Steuerrecht

Revision gegen Berufungsurteil nach übersehener Rechtskraft des Strafbefehls

Aktenzeichen  2 OLG 110 Ss 89/18

Datum:
30.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NStZ-RR – 2019, 93
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 37, § 44, § 45, § 335, § 341 Abs. 1, § 344, § 345 Abs. 2, § 358 Abs. 2, § 410 Abs. 1
ZPO § 180, § 418

 

Leitsatz

1. Ist der Strafbefehl dem Beschuldigten wirksam zugestellt worden, wird durch nachfolgende weitere und deshalb überflüssige Zustellungen die bereits durch die Erstzustellung in Lauf gesetzte Einspruchsfrist auch dann nicht wieder neu in Lauf gesetzt, wenn mit den späteren Zustellungen erneut (inhaltlich unzutreffende) Rechtsmittelbelehrungen erteilt wurden (u.a. Anschluss an BGH [9. Zivilsenat], Beschl. v. 20.10.2005 – IX ZB 147/01 = NJW-RR 2006, 563 = IPRspr 2005, Nr 160, 439 und OLG Bamberg, Beschl. v. 02.02.2017 – 2 Ss OWi 23/17 = OLGSt StPO § 145a Nr 5). (Rn. 6)
2. Auf die Sachrüge hin hat das Revisionsgericht im Rahmen einer zulässigen Revision das Verfahrenshindernis der Rechtskraft eines vorangegangen Strafbefehls und damit die Unzulässigkeit eines verspäteten Einspruchs gegen den Strafbefehl von Amts wegen zu beachten. Ist von einem rechtskräftigen Strafbefehl auszugehen, ist ein gleichwohl in der Sache ergangenes unstatthaftes, aber nicht nichtiges Berufungsurteil vom Revisionsgericht aufzuheben und der (verspätete) Einspruch – gegebenenfalls unter Beachtung des Schlechterstellungsverbots (§ 358 Abs. 2 StPO) – als unzulässig zu verwerfen (st.Rspr., u.a. Anschluss an BayObLG, Urt. v 16.08.1961 – 1 St 282/61 = BayObLGSt 1961,195; OLG München, Beschl. v. 28.12.2007 – 4 St RR 227/07 = NJW 2008, 1331 = NStZ 2009, 110 und OLG Hamm, Beschl. v. 20.02.2013 – 3 RBs 13/13 = ZfS 2013, 232). (Rn. 7 und 8)

