Strafrecht

Mindestfeststellungen bei Verurteilung nach §§ 185, 186 StGB wegen in öffentlicher Social-Media-Gruppe eingestellter Postings

Aktenzeichen  202 StRR 86/20

Datum:
26.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
K & R – 2021, 342
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 1, Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs.2
StGB § 185, § 186, § 193
StPO § 267 Abs. 1, § 333, § 341 Abs. 1, § 344, § 345, § 349 Abs. 4, § 353, § 354 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Verurteilung wegen Beleidigung oder übler Nachrede setzt gerade dann, wenn die Strafbarkeit durch über das Internet verbreitete Beiträge in Form sog. Postings innerhalb einer „öffentlichen“ Gruppe im Rahmen einer Social-Media-Plattform als verwirklich angesehen wird, voraus, dass die als tatbestandlich und rechtswidrig (§ 193 StGB) gewerteten Äußerungen im Urteil entweder vollständig zitiert oder aber – soweit möglich – wenigstens nach ihrem jeweiligen Gesamtkontext in Form einer aussagekräftigen zusammenfassenden Darstellung im Urteil wiedergegeben werden, weil nur so auszuschließen ist, dass die inkriminierten Zitate nicht aus einem größeren Zusammenhang herausgerissenen sind. (Rn. 6, 8, 10 und 12 – 18)
2. Der am Maßstab der Meinungsäußerungsfreiheit und ihrer Schranken zu messende Sinngehalt von in Form öffentlicher Postings verbreiteter Diskussionsbeiträge erschließt sich regelmäßig erst durch die vollständige Kenntnis etwaiger konkreter, u.a. durch (öffentliche) Benutzerkommentare, Rede und (reaktive) Gegenrede oder auch eingeschlossener privater Chats oder die Teilung von Links ermöglichender Apps und Verschlagwortungen oder der Verwendung sog. ‚Emoticons‘ und ‚Likes‘ zu eigenen (früheren) Beiträgen personenverschiedener Gruppenmitglieder geprägte Beiträge. (Rn. 7 und 8)

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 27.04.2020 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 19.11.2019 wegen übler Nachrede in 18 tateinheitlichen Fällen, der üblen Nachrede in Tateinheit mit Beleidigung in 18 tateinheitlichen Fällen, der üblen Nachrede in 19 tateinheitlichen Fällen sowie einer weiteren üblen Nachrede in 19 tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 12 Euro verurteilt. Daneben hat es als Nebenfolge nach § 200 StGB die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung auf Verlangen angeordnet. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten und die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit Urteil vom 27.04.2020 jeweils als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten, am 10.06.2020 innerhalb der Monatsfrist gegenüber dem Rechtspfleger zur Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts begründeten Revision rügt der anwaltlich nicht vertretene Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Zuleitungsschrift vom 12.08.2020, die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision ist begründet und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils (§ 349 Abs. 4 StPO) und zur Zurückverweisung der Sache, weil die Urteilsgründe sachlich-rechtlich lückenhaft sind (§ 267 Abs. 1 StPO) und deshalb nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht von einem unzutreffenden rechtlichen Verständnis des Schutzbereichs des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausgegangen und schon deshalb zu Unrecht von einer Erfüllung der Tatbestände der Beleidigung und üblen Nachrede ausgegangenen oder aber vorschnell aus der Erfüllung des Tatbestands auf eine entsprechende Strafbarkeit des Angeklagten geschlossen hat. Die getroffenen Tatsachenfeststellungen lassen nicht die Beurteilung zu, ob die Schuldsprüche zu Recht erfolgt sind. Auf die vom Beschwerdeführer erhobenen Beanstandungen des Verfahrens kommt es deshalb nicht mehr an.
