Steuerrecht

Zur kurzzeitigen Überlassung von möblierten Wohnungen zum Zwecke der Ausübung der Prostitution in einem sog. Rotationsverfahren

Aktenzeichen  XI R 4/19

Datum:
24.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.240221.XIR4.19.0
Normen:
§ 4 Nr 12 S 1 Buchst a UStG 2005
§ 4 Nr 12 S 2 UStG 2005
§ 12 Abs 1 UStG 2005
§ 12 Abs 2 Nr 11 UStG 2005
§ 62 Abs 4 S 4 FGO
§ 120 Abs 1 S 1 FGO
§ 120 Abs 2 FGO
§ 120 Abs 3 Nr 1 FGO
§ 120 Abs 3 Nr 2 FGO
§ 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO
§ 143 Abs 2 FGO
Art 135 Abs 1 Buchst l EGRL 112/2006
Art 13 Teil B Buchst b EWGRL 388/77
UStG VZ 2007
UStG VZ 2008
UStG VZ 2009
UStG VZ 2010
UStG VZ 2011
UStG VZ 2012
UStG VZ 2013
Spruchkörper:
11. Senat

Leitsatz

NV: Die kurzzeitige Überlassung von möblierten Wohnungen auch zum Zwecke der Ausübung der Prostitution in einem sog. Rotationsverfahren ist keine steuerfreie Vermietung i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse durch andere wesentliche Leistungen des Leistenden überlagert wird, so dass keine passive Vermietungstätigkeit mehr vorliegt.

Verfahrensgang

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 7. März 2019, Az: 11 K 266/16, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 07.03.2019 – 11 K 266/16 aufgehoben.
Die Sache wird an das Niedersächsische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

A.
1
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb in den Jahren 2007 bis 2013 (Streitjahre) einen Gebrauchtwagenhandel und Abschleppdienst. Außerdem vermietete er in A und B in Mehrfamilienhäusern jeweils zwei möblierte Wohnungen mit Küche und Bad an Prostituierte zum Zwecke der Ausübung ihrer Tätigkeit. Die Vermietung erfolgte üblicherweise für die Dauer einer Woche an jeweils eine Prostituierte, wobei nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) die Wohnungen in einer Art von “Rotationsverfahren” wiederkehrend überlassen worden sein sollen, ohne dass dazu Details festgestellt sind. Den fälligen “Mietzins” vereinnahmte der Kläger in bar. Er stellte entsprechende Quittungen aus und erklärte umsatzsteuerfreie Mieteinnahmen.
2
Der Kläger schaltete außerdem nach den tatsächlichen Feststellungen des FG für die Prostituierten Werbung in den regionalen Tageszeitungen und Anzeigenblättern mit dem jeweiligen (Vor-)Namen der Prostituierten und Tätigkeitsort sowie einer Mobilruf- und gelegentlich auch einer Festnetznummer, wobei unklar ist, ob die Mieterinnen und die zu der Werbung genannten Personen identisch sind. Er hatte mit den Zeitungen ein festes Erscheinungsschema vereinbart. Die Schaltung der Anzeigen erfolgte wöchentlich per Anruf oder Mail des Klägers, allerdings nur auf ausdrücklichen Wunsch der Prostituierten. Daneben fand sich in den Anzeigen gelegentlich noch ein Hinweis auf einschlägige Internetseiten, die die Prostituierten selbst gestaltet hatten. Die Kosten für die Werbung berechnete der Kläger ohne Aufschlag weiter.
3
Im Rahmen einer Außenprüfung, die zunächst die Jahre 2007 bis 2012 umfasste und auf das Jahr 2013 erweitert wurde, erhöhte der Prüfer die Umsätze des Klägers aus der Vermietung der Objekte in A und B. Außerdem unterwarf er die Erlöse der Umsatzsteuer in Höhe des Regelsteuersatzes von 19 % (§ 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes –UStG–) und ermittelte aus den Werbungskosten, die im Zusammenhang mit den Objekten in A und B standen, abzugsfähige Vorsteuern.
4
Das vormals für die Besteuerung des Klägers zuständige Finanzamt folgte der Rechtsauffassung des Außenprüfers und erließ dementsprechend unter dem 20.09.2016 Umsatzsteueränderungsbescheide für die Streitjahre.
5
Die Einsprüche des Klägers, der vortrug, er habe nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG umsatzsteuerfreie Vermietungsleistungen erbracht, hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 02.11.2016).
6
Das Niedersächsische FG gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1033 veröffentlichten Urteil vom 07.03.2019 – 11 K 266/16 statt.
7
Mit seiner Revision rügt der durch Organisationsakt zum 01.04.2019 zuständig gewordene nunmehrige Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) die Verletzung materiellen Rechts. Er bringt im Wesentlichen vor, das FG habe die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG zu Unrecht angenommen. Die Prostituierten und im Ergebnis auch der Kläger hätten wirtschaftlich von der Überlassung der Wohnungen in einer Art von “Rotationsverfahren” profitiert. Daneben habe der Kläger mit der von ihm veranlassten Werbung wesentlich zum Geschäftsmodell der Prostituierten beigetragen. Bei der Überlassung von Räumen zur Ausübung der Prostitution liege eine einheitliche steuerpflichtige Leistung vor, wenn nicht die Grundstücksnutzung, sondern die Möglichkeit der Ausübung der Prostitution im Vordergrund stehe.
8
Soweit dagegen von einer schlichten Überlassung eines Grundstücks zur Nutzung auszugehen sei, seien die streitgegenständlichen Umsätze jedenfalls nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG steuerpflichtig. Da die jeweils für eine Woche überlassenen Wohnungen auch Wohn- und Schlafzwecken der Prostituierten dienten, habe anders als in der vom Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 24.09.2015 – V R 30/14 (BFHE 251, 456, BStBl II 2017, 132) zu einem “Stundenhotel” ergangenen Entscheidung eine kurzfristige Beherbergung stattgefunden. In diesem Fall seien die Umsätze in den Streitjahren 2007 bis 2009 gemäß § 12 Abs. 1 UStG dem Regelsteuersatz in Höhe von 19 % und in den Streitjahren 2010 bis 2013 gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG dem ermäßigten Steuersatz in Höhe von 7 % zu unterwerfen.
9
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Der Kläger beantragt, die Revision zu verwerfen.
11
Er ist der Ansicht, dass die Revision unzulässig sei. Das FA habe die Vertretungsbefugnis des den Revisionsschriftsatz unterzeichnenden Behördenvertreters nicht nachgewiesen. Soweit sich das FA implizit auf einen Verfahrensmangel berufe, fehle es an einer den Maßgaben des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechenden Darlegung.
12
Das Revisionsvorbringen des FA, dass die überlassenen Wohnungen als Orte zur Ausübung der Prostitution im jeweiligen Landkreis bekannt gewesen seien und die Prostituierten sowie im Ergebnis auch der Kläger von dem “rotierenden System” wirtschaftlich profitiert hätten, betreffe neue Tatsachen, die im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden dürften.
13
Die Überlassung der Wohnungen im “Rotationsverfahren” stehe der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG nicht entgegen, da den Mieterinnen jeweils auf bestimmte Zeit gegen Vergütung das Recht eingeräumt worden sei, ein Grundstück so in Besitz zu nehmen, als wäre man dessen Eigentümer. Auch das Schalten der Werbeanzeigen für die Prostituierten habe der Überlassung der Wohnungen kein anderes Gepräge gegeben.
14
Ebenso wenig handele es sich um Beherbergungsleistungen i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG. Hotelartige Leistungen, die die Vermietung überlagert hätten, seien nicht erbracht worden.


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