Aktenzeichen 2 StR 509/09
§ 66 Abs 4 S 3 StGB
Verfahrensgang
vorgehend LG Mainz, 2. April 2009, Az: 3330 Js 23113/08 – 1 KLs, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 2. April 2009, soweit es den Angeklagten G. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter “gemeinschaftlicher” schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge allein dagegen, dass die Strafkammer von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision wirksam auf die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Denn zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine der Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281; 2007, 212, 213). Insbesondere schließt der Senat aus, dass die verhängte Freiheitsstrafe noch niedriger ausgefallen wäre, wenn der Tatrichter die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet hätte.
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2. Das Landgericht hat von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten mit der Begründung abgesehen, dass die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht sicher nachweisbar seien (UA 60); dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Nach den Feststellungen begleitete der – vielfach vorbestrafte – Angeklagte den Mitangeklagten T., um die vom Geschädigten M. S. – wie beide wussten – zu Unrecht eingeforderte Summe von 5.000 € zu vereinnahmen. Diesen Betrag hatte T. wenige Tage zuvor unter Vorzeigen eines Messers von S. als Strafe gefordert, weil dieser über von der Lebensgefährtin des T. angemietete sog. Terminwohnungen schlecht geredet habe. Der Angeklagte führte einen Teleskopschlagstock aus Metall sowie zwei ausklappbare Taschenmesser mit Klingenlängen von etwa 5 bzw. 7 cm mit sich, T. ein weiteres Taschenmesser. Beider Kleidung wies sie als Angehörige der H. aus. Unmittelbar nach Übergabe des geforderten Betrags wurden sie von der zuvor vom Geschädigten verständigten, die Geldübergabe überwachenden Polizei festgenommen.
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b) Das Landgericht hat zur Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung ausgeführt, der von ihm beauftragte Sachverständige sei zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte neige infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten und sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich: Die beim Angeklagten zu diagnostizierende dissoziale Persönlichkeitsstörung erscheine durch vergangene Erlebnisse einschließlich der erfahrenen Bestrafungen nicht änderungsfähig. Eine mögliche Rückbildung der dissozialen Dynamik bei dem Angeklagten vermöge er zwar nicht mit Sicherheit auszuschließen, sie erscheine jedoch unwahrscheinlich. Der Angeklagte habe bis zuletzt in einer kriminellen Subkultur gelebt und einen kriminogenen Lebensstil gepflegt, indem er sich nicht von den H. abgewandt habe. Er gerate immer wieder in ähnliche Konfliktsituationen und reagiere hierauf in stereotyper Weise mit delinquentem Verhalten. Nach seiner letzten Haftentlassung im Februar 2007 sei er in das kriminogene Umfeld zurückgekehrt und pflege Kontakt zum “Milieu”. Die bereits seit dem Jahr 2001 bestehende Beziehung zu seiner jetzigen Ehefrau trage nicht zu einer Stabilisierung seiner Persönlichkeit bei.
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Dem vermochte sich die Strafkammer nicht anzuschließen. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und Abs. 3 StGB vor. Die im Jahre 1986 abgeurteilten Taten trügen jedoch “jugend- und entwicklungsspezifischen Charakter”. Sowohl einer Verurteilung aus dem Jahr 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung als auch dem jetzigen Verfahren lägen spontane Taten des Angeklagten zugrunde, bei der früheren Verurteilung sei er zudem vom damaligen Nebenkläger provoziert worden. Er habe in der sich an seine letzte Vorverurteilung durch das Landgericht Mainz vom 25. Februar 2004 anschließenden Haftzeit eine positive Entwicklung erfahren und in der JVA B. ein Antiaggressivitätstraining erfolgreich absolviert. Mit seiner jetzigen Ehefrau, die ein Tätowierstudio betreibe, verbinde ihn eine konkrete Zukunftsvorstellung. Daher vermögen die vom Angeklagten verwirklichten Straftaten eine fest eingewurzelte Neigung oder einen dauerhaften Entschluss, Straftaten zu begehen, nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu belegen (UA 70). Auch von einer Anordnung nach § 66 a StGB habe die Kammer abgesehen.
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c) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer nicht hinreichend bedacht hat, dass für die Annahme eines Hanges ein “dauerhafter Entschluss”, Straftaten zu begehen, nicht erforderlich ist. Vielmehr kann eine entsprechende, in der Persönlichkeit liegende Neigung (vgl. BGH NStZ 2003, 201; 2005, 265 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8; Urt. v. 4. November 2009 – 2 StR 347/09) auch bei sog. Gelegenheits- und Augenblickstaten zu bejahen sein; denn auch solche Taten können Ausfluss eines inneren Hanges zu Straftaten sein. Dies ist der Fall, wenn sie ihre Ursache darin haben, dass der Täter – etwa wie hier festgestellt aufgrund einer erhöhten Aggressionsbereitschaft – dazu neigt, mit einer neuen strafbaren Handlung auf einen äußeren Tatanstoß zu reagieren (BGH NStZ 1994, 280). Selbst der Umstand, dass ein Täter seine kriminellen Handlungen völlig ungeplant begeht und sich ihm bietende Gelegenheiten spontan ausnutzt, ohne Vorbereitungen für seine Taten zu treffen, schließt einen Hang nicht aus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 337).
