Verkehrsrecht

(Analoge Anwendung des StVG § 2a Abs. 5 S. 5 bei vorherigem Verzicht auf die Fahrerlaubnis)

Aktenzeichen  4 K 119/22.KO

Datum:
7.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Koblenz 4. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGKOBLE:2022:0407.4K119.22.KO.00
Normen:
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Zur analogen Anwendung des § 2a Abs 5 S 5 StVG bei vorherigem Verzicht auf die Fahrerlaubnis (hier verneint).(Rn.24)

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 9. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2022 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.

Tatbestand


Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Ihm wurde erstmals am 30. Juli 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Nachdem der Kläger noch im Jahr 2014 mehrfach durch Betäubungsmittel bedingte Verkehrsverstöße auffällig geworden war, ordnete die Beklagte die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an. Dieses fiel zulasten des Klägers aus; der Kläger verzichtete sodann mit Schreiben vom 14. April 2015 auf seine Fahrerlaubnis.
Auf seinen Antrag hin erteilte die Beklagte dem Kläger nach Vorlage eines für ihn positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 14. Juli 2020 am 22. Juli 2020 erneut die Fahrerlaubnis der Klasse B.
Am 24. September 2020 missachtete der Kläger das Rotlicht einer Ampelanlage; die Rotlichtphase dauerte bereits länger als eine Sekunde an.
Mit Schreiben vom 24. November 2020 forderte die Beklagte den Kläger dazu auf, erneut ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Die Beklagte wies darauf hin, dass bei nicht fristgerechter Beibringung der Einverständniserklärung bis zum 11. Dezember 2020 oder des Gutachtens bis zum 12. Februar 2021 auf eine Nichteignung des Klägers zum Führen eines Kraftfahrzeuges zu schließen und damit die Fahrerlaubnis zu entziehen sei.
Nachdem der Kläger das Gutachten nicht fristgerecht vorgelegt hatte, entzog ihm die Beklagte nach vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 9. März 2021 die Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, seinen Führerschein innerhalb von drei Tagen abzugeben. Bei nicht fristgerechter Vorlage des Führerscheins drohte sie die Anwendung unmittelbaren Zwangs an.
Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Kreisrechtsausschuss bei der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2022 – dem Kläger zugestellt am 10. Januar 2022 – zurück. Darin führte dieser aus, der Entziehungsbescheid sei nicht zu beanstanden, da der Kläger das rechtmäßig angeordnete Gutachten nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist vorgelegt habe. Die Beklagte habe die Anordnung der medizinisch-psychologischen Begutachtung auf § 2a Abs. 5 Satz 5 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) stützen können, wonach die zuständige Behörde bei einem vorherigen Entzug der Fahrerlaubnis die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen habe, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen habe. Diese Vorschrift sei nicht nur auf die Fälle des vorherigen Entzuges der Fahrerlaubnis, sondern über ihren Wortlaut hinaus analog auch dann heranzuziehen, wenn – wie hier der Fall – auf die Fahrerlaubnis freiwillig verzichtet worden sei.
Mit seiner hiergegen am 7. Februar 2022 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, die Entziehung seiner Fahrerlaubnis sei rechtswidrig, weil es der Beklagten verwehrt sei, aufgrund der Nichtvorlage des Gutachtens auf seine fehlende Fahreignung zu schließen. Denn die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung durch die Beklagte sei rechtswidrig gewesen. Insbesondere scheide eine analoge Anwendung des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG aus. Überdies sei im Gutachten vom 14. Juli 2020 seine Fahreignung festgestellt worden. Der Verkehrsverstoß am 24. September 2020 könne nicht zum Anlass genommen werden, an seiner Fahreignung zu zweifeln.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2022 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Begründung des Widerspruchsbescheides und auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Mainz, welcher ihre Rechtsauffassung bestätige. Sinn und Zweck des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG seien, nach einer vorherigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht lediglich die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen, sondern aufgrund der ernsthaften Zweifel an der Fahreignung bei bereits einmal erfolgter Entziehung der Fahrerlaubnis die Vorlage eines positiven Eignungsgutachtens zu verlangen. Diese Erwägungen seien auf die Fälle des Verzichts auf die Fahrerlaubnis nach auf Verstößen beruhenden Zweifeln an der Fahreignung zu übertragen.
Mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 8. April 2021 – 4 L 260/21.KO – hat diese die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis und die Pflicht zur Vorlage seines Führerscheins wiederhergestellt und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsmittelandrohung angeordnet.
Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 10. und 11. März 2022 ihr Einverständnis
zu einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten, die Verwaltungs- und Widerspruchsakte der Beklagten (zwei Hefte) sowie die Gerichtsakte im Verfahren 4 L 260/21.KO Bezug genommen; sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe


Die zulässige Klage, über welche die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 9. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Entziehungsverfügung vom 9. März 2021 ist materiell rechtswidrig.
Die Beklagte hat die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) gestützt. Danach ist die Verwaltungsbehörde verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Der Schluss auf die Ungeeignetheit eines Fahrerlaubnisinhabers ist gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV zulässig, wenn der Betroffene sich weigert, sich untersuchen zu lassen oder das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Denn wer seine Mitwirkung an der Aufklärung von Eignungsmängeln verweigert, lässt die von einem Kraftfahrzeugführer zu fordernde Einsicht vermissen, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen eigenen Belangen vorgeht. Dabei setzt der Schluss von der verweigerten Beibringung eines Gutachtens auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen voraus, dass die Anordnung der Untersuchung formell und materiell rechtmäßig erfolgte. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Schreiben vom 24. November 2020 war rechtswidrig; sie war nicht von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt.
a) Die Beklagte konnte sie nicht unmittelbar auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG stützen.
Da sich der Kläger nach erneuter Erteilung seiner Fahrerlaubnis nach vorherigem Verzicht im Zeitpunkt der Entziehung seiner Fahrerlaubnis noch in der Probezeit befand, sind für die Entziehung seiner Fahrerlaubnis die Vorschriften des § 2a StVG maßgeblich. Nach § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG sind auf eine mit der Erteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gemäß § 2a Abs. 1 Satz 7 StVG beginnende neue Probezeit die Vorschriften des Absatzes 2 nicht anzuwenden. In diesem Fall hat die zuständige Behörde nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, die mit der Formulierung „in diesem Fall“ auf die Regelung in Satz 4 Bezug nimmt, ist die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung auf Grundlage dieser Vorschrift nur dann möglich, wenn die Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden ist. Da der Kläger vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis am 22. Juli 2020 am 14. April 2015 auf seine Fahrerlaubnis verzichtet hatte, konnte die Beklagte die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht unmittelbar auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG stützen.
b) Die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung konnte auch nicht auf eine analoge Anwendung des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG gestützt werden.
Eine solche analoge Anwendung der Vorschrift in Fällen, in denen der Inhaber der Fahrerlaubnis auf diese verzichtet hat, scheidet aus (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 2011 – 6 L 584/11 –, juris, Rn. 6; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 2a StVG Rn. 53; Knop in: MüKo-StVR, 1. Auflage 2016, § 2a Rn. 50; Rebler, SVR 2010, 41, 45; a.A. OVG RP, Beschluss vom 30. März 2022 – 10 B 10154/22.OVG –, n.v.; HessVGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – 2 B 2277/08 –, juris, Rn. 4 ff.; VG Mainz, Beschluss vom 18. Januar 2022 – 3 L 5/22.MZ – juris, Rn. 8; Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage 2022, § 2a StVG Rn. 321 ff.; einschränkend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2017 – OVG 1 S 69.16 –, juris, Rn. 12).
