Steuerrecht

Bewertung der Anteile an einer GmbH nach dem Stuttgarter Verfahren

Aktenzeichen  7 K 555/16

Datum:
20.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ErbStB – 2018, 110
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
BewG § 11 Abs. 2 S. 2, § 151 Abs. 1 Nr. 3
KStG § 8a Abs. 4
ErbStG § 12

 

Leitsatz

Tenor

1. Unter Änderung der Bescheide vom 14. August 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Werts des Anteils an der Klägerin zu 2 auf den 25. November 2008 für Zwecke der Erbschaftsteuer und der Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2016 wird ein Anteilswert von … € für 100 € des Nennkapitals der Klägerin zu 2 festgesetzt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Gründe

II.
Die Klage ist begründet. Die Bescheide vom 14. August 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 2. Februar 2016 sind rechtswidrig, weil das Finanzamt die Anteile an der Klägerin zu 2 zu Unrecht nach der für reine Holdinggesellschaften geltenden Regelung des R 103 Abs. 1 ErbStR bewertet hat.
1. Der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist, wenn er – wie im Streitfall – nicht aus Verkäufen abgeleitet werden kann, die weniger als ein Jahr zurückliegen, gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 des Bewertungsgesetzes in der für das Streitjahr gültigen Fassung (BewG) unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen. Als geeignetes Schätzungsverfahren ist das Stuttgarter Verfahren, das von der Finanzverwaltung zunächst in den Vermögensteuerrichtlinien (VStR) und ab 1999 dann in R 96 ff Erbschaftsteuerrichtlinien vom 21. Dezember 1998 – ErbStR -) geregelt worden ist, vom BFH in ständiger Rechtsprechung anerkannt worden (BFH-Urteil vom 6. März 1991 II R 18/88, BStBl II 1991, 558, m.w.N., BFH-Beschluss vom 26. Februar 2003 II B 191/01, BFH/NV 2003, 888). Nach dem Stuttgarter Verfahren ist zunächst der Vermögenswert zu ermitteln, der sodann aufgrund der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft korrigiert wird (BFH-Urteil vom 20. September 2000 II R 61/98, BFH/NV 2001, 747 mit weiteren Literaturnachweisen, BFH-Urteil vom 20. Oktober 1978 III R 31/76, BFHE 126, 227, BStBl II 1979, 34), sofern diese nach oben oder unten von einer Normalverzinsung des Kapitals, das den Unternehmenswert verkörpert, abweichen.
Mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist von diesem Verfahren nur abzuweichen, wenn es in Ausnahmefällen aus besonderen Gründen des Einzelfalls zu nicht tragbaren, d.h. offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (BFH-Urteile vom 17. Mai 1974 III R 156/72, BStBl II 1974, 626, sowie vom 6. Februar 1991 II R 87/88, BStBl II 1991, 459).
Bei der Bewertung der Anteile an einer Gesellschaft, die ihrerseits eine Beteiligung an einer Unter-Kapitalgesellschaft hält, kann durch die mehrfache Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Untergesellschaft ein sogenannter Kaskadeneffekt eintreten: Einerseits geht der für die Untergesellschaft festgestellte gemeine Wert, der auch unter Berücksichtigung von deren Ertragsaussichten geschätzt worden ist, in voller Höhe in den Vermögenswert der Obergesellschaft ein. Zusätzlich erhöhen die von der Untergesellschaft ausgeschütteten Erträge – bzw. bei Bestehen eines Ergebnisabführungsvertrags die gesamten abgeführten Erträge der Organgesellschaft – die Ertragsaussichten der Obergesellschaft. Wirtschaftlich gehen die Ertragsaussichten der Untergesellschaft damit doppelt – bei Beteiligungsketten mitunter sogar mehrfach – in einen nach der Regelbewertung des Stuttgarter Verfahrens ermittelten gemeinen Wert der Obergesellschaft ein (BFH-Urteil vom 12. Juli 2006 II R 75/04, BStBl II 2006, 704).