Gründe

Das AG erließ am 14.07.2017 gegen den Angekl. einen Strafbefehl, mit dem gegen diesen wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 Euro festgesetzt und die Einziehung des bei ihm am 12.06.2017 sichergestellten Plakates angeordnet wurde. Der Strafbefehl wurde dem Angekl. am 19.07.2017 mittels Ersatzzustellung durch Einlegung in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt. Nachdem die Deutsche Post AG mitgeteilt hatte, dass das zuzustellende Schriftstück nachträglich wieder im Bereich der Deutschen Post AG aufgefunden worden sei, ordnete der Tatrichter am 04.08.2017 die erneute Zustellung des Strafbefehls an den Angekl. an, welche am 08.08.2017 bewirkt wurde. Nach zwei weiteren entsprechenden Postmitteilungen ordnete das AG am 21.08.2017 und 05.09.2017 jeweils nochmals die Zustellung des Strafbefehls an den Angekl. an, welche am 23.08.2017 bzw. 08.09.2018, zuletzt unter Mitwirkung der für den Wohnort des Angekl. zuständigen Polizeiinspektion, bewirkt wurde. Auf den Einspruch des Angekl. vom 19.09.2017, beim AG eingegangen am 20.09.2017, verhängte das AG gegen ihn mit Urteil vom 10.01.2018 wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15,00 Euro und ordnete die Einziehung des sichergestellten Plakates an. Die hiergegen gerichteten Berufungen des Angekl. sowie der StA verwarf das LG mit Urteil vom 03.07.2018 als unbegründet. Eine Rechtsmittelbelehrungwurde dem in der Hauptverhandlung vom 03.07.2018 anwesenden Angekl. nicht erteilt. Auf Anordnung der Vorsitzenden der Berufungskammer wurde dem Angekl. mit Schreiben vom 11.07.2018, zugestellt am 13.07.2018, eine Rechtsmittelbelehrung, verbunden mit dem Hinweis, dass er Revision innerhalb einer Woche ab Zustellung der Belehrung in Verbindung mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen könne, übersandt. Am 16.07.2018 legte der Angekl. zu Protokoll der Geschäftsstelle des LG Revision gegen das Urteil vom 03.07.2018 ein und begründete diese zugleich mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Unter dem 19.11.2018 wies der Senat den Angekl. darauf hin, dass der Strafbefehl seit 03.08.2018 Rechtskraft erlangt haben dürfte, was von AG und LG übersehen worden sein dürfte, weshalb beabsichtigt sei, dem Angekl. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision zu gewähren, auf seine sodann zulässige Revision hin das Urteil des LG vom 03.07.2018 aufzuheben und den Einspruch vom 19.09.2017 gegen den Strafbefehl vom 14.07.2017 mit der Maßgabe als unzulässig zu verwerfen, dass es bei der durch Urteil des LG festgesetzten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verbleibt. Das OLG hat dem Angekl. entsprechend seiner Ankündigung auf seine Kosten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gewährt, auf seine Revision hin das Urteil des LG und (klarstellend) auch das Urteil des AG aufgehoben sowie den Einspruch gegen den Strafbefehl mit der Maßgabe kostenfällig als unzulässig verworfen, dass es bei der durch Urteil des LG vom 03.07.2018 verhängten Geldstrafe verbleibt.
I.
Dem Angekl. ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision zu gewähren, § 45 II 2 und 3 StPO.
Der Angekl. hat die Wochenfrist für die Einlegung der Revision (§ 341 I StPO) gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Berufungsurteil des LG vom 03.07.2018 versäumt, welche mit Ablauf des 10.07.2018 geendet hatte. Er hat erst am 16.07.2018 zu Protokoll der Geschäftsstelle des LG Revision eingelegt und diese zugleich mit der „Verletzung formellen und materiellen Rechts“ begründet. Zwar hat er hierbei nicht ausdrücklich einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Dies ist jedoch unschädlich, denn Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision kann ihm gem. § 45 II 2 und 3 StPO von Amts wegen gewährt werden. Da ihm in der Hauptverhandlung vom 03.07.2018 eine Rechtsmittelbelehrungnicht erteilt worden ist, ist die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist als unverschuldet anzusehen, § 44 2 StPO. Nach Zugang der entsprechenden Rechtsmittelbelehrungam 13.07.2018 hat er innerhalb der Wochenfrist des § 45 I 1 Revision eingelegt. Einer Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen nach § 45 II 1 StPO bedurfte es vorliegend schon deshalb nicht, weil diese Umstände aktenkundig sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 45 Rn. 12). Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Angekl. zur Last, § 473 VII StPO. Die Gewährung der Wiedereinsetzung bewirkt, dass die am 16.07.2018 zu Protokoll der Geschäftsstelle des LG aufgenommene Einlegung der Revision als fristgerecht anzusehen ist. Unbeschadet der Tatsache, dass das angefochtene Urteil des LG vom 03.07.2018 dem Angekl. noch nicht zugestellt worden ist, liegt aber auch bereits eine zugleich mit ihrer Einlegung durch Erhebung der Sachrüge formgerecht erklärte Begründung der Revision (§ 345 II StPO) vor, sodass der Senat davon absehen kann, die Sache nochmals an das LG zurückzugeben, damit das Urteil an den Angekl. zugestellt werden und dieser ggf. seine Revision weiter begründen kann. Die Sache ist vielmehr bereits jetzt entscheidungsreif, ohne dass es noch auf weiteres Revisionsvorbringen des Angekl. ankommen könnte.
II.
Der statthaften (§ 335 StPO) und auch im Übrigen zulässigen (§§ 344, 345 StPO) Revision ist im Ergebnis der Erfolg zu versagen.
