Strafrecht

AK 15/22, AK 16/22

Aktenzeichen  AK 15/22, AK 16/22

Datum:
20.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:200422BAK15.22.0
Normen:
§ 32 StGB
§§ 32ff StGB
§ 129 Abs 2 StGB
§ 129a Abs 1 Nr 1 StGB
§ 129a Abs 4 StGB
Spruchkörper:
3. Strafsenat

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.

Gründe

I.
1
Die Angeschuldigten sind am 20. Oktober 2021 aufgrund Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2021 (3 BGs 398/21 bzgl. A.    , 3 BGs 397/21 bzgl. G.  ) festgenommen worden und befinden sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand der auf die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität gestützten Haftbefehle ist der Vorwurf, die Angeschuldigten hätten seit Anfang des Jahres 2021 in M.     und andernorts gemeinschaftlich als Rädelsführer versucht, eine Vereinigung gemäß § 129 Abs. 2 StGB zu gründen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129 Abs. 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, §§ 22, 23, 25 Abs. 2 StGB.
3
Der Generalbundesanwalt hat unter dem 4. März 2022 wegen des Sachverhalts, der den aktuell vollzogenen Haftbefehlen zugrunde liegt, Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben.
II.
4
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
5
1. Die Angeschuldigten sind der ihnen jeweils zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.
6
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
7
Die Angeschuldigten kamen in der ersten Jahreshälfte 2021 überein, eine paramilitärische Einheit zu bilden. Diese sollte durch Kampfeinsätze den Bürgerkrieg im Jemen beenden, vor allem aus ehemaligen Bundeswehrangehörigen bestehen und eine Truppenstärke von zunächst bis zu 250 Mann haben. Sie sollte unabhängig von den Konfliktparteien agieren und bei Kämpfen Angehörige der Huthi-Rebellen töten. Dabei nahmen die Beschuldigten vorab den Tod unbeteiligter Zivilpersonen als “Kollateralschäden” in Kauf.
8
Die Angeschuldigten planten, durch das Eingreifen der zu bildenden Organisation Friedensverhandlungen im Jemen zu erzwingen. Ferner hatten sie wirtschaftliche Interessen, da sie ein neues Söldnerunternehmen etablieren wollten, das auch für Einsätze in anderen Konflikten zur Verfügung stand. Als Finanzier für die Aktivitäten im Jemen hatten die Angeschuldigten vorrangig Saudi-Arabien, alternativ die Vereinigten Arabischen Emirate im Blick.
9
Die Angeschuldigten begannen, ihr Vorhaben arbeitsteilig umzusetzen. Der Angeschuldigte A.     bemühte sich, Kontakt zu saudi-arabischen Regierungsstellen zu erhalten. Der Angeschuldigte G.   sprach als mögliche Mitglieder der beabsichtigten Kampfgruppe verschiedene Personen an, die er insbesondere von der Bundeswehr und der Tätigkeit bei einem international agierenden Sicherheitsunternehmen kannte. Die Angeschuldigten setzten ihre Bemühungen bis zu ihrer Festnahme am 20. Oktober 2021 fort. Ihnen war die Rechtswidrigkeit der geplanten Kampfeinsätze bekannt. Der Angeschuldigte A.     fühlte sich in seinem Bestreben durch eine Verwandte seiner Lebensgefährtin bestärkt, der er hellseherische Fähigkeiten zumaß.
10
b) Der dringende Tatverdacht beruht im Wesentlichen auf den Aussagen mehrerer von den Angeschuldigten angesprochener Personen, Erkenntnissen aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und sichergestellten Schreiben.
11
aa) Während der Angeschuldigte G.   sich bislang nicht zur Sache eingelassen hat, hat der Angeschuldigte A.     gegenüber dem Ermittlungsrichter erklärt, er habe nie den rechtlichen Rahmen verlassen wollen. Dies hat er in verschiedenen Schreiben vertieft. Er habe Friedensverhandlungen führen, einen Waffenstillstand aushandeln und parallel eine humanitäre Aktion starten wollen. Bei einer Mandatierung im Jemen hätten sie als Befugnis ausschließlich Notwehr und rechtfertigenden Notstand angewendet. Er hätte nur mit Mandat der jemenitischen Regierung gehandelt. Er verstehe unter einem Kampfauftrag einen erweiterten Sicherheitsbegriff unter Beachtung der rechtlichen Voraussetzungen mit klar definierten “ROE’s” (Rules of Engagement), kein rechtloses, eigenmächtiges Vorgehen.
12
bb) Diese Einlassung entkräftet nach gegenwärtigem Sachstand nicht den dringenden Tatverdacht.
13
