Steuerrecht

Einkommensteuer 2011 bis 2013

Aktenzeichen  3 K 348/17

Datum:
11.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ErbStB – 2018, 170
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Buchst. b, § 45a Abs. 1
KWG § 32 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Einkommensteuerbescheide 2011, 2012 und 2013 vom 23.10.2015, für 2012 und 2013 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 13.05.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.03.2017, sind dahin zu ändern, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen i.H.v. 12.053 € für 2011, i.H.v. 111.323 € für 2012 und i.H.v. 242.888 € für 2013 nicht angesetzt werden und die Einkommensteuer entsprechend niedriger festgesetzt wird. Die Berechnung der Steuer wird dem Finanzamt übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist begründet. Die Kläger sind durch die angefochtenen Bescheide in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzamt hat auf die (Schein-)Gewinne aus Aktienverkäufen zu Unrecht Steuer festgesetzt, da die Einkommensteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) insoweit mit dem Steuerabzug abgegolten ist.
Der Kläger hat in den Streitjahren mit den Geldanlagen bei der Fa. C Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt. Dazu gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) Gewinnanteile aus Aktien (Dividenden) und nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft i.S.d. Abs. 1 Nr. 1 (Aktienverkäufe).
Gewinn i.S.d. Abs. 2 ist gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten. Einnahmen (§ 8 EStG) sind nach ständiger Rechtsprechung zugeflossen i.S.d. § 11 Abs. 1 EStG, sobald der Steuerpflichtige darüber wirtschaftlich verfügen kann. Auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn in ihr nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuld zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Ein Zufluss kann auch dadurch bewirkt werden, dass Gläubiger und Schuldner vereinbaren, das Geld erneut anzulegen, wenn diese Vereinbarung auf einem freien Entschluss des Gläubigers beruht. Dass es sich bei den Erträgen im Streitfall um sog. „Scheinrenditen“ gehandelt hat, spielt dabei keine Rolle. Gutschriften aus Schneeballsystemen führen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge bereit und fähig gewesen wäre (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH-Urteil vom 16.03.2010 VIII R 4/07, BStBl II 2014, 147). Das war bei den hier in Rede stehenden Beträgen unstreitig und unzweifelhaft der Fall. B hat nach Aktenlage noch im Februar 2013 Beträge an den Kläger ausgezahlt. Das Schneeballsystem ist erst durch seine Verhaftung im Mai/Juni 2013 zusammengebrochen. Über die Frage des Zuflusses als solchen, den Zuflusszeitpunkt und die Höhe der zugeflossenen Beträge besteht auch kein Streit.
Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG wird bei inländischen Kapitalerträgen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG (43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG) die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben (Kapitalertragsteuer). Die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht unter § 20 Abs. 8 EStG fallen, beträgt 25 Prozent,§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG.
Für Kapitalerträge i.S.d. § 20, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, ist die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug abgegolten, § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG. Ist der nach den materiell-rechtlichen Regelungen des § 20 EStG zu ermittelnde Gewinn höher als die im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs berücksichtigte Bemessungsgrundlage, besteht für den darüber hinausgehenden Betrag eine Veranlagungspflicht nach § 32d Abs. 3 EStG, um Steuergestaltungsmodellen einen Riegel vorzuschieben (Knaupp, in Kirchhof EStG Kommentar, 16. Aufl., § 43 Rz. 25 mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung und BMF vom 18.01.2016, BStBl I 2016, 85
Rz. 183). Für die Auffassung des Finanzamts, Kapitalerträge hätten der Kapitalertragsteuer nur unterlegen, wenn die Steuer angemeldet und abgeführt worden sei, gibt es weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte.
Die Abgeltungssteuer wurde mit Gesetz vom 14.08.2007 eingeführt (BGBl I 2007, 1912) und gilt nach § 52a Abs. 1 EStG erstmalig für Kapitalerträge, die dem Gläubiger nach dem 31.12.2008 zufließen. Durch die Einführung der Abgeltungssteuer sollte die gesonderte Veranlagung des Leistungsempfängers überflüssig werden.
