Aktenzeichen 6 AZR 585/10
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Nordhausen, 2. Dezember 2008, Az: 1 Ca 1166/06, Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht, 4. Juni 2010, Az: 8 Sa 32/09, Urteilnachgehend Thüringer Landesarbeitsgericht, 17. April 2012, Az: 1 Sa 386/11, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 4. Juni 2010 – 8 Sa 32/09 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur Rückzahlung von Arbeitsvergütung aufgrund einer Insolvenzanfechtung.
2
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem mit Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen am 14. Oktober 2004 (- 8 IN 424/04 -) über das Vermögen des W (Schuldner) eröffneten Insolvenzverfahren. Dem Eröffnungsbeschluss liegt ein am 4. August 2004 beim Amtsgericht Mühlhausen eingegangener Gläubigerantrag vom 2. August 2004 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugrunde. Der Schuldner betrieb ein Elektroanlagenbauunternehmen mit ca. 40 Arbeitnehmern. Der Beklagte war bei ihm bis zum 17. August 2004 als kaufmännischer Angestellter im Einkauf beschäftigt. Aufgabe des Beklagten war es, Material zu bestellen. Lieferanten des Schuldners verlangten gegenüber dem Beklagten keine Vorkasse und wiesen ihn nicht auf offene Rechnungen hin. Ab Herbst 2003 geriet der Schuldner mit den Lohn- und Gehaltszahlungen in Rückstand. Als der Schuldner im November 2003 auf die ausstehenden Löhne und Gehälter angesprochen wurde, teilte er mit, es seien Rechnungen geschrieben worden, die vom Auftraggeber geprüft würden. Der Beklagte wurde ebenso wie die übrige Belegschaft über eine Zwischenfinanzierung der Commerzbank informiert, jedoch nicht darüber, dass diese den gewährten Kredit mit eigenen Forderungen gegen den Schuldner verrechnet hatte. Die Lokalpresse berichtete ua. am 3., 10. und 11. Juni 2004 über den Streit des Schuldners mit einer Stiftung, für die der Schuldner anlässlich eines Krankenhausneubaus Aufträge ausgeführt hatte und von der er wegen Überschreitung der Bauzeit Schadensersatz iHv. ca. einer Million Euro verlangte. Der Schuldner zahlte dem Beklagten am 14. Mai 2004 restliche Vergütung für November 2003 iHv. 1.818,89 Euro und am 27. Juli 2004 die Vergütung für die Monate Dezember 2003 bis April 2004 iHv. 9.278,84 Euro. Weitere Gehaltszahlungen des Schuldners an den Beklagten für die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 17. August 2004 erfolgten nicht.
3
Der Rechtsvorgänger des Klägers im Amt des Insolvenzverwalters focht mit Schreiben vom 7. Dezember 2005 die dem Beklagten vom Schuldner am 14. Mai 2004 und am 27. Juli 2004 geleisteten Gehaltszahlungen an und forderte den Beklagten zugleich ohne Erfolg auf, diese Zahlungen zur Insolvenzmasse zurückzuerstatten.
4
Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte habe der Insolvenzmasse die ihm am 14. Mai 2004 und am 27. Juli 2004 gezahlte Vergütung iHv. insgesamt 11.097,73 Euro gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO iVm. § 130 Abs. 1 InsO zurückzugewähren. Diese Zahlungen des Schuldners seien nach § 129 Abs. 1 InsO als Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden seien und die die Insolvenzgläubiger benachteiligten, anfechtbar. Beide Zahlungen seien nach der spätestens Anfang Mai 2004 eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und in den letzten drei Monaten vor dem am 4. August 2004 beim Amtsgericht Mühlhausen eingegangenen Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet worden. Der Beklagte habe bei der Entgegennahme der Zahlungen positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gehabt, so dass die Anfechtungsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 InsO erfüllt seien. Jedenfalls habe der Beklagte zum Zeitpunkt der Zahlungen Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen. Diese Kenntnis stehe gemäß § 130 Abs. 2 InsO der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gleich. Darauf, ob einem Arbeitnehmer regelmäßig die erforderlichen „Insiderinformationen“ zur Beurteilung der Liquidität seines Arbeitgebers fehlen, komme es hier nicht an. Der Anfechtungstatbestand des § 130 Abs. 1 InsO erfasse nicht nur sogenannte Insider, sondern stelle auf die erkennbare Kenntnis des Gläubigers ab. Der Beklagte habe nicht nur seine eigenen erheblichen Gehaltsforderungen gegen den Schuldner für die zurückliegenden Monate und die nicht erfüllten Gehalts- und Lohnansprüche seiner Kollegen und Kolleginnen gekannt, sondern auch die erheblichen sonstigen Außenstände des Schuldners. Diese Kenntnis habe der Beklagte aus den regelmäßigen Arbeitsberatungen bezogen, die innerhalb der Belegschaft durchgeführt worden seien und an denen der Beklagte nach seinem eigenen Vorbringen teilgenommen habe. