Strafrecht

Polizeirecht, Kostenbescheid für unmittelbaren Zwang

Aktenzeichen  M 23 K 19.5432

Datum:
19.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9295
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 70 Abs. 2
PAG Art. 71 Abs. 1 Nr. 3
PAG Art. 75

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die Klage ist bereits unzulässig. Nachdem der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf eine außergerichtliche Streitbelegung zu Protokoll des Gerichts auf die mit dem streitgegenständlichen Kostenbescheid geltend gemachte Forderung in Höhe von 54,00 Euro ausdrücklich verzichtet hat, fehlt der aufrechterhaltenen Klage schon das Rechtsschutzbedürfnis. Ein solches entfällt dann, wenn der mögliche Erfolg einer Klage die Rechtsstellung des Klägers nicht verbessern würde (Rennert in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019 Rn. 16). Dies ist vorliegend durch den Forderungsverzicht der Fall. Darauf, ob die Klage fristgerecht erhoben wurde (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO), kommt es mithin nicht mehr an.
II. Aber auch unter Annahme der fortbestehenden Zulässigkeit der Klage bestünden aus Sicht des Gerichts bei unterstellt präventiven Elementen der polizeilichen Maßnahme in einer Gemengelage keine durchgreifenden Bedenken gegen den Leistungsbescheid vom 20. September 2019. Insoweit wäre die Klage auch unbegründet gewesen, da der Bescheid rechtmäßig war und den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt hätte, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 14.12.2018 – 6 B 133.18 – juris mAnm Heusch Doppelbegründung als bloßes obiter dictum zulässig).
1. Die Erhebung der Gebühren i.H.v. 54,00 Euro in Zusammenhang mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs basierte auf Art. 75 Abs. 3 Satz 1 und 2 Polizeiaufgabengesetz (PAG) i.V.m. Art. 1, 2 Kostengesetz (KG) und § 1 Nr. 8 Polizeikostenverordnung (PolKV). Nach Art. 1 Satz 1 KG erheben die Behörden des Staates für Tätigkeiten, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (Amtshandlungen), Kosten (Gebühren und Auslagen) nach den Vorschriften dieses Abschnitts. Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1 KG werden grundsätzlich Kosten nicht erhoben für Amtshandlungen, die von der Polizei zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach Art. 2 des Polizeiaufgabengesetzes vorgenommen werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach Art. 75 Abs. 3 PAG werden aber für die Anwendung unmittelbaren Zwangs Kosten erhoben; hierfür besteht nach § 1 Nr. 8 PolKV ein Gebührenrahmen zwischen 36,00 Euro und 1.500 Euro.
Soweit aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. Art. 16 Abs. 5 KG folgt, dass Kosten nur für rechtmäßige Polizeimaßnahmen erhoben werden (vgl. BayVGH, U.v. 17.4.2008 – 10 B 08.449 – juris Rn. 12), mithin Primär- und Sekundärmaßnahme rechtmäßig sein müssen, hätte dies vorliegend nicht zur Kostenfreiheit der polizeilichen Maßnahme geführt. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs war gemessen an Art. 70 Abs. 2, Art. 71 Abs. 1 Nr. 3, Art. 75 Abs. 1 Satz 1, Art. 77 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 PAG rechtmäßig, da die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen ersichtlich vorlagen.
2. Die Vollstreckungsmaßnahme dürfte sich ebenso wie die der Zwangsmaßnahme zugrundeliegende und auf Art. 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG zu stützende (hypothetische) Primärmaßnahme als rechtmäßig darstellen. Im Ausgangspunkt ist festzustellen, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs hier nicht der Durchsetzung eines vorausgegangenen ausdrücklichen mündlichen Verwaltungsakts diente. Die ohne vorausgegangenen bzw. allenfalls konkludent ergangenen Verwaltungsakt (etwa in Form einer ausdrücklichen Anordnung) erfolgte Anwendung unmittelbaren Zwangs war aber als Maßnahme des Sofortvollzugs gemäß Art. 70 Abs. 2 PAG zulässig, denn der Zwang war zur Abwehr einer Gefahr notwendig und die Polizei handelte hierbei innerhalb ihrer Befugnisse.
a) Die Voraussetzungen für den Erlass eines (hypothetischen) rechtmäßigen Polizeiverwaltungsakts (BeckOK PolR Bayern/Buggisch, 15. Ed. 1.11.2020, PAG Art. 70 Rn. 22) dürften vorgelegen haben. Die Polizei kann nach Art. 11 Abs. 1 PAG die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG kann sie insbesondere eine solche Maßnahme dann treffen, wenn sie notwendig ist, Straftaten, oder Ordnungswidrigkeiten zu verhüten oder zu unterbinden. Aus der Sicht eines verständigen Polizeibeamten unter Berücksichtigung der sich in der Situation ergebenden konkreten Umstände bestand eine konkrete polizeiliche Gefahr im Hinblick auf die Verwirklichung eines Straftatbestands des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), die mit der Fesselung mittels Handschellen