Aktenzeichen 11 CE 17.1437
VwGO VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
GKG GKG § 53 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz
1 Mit der Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis kann abgewartet werden, bis ein strafrechtliches Verfahren abgeschlossen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 § 3 Abs. 3 S. 1 StVG untersagt der Fahrerlaubnisbehörde nur in einem Entziehungsverfahren, nicht aber in einem Erteilungsverfahren, den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, zu berücksichtigen, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist. Auch die Unschuldsvermutung steht dem nicht entgegen, vielmehr gilt es, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 8 E 17.983 2017-07-05 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet wird, ihm vorläufig eine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Wegen einer Trunkenheitsfahrt am 19. Mai 2016 (BAK 1,16 ‰) verurteilte das Amtsgericht Regensburg den Antragsteller mit Strafbefehl vom 11. August 2016 zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von elf Monaten an. Die Sperrfrist setzte das Amtsgericht Regensburg mit Urteil vom 7. November 2016 auf acht Monate und ihren Ablauf mit Beschluss vom 11. Mai 2017 auf den 7. Juni 2017 fest.
Am 7. April 2017 beantragte der Antragsteller beim Landratsamt Regensburg (im Folgenden: Landratsamt) die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B. Am 2. Juni 2017 ging beim Landratsamt eine Mitteilung der Polizeiinspektion Parsberg ein, wonach gegen den Antragsteller wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) am 21. März 2017 ermittelt werde. Mit Schreiben vom 2. Juni 2017 teilte das Landratsamt dem Antragsteller mit, solange dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, könne über seinen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nicht entschieden werden.
Am 13. Juni 2017 erhob die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anklage gegen den Antragsteller wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Am 12. Juni 2017 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen B und BE erheben und beantragen, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig die Fahrerlaubnis zu erteilen. Er sei aus beruflichen Gründen dringend auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Diese könne ihm auch im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren nicht verweigert werden.
Über die Klage hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden. Mit Beschluss vom 5. Juli 2017 hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Aufgrund des Ermittlungsverfahrens wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis bestehe ein zureichender Grund dafür, dass das Landratsamt bisher noch nicht über den Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis entschieden habe.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller ausführen, die vorläufige Erteilung einer Fahrerlaubnis, ggf. zeitlich befristet, unter Bedingungen oder Auflagen oder mit einem Widerrufsvorbehalt, würde die Hauptsache nicht in unzulässiger Weise vorwegnehmen. Das Abwarten des Ausgangs des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens verstoße gegen die Unschuldsvermutung und verletze den Anspruch des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz. Der Antragsteller sei im Außendienst tätig und auf die Fahrerlaubnis zwingend angewiesen. Er sei jederzeit bereit, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache kommt allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn das Abwarten der Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte (BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5 m.w.N.). Die begehrte Regelung muss zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig sein und es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Dies gilt im Fahrerlaubnisrecht angesichts der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer in besonderem Maße, da das Führen fahrerlaubnispflichtiger Fahrzeuge im Straßenverkehr mit erheblichen Gefahren für diese Rechtsgüter einhergeht, wenn der Betroffene nicht fahrgeeignet oder zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht befähigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2014 – 11 CE 14.1962 – juris Rn. 11; B.v. 11.12.2014 – 11 CE 14.2358 – juris Rn. 18; s. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 20 FeV Rn. 6).
Abgesehen davon, dass die geltend gemachten beruflichen Schwierigkeiten des Antragstellers mit der erstinstanzlich vorgetragenen, jedoch nicht weiter erläuterten und belegten Behauptung, er könne seinen „ihm beruflich übertragenen Aufgaben nur unvollständig und unter höchsten Schwierigkeiten“ nachkommen und ihm drohe möglicherweise auch die Kündigung, für die gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung der Dringlichkeit in keiner Weise ausreichen, hat das Verwaltungsgericht auch den Anordnungsanspruch zu Recht verneint. Die Klage auf Erteilung einer Fahrerlaubnis wird voraussichtlich auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens erfolglos bleiben. Eine stattgebende Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis kommt nicht in Betracht, solange das gegen den Antragsteller eingeleitete Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht abgeschlossen ist.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Juli 2017 (BGBl I S. 2421), und § 11 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. Mai 2017 (BGBl I S. 1282), setzt die Erteilung einer Fahrerlaubnis voraus, dass der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Das gilt auch im Fall der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 FeV). Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat (§ 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 2 und 3 FeV). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Bewerber nachzuweisen (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 StVG).
Ob der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, hat die Fahrerlaubnisbehörde zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 1 StVG, § 22 Abs. 2 Satz 1 FeV) und kann etwa bei einem erheblichen Verstoß oder wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften, bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, oder bei Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen, zur Klärung von Eignungszweifeln die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) anordnen (§ 2 Abs. 8 StVG, § 22 Abs. 2 Satz 5 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 FeV). Nur wenn alle Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis vorliegen, hat die Fahrerlaubnisbehörde den Führerschein ausfertigen zu lassen und auszuhändigen (§ 22 Abs. 3 FeV).
Das Amtsgericht Regensburg hat dem Antragsteller wegen einer strafbaren Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1 und 2 StGB) die Fahrerlaubnis entzogen (§ 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB). Die Polizeiinspektion Parsberg hat das Landratsamt gemäß § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG über die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Antragsteller wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis informiert. Auch im Falle einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG) kommt die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB bzw. die Anordnung einer isolierten Sperrfrist für die Wiedererteilung gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB als Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht. Dem steht nicht entgegen, dass das Fahren ohne Fahrerlaubnis nicht als Regelbeispiel in § 69 Abs. 2 StGB genannt ist. Im Falle einer Verurteilung des Antragstellers lägen aufgrund der vorangegangenen Trunkenheitsfahrt wiederholte Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften und Straftaten vor, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehen und die im Wiedererteilungsverfahren für das Landratsamt Anlass wären, ggf. nach Maßgabe von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.
Das Landratsamt ist auch weder durch die im Strafverfahren geltende Unschuldsvermutung noch durch § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG daran gehindert, den Ausgang des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Antragsteller wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis abzuwarten. Abgesehen davon, dass § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG der Fahrerlaubnisbehörde nur in einem Entziehungsverfahren, nicht aber in einem Erteilungsverfahren untersagt, den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, zu berücksichtigen, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 des Strafgesetzbuchs in Betracht kommt, entspricht es vielmehr dem auf das Erteilungsverfahren übertragbaren Grundgedanken dieser Vorschrift, einander widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden zu vermeiden (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2014 – 11 C 14.218 – juris Rn. 15; OVG NW, B.v. 29.1.2014 – 16 B 1426/13 – juris Rn. 4-7; Zwerger in Haus/Zwerger, Das verkehrsrechtliche Mandat, Band 3, 3. Auflage 2017, S. 314). Da die Sperrwirkung des § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG hier nicht zur Anwendung kommt, ist es nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt aufgrund der begründeten Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers die Entscheidung über dessen Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zurückstellt, bis das Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis abgeschlossen ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, Anh. § 164 Rn. 14).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).