Verkehrsrecht

Automatische Nichtgeltung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland bei Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Wohnsitzerfordernis

Aktenzeichen  3 C 25/10

Datum:
25.8.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 28 Abs 4 S 1 Nr 2 FeV
§ 46 FeV
§ 3 Abs 1 StVG
Art 1 Abs 2 EWGRL 439/91
Art 7 Abs 1 EWGRL 439/91
Art 8 Abs 2 EWGRL 439/91
Art 8 Abs 4 EWGRL 439/91
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

Die in einem anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis berechtigt von Anfang an nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland, wenn der Betroffene bei der Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz ausweislich der vom Europäischen Gerichtshof geforderten Nachweise nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte. Diese Rechtsfolge ergibt sich unmittelbar aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV; es bedarf nicht zusätzlich einer Einzelfallentscheidung der deutschen Fahrerlaubnisbehörde.

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 27. Mai 2010, Az: 11 BV 10.67, Urteilvorgehend VG Augsburg, 11. Dezember 2009, Az: Au 7 K 09.816

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Klägers, von seiner in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen.
2
Dem Kläger wurde im April 1998 durch Strafurteil die deutsche Fahrerlaubnis wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (Blutalkoholgehalt von 1,7 Promille) entzogen und eine Sperrfrist von 10 Monaten für die Wiedererteilung festgelegt. Einen Antrag auf Neuerteilung nahm der Kläger zurück, nachdem ein im April 1999 erstattetes medizinisch-psychologisches Gutachten zum Ergebnis kam, es sei nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass er erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Einen weiteren Neuerteilungsantrag lehnte das Landratsamt im Oktober 2000 ab; nach dem medizinisch-psychologischen Gutachten vom 1. März 2000 war mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kläger auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde.
3
Am 26. November 2004 erwarb der Kläger in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B; im dort ausgestellten Führerschein ist als ständiger Wohnsitz ein Ort in Deutschland angegeben. Am 20. Februar 2006 wurde dem Kläger in Tschechien zusätzlich die Fahrerlaubnis der Klasse C erteilt und ihm ein neuer Führerschein ausgestellt; auch in diesem Führerschein ist ein deutscher Wohnsitz eingetragen.
4
Als der Beklagte davon Kenntnis erhielt, wies er den Kläger mit Schreiben vom 10. November 2008 darauf hin, dass ihm der tschechische Führerschein wegen seines ständigen Wohnsitzes in der Bundesrepublik zu Unrecht erteilt worden sei und ihn nach § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtige. Der Kläger wurde aufgefordert, den Führerschein zur Eintragung eines Sperrvermerks vorzulegen. Dieser Aufforderung kam er nicht nach und legte Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2008 forderte das Landratsamt den Kläger unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein vorzulegen. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2008 drohte es ihm die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Auch gegen diese Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein, den die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2009 zurückwies. Der Kläger legte dem Landratsamt daraufhin seinen tschechischen Führerschein vor, in den ein Sperrvermerk für Deutschland eingetragen wurde.
5
Die Klage, mit der der Kläger die Feststellung begehrt, er sei berechtigt, mit seiner am 26. November 2004 in der Tschechischen Republik erteilten Fahrerlaubnis Fahrzeuge der Klasse B in Deutschland zu führen, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.
6
Die Berufung des Klägers hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es: Es sei weder nach deutschem Recht noch nach Gemeinschaftsrecht eine Einzelfallentscheidung der Fahrerlaubnisbehörde geboten, um die Rechtsfolge des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV, die Nichtanerkennung der in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis, herbeizuführen. Gemeinschaftsrechtlich ergebe sich ein solches Erfordernis insbesondere nicht daraus, dass Ausnahmen vom Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von EU-Fahrerlaubnissen eng auszulegen seien; das betreffe allein die materielle Reichweite dieser Ausnahmen. Auch ansonsten lasse sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes das Erfordernis einer Einzelfallentscheidung nicht entnehmen. Allein der Umstand, dass § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV eine einzelfallbezogene Subsumtion voraussetze, könne dieser Regelung nicht ihre konstitutive Wirkung nehmen. Auch dass die Fahrerlaubnisinhaber ihre Fahreignung möglicherweise wieder erlangt haben könnten, trage die Gegenansicht nicht; sowohl nach deutschem als auch nach Unionsrecht habe der Betroffene den Nachweis dafür zu erbringen. Könnte er von seiner ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch machen, bis eine Überprüfung seine fortbestehende Nichteignung ergebe, liefe das auf eine Umkehrung dieses Grundsatzes hinaus. Zudem würden Personen privilegiert, die ihre Fahrerlaubnis in einem EU-Mitgliedstaat erworben hätten, in dem – wie in der Tschechischen Republik – das gemeinschaftsrechtliche Wohnsitzerfordernis erst mit Verzögerung beachtet worden sei.
7
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend: Wegen der grundsätzlichen Pflicht zur Anerkennung ausländischer EU-Fahrerlaubnisse sei der Aufnahmemitgliedstaat erst nach einem nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchzuführenden förmlichen Verfahren berechtigt, das Gebrauchmachen von einer solchen Fahrerlaubnis zu untersagen. Da hier ein solches Verfahren nicht stattgefunden habe, habe er nicht belegen können, dass keine Eignungsmängel mehr bestünden. Nur solche Mängel rechtfertigten es aber, das Gebrauchmachen von einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis zu untersagen. Die in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV getroffene Regelung sei auch nach ihrer Neufassung noch gemeinschaftsrechtswidrig.
8
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
9
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass dann, wenn die Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis offensichtlich gegen das Wohnsitzerfordernis verstoßen habe, deren Nichtanerkennung in der Bundesrepublik bereits unmittelbar aus § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV n.F. folge. Das ergebe sich aus dem Wortlaut der Regelung, ihrem Zusammenhang mit § 28 Abs. 1 FeV sowie aus der Entstehungsgeschichte der im Januar 2009 in Kraft getretenen Änderungsverordnung.


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