Strafrecht

Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung: Anforderungen an eine mitgliedschaftliche Beteiligung

Aktenzeichen  AK 18/20

Datum:
28.7.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:280720BAK18.20.0
Normen:
§ 129a Abs 1 Nr 1 StGB
§ 129b Abs 1 S 1 StGB
§ 129b Abs 1 S 2 StGB
Spruchkörper:
3. Strafsenat

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Koblenz übertragen.

Gründe

I.
1
Die Angeschuldigte ist am 17. Januar 2020 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. November 2019 (OGs 110/19) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe sich ab einem nicht genau feststehenden Zeitpunkt im September 2014 bis Februar 2019 als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung ʺIslamischer Staatʺ (IS) beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen.
3
Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat mit Anklageschrift vom 27. Mai 2020 wegen des dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwurfs Anklage zum Oberlandesgericht Koblenz erhoben.
II.
4
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
5
1. Die Angeschuldigte ist der ihr zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.
6
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
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aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des Irak und die historische Region ʺash-Shamʺ – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden ʺGottesstaatʺ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als ʺFeind des Islamʺ begreift; die Tötung solcher ʺFeindeʺ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.
8
Die Führung der Vereinigung, die sich mit dem Ausrufen des ʺKalifatsʺ im Juni 2014 von ʺIslamischer Staat im Irak und in Großsyrienʺ (ISIG/ISIS) in IS umbenannte, hatte seit 2010 bis zu seinem Tod im Oktober 2019 der ʺEmirʺ Abu Bakr al-Baghdadi inne. Al-Baghdadi war von seinem Sprecher zum ʺKalifenʺ erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem ʺKalifenʺ unterstehen ein Stellvertreter sowie ʺMinisterʺ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein ʺKriegsministerʺ und ein ʺPropagandaministerʺ. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende ʺShura-Räteʺ. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung ʺAl-Furqanʺ produziert und über die Medienstelle ʺal-l’tisamʺ verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem ʺProphetensiegelʺ (einem weißen Oval mit der Inschrift:ʺAllah – Rasul – Muhammadʺ) auf schwarzem Grund, ergänzt um das islamische Glaubensbekenntnis. Die zur Tatzeit mehreren Tausend Kämpfer waren dem ʺKriegsministerʺ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
9
Die Vereinigung teilte die von ihr besetzten Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf das Schaffen totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlichte der IS Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen. Darüber hinaus beging die Vereinigung immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb ihres Machtbereichs Terroranschläge. So hat sie etwa für Anschläge in Frankreich, Belgien und Deutschland die Verantwortung übernommen.
10
Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Heute hat der IS sein ehemaliges Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak verloren.
11
bb) Die Angeschuldigte reiste am 9. September 2014 mit ihrem nach islamischen Ritus vermählten Mann nebst weiteren Personen von Deutschland Richtung Syrien aus, um sich dem IS anzuschließen. Nach einem Aufenthalt in al-Bukamal erhielten sie in Rakka Wohnraum zugeteilt. Während ihr Mann eine militärische Ausbildung durch die Vereinigung erhielt, war sie zeitweilig in einem Frauenhaus untergebracht. Als sich ihr Mann für den IS an Kämpfen in Nordsyrien beteiligte, versorgte sie den im Dezember 2014 geborenen Sohn und führte den Haushalt. Nach dem Tod ihres Mannes im März 2015 erhielt sie Kondolenzzahlungen des IS in Höhe von mehreren hundert US-Dollar sowie im Folgenden den monatlichen Sold ihres Mannes. Auf Vermittlung heiratete sie noch im selben Jahr einen anderen Kämpfer des IS. Nachdem dieser wenige Monate später getötet worden war, schloss sie im Mai 2016 erneut eine vermittelte Ehe nach islamischem Ritus mit einem IS-Kämpfer sowie nach dessen Tod mit einem anderen Mitglied der Organisation. Sie gebar im Oktober 2017 zwei weitere Kinder und im Dezember 2018 ein viertes Kind, das einige Tage nach der Geburt verstarb.
12
Über soziale Netzwerke rief die Angeschuldigte zur Ausreise in das ʺKalifatʺ auf, pries das dortige Leben sowie die Versorgungslage an und rechtfertigte die Tötung von aus ihrer Sicht Ungläubigen. Sie pflegte engen Kontakt mit weiblichen Angehörigen der Vereinigung, besuchte ein durch diese betriebenes Frauenhaus nach dem Tod ihres ersten Mannes und nahm im Jahr 2016 in Rakka an einem Scharia-Kurs teil. Mit dem militärischen Niedergang des IS zog sie sich jeweils in von diesem noch kontrollierte Gebiete zurück und erhielt dort Wohnraum zugeteilt.
13
Als im Januar 2019 die von ihr bewohnte Ortschaft durch gegnerische Kräfte eingeschlossen war und sie mit Mann sowie Kindern zu fliehen versuchte, wurde sie durch kurdische Kräfte festgenommen und in ein Lager gebracht. Später geriet sie in türkische Haft und wurde am 17. Januar 2020 nach Deutschland abgeschoben.
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b) Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung IS insbesondere auf islamwissenschaftlichen Gutachten des Sachverständigen   S.       und detaillierten Auswerteberichten des Bundeskriminalamts sowie den dort in Bezug genommenen und dargestellten weiteren Quellen. Die Handlungen der Angeschuldigten, die sich bislang nicht zur Sache eingelassen hat, ergeben sich im Wesentlichen aus der Auswertung zahlreicher Kommunikationsmittel und den Angaben verschiedener Zeugen aus ihrem Umfeld. Wegen weiterer Einzelheiten zur vorläufigen Bewertung der Beweislage wird auf den Haftbefehl und die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen.
