Strafrecht

Mord: Freispruch nach dem Zweifelsgrundsatz

Aktenzeichen  5 StR 103/21

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:101121U5STR103.21.0
Normen:
§ 261 StPO
§ 211 StGB
Spruchkörper:
5. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Lübeck, 3. November 2020, Az: 1 Ks 705 Js 22355/95

Tenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 3. November 2020 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihres Rechtmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte.
– Von Rechts wegen –

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger greifen das Urteil jeweils mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge an. Beiden Revisionen bleibt der Erfolg versagt.
I.
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1. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 18. Februar 2020 war dem vor seiner Auslieferung zuletzt in Irland lebenden Angeklagten zur Last gelegt worden, gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten T.      in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 1995 den Autohändler K.      in dessen L.     er Wohnung aus Habgier erstochen zu haben.
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2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Der Autohändler K.     , der für jedermann offensichtlich regelmäßig beträchtliche Mengen Bargeld bei sich hatte, hielt sich am 2. Juli 1995 ab 21 Uhr zunächst alleine in seiner Wohnung in L.     auf. Im Laufe des Abends bekam er Besuch, mit dem er im Wohnzimmer zusammensaß und alkoholische Getränke konsumierte. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 23.45 Uhr und 1.30 Uhr waren ein Streitgespräch und Schreie aus der Wohnung zu hören. In diesem Zeitraum wurden dem Gastgeber neun Messerstiche und acht Stiche mit einem Schraubendreher in Kopf und Oberkörper versetzt. Infolgedessen verstarb er nach kurzer Zeit.
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Der Leichnam wurde am Morgen des 3. Juli 1995 entdeckt, nachdem der Geschädigte nicht zu einem für 8 Uhr verabredeten Treffen mit seinem Geschäftspartner erschienen war und dieser daraufhin die Alarmierung der Polizei veranlasst hatte. Die Leiche lag – bedeckt mit Tischdecken und dem Kopf auf einem Kissen – „wie drapiert“ auf dem Rücken. Das Bargeld, das der Getötete zwei Tage zuvor durch den Verkauf eines Autos erzielt hatte, war entwendet worden. Zudem fehlten einer der drei Wohnungsschlüssel sowie zwei Gläser und eine Flasche Cola. Kurz vor der Tatentdeckung hatte sich ein dunkelhaariger, eher korpulenter Mann im Flur der verschlossenen Wohnung des Opfers aufgehalten.
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3. Das Schwurgericht hat den Angeklagten nach zwölf Hauptverhandlungstagen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es gebe zwar mehrere Aspekte, die für die Täterschaft des Angeklagten sprächen, aber auch zahlreiche entlastende Gesichtspunkte. In der Gesamtschau sei der Angeklagte nach dem in dubio-Grundsatz freizusprechen gewesen. Selbst seine Täterschaft unterstellt, habe er indes nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Das – einzig in Betracht kommende – Mordmerkmal der Habgier sei nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festzustellen gewesen. Es sei daher allenfalls eine Verurteilung wegen Totschlags in Frage gekommen. Dem hätte jedoch das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegengestanden.
II.
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Die vom Generalbundesanwalt im Hinblick auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger sind unbegründet.
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1. Die Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt ausgeführten Gründen unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
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2. Mit den Sachrügen dringen die Beschwerdeführer ebenfalls nicht durch. Entgegen ihrer Auffassung erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerfrei.
10
a) Kann das Tatgericht nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen und spricht den Angeklagten daher frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht oder nur eine von mehreren gleich naheliegenden Möglichkeiten erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2021 – 3 StR 183/20 mwN).
