IT- und Medienrecht

Verfassungsmäßigkeit der Rundfunkbeitragspflicht für Inhaber von Betriebsstätten und betrieblich genutzten Kraftfahrzeugen

Aktenzeichen  6 C 12/15

Datum:
7.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:071216U6C12.15.0
Normen:
Art 2 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
Art 5 Abs 1 GG
Art 13 Abs 1 GG
Art 19 Abs 3 GG
Art 105 Abs 2 GG
§ 12 RStV NW
§ 14 RStV NW
§ 40 RStV NW
§ 5 Abs 1 RdFunkBeitrStVtr NW
§ 5 Abs 2 S 1 Nr 2 RdFunkBeitrStVtr NW
§ 5 Abs 2 S 2 RdFunkBeitrStVtr NW
§ 14 Abs 2 RdFunkBeitrStVtr NW
§ 14 Abs 4 RdFunkBeitrStVtr NW
§ 11 Abs 4 RdFunkBeitrStVtr NW
§ 8 RdFunkBeitrStVtr NW
§ 70 Abs 1 S 1 VwGO
§ 3a Abs 1 S 1 VwVfG
§ 3a Abs 2 S 1 VwVfG
§ 3a Abs 2 S 2 VwVfG
Spruchkörper:
6. Senat

Leitsatz

1. Wird ein Widerspruchsschreiben, das in ein elektronisches Dokument im pdf-Format umgewandelt und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, als Anlage mittels einfacher E-Mail an die zuständige Behörde übermittelt, kann ein solches Dokument dem Formerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3a Abs. 2 VwVfG genügen. Die Behörde muss für schriftformersetzende Dokumente einen Zugang eröffnet haben.
2. Die Erhebung des Rundfunkbeitrags im nicht privaten Bereich für Inhaber von Betriebsstätten und betrieblich genutzten Kraftfahrzeugen nach § 5 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 RBStV (juris: RdFunkBeitrStVtr NW) begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (wie BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2016 – 6 C 49.15 -).