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Anteile an reinen Holding-Gesellschaften, die neben der Verwaltung ihrer Beteiligungen oder der Koordinierung der Beteiligungsgesellschaften keinen selbstständigen operativen Bereich haben, deshalb nur mit ihrem ungekürzten Vermögenswert zu bewerten. Eine Korrektur aufgrund der Ertragsaussichten entfällt, da die Anteile an der Holding-Gesellschaft in wirtschaftlicher Hinsicht identisch mit den von der Holding-Gesellschaft gehaltenen Beteiligungen sind (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 2000 II R 15/97, BStBl II 2000, 251, 253 zu Abschn. 81 Abs. 1 VStR 1989; R 103 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStR). Das Zwischenschalten der Holding-Gesellschaft bewirkt lediglich eine Effektensubstitution (BFH-Urteil vom 3. Dezember 1976 III R 98/74, BStBl II 1977, 235). Kosten der Verwaltung der Beteiligungen oder der Koordinierung der Beteiligungsgesellschaften dürfen demnach nicht zu einer Korrektur des Vermögenswertes führen, da es sich bei solchen Aufwendungen um Kosten für die Vermögensverwaltung auf der Ebene des Anteilseigners handelt. Solche Aufwendungen dürfen bei einer am Substanzwert orientierten Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nicht in die Wertermittlung einfließen (vgl. Christoffel, GmbH-Rundschau 1986, 392, 395).
Zur Vermeidung der als Kaskadeneffekt bezeichneten Kumulierung sehen R 103 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStR Sonderregelungen für reine Holdinggesellschaften, R 103 Abs. 2 ErbStR für Gesellschaften, deren Aktien und Anteile mehr als 75 v.H. ihres Rohvermögens ausmachen, sowie R 103 Abs. 4 ErbStR für Gesellschaften mit unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen von mehr als 50 v.H. des jeweiligen Grund- und Stammkapitals der Untergesellschaften vor. Der Sinn und Zweck der Regelung in R 103 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStR besteht darin, eine doppelte Erfassung der Erträge des Organs zu vermeiden, da sich die Erträge bereits bei der Bewertung der Anteile an der Organgesellschaft ausgewirkt haben (vgl. BFH-Urteil vom 2.Oktober 1985 II R 214/82, BStBl II 1986, 47). Der BFH hat ausgeführt (BFH-Urteil vom 26. Januar 2000 II R 15/97 (BStBl II 2000, 251), dass die in R 103 ErbStR enthaltenen Regelungen zur Vermeidung des Kaskadeneffektes als Ausnahmefälle zu der Regelbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren aus besonderen Gründen des Einzelfalls rechtlich geboten seien, dass aber aus § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG keine rechtliche Notwendigkeit folge, den systembedingten Kaskadeneffekt auch noch darüber hinaus zu neutralisieren. Soweit nicht weitere Gesichtspunkte wie der den Regelungen in Abschn. 81 Abs. 1 und 1 a VStR 1986/1989 bzw. R 103 ErbStR zugrundeliegende Gesichtspunkt der Effektensubstitution oder der Gesichtspunkt einer Organschaft mit Ergebnisabführung hinzu kämen, seien bei mehrstufigen Beteiligungsverhältnissen die Anteile an den Kapitalgesellschaften jeder Stufe für sich nach den Regeln des Stuttgarter Verfahrens zu bewerten. Der Kaskadeneffekt sei dann regelmäßig hinzunehmen.