1. Aus dem vom Landgericht festgestellten und unter Ziffer III. seiner Urteilsgründe dargestellten Sachverhalt geht zunächst hervor, dass der heute 49-jährige verheiratete und bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Angeklagte als „sehr engagiertes Mitglied der Organisation ‚S. & U., Sektion G e.V.‘, die sich u.a. mit Flüchtlingsarbeit betätigt“ und zugleich als „Netz-Administrator der öffentlichen facebook Gruppe ‚S. & U.‘ […] im Rahmen dieses Engagements u.a. mit dem marokkanischen Staatsangehörigen C.M.“, auch genannt ‚M‘, tätig wurde, dessen Asylantrag mit Bescheid vom 20.01.2018 als unzulässig abgelehnt und zugleich seine Abschiebung nach Italien und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von 6 Monaten angeordnet wurde. „Der Asylantragsteller war ab dem 13.02.2018 vollziehbar ausreisepflichtig [und] wurde mit Schreiben vom 15.03.2018 zur Luftabschiebung nach Italien angemeldet“, verließ jedoch am 02.07.2018 das Gelände der örtlich zuständigen Aufnahmeeinrichtung (im Folgenden: ‚AEO‘) in D. Mit Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts vom 31.08.2018 wurde die Beschwerde des Asylantragstellers gegen den vom Amtsgericht am 02.08.2018 erlassenen Abschiebehaftbefehl zurückgewiesen. Nach den im Berufungsurteil auszugsweise mitgeteilten Gründen des Beschlusses der Beschwerdekammer vom 31.08.2018 ergibt sich weiter, dass der vorgenannte Asylantragsteller am 02.08.2018 versuchte, das Gelände der AEO zu betreten, hierbei jedoch aufgegriffen und anlässlich seiner Vorsprache bei der Zentralen Ausländerbehörde (im Folgenden: ‚ZAB‘) zwar keine Angaben zu seinem Aufenthalt machte, jedoch angab, aus Angst vor eine Abschiebung untergetaucht zu sein. Aus den Beschlussgründen der genannten Entscheidung der Zivilkammer des Landgerichts geht ferner hervor, dass die am 31.01.2018 bei der AEO eingegangene Abschiebeanordnung vom 29.01.2018 von dem Asylantragsteller nicht abgeholt worden sei, womit der Bescheid nach § 10 Abs. 4 AsylG als am 03.02.2018 als zugestellt gelte, worüber der Betroffene zuvor mehrfach und auch in für ihn verständlicher Sprache belehrt worden sei. Ein Antrag des Asylantragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO sei mit Entscheidung des Verwaltungsgerichts unter Hinweis auf die gesetzliche Zustellfiktion ebenfalls abgelehnt worden. Zuständiger Sachbearbeiter der Ausländerbehörde sei der Regierungsangestellte E. gewesen.
2. Vor diesem Hintergrund sieht das Landgericht die Taten im – nachfolgend wiedergegeben – Wortlaut von vier vom Angeklagten jeweils in der vorgenannten ‚öffentlichen‘, d.h. für alle ca. 2.400 Mitglieder der eingerichteten Gruppe ‚S. & U.‘ innerhalb der Social-Media-Plattform ‚Facebook‘ einsehbar verfassten Postings vom 02., 04., 22. und 26.08.2018 aufgrund folgender Feststellungen als verwirklicht an:
„aa) Am 02.08.2018 postete der Angeklagte […] folgende Frage:
Was bist du bereit zu tun, wenn Polizei und ‚ZAB‘ asylverfahren zum nachteil von refugees verfälschen bzw. recht beugen?
Der Angeklagte verfolgte dabei den Zweck, bei dem jeweiligen Leser den Eindruck zu vermitteln, die Mitarbeiter der ZAB würden in Asylverfahren rechtsstaatswidrig Angaben fälschen und Rechtsbeugung begehen zum Nachteil der Antragsteller. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass die von ihm geleitete Facebook Gruppe etwa 2.4000 Mitglieder enthält und, dass der Post öffentlich in facebook erfolgte, so dass eine unbestimmte Anzahl von Internet-Usern davon Kenntnis nehmen konnten.
bb) Am 04.08.2018 postete der Angeklagte […] einen Text, in dem er sich mit dem Schicksal des Asylbewerbers namens ‚M.‘ auseinandersetzte. Dabei schrieb er u.a.:
Die perversen menschenfeinde der ZAB, die in der menschenverachtenden AEO über menschenleben entscheiden, stehen in unseren augen in dringendem tatverdacht, in diesem konkreten Fall zu einem wunderbaren menschen aus marokko einem schnellrichter gegenüber sogar wissentlich falsche angaben gemacht zu haben.