Aus mehreren Zeugenaussagen ergibt sich, dass ausdrücklich von Kampfaufträgen die Rede gewesen sei. Ein Zeuge hat überdies konkretere Pläne geschildert, nach denen es bei Ablauf einer für Friedensgespräche gesetzten Frist zu militärischen Aktionen kommen solle. Es sei geplant gewesen, ein Gebiet “auszuhungern” und von der Wasserversorgung abzuschneiden. Außerdem sei erörtert worden, dass Gas eingesetzt und die Bevölkerung schlafend abtransportiert werden solle und es zu Kollateralschäden kommen werde. Soweit die Glaubhaftigkeit der Angaben dieses Zeugen in Frage gestellt ist, ist zu beachten, dass verschiedene seiner Angaben durch spätere Ermittlungserkenntnisse bestätigt worden sind. Eine tiefergehende individuelle Glaubhaftigkeitsanalyse ist in diesem Stadium des Verfahrens weder rechtlich geboten noch tatsächlich möglich (s. BGH, Beschluss vom 17. März 2021 – AK 15/21, juris Rn. 16 mwN).
14
Die Erkenntnisse aus überwachten Telefongesprächen deuten ebenfalls nicht auf eine vorrangig humanitäre Zielsetzung hin. Beispielsweise hat der Angeschuldigte A.     einer Gesprächsauswertung zufolge ausdrücklich hervorgehoben, dass es ihm nicht um Personen- oder Objektschutz, sondern um einen “Kampfauftrag” gehe. Auch weitere Formulierungen bei anderen Gelegenheiten (“Germans to the front. Wie beim Boxeraufstand.”, “richtig Kampfauftrag …, kombiniert mit einer humanitären Aktion”) sprechen für ein geplantes gewaltsames Vorgehen. Im Gesamtkontext ist nicht ersichtlich, wie sich ein solcher angestrebter Kampfauftrag allein durch Notwehr-, Nothilfe- oder Notstandsmaßnahmen im Sinne der §§ 32 ff. StGB praktisch gestalten lässt.
15
Näheres zu der geplanten Organisation ist zudem einem Schreiben des Angeschuldigten A.     zu entnehmen. Darin berühmt er sich, “eine schnelle Eingreiftruppe von 250 Mann innerhalb von nur drei Monaten” aufstellen zu können. Eine Stabilisierung des Jemen bedeute für ihn, “den Terror der Huthis zu beseitigen und das Land wieder unter Kontrolle der Regierung zu stellen”.
16
Die mithin von den Angeschuldigten beabsichtigten Kampfeinsätze sollten mit der Tötung von Menschen einhergehen. Wenngleich sich die nach der bisherigen Beweislage ergebenden Äußerungen der Angeschuldigten dazu nicht ausdrücklich verhalten, ermöglicht der Gesamtzusammenhang vorläufig einen solchen Schluss. Wie zuvor dargelegt, strebten die Angeschuldigten an, “richtige” Kampfeinsätze durchzuführen und “den Terror der Huthis zu beseitigen”. Dass dies nach ihrer Vorstellung ohne die Tötung von Menschen möglich sein sollte, erscheint nicht plausibel.
17
Eine Eingliederung in eine reguläre Armee ist nach dem aktuellen Ermittlungsstand nicht geplant gewesen. So hat der Angeschuldigte A.     zum einen gegenüber Zeugen sowohl mündlich als auch schriftlich erklärt, als “Freelancer, außerhalb jeglicher administrativer Bindung” tätig zu werden. Zum anderen ist eine Kontaktaufnahme zur jemenitischen Regierung, von deren Mandat er seinem Verteidigungsvorbringen zufolge einen Einsatz abhängig machen wollte, nicht ersichtlich.
18
Dass die Angeschuldigten nicht von der Rechtmäßigkeit der geplanten Kampfeinsätze ausgingen, folgt aus den äußeren Umständen. Beide hatten grundsätzliche Kenntnisse von dem Rechtsrahmen aufgrund ihrer früheren Tätigkeiten als Soldaten und bei Auslandseinsätzen für ein Sicherheitsunternehmen. Darüber hinaus wies dessen Geschäftsführer den Angeschuldigten A.     auf die Problemlage hin.
19
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf das in der Anklageschrift dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen.
20
c) In rechtlicher Hinsicht haben sich die Angeschuldigten demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen versuchter Gründung einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer strafbar gemacht (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, §§ 22, 23, 25 Abs. 2 StGB).
21
aa) Die von den Angeschuldigten angestrebte Kampfeinheit ist nach momentanem Sachstand als eine Vereinigung im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129 Abs. 2 StGB zu bewerten (vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21, NJW 2021, 2813 Rn. 19 ff.). Sie war auf die Begehung von Mord oder Totschlag gerichtet. Diese in Aussicht genommenen Taten wären voraussichtlich weder gerechtfertigt noch entschuldigt gewesen (s. zur notwendigen Strafbarkeit LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 51 mwN). Insoweit kämen in der gegebenen Konstellation lediglich Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe des allgemeinen Strafrechts in Betracht, da die Kampfeinheit nicht in reguläre Streitkräfte eingegliedert werden, sondern eigenständig agieren sollte und ein Kombattantenprivileg ausscheidet (vgl. etwa Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BT-Drucks. 