Strafrecht

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Aktenzeichen  207 StRR 155/22

Datum:
3.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13743
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

4 Cs 304 Js 137439/21 2022-04-14 AGLANDSBERG AG Landsberg

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Landsberg am Lech vom 14. Februar 2022 aufgehoben.
II. Der Angeklagte wird freigesprochen.
III. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

Die zulässige (Sprung-)Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und führt zu seinem Freispruch (§ 354 Abs. 1 StPO).
I.
1. Nach einem vorangegangenen Strafbefehlsverfahren verurteilte das Amtsgericht Landsberg am Lech den Angeklagten am 14. Februar 2022 wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätze zu je 50 €.
Dem Schuldspruch lag dabei nach den Feststellungen des Amtsgerichts zugrunde, dass der Angeklagte am 4. November 2021 einen auf ihn ausgestellten Impfpass der Marien-Apotheke in Landsberg am Lech vorlegte, um ein elektronisches Covid-19-Impfzertifikat zu erlangen. Wie der Angeklagte wusste, enthielt der Impfpass die gefälschten Eintragungen zweier Covid-19-Schutzimpfungen am 24. Februar 2021 und 18. März 2021 bei Frau P. in Augsburg, die in Wahrheit nicht erfolgt waren.
Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass eine Strafbarkeit nach §§ 277-279 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung zwar nicht gegeben sei, wohl aber eine solche nach § 267 StGB. Der Rückgriff auf diese Vorschrift sei auch nicht gesperrt, wie der Tatrichter mit weiterer Begründung (UA S. 4-11) ausgeführt hat.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet. Er ist der Meinung, dass das Vorzeigen eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke nach dem zum Tatzeitpunkt geltenden Recht kein strafbares Handeln dargestellt habe. Die Regelungen in §§ 277ff. StGB a. F. seien als Privilegierung mit niedrigerem Strafrahmen spezieller und sperrten deshalb den Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 267 StGB.
Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision in ihrer Antragsschrift vom 29. April 2022 für offensichtlich unbegründet. Sie meint, dass sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzgebungsgeschichte zwingende Hinweise ergeben würden, dass §§ 277ff. StGB a. F. außerhalb ihres eigentlichen Anwendungsbereiches eine umfassende Straflosigkeit des Verwendens von unrichtigen Gesundheitszeugnissen in sonstigen Fällen bezwecken sollten.
II.
Die zulässige Revision hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg, weil das Recht auf den im Urteil festgestellten Sachverhalt unrichtig angewendet worden ist. Der rechtsfehlerfrei festgestellte Sachverhalt rechtfertigt die Annahme der Strafbarkeit nicht, insbesondere nicht nach § 267 StGB, da der Rückgriff auf diese Vorschrift aufgrund der Regelungen in §§ 277StGB a. F. ausgeschlossen ist (privilegierende Spezialität).
1. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 349 Abs. 4 StPO sind erfüllt. Der Senat hält die Revision für begründet; eine „offensichtliche“ Begründetheit ist nicht erforderlich (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 349 Rdn. 28). Eine Vorlegungspflicht nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG wegen der auch von der Generalstaatsanwaltschaft angeführten abweichenden Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte besteht nicht. Denn derartige Entscheidungen können nur dann Veranlassung zur Vorlegung geben, wenn sie ihrerseits eine Revision oder Rechtsbeschwerde betrafen (vgl. Feilcke in: Karlruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 21 GVG Rd. 19 m. w. N.). Das war hier nicht der Fall, da es sich um Beschwerdeentscheidungen (u. a. nach § 210 StPO) handelt.
2. Eine Strafbarkeit nach anderen Vorschriften als § 267 StGB, insbesondere nach § 277 StGB a. F. kommt nicht in Betracht, weil eine Apotheke keine Behörde im Sinne dieser Vorschrift ist (vgl. dazu ausführlich LG Hamburg, Urteil vom 01.03.2022, 634 KLs 8/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 135-149 zu einem vergleichbaren Sachverhalt). Auch die Voraussetzungen der §§ 74 Abs. 2, 75a Abs. 3 Nr. 1 IfSG sind nicht erfüllt, weil die Verfälschung des Impfausweises nicht durch eine „berechtigte Person“ erfolgt ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2022, 1 Ws 732-733/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 22f.). Schließlich liegt auch eine Strafbarkeit nach der aktuellen Fassung der §§ 277 StGB nicht vor, weil diese Vorschriften erst am 24. November 2021 in Kraft getreten sind (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 277 Rdn. 1).