Auf die Revision des Angekl. sind das Urteil des LG vom 03.07.2018 sowie (klarstellend) das Urteil des AG vom 10.01.2018 aufzuheben und ist der Einspruch des Angekl. vom 19.09.2017 gegen den Strafbefehl des AG vom 14.07.2017 unter Beachtung des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 II StPO) als unzulässig zu verwerfen.
1. Der Einspruch des Angekl. vom 19.09.2017 gegen den Strafbefehl vom 14.07.2017 ist nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 410 I StPO eingelegt worden, was sowohl das AG als auch das LG übersehen haben. Ausweislich der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde (PZU) ist die erste Zustellung des Strafbefehls vom 14.07.2017 an den Angekl. mittels Ersatzzustellung gemäß § 37 StPO i.V.m. § 180 ZPO am 19.07.2017 durch Einlegung in den zu seiner Wohnung gehörenden Briefkasten erfolgt. Die Zustellungsurkunde begründet den vollen Beweis der in ihr bezeugten Zustellung (§ 418 ZPO; BVerfG NStZ-RR 1997, 70). Zwar ist für die nach § 418 I ZPO als bewiesen zu wertenden Tatsachen gemäß § 418 II ZPO der Gegenbeweis zulässig; erforderlich ist insoweit jedoch eine vollständige Beweisführung, insbesondere eine substantiierte Darlegung und der Nachweis des Gegenteils (OLG Bamberg, Beschluss vom 22.02.2012 – 3 Ss OWi 100/12 = DAR 2012, 268). Hierzu hat der Angekl. in seinem Schreiben vom 25.11.2018 indes nichts vorgetragen, sodass der Senat von der Wirksamkeit der ersten Zustellung auszugehen hat. Mit Ablauf des 02.08.2017 war daher die zweiwöchige Einspruchsfrist abgelaufen, weshalb der verfahrensgegenständliche Strafbefehl seit 03.08.2017 rechtskräftig ist. Dass sich der zuständige Richter nach (mehrfacher) Mitteilung der Deutschen Post AG […] veranlasst sah, (mehrfach) die erneute Zustellung des Strafbefehls an den Angekl. anzuordnen, ändert hieran nichts. Die nochmaligen Zustellungen des ergangenen Strafbefehls […] haben die bereits mit dem 02.08.2017 abgelaufene Einspruchsfrist nicht wieder in Lauf gesetzt, desgleichen auch nicht die mit den Zustellungen jeweils erneut erteilten Rechtsmittelbelehrungen. Denn die gesetzliche Regelung zum Beginn und Ablauf einer Rechtsmittelfrist bleibt auch dann maßgebend, wenn erneut zugestellt und dabei falsch belehrt worden ist. Eine neuerliche Zustellung mit erneuter Rechtsbehelfsbelehrung:schafft […] keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass erst an diesem Tag wirksam zugestellt worden ist (BGH [9. Zivilsenat], Beschluss vom 20.10.2005 – IX ZB 147/01 = NJW-RR 2006, 563 = IPRspr 2005, Nr. 160, 439; vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 02.02.2017 – 2 Ss OWi 23/17 = OLGSt StPO § 145a Nr 5). Hinreichende Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist wurden von dem Angekl. weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.
2. Bei einer – wie hier – zulässigen Revision hat das Revisionsgericht das Verfahrenshindernis der Rechtskraft des Strafbefehls und damit die Unzulässigkeit des Einspruchs von Amts wegen zu beachten. Die eingetretene Rechtskraft des Strafbefehls vom 14.07.2017 führt dazu, dass das unstatthafte, aber nicht nichtige Berufungsurteil des LG vom 03.07.2018 keinen Bestand haben kann, sondern aufzuheben und der Einspruch des Angekl. als unzulässig zu verwerfen ist (BayObLG, Urt. v 16.08.1961 – 1 St 282/61 = BayObLGSt 1961,195; BGHSt 13, 306; BGHSt 18, 127; BGHSt 26, 183; OLG Düsseldorf JMBl HE 1989,163; OLG München, Beschluss vom 28.12.2007 – 4 St RR 227/07 = NJW 2008, 1331 = NStZ 2009, 110; OLG Hamm, Beschluss vom 20.02.2013 – 3 RBs 13/13 = ZfS 2013, 232; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt § 411 Rn. 12; KK/Maur StPO 7. Aufl. § 411 Rn. 5). Mit aufzuheben ist (aus Gründen der Klarheit) auch das Urteil des AGs vom 10.01.2018 (vgl. hierzu LR/Gössel StPO 26. Aufl. § 411 Rn. 7).
3. Allerdings hat der Senat nach einhelliger obergerichtlicher Rspr. das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 II StPO) zu beachten (BayObLGSt 1953, 34; BGHSt 13, 306; OLG München a.a.O.; vgl. auch LR/Gössel § 411 Rn. 8; a.A. Meyer-Goßner/Schmitt § 411 Rn. 12). Der Strafbefehl lautete auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 Euro, das Urteil des AG vom 10.01.2018 sowie ihm folgend das Berufungsurteil des LG vom 03.07.2018 auf eine Geldstrafe von lediglich 50 Tagessätzen zu je 15 Euro. Zwar war der Strafbefehl zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils des AG bzw. des LG schon rechtskräftig. Dem Senat war aber erst auf die zulässige Revision des Angekl. hin eine Überprüfung dahingehend möglich, ob Verfahrenshindernisse vorlagen. Ohne sein Rechtsmittel wären dem Angekl. die Vorteile des nunmehr aufgehobenen Berufungsurteils des LG erhalten geblieben. Da den §§ 331, 358 II StPO der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde liegt, dass ein Urteil allein auf ein Rechtsmittel des Beschwerdeführers hin im Strafausspruch nur zu seinen Gunsten geändert werden darf, hält der Senat auch bei Fallkonstellationen der hier vorliegenden Art die Beachtung des Verbots der Schlechterstellung für geboten. Der Einspruch […] war daher mit der Maßgabe als unzulässig zu verwerfen, dass es bei der durch Urteil des LG vom 03.07.2018 verhängten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro verbleibt. […]


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