Die Kammer hält diesbezüglich an ihrer in den Beschlüssen vom 27. März 2020 im Verfahren 4 L 234/20.KO (juris, Rn. 17 ff.) und im diesem Hauptsacheverfahren vorangegangen Eilverfahren 4 L 260/21.KO (Beschluss vom 8. April 2021, n.v.) dargelegten Rechtsauffassung fest, wonach es an den Voraussetzungen für die Annahme einer Analogie – einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenslage – fehlt.
Es liegt bereits keine Regelungslücke vor. Eine solche ist anzunehmen, wenn der Tatbestand einer Norm wegen eines versehentlichen, dem Normzweck zuwiderlaufenden Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig ist (BVerwG, Beschluss vom 11. September 2008 – 2 B 43.08 –, juris, Rn. 7). Dies ist hier nicht der Fall.
aa) Die Vorschrift des § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG ist nicht unvollständig.
Hiergegen spricht bereits der eindeutige Wortlaut des § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG. Bereits dieser hindert nach Überzeugung der Kammer die Annahme einer Analogie. Nach Satz 5, der sich mit der Formulierung „in diesem Fall“ auf Satz 4 bezieht, hat die Fahrerlaubnisbehörde im Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen, sobald der Inhaber einer Fahrerlaubnis innerhalb der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Die Anwendung der in § 2a Abs. 2 StVG vorgesehenen Maßnahmen auf eine nach § 2a Abs. 1 Satz 7 StVG neu beginnende Probezeit wird durch § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG nur im Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis ausgeschlossen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass im Falle des freiwilligen Verzichts auf die Fahrerlaubnis nicht zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen ist, sondern grundsätzlich die Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 StVG durchzuführen sind. Damit ist ein Regelungsregime für den Fall entsprechender Zuwiderhandlungen nach vorherigem Verzicht auf die Fahrerlaubnis vorhanden.
bb) Ungeachtet der Frage der Unvollständigkeit der Vorschrift ist auch kein dem Normzweck zuwiderlaufendes Regelungsversäumnis des Normgebers erkennbar.
(1) Ein solches ergibt sich – entgegen der Auffassung der Gegenansicht – nicht aus der Genese zu § 2a StVG. Abgestellt wird hier auf den Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründungen zum Änderungsgesetz vom 24. April 1998 (GVBl. I 1998, 747) und vom 19. März 2001 (BGBl. I, S. 386). Hier spricht der Gesetzgeber in Bezug auf die Änderung in § 2a Abs. 1 Satz 6 StVG von einer vorhandenen Möglichkeit zur Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen durch Verzicht auf die Fahrerlaubnis in Bezug auf das Ende der Probezeit (BT-Drs. 13/6914, S. 66). In diesem Zusammenhang und in dieser Reichweite soll klargestellt werden, „daß die Regelungen, die für den Fall der Entziehung getroffen worden sind, auch beim Verzicht Anwendung finden“ (BT-Drs. 13/6914, S. 66). In Bezug auf die Änderung des § 2a Abs. 5 Satz 2 StVG beabsichtigt der Gesetzgeber eine Gleichstellung von Entzug und Verzicht im Hinblick auf die Teilnahme an einem Aufbauseminar als Voraussetzung für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis (BT-Drs. 13/6914, S. 67). Zu den Änderungen in § 2a Abs. 2a Satz 2 StVG wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt: „Diese Regelung hat sich als sachgerecht erwiesen. Sie bedarf jedoch der Ergänzung, als sie unterlaufen werden kann, weil entweder der Betroffene auf seine Fahrerlaubnis verzichtet oder die Fahrerlaubnis aus anderen Gründen (z.B. Alkohol) entzogen wurde“ (BT-Drs. 14/4304).