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c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich die Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht hat (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
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aa) Die mitgliedschaftliche Beteiligung nach § 129a Abs. 1 StGB setzt eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation voraus. Sie kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Vereinigung von innen und nicht lediglich von außen her fördert. Insoweit bedarf es zwar keiner förmlichen Beitrittserklärung oder einer förmlichen Mitgliedschaft. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar macht. Dafür reicht allein die Tätigkeit für die Vereinigung, mag sie auch besonders intensiv sein, nicht aus; denn ein Außenstehender wird nicht allein durch die Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied. Die Mitgliedschaft setzt ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die einer Vereinigung nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Ein auf lediglich einseitigem Willensentschluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt nicht, selbst wenn der Betreffende bestrebt ist, die Vereinigung und ihre kriminellen Ziele zu fördern. Die Annahme einer mitgliedschaftlichen Beteiligung scheidet daher aus, wenn die Unterstützungshandlungen nicht von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben getragen sind (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 – AK 27/19, juris Rn. 20; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 128).
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Eine Beteiligungshandlung des Mitglieds kann darin bestehen, unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Vereinigung beizutragen; sie kann auch darauf gerichtet sein, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten. Ausreichend ist deshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation. In Betracht kommt etwa ein organisationsförderndes oder ansonsten vereinigungstypisches Verhalten von entsprechendem Gewicht. In Abgrenzung hierzu fehlt es in Fällen einer bloß formalen oder passiven, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslosen Mitgliedschaft grundsätzlich an einem aktiven mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 24 mwN).
18
bb) Gemessen daran belegen die bislang ermittelten Tatsachen sowohl eine Eingliederung der Angeschuldigten in den IS als auch vereinigungstypische Tätigkeiten für dessen Zwecke mit ausreichender Wahrscheinlichkeit.
19
Hierfür ist im Rahmen einer Gesamtschau von Bedeutung, dass sie nach dem Tod ihres ersten Mannes eine Rückreise nach Deutschland ablehnte und weiter bei der Vereinigung verblieb, sich über diese anpreisend äußerte und in deren Sinne agitierte, durch diese weiter Versorgungsleistungen erhielt, jeweils nach Vermittlung andere kämpfende Mitglieder heiratete, sich mit der Vereinigung bis zu deren militärischer Niederlage in von dieser noch kontrolliertes Gebiet zurückzog, an einem Scharia-Kurs teilnahm und sich mehrmals in Frauenhäusern (ʺSchwesternhausʺ) aufhielt. Sie brachte sich damit in die Organisation ein und erfüllte mehr als bloß allgemeine ʺhäusliche Pflichtenʺ (s. dazu BGH, Beschluss vom 22. März 2018 – StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207; insgesamt beispielsweise BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2019 – AK 56/19, juris Rn. 29 f. und StB 26/19, juris Rn. 23; vom 13. Juni 2019 – AK 27/19, juris Rn. 21 f.; vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NJW 2019, 2552 Rn. 26 f.).
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2. Es bestehen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie – auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) – derjenige der Schwerkriminalität. Die Angeschuldigte hat keinen Wohnsitz in Deutschland; sie hat erklärt, eine Ausreise in den Sudan einer Inhaftierung in Deutschland vorzuziehen, und entsprechende Bemühungen entfaltet. Sie verfügt durch Verwandte ihres britisch-sudanesischen Mannes über Auslandskontakte. Da sie aufgrund der ihr zur Last gelegten Tat mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen hat, ist es insgesamt überwiegend wahrscheinlich, dass sie sich im Falle ihrer Freilassung dem weiteren Verfahren durch Flucht entzöge. Dieser Gefahr kann durch andere fluchthemmende Maßnahmen nicht in gleicher Form begegnet werden, weshalb der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden kann.
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3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer.
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Das der Angeschuldigten zugeordnete Mobiltelefon, das in Zusammenhang mit ihrer Abschiebung sichergestellt worden ist und eine Vielzahl von Textmitteilungen, Bild-, Video- sowie Audiodateien und Kontakten aufweist, ist ausgewertet worden. Daraus haben sich Ansätze zu ergänzenden Ermittlungen ergeben, die zu einer Durchsuchung bei einer weiteren Person geführt haben. Die dort und bei einer anderen Durchsuchung sichergestellten Datenträger sind ebenfalls – noch nicht abschließend – gesichtet worden. Überdies ist ein die Angeschuldigte betreffendes psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt worden, dessen vorläufige schriftliche Fassung am 13. Mai 2020 vorgelegen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 10. Juni 2020 Anklage erhoben. Hierzu hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Senats des Oberlandesgerichts eine Erklärungsfrist (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO) bis zum 29. Juni 2020 gesetzt. Angesichts des Umfangs der Akten, die sieben Bände Hauptakten und 28 Sonderbände beinhalten, ist nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht noch keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen hat. Eine solche ist nach gegenwärtigem Stand zeitnah zu erwarten.
23
4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer               Spaniol                Anstötz


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