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Beklagte als kaufmännischer Angestellter im Einkauf nicht der untersten Hierarchieebene im Unternehmen des Schuldners angehört habe, auch wenn er im Einkauf einer Vorgesetzten unterstellt gewesen sei. Im Rahmen seines Antrags vom 1. November 2004 auf Insolvenzgeld habe der Beklagte eingeräumt, dass die Nichtzahlung des Arbeitsentgelts vom Schuldner mit Zahlungsunfähigkeit begründet worden sei. Schließlich sei über die desolate wirtschaftliche Situation des Schuldners auch in der Lokalpresse berichtet worden. Für den Beklagten habe bei der Entgegennahme der beiden Zahlungen kein Anhaltspunkt bestanden, der die Annahme gerechtfertigt hätte, der Schuldner könne seine Liquiditätslücke in kürzester Frist wieder beseitigen. Dem Beklagten gereiche es nicht zum Vorteil, wenn er den aus den ihm bekannten Umständen einzig möglichen Schluss auf die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht gezogen habe. Der Gesetzgeber habe Arbeitnehmer vor den Folgen des Anfechtungsrechts bewusst nicht verschont.
5
Darüber hinaus seien die in § 133 Abs. 1 InsO genannten Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt. Der Schuldner habe nach dem Eintritt seiner ihm bekannten Zahlungsunfähigkeit die beiden streitgegenständlichen Zahlungen an den Beklagten mit dem Vorsatz geleistet, seine übrigen Gläubiger zu benachteiligen. Von dieser Benachteiligungsabsicht habe der Beklagte Kenntnis gehabt. Diese Kenntnis werde nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, weil der Beklagte zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen jedenfalls gewusst habe, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gedroht habe und die Gehaltszahlungen die anderen Gläubiger benachteiligen würden. Umstände, die die durch die Regelung in § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO begründete Vermutung widerlegen könnten, seien nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht habe eine Anfechtung der streitgegenständlichen Lohnzahlungen nach § 133 Abs. 1 InsO nicht geprüft. Damit habe das Landesarbeitsgericht entweder den einschlägigen Prozessstoff unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht zur Kenntnis genommen oder die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO grundlegend verkannt.
6
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 11.097,73 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Zahlungen des Schuldners am 14. Mai 2004 und am 27. Juli 2004 seien keine anfechtbaren Rechtshandlungen im Sinne von § 130 Abs. 1 InsO. Er habe weder von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners noch von Umständen Kenntnis gehabt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen. Die Höhe seiner eigenen Gehaltsrückstände habe er zwar gekannt, nicht jedoch den Umfang der ausstehenden Lohn- und Gehaltszahlungen an die anderen Arbeitnehmer des Schuldners. Für ihn sei nicht erkennbar gewesen, ob die Lohn- und Gehaltsrückstände gegenüber allen Arbeitnehmern gleich ausgeprägt gewesen seien und welchen Anteil die Lohn und Gehaltsrückstände an den insgesamt fälligen und eingeforderten Geldschulden gehabt hätten. Von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen habe er nichts gewusst. Einen Gesamtüberblick über die Liquiditäts- und Zahlungslage des Schuldners habe er nicht gehabt. Eine zweifelsfreie Bewertung dahin, dass der Schuldner sich bereits im Zustand der Zahlungsunfähigkeit bewegt habe, hätte die Angabe von Außenständen iHv. über einer Million Euro noch nicht zugelassen. Auch aus der Berichterstattung in der Presse hätten sich keine Umstände ergeben, aus denen zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätte geschlossen werden müssen. Eine Anfechtung des Klägers nach § 133 Abs. 1 InsO sei ausgeschlossen, weil er keine Kenntnis von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners gehabt habe. Er habe bei der Entgegennahme der Zahlungen des Schuldners vom 14. Mai 2004 und vom 27. Juli 2004 auch nicht gewusst, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gedroht habe, sondern sei davon ausgegangen, dass die Krankenhausstiftung ihren Zahlungspflichten nachgekommen sei, so dass sich die finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners erledigt hätten.
8
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.