.05.2013 beantragte und ab 01.10.2013 geschuldete Rentenzahlung verspätet, nämlich erst im November 2016 ausgezahlt. Die vorliegende Situation der Nachzahlung einer bereits lange beantragten und lediglich verspätet verbeschiedenen Rente ist nicht mit der verspäteten Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs vergleichbar, sondern allenfalls mit der Situation eines bereits geltend gemachten (z.B. rechtshängigen), aber noch nicht erfüllten Unterhaltsanspruchs. Auch § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB schränkt den Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit nur dahin ein, dass Unterhalt erst ab der Geltendmachung (Rechtshängigkeit, Verzug oder Auskunftsverlangen) geschuldet ist, dann jedoch uneingeschränkt für die nach der Geltendmachung liegenden Zeiträume, auch wenn die Erfüllung erst in der Zukunft für einen dann bereits vergangenen Zeitraum erfolgt. Einer am 15.05.2013 erhobenen Unterhaltsklage kann bei Rechtskraft erst am 30.09.2016 und Erfüllung im November 2016 auch nicht entgegen gehalten werden, dass der Berechtigte es schließlich geschafft habe, den Zeitraum der gerichtlichen Geltendmachung ohne Unterhalt zu überstehen und er die Nachzahlung daher nicht für seinen laufenden Unterhalt benötigen würde.
bb. Letzterem lässt sich entgegen halten, dass in der Rechtsprechung zu § 850 c ZPO seit langem anerkannt ist, dass eine solche Verteilung zu erfolgen hat. § 850 k Abs. 4 Satz 2 ZPO verweist für laufende Sozialleistungen wie vorliegend über § 54 Abs. 4 SGB I – jedoch gerade auf die entsprechende Anwendung der Pfändungsschutzvorschriften für Arbeitseinkommen und damit auch auf § 850 c ZPO. Die Erwerbsminderungsrente ersetzt zudem das Arbeitsentgelt, das aufgrund der geminderten Erwerbsfähigkeit nicht mehr verdient werden kann. Weshalb also bei Nachzahlungen von Erwerbsminderungsrenten andere Grundsätze zur Anwendung kommen sollten, als bei der Nachzahlung von Arbeitseinkommen, erschließt sich der Kammer nicht und wird von den oben unter Ziffer II. 2. g. zitierten Entscheidungen auch nicht diskutiert. Damit sieht § 850 k ZPO eben doch eine monatsweise Verteilung der Nachzahlung vor, nämlich über die Verweisung auf § 850 c ZPO, mit der auch auf die dort anerkannte Umrechnungsregel Bezug genommen ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO zuzulassen. Denn die Rechtssache hat über den vorliegenden Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung für weitere gleichgelagerte Verfahren, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Angesichts der oben dargestellten divergierenden Entscheidungen mehrerer Beschwerdegerichte ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zudem eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich, § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.