Die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs tritt nicht ein, wenn der Gläubiger nach § 44 Abs. 1 Satz 8 und 9 und Abs. 5 in Anspruch genommen werden kann, § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 EStG.
§ 44 Abs. 1 Satz 8 und 9 EStG i.d.F. der Streitjahre betrifft Fälle, in denen die Kapitalerträge ganz oder teilweise nicht in Geld bestehen und der in Geld geleistete Betrag nicht zur Deckung der Kapitalertragsteuer ausreicht, § 44 Abs. 1 Satz 7 EStG. Das ist hier nicht der Fall.
Gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG wird der Gläubiger der Kapitalerträge nur in Anspruch genommen, wenn (1.) der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle oder die die Kapitalerträge auszahlende Stelle die Kapitalerträge nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat, (2.) der Gläubiger weiß, dass der Schuldner, die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle oder die die Kapitalerträge auszahlende Stelle die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat, und dies dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt oder (3.) das die Kapitalerträge auszahlende inländische Kreditinstitut oder das inländische Finanzdienstleistungsinstitut die Kapitalerträge zu Unrecht ohne Abzug der Kapitalertragsteuer ausgezahlt hat.
Im Streitfall war B, der mit der C ein Finanzdienstleistungsinstitut i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Buchst. b – wenn auch ohne die erforderliche Genehmigung – betrieb, „die die Kapitalerträge auszahlende Stelle“ i.S.d § 44 Abs. 1 Satz 4 EStG. Er hatte deshalb gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG im Zeitpunkt des Zuflusses der Kapitalerträge beim Gläubiger (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG) den Steuerabzug für Rechnung des Gläubigers (des Klägers) vorzunehmen. Das hat er auch getan. Aus den vorliegenden Abrechnungen ergibt sich, dass er bei Ermittlung des auszuzahlenden bzw. zur Wiederanlage zur Verfügung stehenden Betrages die auf die scheinbar erzielten Kapitalerträge entfallende Abgeltungssteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) in Abzug gebracht hat. Soweit Beträge ausgezahlt wurden, geschah dies nach Abzug der Abgeltungssteuer. Dass B tatsächlich weder Aktien gekauft, noch verkauft und deshalb tatsächlich auch keine Erträge erzielt hat, von denen er die Steuer hätte einbehalten können, spielt – entgegen der Auffassung des Finanzamts – keine Rolle. Wenn Scheinrenditen steuerbar sind, müssen auch von einem scheinbaren Ertrag einbehaltene Steuerabzugsbeträge berücksichtigt werden.
Der Kläger hat nicht gewusst, dass B die einbehaltende Kapitalertragsteuer entgegen seiner Verpflichtung nach § 45a Abs. 1 Satz 1 EStG nicht angemeldet und entgegen seiner Verpflichtung nach § 44 Abs. 1 Satz 5 EStG auch nicht an das Finanzamt abgeführt hat. Er kann deshalb nicht nach § 44 Abs. 5 EStG in Anspruch genommen werden.
Nach § 43 Abs. 5 Satz 2 EStG entfällt die Abgeltungswirkung nach Satz 1 Halbsatz 1 auch in den Fällen des § 32d Abs. 2 EStG, in denen der Abgeltungssteuersatz von 25 Prozent nicht gilt, und für Kapitalerträge, die zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören. Das ist hier nicht der Fall.
Auf Antrag des Gläubigers werden Kapitalerträge i.S.d. Satzes 1 in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 32d EStG einbezogen, § 43 Abs. 5 Satz 3 EStG. Einen solchen Antrag hat der Kläger nicht gestellt.
Würde man mit dem Finanzamt – entgegen dem Gesetzeswortlaut – für die Abgeltungswirkung des § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 EStG auf die Abführung der Kapitalertragsteuer abstellen, so würde der Ausschluss nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG leerlaufen, der den Ausschluss unter die Voraussetzung der Kenntnis des Schuldners von der nicht vorschriftsmäßigen Abführung stellt.
Damit hat der Steuerabzug abgeltende Wirkung. Die Einkünfte werden nicht Teil des Veranlagungsverfahrens (vgl. Lammers, in Herrmann/Heuer/Raupach EStG Kommentar, Lfg. 277, § 36 Rz. 42). Dies ist kein Fall der Steueranrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG. Eine Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 oder 3 EStG ist – entgegen der Auffassung des Finanzamts – nicht erforderlich.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil noch keine Rechtsprechung des BFH zu diesem Problem vorliegt und bei der Finanzverwaltung zahlreiche Parallelverfahren geführt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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