Die Gesetzesänderungen und ihre Begründung lassen erkennen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Umgehung von Vorschriften, welche auf die Entziehung der Fahrerlaubnis abstellen, durch Verzicht auf die Fahrerlaubnis erkannt hat. Aus den Gesetzesbegründungen (BT-Drs. 13/6914, S. 66 f. sowie 14/4304, S. 10) kann die Kammer jedoch keinen gesetzgeberischen Willen erkennen, Entziehung und Verzicht im Regelungskontext des § 2a StVG für alle denkbaren Konstellationen gleich zu behandeln (so aber OVG RP, Beschluss vom 30. März 2022 – 10 B 10154/22.OVG –, n.v., BA S. 3).
Sie beziehen sich zunächst isoliert auf die vom Gesetzgeber erkannten Umgehungstatbestände. Sofern in der Gesetzesbegründung zum Änderungsgesetz vom 24. April 1998 (GVBl. I 1998, 747) ausgeführt wird: „In Absatz 5 wird ebenfalls der Verzicht auf die Fahrerlaubnis einer Entziehung gleichgestellt“ (BT-Drs. 13/6914, S. 67), bezieht sich dies nicht auf den gesamten Absatz 5, sondern ausschließlich auf den mit dem Änderungsgesetz geänderten § 2a Abs. 5 Satz 2 StVG (so auch Rebler, SVR 2010, 41, 44). Denn Absatz 5 stellt auch an anderer Stelle, in Satz 3 (Regelungen zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach deren Entziehung), nur auf die Entziehung der Fahrerlaubnis ab.
Die Genese des § 2a StVG spricht vielmehr gegen ein Regelungsversäumnis des Gesetzgebers. Die genannten Änderungsgesetze und die Gesetzesbegründungen zeigen auf, dass der Gesetzgeber die Umgehung von Vorschriften, die tatbestandlich auf die Entziehung der Fahrerlaubnis abstellten, durch Verzicht auf diese erkannt hatte. Das Änderungsgesetz vom 24. April 1998 (GVBl. I 1998, 747) ist nach Beratung in erster Lesung vom Deutschen Bundestag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr sowie zur Mitberatung an den Innenausschuss, den Rechtsausschuss und den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen worden (s. Plenarprotokoll 13/160 vom 27. Februar 1997, S. 106 f.). Es ist vor diesem Hintergrund in Kenntnis des Ablaufes eines Gesetzgebungsverfahrens fernliegend, dass eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Gleichstellung von Entziehung und Verzicht für sämtliche Anwendungsfälle des § 2a StVG in Anbetracht des eindeutigen, einem ins Auge springenden Wortlautes des § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG sowohl dem Deutschen Bundestag als auch dem Bundesrat und deren Fachausschüsse entgangen sein sollte.
Überdies spricht die Änderung des § 2a Abs. 1 Satz 6 StVG gegen ein Versäumnis des Gesetzgebers. Mit dem Änderungsgesetz vom 24. April 1998 stellte er die vorzeitige Beendigung der Probezeit durch Entziehung der Fahrerlaubnis mit dem Verzicht auf diese gleich. Hätte er in diesem Kontext für die mit der Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis beginnende neue Probezeit (§ 2a Abs. 1 Satz 7 StVG) den in Absatz 5 Satz 4 vorgesehenen Ausschluss von Absatz 2 für den Fall der Entziehung auch für den Fall des Verzichts beabsichtigt, hätte er dies ohne weiteres unmittelbar in § 2a Abs. 1 Satz 7 StVG regeln können. Darüber hinaus erscheint es nicht plausibel, dass die auch die Rechtsförmlichkeit in den Blick nehmenden Fachausschüsse des Deutschen Bundestages und des Bundesrates bei der Änderung von § 2a Abs. 1 Satz 6 StVG, der im Zusammenhang mit Absatz 1 Satz 7 steht, übersehen hätten, dass § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG auf Absatz 1 Satz 7 Bezug nimmt. Vielmehr spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber die nur auf die Entziehung abstellende Regelung des § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG gesehen hat, diese aber nicht ändern wollte.