3. Im Streitfall ist keine der genannten Sonderregelungen anwendbar. Insbesondere handelt es sich bei der Klägerin zu 2 nicht um eine Holdinggesellschaft i.S.d. R 103 Abs. 1 ErbStR. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist unter einer Holdinggesellschaft zwar eine Gesellschaft zu verstehen, die – wie die Klägerin zu 2 entsprechend ihres in § 2 Abs. 1 ihrer Satzung niedergelegten Gesellschaftszwecks – nicht selbst produziert, die aber Aktien anderer Gesellschaften besitzt und diese dadurch beeinflusst oder beherrscht (vgl. www.duden.de, Gabler Wirtschaftslexikon, Springer). Allerdings besteht das Betriebsvermögen der Klägerin zu 2 unter Einbeziehung der mittelbar über die Holding gehaltenen Beteiligungen an GmbHs und der eigenen Minderheitsbeteiligungen an GmbHs unstreitig nur ungefähr zu 32 v.H. aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften und zu 68 v.H. aus Personengesellschaften. Anders als das Finanzamt meint, fallen unter den Anwendungsbereich des R 103 Abs. 1 ErbStR – ohne dass es in den Richtlinien entsprechend definiert wird – nur Holdinggesellschaften, die ausschließlich Anteile an Kapitalgesellschaften halten (vgl. auch Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. April 2009 4 K 1274705, EFG 2009, 1272 zur entsprechenden Anwendung des R 103 Abs. 1 ErbStR).
Wie der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, soll mit den Ausnahmereglungen in R 103 ErbStR zur Bewertung nach dem Stuttgarter Verfahren der so genannte Kaskadeneffekt vermieden werden. Außerdem setzt die Außerachtlassung der Ertragsaussichten der Unter-Gesellschaften voraus, dass der Anteil am Stammkapital der Unter-Gesellschaft mehr als 50 v. H. beträgt (vgl. z.B.: BFH vom 26. Januar 2000 II R 15/97, BStBl II 2000 S. 251; BFH vom 20. September 2000 II R 61/98, BFH/NV 2001 S. 747; BFH vom 18. März 2005 II R 76/04, BFH/NV 2006 S. 1257; zustimmend: Gebel a.a.O., Rz 405 zu § 12 ErbStG; Viskorf in Viskorf/Glier/Hübner/ Knobel/Schuck, Kommentar zum Erbschafteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 2. A. 2004, Rz 91 zu § 11 BewG; Mannek in Gürsching/ Stenger, Kommentar zum Bewertungsrecht, Loseblatt Stand August 2007, 365 zu § 11 BewG). Im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben des § 11 Abs. 2 S. 2 BewG, demzufolge bei der Schätzung des gemeinen Werts auch die Ertragsaussichten zu berücksichtigen, fehlt es an einer Rechtfertigung für eine weitere Abstufung der Beteiligungsquote (BFH vom 26. Januar 2000 II R 15/97 a.a.O.).
So hat der BFH im Urteil vom 6. März 1991 II R 18/88 (BStBl II 1991, 558) – zu einem Fall, in dem der Organträger Verluste von Organ(Kapital) gesellschaften übernommen hatte, an denen er mit 86,25 v.H. bzw. 100 v.H. beteiligt war – ausgeführt, dass die Richtlinienregelung, die eine Neutralisierung der Verluste bei der Ermittlung der Ertragsaussichten des Organträgers anordne, sachgerecht sei.
Andererseits hat der BFH in BFH/NV 2001, 747 entschieden, dass es bei Beteiligungen an Personengesellschaften – im Streitfall ging es um Beteiligungen von 50 v. H. an Untergesellschaften und die Anwendbarkeit von Abschn. 83 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VStR 1986/1989 (entspricht R 103 Abs. 4 Satz 4 ErbStR) – hinsichtlich derer Erträge zu keinem Kaskadeneffekt kommen könne, weil die in den Einheitswert des Betriebsvermögens der Personengesellschaft eingehenden Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter keine Ertragswerte, sondern reine Substanzwerte sind. Bei Beteiligungen an Personengesellschaften komme es nicht zu einer zweimaligen Berücksichtigung der von diesen erwirtschafteten Erträgen, so dass kein Ausnahmefall von der Regelbewertung des Stuttgarter Verfahrens gegeben war.