Im weiteren Verlauf des Textes bat der Angeklagte um Spenden und führte dazu aus:
bitte schreiben Sie in ihrem überweisungsbetreff unbedingt M. – damit wir wissen, dass sie unser engagement speziell gegen diese mutmaßliche Rechtsbeugung eingesetzt wissen möchten.
Auch mit diesem Post verfolgte der Angeklagte den Zweck, bei dem jeweiligen Leser den Eindruck zu vermitteln, die Mitarbeiter der ZAB würden in dem Asylverfahren des M. rechtsstaatswidrig wissentlich Angaben fälschen und Rechtsbeugung begehen zum Nachteil des Antragstellers. Außerdem wollte der Angeklagte seine Missachtung gegenüber den Mitarbeitern der ZAB, die für die AEO zuständig sind, zum Ausdruck bringen. Es kam ihm darauf an, diese in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass die von ihm geleitete Facebook Gruppe etwa 2.4000 Mitglieder enthält und das der Post öffentlich in facebook erfolgte, so dass eine unbestimmte Anzahl von Internet-Usern davon Kenntnis nehmen konnten.
cc) Am 22.08.2018 postete der Angeklagte […] einen Text mit dem Inhalt im #abschiebeghetto haben entrechtung und schickanen zu lasten von refugees seit drei jahren system… Mit diesem Post verfolgte der Angeklagte den Zweck, bei dem jeweiligen Leser den Eindruck zu vermitteln, die Mitarbeiter der ZAB, die für die AEO zuständig sind, würden sich schon seit Jahren systematisch nicht an rechtsstaatliche Grundsätze und Gesetze halten. Außerdem wollte der Angeklagte seine Missachtung gegenüber den Mitarbeitern der ZAB, die für die AEO zuständig sind, zum Ausdruck bringen. Es kam ihm dabei darauf an, diese in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass die von ihm geleitete Facebook Gruppe etwa 2.400 Mitglieder enthält und dass der Post öffentlich in facebook erfolgte, so dass eine unbestimmte Anzahl von Internet-Usern davon Kenntnis nehmen konnten.
dd) Am 26.08.2018 teilte der Angeklagte […] einen Link und schrieb unter Bezugnahme auf den Vollzug von Abschiebehaft u.a.:
es wirken #amtsgericht, im #polizeiapparat und vor allem in der sog. #ZAB gestalten, die direkt und indirekt verantwortlich sind, dass menschen kein ordentliches asylverfahren haben können… Aber nein, es wird behördlicherseits gebogen und getrickst bis fünfe gerade sind.
Die facebook-Gruppe […] verfügte, wie der Angeklagte wusste, über ca. 2.400 Mitglieder. Die Texte waren, wie er ebenfalls wusste, für jeden facebook-Nutzer zugänglich. Der Angeklagte verfolgte dabei den Zweck, bei dem jeweiligen Leser den Eindruck zu vermitteln, die Mitarbeiter der ZAB würden in Asylverfahren rechtsstaatswidrig Angaben fälschen und Rechtsbeugung begehen zum Nachteil der Antragsteller. Dem Angeklagten war dabei bewusst, dass die von ihm geleitete Facebook Gruppe etwa 2.400 Mitglieder enthält und dass der Post öffentlich in facebook erfolgte, so dass eine unbestimmte Anzahl von Internet-Usern davon Kenntnis nehmen konnten.“
3. Diese Feststellungen sind auch in der gebotenen Zusammenschau mit den weiteren Urteilsgründen unzureichend (§ 267 Abs. 1 StPO), weil sie dem Senat eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Annahme, der Angeklagte habe sich wegen der mitgeteilten Postings wegen Beleidigung und übler Nachrede strafbar gemacht, nicht ermöglichen.