3. Ein Schuldspruch auf der Grundlage des grundsätzlich erfüllten § 267 Abs. 1 StGB ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts deshalb nicht möglich, weil diese Vorschrift durch §§ 277 StGB a. F. verdrängt und daher nicht anwendbar ist.
a) Es handelt sich bei §§ 277 StGB a. F. gegenüber § 267 StGB um einen Fall privilegierender Spezialität (vgl. zur Spezialität allgemein Rissingvan Saan in: Leipziger Kommentar (LK) zum StGB, 12. Auflage, vor § 52 Rdn. 119; Fischer aaO §§ 52ff. Rdn. 40a f.).
aa) Ob ein Fall der privilegierenden Spezialität vorliegt, die speziellere Vorschrift den Täter also begünstigt, ist anhand des Zwecks der spezielleren Vorschrift, dem inneren Zusammenhang der miteinander konkurrierenden Vorschriften und des gesetzgeberischen Willens zu prüfen (vgl. LK/Rissing-van Saan aaO Rdn. 119a; ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. zuletzt Urteil vom 11.12.2003, 3 StR 120/03, zitiert nach juris, dort Rdn. 7 m. w. N.). Diese Prüfung ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB (nulla poena sine lege) entgegen der Ansicht des Amtsgerichts (UA S. 8 und 11) ureigenste Aufgabe der Gerichte und kann nicht durch krude Überlegungen zur Strafwürdigkeit des festgestellten Verhaltens des Angeklagten (UA S. 11) ersetzt werden.
bb) Nach diesem Maßstab entnimmt der Senat der systematischen Stellung der Vorschriften und der Gesetzgebungsgeschichte der §§ 277 StG a. F. die Absicht des Gesetzgebers, mit diesen ein allgemeines Sonderstrafrecht für bestimmte Umgangsformen mit unrichtigen Gesundheitszeugnissen zu schaffen.
Das Oberlandesgericht Bamberg (Beschluss vom 17.01.2022 aaO Rdn. 16-20) hat hierzu ausgeführt:
„2. Das Dokumentieren einer nicht durchgeführten Schutzimpfung in einem Blankett-Impfausweis ist schon deshalb nicht als Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB (gegebenenfalls auch in Verbindung mit § 267 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, §§ 30 Abs. 2, 267 Abs. 4 StGB) strafbar, weil § 277 StGB in der bis 23.11.2021 geltenden Fassung nicht nur im Falle des Gebrauchs gefälschter Impfzeugnisse im privaten Rechtsverkehr einen Rückgriff auf § 267 StGB sperrte (Müko/Erb StGB 3. Aufl. § 277 Rn. 9; SK/Hoyer StGB 5. Aufl. § 277 Rn. 5; LK/Zieschang StGB 12. Aufl. § 277 Rn. 16; zweifelnd: Fischer a.a.O. Rn. 11), sondern eine abschließende spezialgesetzliche Regelung des Echtheits- und Wahrheitsschutzes für ärztliche Gesundheitszeugnisse darstellte (Puppe/Schumann in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen [Hrsg.] StGB 5. Aufl. § 277 Rn. 1 und 14), welche gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 267 StGB eine Sperrwirkung entfaltet (LG Osnabrück a.a.O; LG Karlsruhe Beschluss vom 26.11.2021 – 19 Qs 90/21 bei juris; LG Landau, Beschluss vom 21.12.2021 – 5 Qs 93/21 = BeckRS 2021, 39654; LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23.12.2021 – 5 Qs 107/21 bei juris). Ob ein manipulierter Blankett-Impfausweis nach allgemeinen Regeln überhaupt eine Urkunde darstellt und das Verhalten der Beschuldigten seit dem 24.11.2021 als (ggf. bandenmäßige) Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 4 StGB), als Versuch der Urkundenfälschung (§§ 267 Abs. 2, 22 StGB) oder als Verabredung eines Verbrechens der bandenmäßigen Urkundenfälschung (§§ 30 Abs. 2, 267 Abs. 4 StGB) strafbar wäre, kann dahinstehen, da gemäß Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
§ 277 StGB in der bis 23.11.2021 geltenden Fassung stellte neben den §§ 278, 279 StGB im Bereich der Urkundendelikte eine abschließende gesetzliche Regelung über die Strafbarkeit des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen dar, welche den Rückgriff auf § 267 StGB sperrte. Es handelte sich nicht etwa um eine Privilegierung der dort normierten speziellen Fallkonstellationen, welche außerhalb ihres Anwendungsbereichs einen Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften (insbesondere des § 267 StGB) zugelassen hätte.