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Im Übrigen wäre auch, was die hier abgeurteilte Anlasstat anbelangt, die Annahme einer Gelegenheitstat mit den sonstigen Urteilsgründen unvereinbar. Der Umstand, dass der Angeklagte sich mit mehreren gefährlichen Werkzeugen bewaffnet hatte, belegt, dass er keineswegs zufällig in eine ihn etwa nur überfordernde Situation geraten ist.
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Soweit die Strafkammer darauf verweist, die der Verurteilung durch das Landgericht Mainz vom 25. Februar 2004 zugrunde liegenden Taten seien sämtlich auf die Mitgliedschaft des Angeklagten bei den H. zurückzuführen, ist dem mit dem Generalbundesanwalt entgegenzuhalten, dass der Angeklagte unverändert – zwar nicht mehr in dem Charter M., sondern in dem Charter … – Mitglied dieses Motorradclubs ist und der gehörte Sachverständige gerade hierin die Fortsetzung des kriminogenen Lebensstils des Angeklagten nach seiner letzten Haftentlassung erblickt hat. Der von der Strafkammer in diesem Zusammenhang hervorgehobene Umstand, dass der Angeklagte fast alle vom Landgericht Mainz abgeurteilten Straftaten mit Mitgliedern aus “seinem” Motorradclub begangen hat, spiegelt sich eindrucksvoll in dem nunmehr abgeurteilten Tatgeschehen wider.
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Auch die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte sei bei der Tat, die dem zu Recht als Symptomverurteilung im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB herangezogenen Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 25. März 1998 zugrunde lag, von dem damaligen Opfer provoziert worden, trifft nicht zu. Für eine Provokation bieten die auf UA 17 wiedergegebenen Feststellungen des Amtsgerichts keinen Anhalt.
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d) Soweit die Strafkammer ferner “in ihre Überlegungen auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des § 62 StGB einbezogen” hat, vermag auch dies die Nichtanordnung der Maßregel nicht zu begründen. Nachdem das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise bereits einen Hang abgelehnt hat, fehlt es nämlich an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen für eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Hierzu sind vielmehr zusätzlich die noch zu treffenden Feststellungen zur Gefährlichkeit des Angeklagten einzubeziehen (vgl. zum Zusammenhang zwischen Hang und Gefährlichkeitsprognose BGH NStZ 2008, 27).
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e) Das angefochtene Urteil weist schließlich einen Erörterungsmangel auf. Das Landgericht hat der negativen Kriminalprognose des Sachverständigen unter anderem entgegen gehalten, der Angeklagte habe in der sich an die Verurteilung vom 25. Februar 2004 anschließenden Haftzeit eine positive Entwicklung erfahren; auch verfüge er über einen stabilen sozialen Empfangsraum. Insoweit besorgt der Senat, die Strafkammer habe nicht hinreichend bedacht, dass etwa das in der JVA B. absolvierte Antiaggressivitätstraining ihn von der Begehung der nunmehr abgeurteilten Tat – in laufender Bewährung – nicht hat abhalten können. Die seinen sozialen Empfangsraum prägende Beziehung zu seiner jetzigen Ehefrau besteht schon seit vielen Jahren; auch dies hat ihn von der neuen Tat sowie schon von einigen der mit der genannten Entscheidung abgeurteilten Straftaten nicht abgehalten.
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3. Nach alledem muss über die Anordnung von Sicherungsverwahrung neu befunden werden. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 4 StGB sorgfältiger als dies bisher geschehen ist festzustellen haben; insoweit verweist der Senat auf die Terminszuschrift des Generalbundesanwalts und die darin wiedergegebenen Ausführungen des Generalstaatsanwalts in Koblenz.
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Der neue Tatrichter wird bei der neuerlichen Prüfung, ob die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gegeben sind, auch eingehender als bisher zu prüfen haben, ob ein symptomatischer Zusammenhang zwischen der abgeurteilten Tat und den die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung begründenden Taten besteht. Hierfür ist es nicht stets erforderlich, dass die »Symptomtaten« gleichartig sind oder das gleiche Rechtsgut verletzen. Selbst bei Straftaten, die ganz verschiedener Art sind, ist ihr Indizwert für einen schwerkriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit nicht ausgeschlossen; dieser bedarf lediglich besonders sorgfältiger Prüfung nach Anlass und Umständen der Tatbegehung sowie der Täterpersönlichkeit (BGH NJW 1999, 3723, 3725; BGHR § 66 Abs. 1 Hang 10). Um so weniger ist ein symptomatischer Zusammenhang ausgeschlossen, wenn sich die Straftaten wie hier die gefährlichen Körperverletzungen und die versuchte schwere räuberische Erpressung als Ausdruck der vom Sachverständigen diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung und der damit einhergehenden Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Ausagieren darstellen. Darüber hinaus hindert es § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB nicht, im Rahmen der Prüfung, ob beim Angeklagten ein Hang vorliegt, alle Vorverurteilungen des Angeklagten in die erforderliche Gesamtwürdigung einzubeziehen. Der Umstand, dass Vortaten wegen Eintritts der Rückfallverjährung nicht mehr als Symptomtaten herangezogen werden können, hindert nicht ihre Verwertung als sonstiges Beweisanzeichen für die Hangtäterschaft im Rahmen der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1999, 502, 503; 2005, 265, 266). Auch die weiteren Vorverurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung wird der neue Tatrichter mit dem gebührenden Gewicht in seine Erwägungen einzubeziehen haben.
Rissing-van Saan Fischer Appl
Cierniak Schmitt