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 28. Mai 2015, Az: 2 A 95/15, Urteilvorgehend VG Köln, 4. Dezember 2014, Az: 6 K 2444/14, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin ist eine bundesweit agierende Lebensmittelkette mit zahlreichen Filialen und mehreren Zentrallagern/Logistikzentren. Aufgrund eines von ihr übermittelten Bestandsverzeichnisses waren bei der beklagten Rundfunkanstalt im November 2012 für ihr Zentrallager/Logistikzentrum in K. 31 Radios angemeldet. Hierfür leistete sie bis Ende 2012 die fälligen Gebühren. Einer Aufforderung des Beitragsservices des Beklagten, die Anzahl der Beschäftigten jeder Betriebsstätte mitzuteilen, kam die Klägerin nicht nach. Mit Bescheid vom 5. Juli 2013 setzte der Beklagte für die Betriebsstätte in K. für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. März 2013 Rundfunkbeiträge in Höhe von 385,58 € einschließlich Säumniszuschlag in Höhe von 8 € fest. Mangels Angaben zur Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Mitarbeiter werde vermutet, dass der Rundfunkbeitrag sich nach der bis zum 31. Dezember 2012 zu zahlenden Gebühr bemesse. Mit weiterem Beitragsbescheid vom 2. August 2013 setzte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. April 2013 bis 30. Juni 2013 Rundfunkbeiträge nebst Säumniszuschlag in gleicher Höhe fest.
2
Gegen die Beitragsbescheide vom 5. Juli 2013 und 2. August 2013 legte die Klägerin Widerspruch ein. Ihr Prozessbevollmächtigter fertigte hinsichtlich des erstgenannten Bescheids ein Widerspruchsschreiben im pdf-Format, versah es mit einer qualifizierten elektronischen Signatur und versandte es als Anhang einer einfachen E-Mail an die in der Rechtsmittelbelehrung angegebene E-Mail-Adresse mit dem Hinweis, dass in der Anlage der Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Juli 2013 übersandt werde. Mit anwaltlichem Widerspruchsschreiben vom 29. August 2013 wandte sich die Klägerin gegen den Beitragsbescheid vom 2. August 2013. Die Widersprüche wies der Beklagte hinsichtlich des Bescheids vom 5. Juli 2013 als unzulässig und im Übrigen als unbegründet zurück.
3
Die anschließend erhobene Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zwar zulässig, auch soweit sie sich gegen den Bescheid vom 5. Juli 2013 richte. Das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene und per E-Mail übermittelte Widerspruchsschreiben genüge den Anforderungen an die Ersetzung der Schriftform und sei rechtzeitig eingegangen. Die Klage sei aber unbegründet, da die einfachgesetzlichen Voraussetzungen für die Beitragsfestsetzung vorlägen, europarechtliche Bedenken nicht bestünden und die Regelungen des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags verfassungsgemäß seien.
4
Bei dem Rundfunkbeitrag handele es sich um eine nichtsteuerliche Abgabe, deren Regelung in die Gesetzgebungskompetenz der Länder falle. Sie diene der funktionsgerechten Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie der Finanzierung der Aufgaben nach § 40 RStV und fließe nicht in den allgemeinen staatlichen Haushalt. Der Beitrag werde auch nicht voraussetzungslos geschuldet, sondern als Gegenleistung für das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhoben. Die Zweckgebundenheit des Beitrags komme in dessen tatbestandlicher Ausgestaltung noch hinreichend zum Ausdruck. Der Anknüpfung vornehmlich an die Betriebsstätte liege die gesetzgeberische Erwägung zugrunde, dass die Inhaber als Adressaten des Programmangebots den Rundfunk typischerweise in einer der beitragspflichtigen Raumeinheiten nutzten oder nutzen könnten und deshalb das Innehaben einer solchen Raumeinheit ausreichende Rückschlüsse auf den abzugeltenden Vorteil zulasse. Die beitragsförmige Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei zudem Ausfluss der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rundfunkfreiheit und auch insofern gerechtfertigt.
5
Der Vorteilsausgleich beziehe sich auf den strukturellen Vorteil, den jede Person im Einwirkungsbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ziehe, und den individuellen Vorteil der Möglichkeit der Inanspruchnahme. Dies gelte auch für den unternehmerischen Bereich, dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk spezifische, die Unternehmenszwecke fördernde Vorteile biete, sei es zur Informationsgewinnung, sei es zur Unterhaltung der Beschäftigten oder Kunden.
6
Der Beitrag sei als vergleichsweise geringfügige Belastung anzusehen, die nicht unverhältnismäßig sei. Gegen eine Überfinanzierung oder verdeckte Steuer habe der Gesetzgeber hinreichend effektive Vorkehrungen getroffen, insbesondere weil Überschüsse am Ende der Beitragsperiode vom Finanzbedarf für die folgende Beitragsperiode abzuziehen seien. Er habe angesichts der mit dem Modellwechsel verbundenen Prognoseunsicherheiten bei der Beitragsbemessung nicht davon ausgehen müssen, dass die zu erwartenden Einnahmen den Finanzbedarf beachtlich und auf Dauer übersteigen.