Hierfür spricht zum einen die systematische Stellung der §§ 277 – 279 StGB a.F., welche die Strafbarkeit des Umgangs mit unrichtigen Gesundheitszeugnissen ausführlich und ausdifferenziert regeln. Es ist kein Sinn und Zweck erkennbar, warum der Gesetzgeber in den §§ 277-279 a.F. StGB bestimmte Erscheinungsformen des Umgangs mit unrichtigen Gesundheitszeugnissen einerseits unter gegenüber § 267 StGB milde Strafe stellen, nicht den Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 277-279 StGB a.F. unterfallende Verhaltensweisen des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen jedoch nach der allgemeinen Strafvorschriften verfolgt wissen wollte, während es umgekehrt deutliche Hinweise darauf gibt, warum hinsichtlich des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen ein Sonderrecht geschaffen werden sollte.
Die §§ 277-279 StGB a.F. befinden sich bereits seit dem Jahre 1871 im Kern unverändert im deutschen Strafgesetz (RGBl. 1871, 127 [180]). Zu dieser Zeit waren die Diagnosemöglichkeiten einer Krankheit wesentlich eingeschränkter und die sich daraus ergebenden Folgerungen für den gegenwärtigen und zukünftigen Gesundheitszustand der Person wesentlich ungewisser als zum heutigen Zeitpunkt. Dementsprechend war der Aussagegehalt eines Gesundheitszeugnisses über den aktuellen Gesundheitszustand einer Person und die sich daraus für ihren künftigen Gesundheitszustand abzuleitenden Folgerungen zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung wesentlich vager und unsicherer als nach den heutigen Diagnosemöglichkeiten und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die nur eingeschränkte inhaltliche Aussagekraft eines Gesundheitszeugnisses zum Zeitpunkt der Gesetzesentstehung spricht dafür, dass der Gesetzgeber einem solchen nicht die gleiche Bedeutung beimessen wollte wie einer sonstigen Urkunde, dass er nur in den vom Gesetz geregelten Fällen überhaupt ein strafwürdiges Unrecht gesehen hat und deshalb die § 277-279 StGB a.F. als abschließende Sonderregelungen in Hinblick auf den Umgang mit Gesundheitszeugnissen verstanden wissen wollte. Im Hinblick auf das besondere Vertrauen, welches schon zur damaligen Zeit dem Urteil eines (i.d.R. studierten) Arztes entgegengebracht wurde, hat der Gesetzgeber andererseits den in § 277 StGB a.F. normierten Sonderfall der Ausstellung eines Gesundheitszeugnisses unter der dem Aussteller nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt, also einen Fall der schriftlichen Lüge, welche nach der allgemeinen Vorschriften des § 267 StGB grundsätzlich nicht strafbar ist, ausnahmsweise für strafbar erklärt.
Wenn ein Gesundheitszeugnis gefälscht werden würde, um es einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft vorzulegen, es aber noch nicht zur Vorlage gekommen wäre, wäre diese Handlung nicht nach § 277 StGB a.F. strafbar. Sehr wohl läge aber eine Strafbarkeit nach § 267 StGB vor, da gemäß der Einaktigkeit dieser Strafnorm bereits das Erstellen einer unechten Urkunde den Tatbestand der Urkundenfälschung vollendete. Ohne die Sperrwirkung würde das bloße Fälschen eines Gesundheitszeugnisses schwerer bestraft als das Fälschen und die anschließende Vorlage. Dies würde einen eklatanten Wertungswiderspruch darstellen (vgl. LG Kaiserslautern a.a.O.).“
Dem schließt sich der Senat an (vgl. auch LG Hamburg, Urteil vom 01.03.2022, aaO Rdn. 154-163).
cc) Hiergegen spricht auch nicht, dass einzelne Fälle von §§ 277ff. StGB a. F. schriftliche Lügen unter Strafe stellen, die somit vom Tatbestand des § 267 StGB nicht erfasst wären (so aber OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.03.2022, 1 Ws 33/22, zitiert nach juris, dort Rdn. 23). Dies belegt im Gegenteil die Absicht des Gesetzgebers, die strafbaren Verwendungen von unrichtigen Gesundheitszeugnissen in §§ 277ff. StGB a. F. abschließend zu regeln (ebenso LG Hamburg, Urteil vom 01.03.2022, aaO Rdn. 155). Soweit die Gegenauffassung (insbesondere OLG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2022, 1 Ws 114/21, zitiert nach juris, dort Rdn. 34, und OLG Stuttgart aaO Rdn. 21) weiter meint, dass §§ 277ff. StGB a. F. die dort genannten Fälle der Vorlage von unrichtigen Gesundheitszeugnissen bei Behörden und Versicherungen deshalb mit einer geringeren Strafandrohung versehen hätten (und deshalb im Übrigen § 267 StGB anwendbar sein soll), weil diese bessere Möglichkeiten hätten, Verfälschungen aufzudecken und zudem dort häufig eine Vorlagepflicht von Gesundheitszeugnissen bestehe, zeigt sie hierfür in den Gesetzesmaterialen zum einen keinerlei Anhaltspunkte auf und hätte die gesetzliche Regelung zum anderen dann auch anders ausfallen müssen (so im Einzelnen zutreffend LG Hamburg aaO Rdn. 156). Auch der Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Strafbarkeit der Fälschung von ärztlichen Rezepten nach § 267 StGB führt nicht weiter, da diese (anders als Impfpässe) keine Gesundheitszeugnisse sind (vgl. LG Hamburg aaO Rdn. 159-161).