a) Entweder hätte die Strafkammer hierzu die genannten Textpassagen vollständig wörtlich zitieren oder aber ihren jeweiligen Kontext wenigstens in Form einer zusammenfassenden Darstellung der damit nicht ausschließbar jeweils aus einem größeren Zusammenhang herausgerissenen Zitate der Postings des Angeklagten wiedergeben müssen. Neben den Inhalten der wiedergegebenen Textauszüge folgt deren sich nach Sachlage aufdrängende Unvollständigkeit auch unmittelbar aus den Urteilsgründen, nämlich der wiederholten Verwendung der Abkürzung „u.a.“ für ‚unter anderem‘, aber auch aus der in ähnlicher Weise auf einen (Folge-) Kontext hinweisenden orthografischen Setzung von sog. Auslassungspunkten durch drei horizontal auf der Grundlinie aufeinanderfolgende Punkte am Zitatende. Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen allerdings nicht einmal die Vermutung, dass mit den Abkürzungen und der Verwendung von Auslassungszeichen lediglich auf ersichtlich nebensächliche oder sonst für die rechtliche Beurteilung offensichtlich irrelevante Textzusätze hingewiesen werden sollte.
b) Gerade bei den hier zu beurteilenden Beiträgen des Angeklagten als „Netz-Administrator“ (bzw. Gruppenadministrator) im Rahmen von Postings innerhalb einer „öffentlichen“ Facebook-Gruppe durfte jedoch auf eine aussagekräftige Darstellung des Gesamtkontextes nicht verzichtet werden. Denn der Sinngehalt der genannten Postings erschließt sich regelmäßig erst durch die vollständige Kenntnis etwaiger konkreter, u.a. durch (öffentliche) Benutzerkommentare, Rede und (reaktive) Gegenrede oder auch gegebenenfalls alternativ eingeschlossener persönlicher bzw. privater Chats und – wie hier anlässlich des Postings vom 22. und 26.08.2018 – eine Teilung von Links ermöglichender Apps und Verschlagwortungen durch Etablierung sog. ‚Hashtags‘ oder der Anzahl von Einladungen oder der Verwendung sog. ‚Emoticons‘ und ‚Likes‘ zu eigenen (früheren) Beiträgen personenverschiedener Gruppenmitglieder geprägte Diskussionsbeiträge innerhalb der Gruppe. Dies alles kann obendrein u.a. von den vorgewählten Einstellungen bzw. Filtern, darunter im Einzelfall etwa auch der vorherigen Bestätigung oder Freischaltung neuer Beiträge durch den „Administrator“ abhängig sein. Hinzu kommt, dass nur so ein häufig thematisierter spezifisch lokaler, lokalpolitischer, kommunaler oder sonst aktueller oder tagespolitisch brisanter Hintergrund der zur beurteilenden, mitunter auf einen besonderen gruppendynamischen Diskurs hinweisenden Beiträge hinreichend transparent wird.
c) Die diese Mindestanforderungen verfehlenden Urteilsgründe sind damit nicht geeignet, den Senat in den Stand zu setzen, die getroffenen Wertungen des Landgerichts etwa zur Abgrenzung von (ehrenrührigen) Werturteilen gegenüber Tatsachenbehauptungen oder zur Annahme von sog. Schmähkritik und endlich dazu, ob die mitgeteilten Beiträge aus den Postings des Angeklagten tatsächlich, wie vom Landgericht angenommen, nicht durch § 193 StGB als Ausprägung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt angesehen werden durften.
