Strafrecht

Recht des Betroffenen, sich auch im Bußgeldverfahren durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen; fehlerhafte Ablehnung einer Terminsverlegung

Aktenzeichen  201 ObOWi 1517/20

Datum:
4.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StV Spezial – 2021, 23
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
OWiG § 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1
StPO § 137, § 228 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Auch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Dieses Recht ist nicht auf die Fälle notwendiger Verteidigung beschränkt. (Rn. 3 – 4)
2. Die Ablehnung einer Terminsverlegung wegen Verhinderung des Verteidigers ist beim Vorliegen einer nicht ganz einfachen Sach- und Rechtslage nicht frei von Ermessensfehlern, wenn sie im Hinblick auf die Geschäftsbelastung des Gerichts damit begründet wird, die Verlegung um wenige Wochen sei inakzeptabel. (Rn. 4 – 5)

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 17.08.2020 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.
Mit Bußgeldbescheid vom 18.11.2019 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h am 03.07.2019 eine Geldbuße von 120 Euro festgesetzt und ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Nach Einspruch des Betroffenen bestimmte das Amtsgericht mit Verfügung vom 30.01.2020 Termin zur Hauptverhandlung für Montag, den 27.04.2020. Wegen der Corona-Pandemie wurde der Termin nach Rücksprache mit dem Verteidiger mit Verfügung vom 21.04.2020 auf Montag, den 29.06.2020 verlegt. Mit Schriftsatz vom 29.06.2020 beantragte der Verteidiger wegen Erkrankung des Betroffenen unter Vorlage eines ärztlichen Attests die Verlegung des Hauptverhandlungstermins. Mit Verfügung vom 29.06.2020 wurde der Termin aufgehoben und mit Verfügung vom 07.07.2020 bestimmte die Tatrichterin den Hauptverhandlungstermin auf Montag, den 17.08.2020. Mit Schriftsatz vom 05.08.2020 beantragte der Verteidiger die Verlegung des Termins vom 17.08.2020, da sein Sohn verstorben sei. Das Amtsgericht lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 06.08.2020 ab, u.a. mit der Begründung, infolge Austerminierung bzw. Urlaubszeiten könne „vermutlich erst im späten Q3/ in Q4 verhandelt werden“, was inakzeptabel sei. Das Amtsgericht hat den ohne Verteidiger in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen mit Urteil vom 17.08.2020 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h, begangen am 03.07.2019, zu einer Geldbuße in Höhe von 500 Euro verurteilt sowie ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beanstandet insbesondere, dass das Amtsgericht die Terminsverlegung zu Unrecht abgelehnt und den Betroffenen unverteidigt zu einer deutlich erhöhten Geldbuße verurteilt habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 02.11.2020 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Dazu hat sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 03.11.2020, eingegangen am 02.12.2020, geäußert.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund der zulässig erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht und des Anspruchs auf ein faires Verfahren begründet, denn sie zeigt auf, dass das Verlegungsgesuch durch den Beschluss vom 06.08.2020 nicht mit einer ermessenfehlerfreien Begründung abgelehnt wurde. Auf die Sachrüge kommt es deshalb nicht mehr an.
1. Auch in einem Bußgeldverfahren hat der Betroffene regelmäßig das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Diese Gewährleistung ist Ausdruck seines von Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Anspruchs auf ein faires Verfahren (OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2005 – 1 Ss [OWi] 82B/05 bei juris; OLG Köln, Beschluss vom 22.10.2004 – 8 Ss-OWi 48/04 bei juris; BayObLG, Beschluss vom 31.10.2001 – 1 ObOWi 433/01 bei juris). Die Terminierung ist zwar Sache des Vorsitzenden. Der Vorsitzende ist aber gehalten, über Terminsverlegungsanträge nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (OLG Bamberg, Beschluss vom 04.03.2011 – 2 Ss OWi 209/11 bei juris). In die Abwägung einzustellen sind insbesondere die Bedeutung der Sache, die Lage des Verfahrens bei Eintritt des Verhinderungsfalles, der Anlass, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und damit zusammenhängend die Fähigkeit des Betroffenen, sich selbst zu verteidigen und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung. Das Verteidigungsinteresse hat im Zweifel Vorrang (BayObLGSt 2001, 111, 114).
2. Gemessen an diesen Anforderungen leidet die Entscheidung hier an einem Ermessensfehler. Denn das Amtsgericht hat sich bei Ablehnung der Terminsverlegung zum einen maßgeblich darauf gestützt, es liege kein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Dabei wird verkannt, dass das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, trotz § 228 Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG keineswegs auf die Fälle notwendiger Verteidigung beschränkt ist (vgl. OLG Zweibrücken NZV 1993, 81). Es handelte sich zudem auch nicht um eine ganz einfache Sach- und Rechtslage, nachdem der Betroffene, wie die Rechtsbeschwerde vorträgt und sich auch aus dem Urteil ergibt, keine Angaben machte und es auf die Identifizierung des Betroffenen als Fahrer ankam und auch ein Fahrverbot wegen der Vorahndungen im Raum stand. Zum anderen hat das Amtsgericht die Ablehnung auch damit begründet, dass „im Falle einer weiteren Verlegung“ infolge „Austerminierung bzw. Urlaubszeiten vermutlich erst im späten Q3/ in Q4 verhandelt werden“ kann. Dies sei inakzeptabel.
3. Es kann dahinstehen, ob diese Erwägung bereits deshalb ermessensfehlerhaft ist, weil die Geschäftslage des erkennenden Gerichts – mag sie auch noch so besorgniserregend sein – eine etwaige Abweichung vom Grundsatz des fairen Verfahrens schon unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen vermag (OLG Braunschweig, Beschluss vom 20.01.2012 – Ss [OWiZ] 206/11 bei juris). Jedenfalls ist die Erwägung, dass eine Terminierung erst im späten 3. Quartal oder im 4. Quartal inakzeptabel sei, auch im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot hier nicht nachvollziehbar und damit ermessensfehlerhaft, nachdem der Hauptverhandlungstermin am 17.08.2020 und damit auch im 3. Quartal vorgesehen war. Eine inakzeptable Verzögerung hätte eine Verlegung um wenige Wochen nicht bedeutet.
4. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht. Der Verteidiger des Betroffenen hätte in der Hauptverhandlung für den Betroffenen Angaben zur Sache auch im Hinblick auf die Identifizierung und die Vorahndungen machen können.
III.
Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers ist auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V. m. § 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.


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