15/5824 S. 11 f.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 32 ff. Rn. 91g; s. auch Vitzthum/Proelß/Bothe, Völkerrecht, 8. Aufl., Achter Abschnitt Rn. 67 mwN; MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 8 VStGB Rn. 39; Menz, Die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter privater Militär- und Sicherheitsunternehmen nach Art. 8 ICC-Statut, 2011, S. 105; Molle, Private Militär- und Sicherheitsunternehmen im Völkerrecht, 2013, S. 282 f., 310). Die pauschalen Planungen von Kampfeinsätzen ergeben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die konkreten Kampfhandlungen allein in rechtfertigenden oder entschuldigenden Notwehr-, Nothilfe- oder Notstandssituationen im Sinne der §§ 32 ff. StGB vorgenommen werden sollten (vgl. auch Baumgartner, Verantwortlichkeit von Mitarbeitern privater Militärunternehmen nach dem Völkerstrafgesetzbuch, 2018, S. 224 f.; Scheuß, ZStW 2018, 23, 44 f.).
22
bb) Unabhängig von dem künftigen Einsatzgebiet ist die geplante Vereinigung bei einer Gesamtbetrachtung angesichts der grundsätzlich in Deutschland liegenden Organisationsstruktur als inländisch anzusehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Juni 2021 – 3 StR 61/21, NJW 2021, 2979 Rn. 14; vom 13. September 2011 – 3 StR 231/11, BGHSt 57, 14 Rn. 16), so dass es keiner Verfolgungsermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB bedarf.
23
cc) Die Angeschuldigten setzten nach ihrer Vorstellung von der Tat zur Gründung des Kampfverbandes dadurch unmittelbar an, dass sie potentielle Mitglieder und Geldgeber ansprachen und zu gewinnen suchten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 2003 – AK 17/03, NStZ-RR 2004, 40; vom 6. April 2022 – AK 11/22, Rn. 26). Ein strafbefreiender Rücktritt der Angeschuldigten im Sinne des § 24 StGB ist nicht ersichtlich.
24
dd) Nach dem gegenwärtig maßgeblichen Sachverhalt handelten die Angeschuldigten als Rädelsführer gemäß § 129a Abs. 4 StGB (vgl. zu den Voraussetzungen BGH, Urteile vom 16. Februar 2012 – 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160 Rn. 8 f.; vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, juris Rn. 140). Ihre Tätigkeit sollte Einfluss auf die Führung der Vereinigung im Ganzen haben.
25
2. Es ist zumindest – auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) – der Haftgrund der Schwerkriminalität gegeben. Nach den Umständen besteht die Gefahr, dass ohne eine Festnahme die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte. Beide Angeschuldigte haben Überlegungen angestellt, dass ihre Zukunft außerhalb von Deutschland liegt. Die drohende Freiheitsstrafe stellt einen bedeutsamen Fluchtanreiz dar. Dem kann insgesamt nicht durch andere fluchthemmende Maßnahmen genügend begegnet werden, so dass der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden kann. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in den Haftbefehlen Bezug genommen.
26
3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer.
27
Nach der Festnahme der Angeschuldigten ist eine Vielzahl von Zeugen vernommen worden. Die Auswertung der gesicherten Datenträger hat noch nicht vollständig abgeschlossen werden können. Frühzeitig eingeholte psychiatrische Gutachten sind erst im März 2022 mit dem Ergebnis eingegangen, dass keine Eingangsmerkmale im Sinne des § 20 StGB vorlägen. Zudem steht die Antwort auf ein Rechtshilfeersuchen noch aus. Der Umfang der Sachakten beläuft sich auf 28 Ordner. Gleichwohl hat der Generalbundesanwalt bereits Anklage erhoben. Der mit der Sache befasste Senat des Oberlandesgerichts hat das Zwischenverfahren bislang ohne Verzögerung geführt, den Angeschuldigten eine angemessene Erklärungsfrist von einem Monat gesetzt und vorsorglich Verhandlungstermine ab Juni 2022 mitgeteilt.
28
4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits auch unter Berücksichtigung der Milderungsmöglichkeiten nach § 23 Abs. 2 StGB nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafen außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer                    Wimmer                     Anstötz


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