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b) Gemessen daran begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass sich das Landgericht nicht von der Täterschaft des Angeklagten hat überzeugen können. Es hat bei seiner Beweiswürdigung alle wesentlichen für und wider die Täterschaft des Angeklagten streitenden Umstände einbezogen und in einer Gesamtschau umfassend gewürdigt. Die von den Beschwerdeführern besorgten Lücken und Widersprüche vermag der Senat nicht zu erkennen.
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aa) Das Landgericht hat sich insbesondere erschöpfend mit den DNA-Spuren des Angeklagten und des gesondert Verfolgten T.      an den Zigarettenkippen auseinandergesetzt, die unter anderem Abfall im Mülleimer in der Küche der Wohnung des Tatopfers sichergestellt worden waren. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass es angesichts der nicht mehr zu rekonstruierenden konkreten Auffindesituation diesem Indiz keinen entscheidenden Beweiswert für die Anwesenheit der Spurenverursacher zur Tatzeit beigemessen hat. Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin angegeben hat, nach der Tatentdeckung zahlreiche Zigarettenkippen in einem Aschenbecher entdeckt zu haben, deren Verbleib und etwaige Untersuchung sich nicht aufklären ließ, es mithin weitere Besucher in der Tatnacht gegeben haben könnte.
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bb) Die Beweiswürdigung ist hinsichtlich des Telefonanrufs des Angeklagten bei dem gesondert Verfolgten T.      im Dezember 2015 frei von Lücken und Widersprüchen. Das Landgericht hat den Inhalt des Telefonats und die das Gespräch betreffende Einlassung des Angeklagten in einer den rechtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung genügenden Art und Weise geschildert. Es hat auch bedacht, dass die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt des Anrufs noch keinen „konkreten Tatverdacht“ gegen den Angeklagten hegten. Entgegen den Revisionen steht der letztgenannte Umstand indes weder im Widerspruch zu dessen Einlassung noch ist die Beweiswürdigung insofern lückenhaft. Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung angegeben, den gesondert Verfolgten T.      in dem Telefonat gefragt zu haben, ob dieser „irgendwo Blödsinn erzählt“ habe. Anlass hierfür sei gewesen, dass er von einem seinerzeit von Litauen nach Irland zurückgekehrten Landsmann gehört habe, sie stünden im „Verdacht“, einen Autohändler umgebracht zu haben. Dies lässt sich wiederum in Einklang mit dem Inhalt des in den Urteilsgründen geschilderten Telefongesprächs bringen. Ausweislich dessen hatte der Angeklagte den gesondert Verfolgten darauf angesprochen, dass ihm zu Ohren gekommen sei, dieser habe mit einem „Geschäft/Ding in Deutschland geprahlt“, und es sich bei der Quelle hierfür um einen Bekannten von ihm handle, der ihn „beißen“ und aus Irland „herauspulen“ wolle. Es ist daher rechtlich unbedenklich, dass sich das Landgericht nicht zu einer weitergehenden Erörterung der Einlassung des Angeklagten zum Anlass des Telefonats einerseits und der seinerzeitigen rechtlichen Beurteilung der Strafverfolgungsbehörden anderseits veranlasst gesehen hat.
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cc) Der Senat schließt angesichts der konkreten Darstellung des Geschehens und der Einlassung des Angeklagten hierzu aus, dass das Landgericht die Verurteilung des Angeklagten im Jahr 1998 wegen einer mit der verfahrensgegenständlichen vergleichbaren, in Litauen begangenen Tat aus dem Blick verloren haben könnte.
15
dd) Das Landgericht hat auch keine überspannten Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt. Vielmehr hat es sich in der Gesamtschau nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen vermocht und ihn daher in rechtlich nicht zu beanstandender Anwendung des Zweifelssatzes freigesprochen.
16
c) Danach kommt es nicht mehr darauf an, dass auch die Ablehnung des Mordmerkmals der Habgier auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht und einer etwaigen Verurteilung wegen Totschlags (§ 212 StGB) gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB die Verfolgungsverjährung entgegenstehen würde (vgl. zum Freispruch in dieser Konstellation BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 – 5 StR 14/04, BGHSt 50, 16, 30; Beschluss vom 13. April 2021 – 5 StR 14/21, NStZ-RR 2021, 217).
Cirener     
        
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von Häfen     
        


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