4. Für das weitere Verfahren sieht sich der Senat mit Blick auf die bisherigen, wenn auch nicht mehr maßgeblichen Feststellungen zu den nachfolgenden ergänzenden Hinweisen veranlasst:
a) Die in Rede stehenden schriftlichen Äußerungen des Angeklagten im Rahmen seiner Postings sind vom Wortlaut ausgehend nach ihrem objektiven Sinngehalt (Erklärungsinhalt) unter Berücksichtigung der gesamten – teilweise bereits oben aufgezeigten (Ziffer II 3.) – Begleitumstände auszulegen, wobei für die Annahme einer Beleidigung weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen maßgeblich ist. Entscheidend ist vielmehr, wie ein unbefangener verständiger Dritter diese verstehen musste (vgl. z.B. BGHSt 19, 235/237; BayObLG, Beschluss vom 20.10.2004 – 1St RR 153/04 = NJW 2005, 1291; OLG Bamberg, Beschluss vom 11.06.2008 – 3 Ss 64/08 = DAR 2008, 531 = ZfSch 2008, 531 = OLGSt StGB § 185 Nr. 30; OLG Köln, Beschluss vom 04.09.2020 – 1 RvS 156/20 bei juris; ferner MüKo-StGB/Regge/Pegel 3. Aufl. § 185 Rn. 10; LK-StGB/Hilgendorf 12. Aufl. § 185 Rn. 19 und Fischer StGB 67. Aufl. § 185 Rn. 8 ff.). Insoweit kommt gerade dem bisher nur unzureichend festgestellten Gesamtkontext der fraglichen Äußerungen des Angeklagten innerhalb seiner Posts vom 02., 04., 22. und 26.08.2020 entscheidende Bedeutung schon für die Frage zu, ob die Äußerungen des Angeklagten ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerungen oder als Tatsachenbehauptungen anzusehen sind. Die nur isolierte Betrachtung eines umstrittenen bestimmten Äußerungsteils wird deshalb den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfGE 93, 266/295; BVerfG EuGRZ 2013, 637 m.w.N.). Hieraus ergibt sich weiterhin, dass im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur dann zulässig ist, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies – wie häufig – nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung im engeren Sinne, nämlich als überwiegend durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägtes Werturteil (vgl. BVerfGE 61, 1/7 ff.; 90, 241/247 ff.) angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (BVerfG EuGRZ 2013, 637 m.w.N.).
b) Nicht unberücksichtigt bleiben darf schon in diesem Zusammenhang und nicht erst im Rahmen der Strafzumessung auch, dass sich der Angeklagte, mag er nach den Feststellungen zur Person auch „Germanistik studiert und zuletzt als Journalist gearbeitet“ haben, hier jeweils und unverkennbar als engagiertes Mitglied einer der Flüchtlingshilfe verschriebenen Organisation schriftlich geäußert hat, weshalb die an sich und in anderem Zusammenhang ggf. determinierten (Rechts-) Begriffe wie ‚verfälschen‘,; falsch‘, ‚Falschaussage‘ oder das ‚Recht beugen‘ und ‚Tatverdacht‘ gleichwohl eine wertende Betrachtung erfordern können und müssen und der Annahme eines wertenden Gebrauchs nicht von vornherein entgegen stehen (BVerfG EuGRZ 2013, 637 m.w.N.).
c) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedermann das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen sind Meinungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthalten folglich sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Auf diese persönliche Stellungnahme bezieht sich der Grundrechtsschutz, der deshalb unabhängig davon besteht, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Der Schutz bezieht sich jedoch nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auch auf ihre Form. Denn der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun. Er darf vielmehr dafür auch diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkere Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht. Selbst eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung deshalb nicht dem Schutzbereich der Grundrechtsnorm (st.Rspr., vgl. z.B. BVerfGE 93, 266/289 f; BVerfG NJW 1995, 3303 und BVerfG NJW 2006, 3769, jeweils m.w.N.).
d) Auch das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit; ihr Gewicht ist gerade hier besonders hoch zu veranschlagen (BVerfGE 93, 266, 293). Insbesondere erlaubt es die Meinungsfreiheit auch hier nicht, Kritik am Rechtsstaat auf das Erforderliche zu beschränken und damit etwa ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen (BVerfG EuGRZ 2013, 637 m.w.N.).