(2) Gegenteiliges ergibt sich auch nicht bei einer systematischen und teleologischen Betrachtung des § 2a StVG. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz führt hierzu in seinem Beschluss vom 30. März 2022 (– 10 B 10154/22.OVG –, n.v., BA S. 5) aus:
„Dieses Ergebnis wird zudem von teleologischen und systematischen Gründen getragen. Die Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drs. 10/4490, S. 20) zur Ursprungsfassung von § 2a Abs. 5 StVG, die – wie ausgeführt – zunächst nur die Fahrerlaubnisentziehung erfasste, verdeutlichen das Regelungsziel, dass im Zusammenhang mit einer „neuen Probezeit“ der niederschwellige Maßnahmenkatalog des § 2a Abs. 2 StVG nicht ein weiteres Mal ausgelöst werden soll. § 2a Abs. 5 Satz 2 (Satz 4 der aktuellen Fassung) StVG schloss dies daher aus. Insbesondere eine mehrfache Teilnahme an einem Nachschulungskurs (heute: Aufbauseminar) hielt der Gesetzgeber für „nicht sinnvoll“. Verkehrsverstöße nach einer bereits erfolgten Entziehung rechtfertigten vielmehr schon frühzeitig ernsthafte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen und damit die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung. Diese Erwägungen greifen auch im Falle eines Fahrerlaubnisverzichts, wenn – wie regelmäßig – durch diesen eine Fahrerlaubnisentziehung vermieden wird. Zudem wurde im Zuge der Novellierungen von § 2a Abs. 5 StVG die Notwendigkeit zur Teilnahme an einem Aufbauseminar bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 5 Satz 2 StVG auf vorangegangene Verzichtsfälle erweitert. Erst durch die Gleichbehandlung von Verzicht und Entzug auch im Zusammenhang von § 2a Abs. 5 Satz 4 und Satz 5 StVG wird daher vermieden, dass es in diesen Fällen zu einer erneuten – vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten (vgl. zu dieser Wertung auch § 2a Abs. 4 Satz 2 StVG) – Anordnung einer Teilnahme an einem Aufbauseminar kommen kann“
Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Es sprechen gute Gründe dafür, im Regelungskontext von § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG die Entziehung nicht mit dem Verzicht gleichzustellen.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt nach Durchführung eines Verwaltungsverfahrens, in dem die Entziehungsvoraussetzungen durch die Behörde geprüft werden. Der Verzicht auf die Fahrerlaubnis kann jedoch aus unterschiedlichsten Gründen erfolgen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 2011 – 6 L 584/11 –, juris, Rn. 15). Einem Fahrerlaubnisinhaber, der auf seine Fahrerlaubnis verzichtet, kann nicht generell unterstellt werden, er beabsichtige mit seinem Verzicht die Umgehung einer Entziehung. Für eine solche generelle Annahme des Gesetzgebers existieren keine Anhaltspunkte in den Gesetzesbegründungen zu den oben genannten Änderungsgesetzen. Ob sie angebracht erscheint, hat der Gesetzgeber zu entscheiden, nicht die Judikative.
