Steuerrecht

(Belegnachweis bei innergemeinschaftlicher Lieferung – Keine Anwendung des § 6a Abs. 4 UStG bei unvollständigem Belegnachweis)

Aktenzeichen  XI R 8/11

Datum:
14.11.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 22 Abs 8 EWGRL 388/77
Art 28c Teil A EWGRL 388/77
§ 76 Abs 1 S 1 FGO
§ 96 Abs 1 S 1 FGO
§ 118 Abs 2 FGO
§ 120 Abs 3 Nr 2 Buchst b FGO
§ 155 FGO
§ 4 Abs 1 Buchst b UStG 1999
§ 6a Abs 1 UStG 1999
§ 6a Abs 3 UStG 1999
§ 6a Abs 4 UStG 1999
§ 14 Abs 4 S 1 Nr 8 UStG 1999
§ 14a UStG 1999
§ 25a UStG 1999
§ 10 Abs 1 UStDV 1999
§ 17a Abs 2 Nr 1 UStDV 1999
§ 17a Abs 2 Nr 4 UStDV 1999
§ 17a Abs 4 UStDV 1999
§ 295 ZPO
Spruchkörper:
11. Senat

Leitsatz

1. NV: Mit einem in mehrfacher Hinsicht unvollständigen Belegnachweis kann das Vorliegen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachgewiesen werden.   
2. NV: Aus einem auf der Rechnung befindlichen Vermerk “VAT@ zero for export” lässt sich nicht ohne Weiteres mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung handelt.

Verfahrensgang

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 23. Juni 2010, Az: 5 K 358/06, Urteil