e) Entsprechend der Bedeutung der Meinungsfreiheit wertet auch das Strafrecht deshalb tatbestandliche Ehrverletzungen dann nicht als rechtswidrig, wenn der Beschuldigte seine Meinungsäußerungen „zur Wahrnehmung berechtigter Interessen“ abgibt (§ 193 StGB).
f) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist andererseits nicht unbegrenzt gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Grundrechtsbeschränkende Vorschriften des einfachen Rechts sind ihrerseits wiederum im Licht des eingeschränkten Grundrechts auszulegen, damit dessen wertsetzende Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt. Das führt im Rahmen der auslegungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale der einfachrechtlichen Vorschriften, zu denen auch die §§ 185 und 186 StGB zählen, regelmäßig zu einer fallbezogenen Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsguts, welches das einfache Recht schützen will (BVerfGE 85, 1, 16).
g) So muss die Meinungsfreiheit zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde (Art. 1 GG) eines anderen antastet sowie dann, wenn sich eine herabsetzende Äußerung lediglich als Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellt. Ein Angriff gegen die Menschenwürde liegt allerdings erst dann vor, wenn dieser gegen den unverzichtbaren und unableitbaren Persönlichkeitskern des anderen, gegen dessen Menschsein als solches gerichtet ist und ihm den Wert abspricht (BGH NStZ 1981, 258; BayObLGSt 2002, 24, 30 und 2004, 46, 50).
h) Die im hier angefochtenen Urteil festgestellten Passagen aus den Postings des Angeklagten stellen in Anwendung dieser Grundsätze ausnahmslos keine Tatsachenbehauptungen sondern durchgängig Meinungsäußerungen dar, die für sich genommen noch keinen Angriff auf die Menschenwürde der Antragsteller erkennen lassen. Ob diese vorläufige Wertung auch bei einer Gesamtbetrachtung der von der Berufungskammer nicht mitgeteilten sonstigen Inhalte der Postings aufrechtzuerhalten ist, wird deshalb in der (neuen) Hauptverhandlung zu klären sein. Der Annahme einer hier eher fern liegender reiner Schmähkritik im Sinne einer sich in der persönlichen Herabsetzung ohne jeglichen Tatsachenbezug erschöpfenden Diffamierung der Strafantragsteller könnte schon die auf der Hand liegende konkrete Anlassbezogenheit der geposteten Beiträge des Angeklagten entgegen stehen. Dies gilt erst recht, soweit die Posts vom Angeklagten selbst entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts keineswegs in eine offensichtlich nur vordergründige oder rhetorische Frageform gefasst (Posting vom 02.08.2018) oder sogar (Posting vom 04.08.2018) ausdrücklich mit dem verwendeten einschränkenden Adjektiv „mutmaßliche“ als unbewiesene, wenn auch aufgrund bestimmter Anzeichen einen „dringenden Tatverdacht“ – verbunden mit dem Zusatz „in unseren Augen“ – rechtfertigende bloße Wahrscheinlichkeit formuliert wurden.
i) Im Übrigen machte selbst eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, welche die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert. Der den Schutzbereich der Meinungsfreiheit verkürzende Begriff der Schmähkritik ist vielmehr eng definiert. Eine Äußerung nimmt den Charakter als Schmähung erst dann an, wenn sie keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen. Zu beachten ist hierbei stets, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden darf; die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist oder wo Gründe für die geäußerte kritische Bewertung nicht gegeben werden. Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung (vgl. zuletzt eingehend BVerfG [2. Kammer des 2. Senats], Beschl. – jeweils – v. 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 = NJW 2020, 2622 = EuGRZ 2020, 589; 1 BvR 2459/19 = NJW 2020, 2629; 1 BvR 1094/19 = NJW 2020, 2631 = EuGRZ 2020, 595 und 1 BvR 362/18 = NJW 2020, 2636 = DVBl 2020, 1279, jeweils m.w.N.).
III.
Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist das angefochtene Urteil mitsamt seinen Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
IV.
Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.


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