Insolvenzrecht

Umsatzsteuer aufgrund einer unternehmerischen Tätigkeit des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Aktenzeichen  XI R 30/08

Datum:
17.3.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 1 Abs 1 Nr 1 UStG 1999
§ 35 InsO
§ 55 Abs 1 Nr 1 InsO
Spruchkörper:
11. Senat

Leitsatz

1. NV: Übt der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine unternehmerische Tätigkeit aus, ist die Umsatzsteuer aus dieser Tätigkeit keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn weder die Gläubigerversammlung noch der Insolvenzverwalter den Schuldner beauftragt hat, den Betrieb auf Rechnung der Insolvenzmasse fortzuführen, und der Schuldner keine Massegegenstände ertragbringend nutzt.
2. NV: Die eigene Arbeitskraft des Schuldners fällt nicht in die Insolvenzmasse und kann deshalb auch nicht der Nutzung eines Massegegenstandes gleichgesetzt werden.

Verfahrensgang

vorgehend FG München, 29. Mai 2008, Az: 14 K 3613/06, Urteil

Tatbestand

1
I. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund einer gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entstandene Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt.
2
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von G (Schuldner).
3
Der Schuldner betrieb ein Fliesenfachgeschäft. Am 31. August 2001 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet.
4
Nach Zustimmung der Gläubiger genehmigte das Amtsgericht mit Beschluss vom 26. März 2002 einen Insolvenzplan. Darin heißt es wörtlich:
5
“… Herr G betreibt seit 1990 ein Fliesenlegerhandwerk. Er hat derzeit 5 Angestellte …
6
Es wurden nun Maßnahmen zur Sanierung getroffen. So wurden Mitarbeiter entlassen, sowie ein KfZ-Leasingvertrag gekündigt. Die Größe des Betriebes verträgt jedoch keinen Fremdgeschäftsführer.
7
Es besteht nun die Möglichkeit, dass Herr G den Betrieb selbst in Zukunft erfolgreich fortführt. Hierzu ist er auch bereit.
8
Ziel des Insolvenzplanes ist es Herrn G die selbständige Fortführung des Betriebes zu ermöglichen, hieraus einen Beitrag für die Masse im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens für die Gläubiger zu verwerten.
9
Entsprechend der gesetzlichen Regelungen soll in Anlehnung an das Restschuldbefreiungsverfahren Herr G bei Fortführung des Betriebes für einen Zeitraum von 6 Jahren einen Betrag in Höhe von DM … monatlich bezahlen.
10
II. Gestaltender Teil A.
11
Die Masse wird im Rahmen des laufenden Insolvenzverfahrens verwertet. Der Neuerwerb ab Planbestätigung verbleibt Herrn G. Insoweit gelten die unten ausgeführten Planbedingungen (direkt oder entsprechend). Die Vollstreckung in den Neuerwerb durch Altgläubiger ist unzulässig. Herrn G wird der Betrieb freigegeben, ebenso ist er berechtigt, diesbezüglich ein eigenständiges Konto zu führen und zu verwalten. Forderungen aus seiner Tätigkeit nach Bestätigung des Planes verbleiben ihm, entsprechendes gilt für Verbindlichkeiten. Die Zustimmung der Vertragspartner soll herbeigeführt werden. Von möglichen Verbindlichkeiten aus der Betriebsfortführung stellt der Schuldner die Masse frei.
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Herr G wird für einen Zeitraum von 6 Jahren (ab Bestätigung des Plans) monatlich einen Betrag in Höhe von … DM an den Insolvenzverwalter bezahlen. Ab Beendigung des Insolvenzverfahrens wird der Betrag entsprechend dem Verteilungsverzeichnis an die Gläubiger einmal jährlich vom Schuldner verteilt.
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B. Bedingungen
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1. Forderungserlass und Einstellung der Zwangsvollstreckung
15
Mit dem vollständigen Abschluss der obigen Zahlungen und dem Abschluss des Insolvenzverfahrens sind alle gegenseitigen Forderungen ausgeglichen, weitergehende Forderungen bestehen nicht. Soweit die beteiligten Gläubiger bereits in Besitz eines vollstreckbaren Titels sind, verzichten diese während der Laufzeit der Planausführung auf Vollstreckungsmaßnahmen und werden daraus keine Rechte geltend gemacht. Sicherungsrecht und deren Verwertung bleiben vom Plan unberührt. Nach vollständiger Erfüllung des Zahlungsplanes sind bestehende Titel an den Schuldner herauszugeben.
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2. Ausbleiben der Ratenzahlung
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Es ist dem Schuldner gestattet, den pfändbaren Teil seiner Einkünfte an eine dritte Person abzutreten, wenn dadurch gewährleistet werden soll, dass die Tilgungsleistungen nicht durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen solcher Gläubiger gefährdet wird, die an diesem Verfahren nicht beteiligt sind.
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3. Änderungen der Ratenzahlungsbeträge und Sonderzahlungen
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Sonstige Sonderzahlungen verkürzen die Laufzeit des Tilgungsplans, solche dürfen aber nur in der Weise erfolgen, dass alle Gläubiger gleichmäßig einbezogen werden.
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4. Der Schuldner erhält keinen Unterhalt aus der Masse.
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5. Die alten nicht getilgten Forderungen leben wieder auf und der Plan gilt als von Beginn an unwirksam, wenn der Schuldner seinen Pflichten aus diesem Plan nicht nachkommt. Die Unwirksamkeit ist innerhalb eines Jahres geltend zu machen.
22