dd) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts (UA S. 8) und der Generalstaatsanwaltschaft wird das vorstehende Auslegungsergebnis auch nicht durch einen (angeblich) entgegenstehenden Willen des aktuellen Gesetzgebers in Frage gestellt (so allerdings auch OLG Schleswig, Beschluss vom 31.03.2022, 1 Ws 19/22, zitiert nach juris, Rdn. 16). Ein derartiger Wille kann bereits nicht zweifelsfrei festgestellt werden, denn ausweislich der Gesetzesmaterialen zu §§ 277-279 StGB n. F. (vgl. Bericht des Hauptausschusses, BT-Drs. 20/89 S. 2, 4, 20 sowie BT-Drs. 20/15 S. S. 32-34 einerseits und BT-Drs. 20/27 S. 1-2, 8 andererseits) war dem Gesetzgeber bei Schaffung der Neuregelung durchaus bewusst, dass die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur eine Strafbarkeit von Sachverhalten wie dem hier gegenständlichen verneinte (BT-Drs. 20/89 S. 4 und 20 sowie BT-Drs. 20/15 S. 34) und dass §§ 277ff. StGB a. F. nicht mehr zeitgemäß und frei von Widersprüchen zu anderen Vorschriften waren (BT-Drs. 20/15 S. 2). Insofern kommt der Aussage, die (in der strafrechtlicher Kommentarliteratur bereits seit längerem geforderte (vgl. nur Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 277 Rdn. 11 und die weiteren Nachweise bei LG Hamburg aaO Rdn. 167) gesetzgeberische Korrektur erfolge nur „aus Gründen der Rechtsklarheit“ (BT-Drs. 20/15 S. 22) allenfalls semantische Bedeutung zu. Außerdem kann derartigen Aussagen gegenüber dem Willen des historischen Gesetzgebers allenfalls ergänzende Bedeutung zukommen (vgl. Schönke/Schröder-Hecker, 30. Aufl., § 1 Rdn. 45).
b) Folge eines Falles der privilegierenden Spezialität ist, dass ein Rückgriff auf die allgemeinere Norm auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der speziellen Norm nicht erfüllt sind (vgl. LK/Rissing-van Saan aaO vor § 52 Rdn. 119a, Schönke/Schröder-Lieben/Bosch aaO Vorbem. §§ 52ff. Rdn. 139 sowie BGH vom 11.12.2003 aaO Rdn. 7; verkannt von OLG Schleswig aaO Rdn. 12). Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass die Anwendung von § 267 StGB zum Nachteil des Angeklagten nicht in Betracht kommt. Die sich hieraus (für Altfälle mit vor dem 24.11.2021 begangenen Taten) ergebende Strafbarkeitslücke haben die Gerichte im Hinblick auf § 1 StGB hinzunehmen (vgl. LG Hamburg aaO Rd. 167). Der Gesetzgeber hat es trotz entsprechender Hinweise in der Literatur (s. o.) unterlassen, die als nicht mehr zeitgemäß erkannten Regelungen frühzeitig anzupassen, möglicherweise auch wegen der vor der Corona-Pandemie geringen praktischen Bedeutung derartiger Fälle. Auch die nunmehr schlagartig gestiegene praktische Bedeutung der Impfpässe infolge der durch den Gesetzgeber getroffenen Zugangsbeschränkungen und das damit ins allgemeine Bewusstsein getretene Strafbedürfnis entsprechender Verfälschungen rechtfertigt aber keine rückwirkende Korrektur dieser gesetzgeberischen Versäumnisse durch die Rechtsprechung.
III.
Da auszuschließen ist, dass eine erneute Hauptverhandlung weitere oder neue Feststellungen zu erbringen vermag, die eine Aufrechterhaltung der Verurteilung wegen Urkundenfälschung begründen könnten, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden und den Angeklagten freizusprechen (§§ 349 Abs. 4, 353 Abs. 1, 354 Abs. 1 StPO).
IV.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 465 Abs. 1 Satz 1, § 467 Abs. 1, § 473 Abs. 3 StPO.


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