unterbunden werden sollte. Während der Kläger zunächst (wohl) das Vorliegen eines wirksamen Durchsuchungsbeschlusses, der offenbar mündlich durch den Ermittlungsrichter erfolgt war, anzweifelte, ging es ihm – wie sich insbesondere aus der vorgelegten Videoaufzeichnung, aber auch den übereinstimmenden Darlegungen der Beteiligten ergibt – im weiteren Verlauf vornehmlich unter Berufung auf sein Hausrecht darum, dass den Polizeibeamten der Vollzug des Durchsuchungsbeschlusses nur „gestattet“ werden sollte, nachdem diese ihre Schuhe ausgezogen hätten bzw. – selbst mitgebrachte – Überzieher über die Schuhe gezogen hätten. Dieses wurde vom Kläger auch in der mündlichen Verhandlung inhaltlich nicht bestritten. Nach einer Gesamtwürdigung konnte damit aber aus Sicht eines verständigen Polizeibeamten im Zeitpunkt exante in dieser Situation von einer konkreten Gefahr in Form von Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen ausgegangen werden.
Dass das hierauf wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte geführte Strafver fahren nach § 153a Abs. 2 StPO in der dortigen Hauptverhandlung gegen eine Geldauflage in Höhe von 1.000 Euro eingestellt worden ist, steht der Bewertung einer konkreten Gefahr nicht entgegen und entlastet den Kläger nicht. Denn das Strafverfahren ist repressiv angelegt, mit der Folge, dass dieses anders als die polizeilichpräventive Gefahrenabwehr auch subjektive Tatbestands- als auch Schuldelemente umfasst. Ein Straf- oder Bußgeldverfahren lässt die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer präventiven Maßnahme – wie hier – somit unberührt und begründet keine tatbestandliche Vorwirkung. Zudem kann sich der Kläger ohnehin nicht auf ein „Recht auf Widerstand“ kraft seines Hausrechts dergestalt berufen, dass sein Wohnhaus zum Zwecke des Vollzugs eines gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses nur betreten werden darf, wenn die Polizeibeamten vorher die Schuhe ausziehen würden. Denn insoweit sind diese Teil der Dienstkleidung der Beamten. § 1 Satz 3 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 7. April 2020 (Az.C5-0335-5-2) aber bestimmt, dass eine Dienstverrichtung in unvollständiger Dienstkleidung das Ansehen der Polizei negativ beeinflussen kann, so dass auf ein korrektes Erscheinungsbild Wert zu legen ist. Schon daraus folgt, dass die Polizeibeamten – insbesondere mangels anderweitiger Umstände – mitnichten dazu aufgefordert werden konnten, den Durchsuchungsbeschluss ohne Schuhe zu vollziehen, Gleiches gilt im Hinblick auf das Überziehen – selbst mitgeführter – Schoner. Auch der klägerische Einwand, er hätte sich keinesfalls aggressiv verhalten, kann insoweit keine andere Beurteilung rechtfertigen, denn insoweit wurde den Polizeibeamten der Zutritt jedenfalls nicht ohne vorherige Bedingungen, auf deren Einhaltung der Kläger nach dem oben Gesagten keinen Anspruch hat, gewährt. Aus objektiver Sicht lag damit jedenfalls zumindest eine (die Kostenforderung rechtfertigende) Anscheinsgefahr vor. Vor diesem Hintergrund und unter besonderer Würdigung der engen zeitlichen Abfolge bestehen auch keine Anhaltspunkte, die diese Grundverfügung als ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig erscheinen ließen.
b) Auch die besonderen Voraussetzungen für die durch Fesselung gegen den Willen des Klägers angewendete physisch wirkende Gewalt als Verwaltungszwang in der Form des unmittelbaren Zwangs dürften infolge des Widerstands gegen die polizeilichen Maßnahmen gegeben gewesen sein, Art. 75 Abs. 1 und Art. 82 Nr. 1 PAG. Aus dem vom Kläger vorgelegten Videomaterial wird ersichtlich, dass das Zwangsmittel auch angedroht wurde, Art. 81 Abs. 1 Satz 1 PAG. Durchgreifende Anhaltspunkte, die eine vorübergehende Anwendung unmittelbaren Zwangs als ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig erscheinen lassen, sind dem Gericht nicht ersichtlich. Andere gleich geeignete Mittel standen offenbar nicht zur Verfügung, nachdem, wie durch das vorgelegte Videomaterial erkennbar ist, die Polizeibeamten zunächst durch wiederholte Versuche, die Sach- und Rechtslage mit dem Kläger im Dialog zu klären, keinen Erfolg versprachen.
3. Ebenso wäre die Höhe der Kosten im Falle ihrer Geltendmachung nicht zu beanstanden gewesen. So hält sich die geltend gemachte Gebühr von 54,00 Euro im unteren Bereich der in § 1 Nr. 8 PolKV vorgesehenen Rahmengebühr von 36,00 Euro bis 1.500 Euro und entspricht der in der polizeilichen Verwaltungspraxis regelmäßig für die einmalige Anwendung unmittelbaren Zwangs geltend gemachten Kosten.
III. Die Klage war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO und dem Aus spruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung gem. § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO abzuweisen.


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