Im Übrigen bedeutet die fehlende Gleichstellung von Entziehung und Verzicht in § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG nicht, dass im Falle des Verzichtes der Maßnahmenkatalog des Absatzes 2 durchlaufen werden muss. Denn über § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG i.V.m. § 3 StVG, § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV steht der Behörde auch der Weg offen, außerhalb des Regelungsregimes des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG über die allgemeinen Vorschriften eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen, wenn sie der Auffassung ist, dass die Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 StVG nicht zielführend sind (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 20. April 2010 – 1 B 23/10 –, juris, Rn. 17; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2017 – OVG 1 S. 69/16 – juris, Rn. 16; BayVGH, Beschluss vom 14. Februar 2006 – 11 CS 05.1504 –, juris, Rn. 35; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 2a StVG Rn. 47; a.A. Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage 2022, § 2a StVG Rn. 285, wonach die Behörde auf die Ergreifung der Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG mangels Ermessenspielraum nicht verzichten könne). Der Behörde wird folglich die Möglichkeit eröffnet zu prüfen, ob der Fahrerlaubnisinhaber mit seinem Verzicht einer aufgrund von Eignungszweifeln anstehenden Entziehung entgehen wollte und – bei gravierenden Eignungszweifeln – auf Grundlage von § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG i.V.m. § 3 StVG, § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen. Erkennt die Behörde jedoch, dass der Verzicht auf anderen Gründen beruhte und hält sie deshalb oder auch aus anderen Gründen die – ggf. erneute – Durchführung der Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG für sinnvoll, kann sie auf diese zurückgreifen. Dieses differenzierte Regelungsregime erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur schlüssig, sondern in Anbetracht der Eingriffsintensität der nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in der Regel zwingend durchzuführenden medizinisch-psychologischen Untersuchung verfassungsrechtlich geboten. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber die Fahrerlaubnisbehörde insoweit hinsichtlich der Wahl der Maßnahmen beschränken wollte.
In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass sich die im Zuge der Änderungsgesetze von 1998 und 2001 eingeführten Gleichstellungstatbestände von der Konstellation des § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG deutlich unterscheiden. Zum einen sind diese Gleichstellungstatbestände – Ende der Probezeit, Notwendigkeit des Nachweises eines Aufbauseminars bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis und Verlängerung der Probezeit – deutlich weniger eingriffsintensiv als die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung. Zum anderen konnten sie vor ihrer Änderung durch einen Verzicht auf die Fahrerlaubnis unterlaufen werden. Dies ist, wie dargestellt, bei § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG wegen der Möglichkeit des Rückgriffs auf das allgemeine Regelungsregime nicht der Fall.
cc) Selbst wenn man aber der Gegenauffassung hinsichtlich einer Gleichstellung von Entzug und Verzicht in § 2a Abs. 5 Satz 4 StVG im Wege der Analogie folgen würde, kann nicht darüber hinaus auch eine analoge Anwendung des Satzes 5 angenommen werden. Dies liefe auf eine doppelt analoge Anwendung der Vorschrift hinaus. Es würde in einer verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigenden Weise der Wille des Gesetzgebers unterstellt werden, er habe nicht nur beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis die Anwendung der Maßnahmen nach Absatz 2 ausschließen, sondern bei einer weiteren Zuwiderhandlung in der Probezeit für den Regelfall die zwingende Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung normieren wollen (§ 2a Abs. 5 Satz 5 StVG).
dd) Ob nach alledem noch Gründe dafür sprechen, im Kontext des § 2a Abs. 5 Satz 4 und 5 StVG auch Regelungen für den Verzicht auf die Fahrerlaubnis zu treffen (s. hierzu Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage 2022, § 2a StVG Rn. 321), muss aufgrund der soeben dargelegten Eingriffsintensität der Gesetzgeber entscheiden. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung obliegt es alleine ihm und nicht den Gerichten, die entsprechenden Regelungen zu ändern bzw. deren Anwendungsbereich zu erweitern. Der Richter hat das geltende Recht so anzuwenden, wie es Gesetz geworden ist, mag eine hiervon abweichende Regelung noch so sinnvoll und beachtenswert sein (BVerwG, Urteil vom 27. März 2008 – 2 C 30.06 –, juris, Rn. 28).
c) Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung konnte im vorliegenden Fall auch nicht alternativ auf § 2a Abs. 4 Satz 1 StVG i.V.m. § 3 StVG, § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV gestützt werden (vgl. hierzu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2017 – OVG 1 S 69.16 –, juris, Rn. 16 f.). Zwar sind nach diesen Vorschriften die allgemeinen Regelungen nach § 3 StVG, § 46 FeV parallel zu § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG anwendbar und sie lassen die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung ausdrücklich auch dann zu, wenn aufgrund von Zuwiderhandlungen in der Probezeit Eignungszweifel vorliegen. Notwendig hierfür sind jedoch besonders schwerwiegende Zweifel an der Fahreignung des Fahranfängers (vgl. BayVGH, Beschluss vom 14. Februar 2002 – 11 CS 05.1504 –, juris, Rn. 30; Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage 2022, § 2a StVG Rn. 283 m.w.N. aus der Rspr.). Die Behörde muss in diesen Fällen ausdrücklich die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung auf diese schwerwiegenden Zweifel stützen und dem Betroffenen deutlich machen, aus welchen Gründen auf die Anwendung der milderen Mittel des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG verzichtet wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 9. März 2020 – 11 CS 20.72 –, juris, Rn. 16; VG Augsburg, Urteil vom 18. September 2015 – Au 7 K 15.637 –, juris, Rn. 34 ff.; Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Auflage 2022, § 2a StVG Rn. 292).
An entsprechenden Ausführungen fehlt es in der Begründung der Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung vom 24. November 2020. Zwar wird aufgrund der neueren Auffälligkeiten des Klägers seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage gestellt und in diesem Zusammenhang auf § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV verwiesen. Sodann stellt die Beklagte aber ausschließlich auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG ab. Um das probezeitrechtliche Regelungsregime nicht auszuhöhlen, bedarf es jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde die Anwendbarkeit des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG gesehen und sich mit dieser auseinandergesetzt hat. Solche Anhaltspunkte finden sich jedoch nicht in der Untersuchungsanordnung. Vielmehr ist dieser zu entnehmen, dass die Behörde davon ausging, nach § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG die Beibringung eines Gutachtens anordnen zu müssen. Damit fehlt es an einer hinreichenden Darlegung, warum die Behörde die probezeitrechtliche Regelmaßnahme nicht für ausreichend erachtet hat, zumal der Kläger die Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG bislang noch nicht vollständig durchlaufen hat.
Da die Beklagte folglich von einer gebundenen Entscheidung ausging, scheidet auch aus diesem Grund eine Anwendung der genannten Vorschriften im vorliegenden Fall aus. Denn sie eröffnen der Behörde im Gegensatz zu § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG, der in der Regel eine gebundene Entscheidung vorsieht, „echtes“ Ermessen.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger im vorliegenden Fall im Rahmen seines Neuerteilungsverfahrens ein unter dem 14. Juli 2020 erstelltes positives Eignungsgutachten vorgelegt hat und bereits im September 2020 – also nur zwei Monate später – wieder mit Verkehrsverstößen auffällig geworden ist. Dies entbindet die Behörde jedoch nicht davon darzulegen, aus welchen Gründen sie unmittelbar ohne Durchführung der nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG vorgesehenen Maßnahme eine medizinisch-psychologische Untersuchung anordnet. Denn zum einen setzt sich das Gutachten vom 14. Juli 2020 im Wesentlichen mit dem Drogenkonsum des Klägers auseinander. Zum anderen führt die gesetzgeberische Konzeption des § 2a StVG dazu, dass in vielen Fällen die Fahrerlaubnis nur nach Vorlage einer positiven Begutachtung neuerteilt wird (vgl. VG Trier, Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 1 L 8043/16.TR –, juris, Rn. 28; Dauer in Hentschel/Dauer/König, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 2a StVG Rn. 53).
2. Ist die Entziehung der Fahrerlaubnis aus diesen Gründen rechtswidrig, entfällt auch die Pflicht des Klägers zur Ablieferung des Führerscheins, so dass die auf § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV gestützte Ablieferungsanordnung sowie die Androhung der zwangsweisen Einziehung des Führerscheins ebenfalls rechtswidrig sind.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Entscheidung wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m § 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
Die Berufung war gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Kammer von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz abweicht und das Urteil auf dieser Abweichung beruht.
Die Zulassung der Sprungrevision beruht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache auf § 134 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).


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