Tatbestand

1
I. Streitig ist, ob eine (behauptete) Lieferung einer Motoryacht von Deutschland nach Y, Spanien, als innergemeinschaftliche Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) steuerfrei ist.
2
Der Revisionskläger (nachfolgend Kläger) ist Ehemann und Rechtsnachfolger der am … 2010 verstorbenen ehemaligen Klägerin (K). Diese meldete im Streitjahr 2003 bei der Stadt C ein Gewerbe mit dem Gegenstand “Vertrieb von Booten” an. Als Beginn des Gewerbes gab sie den … 2003 an.
3
K hatte bereits mit Vertrag vom 22. Oktober 2002 von einer T mit Sitz in X/Ibiza eine Motoryacht der Marke F zum Preis von 350.834,80 GBP gekauft. Die T war Vertragshändlerin der englischen Werft F für Ibiza. Inhaber der T waren im Streitjahr 2003 die Kinder MS und AS.
4
Am 12. Dezember 2002 verkaufte K an P mit Wohnsitz in Belgien eine Motoryacht, Typ F, zum Preis von 373.500 GBP. Die Yacht sollte im Juni 2003 in Deutschland geliefert werden.
5
Ende Mai/Anfang Juni 2003 kam es zwischen K und P zu einer die Finanzierung der Yacht betreffenden Korrespondenz. Mit Telefax vom 1. Juni 2003 teilte P der K mit, dass der Vertrag anstatt mit ihm nunmehr mit der L mit Sitz in Irland geschlossen werden solle. Gleichzeitig übermittelte er der K Anschrift und Steuernummer der L.
6
Bei L handelt es sich –wie das Finanzgericht (FG) ausgeführt hat– “nach den Feststellungen des Bundesamtes für Finanzen um eine wirtschaftlich nicht aktive Gesellschaft”. Die Gesellschaft habe in der Bilanz auf den 31. Dezember 2001 erklärt, dass der Geschäftsbetrieb ruhe. Bilanzen für spätere Jahre seien nicht eingereicht worden. Die Gesellschaft verfüge nur über eine Domiziladresse. Sie beschäftige kein Personal und verfüge über keinen Telefonanschluss.
7
Unter dem 7. Juni 2003 schloss K nunmehr einen Vertrag mit L über den Verkauf einer Motoryacht F, der im Wesentlichen inhaltsgleich war mit dem Vertrag vom 12. Dezember 2002. Der Preis betrug 350.834,80 GBP.
8
Laut einem internationalen CMR-Frachtbrief vom 16. Juni 2003 wurde die Yacht von der T an K durch spanische Frachtführer nach Z/Inland versandt; Tag der Übernahme war der 16. Juli 2003. Ausweislich eines am 23. Juli 2003 ausgestellten CMR-Frachtbriefes versandte K die Yacht an die L durch einen Frachtführer nach Y in Spanien.
9
Über die Lieferung der Yacht stellte K der L unter dem 11. Juli 2003  350.834,80 GBP in Rechnung. Die Rechnung wies keine Umsatzsteuer aus; sie enthielt den Zusatz “VAT@zero for export”, aber keinen ausdrücklichen Hinweis auf das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung oder auf deren Steuerfreiheit. Unter dem 14. Juli 2003 stellte die T der K die Yacht zum gleichen Preis in Rechnung.
10
K, die ansonsten im Streitjahr keine weiteren Umsätze ausführte, erklärte in der Umsatzsteuererklärung für 2003 einen steuerfreien innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 4b UStG) in Höhe von … € und eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG) in gleicher Höhe. Die Erklärung stand einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
11
In den Jahren 2005/2006 führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) bei K eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Im Rahmen dieser Prüfung legte K der Prüferin die CMR-Papiere, die genannten Rechnungen und Kontoauszüge über ein Konto von MS bei der Volksbank in C vor. Weitere Unterlagen über den Verkauf der Yacht hatte K nicht. Die Prüferin vertrat die Auffassung, dass K die Durchführung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachgewiesen habe. Sie habe den Buchnachweis nach § 17c der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) nicht geführt. Es stehe nicht fest, dass L die tatsächliche Abnehmerin der Yacht gewesen sei. Denn bei ihr handele es sich zwar um eine rechtlich existierende, aber wirtschaftlich nicht aktive Domizilgesellschaft. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, wie L das Geschäft mit K habe abwickeln sollen. Da nicht feststehe, dass L die tatsächliche Abnehmerin der Yacht gewesen sei und auch nicht feststellbar sei, dass der Abnehmer die Yacht für sein Unternehmen bezogen habe, liege keine innergemeinschaftliche Lieferung vor.
12
Das FA folgte dieser Auffassung und erließ am 13. Februar 2006 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2003, in dem es die Lieferung ausgehend von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von … € als steuerpflichtig behandelte und eine Umsatzsteuer in Höhe von … € festsetzte.
13
Der Einspruch vom 27. Februar 2006, der von K unter anderem damit begründet wurde, L habe am 31. Januar 2003 und am 3. Juni 2003 Zahlungen geleistet, sowie die Klage hatten keinen Erfolg.
14
Das FG führte aus, in den Fällen, in denen der Unternehmer den Liefergegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet versende, richte sich der zu erbringende Nachweis nach § 17a Abs. 4 UStDV. Danach müsse der Unternehmer das Doppel einer Rechnung und einen Beleg nach § 10 Abs. 1 UStDV vorlegen können. Zu diesen Belegen gehöre nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 UStDV insbesondere auch ein Frachtbrief. Es bestünden im Streitfall begründete Zweifel daran, ob die in der Rechnung und in dem Frachtbrief gemachten Angaben zu dem Leistungsempfänger zutreffend seien. Nach den vom Bundesamt für Finanzen (BfF) angestellten Ermittlungen handele es sich bei L um eine wirtschaftlich inaktive Domizilgesellschaft, die nach ihren eigenen Angaben in der zuletzt eingereichten Bilanz auf den 31. Dezember 2001 keine Geschäftsaktivitäten ausübe. Dies spreche dafür, dass nicht L die tatsächliche Leistungsempfängerin sei, sondern eine andere ihr nahestehende Person. Damit seien die Nachweispflichten nicht erfüllt.
15