Ebenso lehnte der BFH die Notwendigkeit einer Neutralisierung des Kaskadeneffekts für Beteiligungen von bis zu 50 v.H. im Urteil in BFHE 191, 393, BStBl II 2000, 251 ab, in dem es um die Bewertung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ging, die zu 33 v.H. an einer KG beteiligt war, die ihrerseits als Organträgerin für mehrere Organgesellschaften fungierte, an denen sie mit bis zu 100 v.H. beteiligt war. Soweit insoweit der für die Untergesellschaft festgestellte gemeine Wert, der auch unter Berücksichtigung von deren Ertragsaussichten geschätzt worden ist, in voller Höhe in den Vermögenswert der Obergesellschaft eingeht und zusätzlich die von der Untergesellschaft ausgeschütteten Erträge ihre Ertragsaussichten erhöhen, ist der damit verbundene Kaskadeneffekt hinzunehmen. Im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben des § 11 Abs. 2 S. 2 BewG, demzufolge bei der Schätzung des gemeinen Werts auch die Ertragsaussichten zu berücksichtigen, fehlt es an einer Rechtfertigung für eine weitere Abstufung der Beteiligungsquote (BFH vom 26. Januar 2000 II R 15/97 a.a.O.). Der BFH hat insoweit den Grundsatz aufgestellt, dass bei einer GmbH, die unmittelbar oder mittelbar an anderen Kapitalgesellschaften zu weniger als 50 v.H. beteiligt ist, bei der Schätzung des gemeinen Werts ihrer Anteile nach den Regeln des Stuttgarter Verfahrens die Korrektur des Vermögenswerts ungeachtet des Gewichts des Beteiligungsbesitzes für das gesamte Betriebsvermögen der GmbH auf Grund der Ertragsaussichten unter Einschluss der Beteiligungserträge erfolgen muss. Außerdem sei eine Ausdehnung des in R 103 Abs. 4 Satz 1 ErbStR auf weitere Fallgruppen nicht zulässig.
Aufgrund dieser Rechtsprechung zur Neutralisierung des Kaskadeneffekts ergibt sich nach Ansicht des Senats, dass es sich bei den in R 103 Abs. 1 Satz 1ErbStR genannten Holdinggesellschaften nicht um Gesellschaften handeln kann, die zu mehr als 50 v.H. Anteile an Personengesellschaften halten und verwalten. Soweit der BFH entschieden hat, dass eine weitere Absenkung des Beteiligungsbesitzes von 50 v. H. an Kapitalgesellschaften für die Anwendung der Ausnahmeregelung in R 103 Abs. 4 ErbStR nicht in Betracht kommt, kann daraus nur der Schluss gezogen werden, dass die Regelung des R 103 Abs. 1 Satz 1 ErbStR nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass davon auch Holdinggesellschaften erfasst werden, die wie die Klägerin überwiegend, d.h. zu mehr als 50 v. H. Anteile an Personengesellschaften – im Streitfall rund 68 v.H. – halten und verwalten.
Im Streitfall liegen auch keine besonderen Gründe vor, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Regelbewertung des Stuttgarter Verfahrens rechtfertigen (vgl. BFH-Beschluss vom 26. Februar 2003 II B 191/01, BFH/NV 2003, 888 m.w.N.). Es ist dem Finanzamt zwar insoweit zuzustimmen, dass der Anteilswert nach der Regelbewertung durch die Zwischenschaltung von Gesellschaften immer beeinflusst wird. Zu nicht tragbaren und offensichtlich unrichtigen Ergebnissen kommt es dabei jedoch nur, wenn die von der Untergesellschaft ausgeschütteten Erträge die Ertragsaussichten der Obergesellschaft erhöhen. Der Eintritt des Kaskadeneffekts ist jedoch erst ab Beteiligungen von mehr als 50 v. H. an Kapitalgesellschaften nicht hinzunehmen.
Soweit das Finanzamt eingewandt hat, dass es sich bei der Holding und deren Beteiligungen nicht um ertragsschwache Unternehmen handle, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Wert der jeweiligen Beteiligungen infolge des Grundsatzes der Effektensubstitution in die Bewertung der Anteile an der Klägerin zu 2 eingeflossen ist.
Die Richtigkeit der (rechnerischen) Bewertung der Anteile nach dem Stuttgarter Verfahren ist zwischen den Parteien nicht streitig, im Übrigen sind insoweit auch keine Fehler ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

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