6. Die gesetzlichen Vorschriften über das Insolvenzverfahren und das Restschuldbefreiungsverfahren gelten, sofern hier nichts anderes geregelt ist, sinngemäß.
23
7. Eine Überwachung des Plans durch den Insolvenzverwalter findet nach Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht statt.
24
8. Die Masse gewährt dem Schuldner für den Zeitraum bis zu 3 Monaten einen Betriebskredit bis zu … DM nach Ermessen des Insolvenzverwalters.
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9. Ansprüche aus vor Planbestätigung erbrachten Leistungen welche noch nicht vollständig erbracht worden sind werden zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner nach dem Grad der Fertigstellung aufgeteilt.
26
10. Das Insolvenzverfahren wird erst mit der Verwertung der Masse und der anschließenden Verteilung der Masse gem. den Vorschriften der InsO abgeschlossen …”
27
Nachdem der Schuldner dem Kläger am 18. September 2003 mitgeteilt hatte, dass er die monatlichen Zahlungen nicht leisten könne, wurde am 28. Oktober 2003 das Scheitern des Insolvenzplans festgestellt. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2003 gab der Kläger den Betrieb erneut aus der Masse frei. In diesem Schreiben heißt es wörtlich:
28
“… bezugnehmend auf das festgestellte Scheitern Ihres Insolvenzplanes geben wir mit diesem Schreiben das
29
Fliesenfachgeschäft G
30
aus der Insolvenzmasse frei.
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Hierfür gelten folgende, von Ihnen zugesagte, Bedingungen:
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1. Der Schuldner verpflichtet sich während des laufenden Insolvenzverfahrens auf Grundlage seiner selbständigen Tätigkeit als Fliesenleger so effektiv wie möglich zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger im Sinne von § 38 InsO beizutragen.
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2. Der Schuldner wird im laufenden Insolvenzverfahren monatlich diejenigen Beträge aus seinen steuerlichen Einkünften der Insolvenzmasse zur Verfügung stellen, die den nach § 850c ZPO pfändbaren Beträgen aus dem Arbeitseinkommen entsprechen.
34
3. Die steuerlichen Einkünfte sind vor der Berechnung des pfändbaren Teils um die zu erwartende anteilige Einkommensteuer sowie die monatlichen Krankenkassenbeiträge zu kürzen. Die zu erwartende Einkommensteuer wird monatlich anhand der Lohnsteuertabelle (Steuerklasse 1) berechnet. Die steuerlichen Einkünfte sind unter Berücksichtigung von 1/12 der zu erwartenden Jahres-AfA im Wege der Überschussrechnung zu berechnen.
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4. Der Schuldner verpflichtet sich, im Laufe des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter quartalsweise Rechnungen über seine betrieblichen Einnahmen und Ausgaben zu legen. Hierzu werden dem Insolvenzverwalter die betriebswirtschaftlichen Auswertungen sowie Abschriften der Umsatzsteuer-Voranmeldung vorgelegt.
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5. Die für den Gewerbebetrieb des Schuldners benötigten Betriebsmittel werden gem. § 80 InsO aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben. Die Freigabe erfasst auch den sogenannten Neuerwerb des Schuldners, also Betriebsmittel welche der Schuldner auf Grundlage seiner gewerblichen Tätigkeit erwirbt und für die Fortführung seines Betriebes einsetzt. Nicht erfasst sind die betrieblichen Gewinne des Schuldners. Diese unterliegen vorstehender Vereinbarung und sind in Entsprechung zu § 850c ZPO an die Insolvenzmasse abzuführen.
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6. Der Schuldner verpflichtet sich für das freigegebene Unternehmen eine neue Steuer- und Betriebsnummer zu beantragen.
38
7. Dem Schuldner ist gestattet ein eigenständiges Bankkonto zu führen und zu verwalten.”
39
Auf Grundlage der für das Jahr 2002 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) die Umsatzsteuer für das Jahr 2002 im Schätzungswege mit an den Kläger gerichtetem Bescheid vom 10. November 2004 auf … € fest. Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung setzte das FA die Umsatzsteuer für das Jahr 2003 mit an den Kläger gerichtetem Bescheid vom 10. November 2004 auf … € fest. Das FA vertrat die Ansicht’ dass es sich bei der Umsatzsteuer für die gewerbliche Tätigkeit des Schuldners um eine Masseverbindlichkeit handele.
40
Den dagegen gerichteten Einspruch wies es als unbegründet zurück. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Meinung, dass die Umsatzsteuer, die durch die Ausübung der Tätigkeit des Schuldners entstanden sei, nicht zu den Masseverbindlichkeiten zähle. Denn der Betrieb des Schuldners sei zunächst aufgrund der im Insolvenzplan getroffenen Vereinbarungen und nach dessen Scheitern auf Grund der Freigabeerklärung des Klägers wirksam aus der Masse freigegeben worden. Das Urteil ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1483.
41
Das FA trägt zur Begründung der Revision im Wesentlichen vor, eine Freigabe des Betriebs mit der Folge, dass damit im Zusammenhang stehende Verbindlichkeiten dem insolvenzfreien Vermögen zuzurechnen seien, hätte auf Grund der bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem 1. Juli 2007 geltenden Rechtslage nicht erfolgen können.
42
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
43
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.


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