7
Der Rundfunkbeitrag beachte die für nichtsteuerliche Abgaben einzuhaltenden Vorgaben. Seine besondere sachliche Rechtfertigung sei in der Finanzierungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begründet. Das Aufkommen werde gruppennützig verwendet. Dass die Gruppe der Beitragspflichtigen mit der Allgemeinheit nahezu deckungsgleich sei, liege in der Natur des spezifischen Sondervorteils, den die zumindest nahezu flächendeckende Versorgung mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk bringe.
8
Die Beitragspflicht im nicht privaten Bereich verletze wegen der verhältnismäßig niedrigen Zahlungsverpflichtung nicht die Informationsfreiheit. Ungefähr 90 v.H. aller Betriebsstätten fielen unter die ersten beiden Staffeln, so dass es für diese Betriebsstätten bei maximal einem Rundfunkbeitrag bleibe. Die restlichen 10 v.H. der Betriebsstätten zahlten Rundfunkbeiträge, die sich an der Anzahl der Beschäftigten pro Betriebsstätte orientiere und degressiv gestaffelt sei. So habe der Gesetzgeber hinreichend Vorsorge getroffen, dass die Belastung im Lichte der Informationsfreiheit das zumutbare Maß nicht überschreite.
9
Die Beitragspflicht verstoße ferner nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Merkmale “Betriebsstätte”, “Beschäftigte” und “Kraftfahrzeuge” seien auch unter Berücksichtigung der höchst unterschiedlichen Strukturen im unternehmerischen Bereich hinreichend realitätsgerecht und ausreichend differenziert, um den beitragsauslösenden Vorteil abzubilden und die Beitragslasten im Verhältnis der Abgabepflichtigen untereinander angemessen zu verteilen. Der Gesetzgeber habe die Beitragspflicht grundsätzlich unwiderleglich und insbesondere nicht gerätebezogen ausgestalten dürfen. Der Vorteil werde durch die Beitragshöhe angemessen abgegolten. Die Benachteiligung von Filialbetrieben und Betrieben mit großen Kraftfahrzeugflotten sei hinzunehmende Folge der zulässigen Anknüpfung an die Raumeinheiten. Die Berücksichtigung von Kraftfahrzeugen sei ebenfalls plausibel, weil es im Verhältnis zum sonstigen unternehmerischen Bereich dort zu einer deutlich gesteigerten Nutzung des Programmangebots komme.
10
Die Beitragsregelung für Kraftfahrzeuge sowie die Anzeigepflichten, das Auskunftsrecht und der Datenabgleich seien hinreichend bestimmt und ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
11
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt, mit der sie geltend macht, dass es sich bei dem Beitrag um eine Zwecksteuer handele, weshalb den Ländern die Gesetzgebungskompetenz fehle. Die an Vorzugslasten zu stellenden Anforderungen seien nicht erfüllt. Die Erhebung einer Abgabe sei zwar sachlich durch die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerechtfertigt; es fehle dem Beitrag aber an der erforderlichen deutlichen Unterscheidung von der Steuer. Der Beitrag finanziere auch andere Aufgaben als diejenige des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es fehle an der Abgeltung eines individuellen Vorteils, weil der Kreis der Beitragspflichtigen von der Allgemeinheit der Steuerpflichtigen nicht abgrenzbar, das Merkmal der Raumeinheit hierfür ungeeignet und der Abgabentatbestand unwiderleglich seien.
12
Die Beitragspflicht verstoße gegen das Übermaßverbot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das Beitragsaufkommen übersteige den Bedarf deutlich, was ausweislich des Gutachtens der D. GmbH vorhersehbar gewesen sei. Die Berücksichtigung von Überschüssen in der nachfolgenden Beitragsperiode verkenne, dass der Abgabepflichtige Maßstab für die Rechtfertigung der Beitragshöhe sein müsse. Der Gesetzgeber habe einen Vergleich des prognostizierten Aufkommens mit dem konkret ermittelten Bedarf unterlassen und hätte von erheblichen Steigerungen des Beitragsaufkommens ausgehen müssen. Dies stelle zugleich einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip dar. Die Auffassung, die Entscheidung über die Verwendung der Finanzmittel liege außerhalb des Rechtsschutzauftrages der Gerichte, verletze außerdem das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.
13
Die Regelung des Betriebsstätten- und des Kraftfahrzeugbeitrags seien in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht mit dem in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gebot der Belastungsgleichheit vereinbar. Die Erhebung des Kraftfahrzeugbeitrags verstoße darüber hinaus gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot, weil unklar sei, wie Fälle zu behandeln seien, in denen der Inhaber Fahrzeuge innerhalb eines Monats austausche, ohne dass sich die Anzahl der beitragspflichtigen Fahrzeuge ändere.
14
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.


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