Verkehrsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach der Einnahme von Drogen

Aktenzeichen  11 CS 17.601

Datum:
24.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

Ein Fahrerlaubnisinhaber, der gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Betäubungsmittelkonsums einwendet, ein Dritter habe ihm diese Substanzen verabreicht und er habe dies nicht bemerkt, muss einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 S 17.410 2017-02-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1988 geborene Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B (einschließlich Unterklassen).
Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers am 3. Dezember 2015 fand die Polizei in seinem Kleiderschrank hinter den T-Shirts drei Folienplomben zu je 1 g Kokain (netto). Laut Polizeibericht willigte der Antragsteller freiwillig zu seiner körperlichen Untersuchung ein. Im Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians Universität München wurde ihm eine Haarprobe zur toxikologischen Untersuchung entnommen. Laut Gutachten des Forensisch Toxikologischen Centrums München (im Folgenden: FTC) vom 20. Dezember 2015 befanden sich in der Haarprobe des Antragstellers 8,7 ng/mg Kokain, 0,028 ng/mg Nor-Kokain und 0,62 ng/mg Benzoylecgonin. Das Gutachten führte hierzu aus, dass aufgrund der zur Untersuchung übermittelten Haarlänge von nur 0,5 cm und einem statistisch gesehenen mittleren Haarwachstum von 0,8 cm/Monat Aussagen nur für einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen vor der Haarprobennahme möglich seien.
Nach Anhörung entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller mit Bescheid vom 18. Oktober 2016 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids) und gab ihm auf, unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung des Bescheids, den Führerschein abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Aufforderung unter Nr. 2 des Bescheids drohte ihm die Behörde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- Euro an (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 4). Für den Bescheid wurde die Gebühr von 220,- Euro festgesetzt (Nr. 5).
Den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid wies die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2016 zurück.
Über die gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2016 und den Widerspruchsbescheid vom 9. November 2016 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht München noch nicht entschieden (Az. M 26 K 16.5606). Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat es mit Beschluss vom 27. Februar 2017 abgelehnt.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids rechtswidrig wäre.
a) Die Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid genügt entgegen dem Beschwerdevorbringen den formellen Anforderungen. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Für bestimmte Arten behördlicher Anordnungen ist das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch (Schmidt in Eyermann a.a.O. Rn. 36). § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde daher nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Einzelfall zutrifft. Gerade dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vielmehr darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass diese Interessenlage nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch die Fälle des Fahrerlaubnisentzugs wegen fehlender Fahreignung gehören. Denn es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Teilnahme eines für ungeeignet erachteten Kraftfahrers am Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führt, und dass ein solcher Kraftfahrer zur Vermeidung der von ihm ausgehenden akuten Gefahr durch die Anordnung des Sofortvollzugs des Entziehungsbescheids schnellstmöglich von der weiteren Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2015 – 11 CS 15.1634 – juris Rn. 6, v. 27.10.2016 – 11 CS 16.1388 – juris Rn. 3).
Ein Ausnahmefall ist hier trotz des am 26. Oktober 2016 begonnenen Drogenkontrollprogramms und der inzwischen vorgelegten Ergebnisse der Drogenscreenings angesichts der Tatsache, dass der Antragsteller im Besitz von drei Folienplomben mit je 1 Gramm Kokain war und auch wegen der Drogenvergangenheit des Antragstellers (vgl. MPU-Gutachten der Avus GmbH vom 6.8.2007 zum früheren Cannabiskonsum des Antragstellers) nicht ersichtlich. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt im Übrigen keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigene Interessenabwägung durchgeführt. Diese Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht zu Recht danach vorgenommen, ob die Klage hinreichende Erfolgsaussichten hat.
b) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. März 2017 (BGBl I S. 399), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
Die körperlichen und geistigen Anforderungen für Fahrerlaubnisbewerber und -inhaber sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV). Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung entfällt bei Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Fahreignung. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte harte Drogen wie Kokain konsumiert hat (stRspr., z.B. BayVGH, B.v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – juris Rn. 11; B.v. 23.2.2016 – 11 CS 16.38 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 23.7.2015 – 16 B 656/15 – juris Rn. 5 ff. m.w.N.). Der Fahrerlaubnisbehörde ist insoweit kein Ermessen eingeräumt.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht (vgl. BA S. 9 f.) davon aus, dass durch die Haaranalyse des FTC vom 20. Dezember 2015 die Körperpassage von Kokain ausreichend nachgewiesen ist. Es wurden neben 8,7 ng/mg Kokain auch 0,028 ng/mg Nor-Kokain und 0,62 ng/mg Benzoylecgonin (Abbauprodukte des Kokains) nachgewiesen.
Auch der Beschwerdevortrag, wonach der Konsum von Kokain zu keiner Zeit eingeräumt worden sei, sodass „nach dem Untersuchungsergebnis auch eine Probenverwechslung oder eine unbewusste Stoffaufnahme in Betracht zu ziehen“ sei, weil „der Nachweis einer unbewussten Zuführung des Stoffes über ein Getränk schwer falle“, kann die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung nicht infrage stellen. Für eine Probenverwechslung durch das FTC bestehen keine Anhaltspunkte. Im Übrigen muss ein Fahrerlaubnisinhaber, der gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Betäubungsmittelkonsums einwendet, ein Dritter habe ihm diese Substanzen verabreicht und er habe dies nicht bemerkt, einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 19.1.2016 – 11 CS 15.2403 – BayVBl 2016, 812). Ein solcher Vortrag fehlt hier.
Fehl geht auch die Beschwerdebegründung, wonach das Ergebnis der Haarprobe einem Verwertungsverbot unterliege, weil ein richterlicher Beschluss gemäß § 81a Abs. 2 StPO nicht ergangen sei. Wie bereits das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss ausgeführt hat (BA S. 9 f.), hat der Antragsteller laut Untersuchungsbericht der Polizei vom 3. Dezember 2015 in seine körperliche Untersuchung eingewilligt. Das pauschale Bestreiten des Antragstellers vermag das im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht infrage zu stellen. Im ärztlichen Untersuchungsbericht vom 3. Dezember 2015 bei der Haarprobennahme ist auch eine entsprechende Äußerung des Antragstellers nicht aufgeführt.
c) Der Antragsteller hat die Fahreignung bis zum maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht wieder erlangt. Maßgeblich ist insoweit die letzte Behördenentscheidung, hier also der Erlass des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 9. November 2016. Die Wiedererlangung der Fahreignung kommt grundsätzlich frühestens nach einjähriger Abstinenz in Betracht (vgl. Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 17 ff.). Da der Antragsteller zumindest im Zeitraum von zwei bis drei Wochen vor dem 3. Dezember 2015 Kokain konsumiert hat, konnte er zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 9. November 2016 die Fahreignung nicht wiedererlangt haben. Im Übrigen hat er erst am 26. Oktober 2016 mit einem Drogenkontrollprogramm begonnen. Darüber hinaus setzt die Wiedererlangung der Fahreignung eine stabile Verhaltens- und Einstellungsänderung voraus, die durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung abzuklären ist (§ 14 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FeV).
Angesichts der Gefahren für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum von Menschen bei Teilnahme fahrungeeigneter Personen am öffentlichen Straßenverkehr können persönliche und berufliche Gründe des Antragstellers nicht dazu führen, ihm – auch nur vorläufig – die Fahrerlaubnis zu belassen.
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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