K habe auch den Buchnachweis nicht geführt. Als Buchnachweis habe der Unternehmer die in § 17c UStDV genannten Angaben aufzuzeichnen. Aus der Buchführung müssten nach § 17c UStDV eindeutig und leicht nachprüfbar die Voraussetzungen der Steuerbefreiung einschließlich der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.) des Abnehmers zu ersehen sein. Darüber hinaus solle der Unternehmer die in § 17c Abs. 2 UStDV genannten Angaben aufzeichnen. Auch diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weil K nach den Feststellungen der Prüferin überhaupt keine Buchführung erstellt habe.
16
Könne K den Beleg- und Buchnachweis nicht führen, komme eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nur in Betracht, wenn aufgrund objektiver Umstände feststehe, dass die Motoryacht tatsächlich durch K von Deutschland nach Spanien geliefert worden sei. Einen derartigen Nachweis habe K nicht geführt. Es gebe keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass die Motoryacht, wie in dem Frachtbrief ausgewiesen, tatsächlich aufgrund der Lieferung durch K von Deutschland nach Spanien gelangt sei.
17
Die Vertrauensschutzregel des § 6a Abs. 4 UStG könne K nicht für sich in Anspruch nehmen, weil sie den Beleg- und Buchnachweis nicht geführt habe. Im Übrigen lasse sich auch nicht feststellen, dass K über die L als neue Käuferin Erkundigungen eingezogen habe.
18
Mit der Revision macht der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend. Er trägt vor, es liege eine Divergenz zwischen dem angefochtenen Urteil des FG und dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. Februar 2004 V B 180/03 (BFH/NV 2004, 988) vor, dem der Rechtssatz entnommen werden könne, dass allein die Annahme, es handele sich um einen sog. “missing trader”, nicht für die Feststellung ausreiche, andere Personen seien Empfänger der Lieferung; vielmehr seien die zivilrechtlichen Vereinbarungen entscheidend.
19
Zudem erweitere das FG die Anforderungen an den Beleg- und Buchnachweis in unzulässiger Weise. Es stütze seine Argumentation auf mutmaßlich eigene Aussagen des Leistungsempfängers, wonach in der zuletzt eingereichten Bilanz zum 31. Dezember 2001 keine eigene Geschäftstätigkeit angegeben sei. Es werde damit die zusätzliche Anforderung gestellt, die Bilanzen der Geschäftspartner einzusehen und auf “verdächtige” Inhalte hin zu prüfen. Darüber hinaus sei die Aussage für das Streitjahr nicht relevant, da die Geschäftstätigkeit jederzeit wieder hätte aufgenommen werden können. Dass dies tatsächlich geschehen sei, zeige auch die dem FG bekannte Anfrage einer Yachtagentur vom 18. April 2002, welche ohne eine Geschäftsanbahnung sinnlos gewesen wäre.
20
Ferner weise das angegriffene Urteil einen weiteren schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler auf, weil darin die vom BFH im Urteil vom 12. Mai 2009 V R 65/06 (BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511) für einen Beförderungsfall aufgestellten Rechtsgrundsätze unzutreffend auf eine Versendung im Allgemeinen übertragen würden.
21
Es liege auch ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten vor, weil die erforderlichen Angaben über den Buch- und Belegnachweis sämtlich zu Beginn der Umsatzsteuer-Sonderprüfung vorgelegen hätten. Es seien je ein Kaufvertrag über den Ein- und Verkauf, je eine Rechnung über den Ein- und Verkauf, Kontoauszüge mit den relevanten Zahlungseingängen und –ausgängen, vollständig ausgefüllte CMR-Frachtbriefe über die Lieferung nach und von Deutschland, der Schriftwechsel mit dem Endnutzer sowie eine Bestätigung der USt-IdNr. des Leistungsempfängers aus dem Jahr 2005 vorgelegt worden. Eine Buchführungspflicht habe nicht bestanden.
22
Als Nachweis über die physischen Warenbewegungen nach und von Deutschland habe K vollständig ausgefüllte CMR-Frachtbriefe vorgelegt. Im Streitfall seien auch Bestätigungen über den Warenempfang am Bestimmungsort durch Firmenstempel und Unterschriften erfolgt. Auch die geforderte Angabe des Bestimmungsortes in den Frachtpapieren sei erfüllt.
23
Ferner habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 21. Juni 2012 C-80/11 und C-142/11 –Mahagében und David– (Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2012, 591, BFH/NV 2012, 1404) seine “bisherige Rechtsprechung zur Beweislast im Umsatzsteuerverfahren” grundlegend geändert. Das Urteil sei zwar zur Beweislast beim Vorsteuerabzug ergangen; die Entscheidungsgründe seien aber auf die Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sinngemäß anwendbar.
24
Im Übrigen habe mittlerweile ermittelt werden können, dass der Vorgang von L als innergemeinschaftlicher Erwerb versteuert worden sei. Dies ergebe sich aus einem Schreiben des Z VAT Department an W bei L, in dem in Bezug auf Irish VAT angefragt werde, ob die Rechnung der K an L tatsächlich in britischen Pfund ausgestellt sei und aus einem anderen Dokument, aus dem zu ersehen sei, dass L tatsächlich für den Voranmeldungszeitraum Juli und August 2003 eine Steueranmeldung eingereicht habe (Schriftsatz vom 3. September 2012).
25
Schließlich rügt der Kläger, das FG sei voreingenommen gewesen. Es habe die Auskunft des BfF zu L vom 23. Februar 2005 unzutreffend wiedergegeben und auch nicht hinterfragt. Auch sei sein Beweisangebot in der mündlichen Verhandlung nicht weiter beachtet und unter die allgemeine Formulierung der Erörterung der Sach- und Rechtslage gefasst worden.
26
Der Kläger beantragt,das Urteil des FG und den geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2003 vom 13. Februar 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 12. Oktober 2006 aufzuheben,hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
27
Das FA beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
28
Nach seiner Ansicht hat das FG zutreffend entschieden. K habe weder den Beleg- noch den Buchnachweis geführt. Ein Buchnachweis sei nicht nur im Rahmen der allgemeinen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach Handelsrecht und Abgabenordnung, sondern auch im Rahmen der besonderen Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG und der §§ 63 ff. UStDV zu führen. Die Aufzeichnungspflichten würden auch für innergemeinschaftliche Warenlieferungen gelten.

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