Aktenzeichen IX R 17/18
Leitsatz
1. NV: Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn bei der dargestellten Sachlage ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist .
2. NV: Die Begründungsfrist für die Revision gehört nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen. Der Prozessbevollmächtigte ist bei der Prüfung der Revisionsbegründungsfrist und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet .
Verfahrensgang
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 12. April 2018, Az: 9 K 1053/15, Urteil
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12.04.2018 – 9 K 1053/15 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
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Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr (2011) u.a. einen Verlust nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte den Verlust nur teilweise an; nicht zu berücksichtigen sei der Verlust eines Gesellschafterdarlehens, da der Kläger nur mit 4,87 % –und damit nicht „unternehmerisch“– am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt gewesen sei und das Darlehen keinen eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt habe.
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Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Der geltend gemachte Forderungsausfall des Klägers sei weder nach § 17 EStG noch nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen. Das erstinstanzliche Urteil, in dem das FG die Revision zugelassen hatte, wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 20.04.2018 zugestellt.
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Der Prozessbevollmächtigte der Kläger erhob hiergegen fristgerecht unter dem 18.05.2018 Revision; eine Begründung der Revision ging bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist (20.06.2018) nicht ein. Mit Schreiben vom 26.06.2018, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 27.06.2018, hat der Senatsvorsitzende auf die Versäumung der Frist sowie auf die Vorschrift des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen. Mit Schreiben vom 20.07.2018, per Telefax am selben Tag beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen, haben die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die verspätete Einreichung der Revisionsbegründung beruhe auf einem entschuldbaren Büroversehen in der Steuerkanzlei ihres Prozessbevollmächtigten.
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In der Kanzlei würden Fristeinträge und -austräge sowie Posteingänge und -ausgänge von der Büroangestellten A, welche gelernte Justizangestellte und seit mehreren Jahren in der Kanzlei beschäftigt sei, selbstständig bearbeitet. Seit 2014 erfolge die Fristenerfassung über ein DATEV-Programm.
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A sei äußerst zuverlässig und gewissenhaft und mit fristbehafteten Vorgängen bestens vertraut; zudem sei sie durch den Prozessbevollmächtigten umfassend über die Fristbearbeitung informiert worden. Unklarheiten hinsichtlich der Erfassung von Fristen würden durch Rückfrage beim Prozessbevollmächtigten geklärt. Im Streitfall habe A die Frist für die Einlegung der Revision, nicht aber die Frist für die Begründung der Revision in das elektronische Programm eingetragen.
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Die Fristüberwachung werde durch den Prozessbevollmächtigten täglich vorgenommen. Das hierfür in der Kanzlei vorgehaltene EDV-Programm öffne sich automatisch beim Start des Computers des Prozessbevollmächtigten; offene Fristen würden angezeigt und könnten bei dieser Gelegenheit überwacht werden. Da die Revisionsbegründungsfrist von A nicht eingetragen worden sei, habe sie aus technischen Gründen nicht in der vom Prozessbevollmächtigten täglich eingesehenen Fristenüberwachungstabelle angezeigt werden können. Aus diesem Grund sei die Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist übersehen worden.
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Ergänzend zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Prozessbevollmächtigte einen Ausdruck des elektronischen Fristenkontrollbuchs vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die Frist für die Einlegung der Revision zutreffend erfasst wurde. Ferner wurde ein Auszug aus dem (elektronischen) Postausgangsbuch vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die Revisionsschrift am 18.05.2018 die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten verlassen hat. Eine eidesstattliche Versicherung über den behaupteten Verfahrensablauf in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten wurde nicht vorgelegt.
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Die Kläger vertreten die Auffassung, dass ein ihnen zurechenbarer Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten nicht vorliege.
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In der Sache vertreten die Kläger die Auffassung, dass der geltend gemachte Verlust des Gesellschafterdarlehens nach § 17 EStG, hilfsweise nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen sei.
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Die Kläger beantragen sinngemäß,ihnen wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren
sowie
das angefochtene Urteil des FG vom 12.04.2018 – 9 K 1053/15 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 04.09.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.05.2015 mit der Maßgabe zu ändern, dass ein Veräußerungsverlust i.S. des § 17 EStG in Höhe von 246.081,28 € berücksichtigt wird.
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Das FA beantragt,die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
als unbegründet zurückzuweisen.