Aktenzeichen VI R 89/10
Leitsatz
Bringen Steuerpflichtige mit einer entsprechenden Behinderung für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen für ein Kraftfahrzeug durch individuell ermittelte Kilometersätze in Abzug, sind die nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung für die Beschaffung des Kraftfahrzeugs sowie für eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung erhaltenen Zuschüsse mittels einer Kürzung der AfA-Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 27. Mai 2010, Az: 6 K 2712/07, Urteil
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob sozialrechtliche Zuschüsse für den behindertengerechten Umbau eines Kraftfahrzeugs die für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte zu berücksichtigenden tatsächlichen Aufwendungen eines behinderten Menschen mindern.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin, deren Grad der Behinderung 100 beträgt, war im Streitjahr nichtselbständig tätig. Für die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte benutzte sie ein Kraftfahrzeug, das behindertengerecht umgebaut wurde. Der Umbau verursachte im Kalenderjahr 2003 und im Streitjahr 2004 Kosten in Höhe von insgesamt 109.757,07 €. Ferner fielen im Streitjahr 2004 für das Kraftfahrzeug sonstige Fahrtkosten an. Die Deutsche Rentenversicherung Bund gewährte für den behindertengerechten Umbau des Kraftfahrzeugs einen Zuschuss nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV) in Höhe von 107.140 €.
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Die Kläger sind der Ansicht, auch insoweit Aufwendungen für die Anschaffung des Kraftfahrzeugs wirtschaftlich getragen zu haben als ihnen Kraftfahrzeughilfe gewährt worden sei. Dies folge aus den Grundsätzen zum abgekürzten Zahlungsweg. Daher stünden den Klägern neben den im Streitjahr 2004 entstandenen sonstigen Fahrtkosten die Absetzung für Abnutzung (AfA) für die gesamten Anschaffungskosten des Kraftfahrzeugs zu. Dementsprechend begehrten sie für das Streitjahr 2004 bei den Werbungskosten der Klägerin den Ansatz von tatsächlichen Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte in Höhe von 1,59 €/km.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) minderte dagegen die Bemessungsgrundlage für die AfA des Kraftfahrzeugs um die als Zuschuss gewährte Kraftfahrzeughilfe, so dass sich ein Kilometersatz von 0,30 €/km ergab.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 601 veröffentlichten Gründen ab.
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Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Kläger beantragen,das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 27. Mai 2010 6 K 2712/07 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 vom 26. Mai 2006 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 13. November 2007 dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 14.752,76 € anerkannt werden.
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Das FA beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht den von der Deutschen Rentenversicherung Bund gewährten Zuschuss bei der Berechnung der tatsächlichen Wegekosten durch eine Minderung der Anschaffungskosten für das Kraftfahrzeug berücksichtigt.
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1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,30 € anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 € im Kalenderjahr; ein höherer Betrag als 4.500 € ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt.
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Allerdings können Behinderte, deren Grad der Behinderung mindestens 70 beträgt, für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen in Abzug bringen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 EStG). Aufgrund dessen kann ein Steuerpflichtiger mit einer entsprechenden Behinderung die tatsächlichen Wegekosten nach seiner Wahl entweder ohne Einzelnachweis nach pauschalierten Kilometersätzen oder nach individuellen –anhand der nachgewiesenen Fahrzeugaufwendungen ermittelten– Kilometersätzen berechnen (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 5. Mai 2009 VI R 77/06, BFHE 225, 64, BStBl II 2009, 729, m.w.N.).
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a) Bei der Ermittlung der tatsächlichen Wegekosten anhand von individuellen Kilometersätzen sind die gesamten Fahrzeugkosten zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1982 VI R 192/79, BFHE 136, 488, BStBl II 1983, 17, Zinsen für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs; Bergkemper in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 643). Zu den abziehbaren Werbungskosten gehört mithin gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG auch die AfA, deren Bemessungsgrundlage nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG die Anschaffungs- oder Herstellungskosten sind.
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b) Die Anschaffungskosten mindern sich jedoch insoweit, als der Steuerpflichtige Leistungen nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung für die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs oder den Erwerb einer behinderungsbedingten Zusatzausstattung erhalten hat.
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aa) Denn gemäß § 255 Abs. 1 Satz 3 des Handelsgesetzbuchs (HGB) sind von den Anschaffungskosten Anschaffungspreisminderungen abzusetzen. § 255 Abs. 1 HGB gilt mit seinem einheitlichen Anschaffungskostenbegriff gleichermaßen im Bereich der Gewinneinkünfte wie im Bereich der Überschusseinkünfte (BFH-Urteile vom 26. Februar 2002 IX R 20/98, BFHE 198, 425, BStBl II 2002, 796; vom 19. Dezember 2000 IX R 100/97, BFHE 194, 182, BStBl II 2001, 345; vom 21. Januar 1999 IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638; vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362). Die Bestimmung des § 255 Abs. 1 Satz 3 HGB über Anschaffungspreisminderungen gilt nicht nur für Kaufpreisnachlässe, sondern nach dem Zweck der Aktivierungsnorm ganz allgemein für Ermäßigungen der Anschaffungskosten und damit für Rückflüsse von im Zusammenhang mit dem Erwerb geleisteten Aufwendungen, die nicht sofort abziehbar, sondern auf die Zeit der Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts zu verteilen gewesen wären (BFH-Urteil in BFHE 198, 425, BStBl II 2002, 796). So verhält es sich etwa dann, wenn Anschaffungsnebenkosten zurückgezahlt oder Anschaffungsausgaben von Dritten erstattet oder vergütet werden, sofern hierin nicht ein Entgelt für eine Leistung des Empfängers liegt (BFH-Urteile in BFHE 198, 425, BStBl II 2002, 796; vom 14. Juli 1988 IV R 78/85, BFHE 154, 212, BStBl II 1989, 189). Der Minderungsvorgang muss mit dem Anschaffungsgeschäft so verbunden sein, dass der Zufluss von Gütern in Geld oder Geldeswert als Ermäßigung (Rückführung) von Anschaffungskosten bewertet werden kann. Nicht notwendig ist indes eine rechtliche oder gar synallagmatische Verknüpfung; ausreichend ist vielmehr ein wirtschaftlicher Zusammenhang, der gegeben ist, wenn der maßgebende Anlass für den Minderungsvorgang in der Anschaffung liegt (BFH-Urteile vom 7. Dezember 2010 IX R 46/09, BFHE 236, 87, BStBl II 2012, 310; in BFHE 198, 425, BStBl II 2002, 796).
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bb) Dementsprechend mindern die als Zuschuss für die Beschaffung eines Kraftfahrzeugs sowie für eine behindertengerechte Zusatzausstattung gewährten Leistungen nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung die Anschaffungskosten. Denn der maßgebende Anlass für die Gewährung der Kraftfahrzeughilfe liegt in der Beschaffung eines Kraftfahrzeugs (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 KfzHV i.V.m. § 5 KfzHV) und in dem Erwerb einer behinderungsbedingten Zusatzausstattung (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 KfzHV i.V.m. § 7 KfzHV).
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2. Nach diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden. Die im Streitfall gewährte Kraftfahrzeughilfe mindert die tatsächlichen Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte, indem die AfA-Bemessungsgrundlage um den Zuschuss gekürzt wird. Damit hat das FG die tatsächlichen Wegekosten zu Recht mit einem Kilometersatz von 0,30 €/km berücksichtigt.