Aktenzeichen 3 StR 49/22
§ 45 StPO
§ 344 Abs 2 S 1 StPO
§ 345 Abs 2 StPO
Verfahrensgang
vorgehend LG Osnabrück, 27. September 2021, Az: 10 KLs 13/21
Tenor
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27. September 2021 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
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1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat hiergegen fristgerecht Revision eingelegt. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 3. Dezember 2021 ist das Rechtsmittel mit Verteidigerschriftsatz vom 23. Dezember 2021 begründet worden. Abgesehen von dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen, enthält der Schriftsatz keine Ausführungen zur Sache. Der Generalbundesanwalt hat deshalb zunächst beantragt, die Revision als unzulässig nach § 349 Abs. 1 StPO zu verwerfen, weil das Rechtsmittel nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO entsprechend begründet worden sei. Nachdem der Verteidiger hiervon am 21. Februar 2022 Kenntnis erlangt hatte, hat er mit Schriftsatz vom 23. Februar 2022, eingegangen beim Bundesgerichtshof am selben Tag, beantragt, Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Infolge von Arbeitsüberlastung habe er kurz vor seinem Weihnachtsurlaub die Revisionsbegründungsschrift nicht auf Vollständigkeit überprüft und deshalb übersehen, dass die allgemeine Sachrüge nicht aufgenommen worden sei.
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2. Der innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellte Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig; er ist insbesondere statthaft. Hierzu gilt:
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a) Die Strafprozessordnung räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, wenn jemand ohne sein Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Dies kann auch dann gegeben sein, wenn die Prozesshandlung zwar vorgenommen, dabei aber unverschuldet die erforderliche Form nicht gewahrt worden ist (BGH, Beschluss vom 12. Mai 1976 – 3 StR 100/76, BGHSt 26, 335, 338 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 44 Rn. 6; BeckOK StPO/Cirener, 43. Ed., § 44 Rn. 9). Denn nur durch eine den gesetzlichen Formerfordernissen entsprechende Prozesshandlung kann eine Frist eingehalten werden (BeckOK StPO/Cirener, 43. Ed., § 44 Rn. 9; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 12. Dezember 1977 – 2 Ss 1021/77, juris Rn. 5; PfOLG Zweibrücken, Beschluss vom 20. September 1991 – 1 Ws 300/91, StV 1991, 550).
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Um den formalen Anforderungen zu genügen, muss eine Revisionsbegründungsschrift unter anderem durch eine von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingereicht werden (§ 345 Abs. 2 StPO). Fehlt es daran aus von dem Angeklagten nicht zu vertretenden Umständen, ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statthaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 1976 – 3 StR 100/76, BGHSt 26, 335, 338 f.; vom 9. Juli 2003 – 2 StR 146/03, NStZ 2003, 615). Gleiches gilt, wenn die Begründung des Rechtsmittels den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht entspricht, mithin sich hieraus nicht ergibt, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Denn auch dann liegt – anders als in den Fällen, in denen eine zulässig erhobene Revision nach Fristablauf durch neue, bisher nicht erhobene Verfahrensrügen ergänzt beziehungsweise bislang unzulässige Verfahrensrügen nachgebessert werden soll (s. dazu etwa BGH, Beschluss vom 11. April 2019 – 1 StR 91/18, NStZ 2019, 625 Rn. 4 mwN) – keine formal gültige Revisionsbegründung vor. Der Sache nach sollten hier keine Revisionsangriffe nachgeschoben, sondern es sollte lediglich ein von dem Angeklagten nicht zu verantwortender Formfehler beseitigt werden. Dessen Interesse, unabhängig von Fehlern und Versäumnissen seines Wahl- beziehungsweise Pflichtverteidigers seine Verurteilung durch das Revisionsgericht überprüfen zu lassen, gebietet deshalb auch in diesen Fällen, ihm durch die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Rechtsmittelweg zumindest für die Erhebung der Sachrüge offenzuhalten (OLG Braunschweig, Beschluss vom 6. Dezember 1995 – Ss [BZ] 107/95, NStZ 1996, 298; vgl. dazu auch OLG Hamm, Beschluss vom 12. Dezember 1977 – 2 Ss 1021/77, juris Rn. 5 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 44 Rn. 6; SSW-StPO/Tsambikakis, 4. Aufl., § 44 Rn. 17). Ob gleiches auch für die Geltendmachung der Verletzung von Rechtsnormen über das Verfahren gilt (vgl. PfOLG Zweibrücken, Beschluss vom 20. September 1991 – 1 Ws 300/91, StV 1991, 500), bedarf hier keiner Entscheidung.
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b) An diesen Maßstäben gemessen ist der Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statthaft. Eine den Formvorschriften des § 344 Abs. 2 StPO entsprechende Revisionsbegründung lag hier nicht vor. Denn ein Antrag nach § 344 Abs. 1 StPO, mit dem (lediglich) der tatsächliche Umfang und das Ziel der Revision dargelegt werden, stellt keine auslegungsfähige Revisionsbegründung dar. Eine zulässig erhobene Sachrüge setzt vielmehr voraus, dass die Revision allein oder neben der Verfahrensrüge zweifelsfrei erkennbar auf die Beanstandung der Verletzung sachlichen Rechts gestützt werden soll (BGH, Beschluss vom 7. September 2021 – 3 StR 290/21, juris Rn. 3 mwN). Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben. Der Verteidiger hat anwaltlich versichert, dass die Formunwirksamkeit der Erklärung vom 23. Dezember 2021 dem Angeklagten nicht zuzurechnen ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Erhebung der allgemeinen Sachrüge ist fristgemäß nachgeholt worden (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO).
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3. Der Antrag ist auch begründet, denn die Säumigkeit ist allein auf eine Nachlässigkeit des Verteidigers zurückzuführen und dem Angeklagten nicht anzulasten.
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4. Die Revision erweist sich jedoch in der Sache aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten, zutreffenden Gründen als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Schäfer
Wimmer
Anstötz
Erbguth
Kreicker