Aktenzeichen M 26 S 18.3652
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Wurde ein tschechischer Führerschein gem. Art. 8 Abs. 1 der RL 91/439/EWG und Art. 11 Abs. 1 RL 2006/126/EG in einen österreichischer Führerschein umgetauscht, stellt dieser keine neue Fahrerlaubnis dar. Die Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges ist am tschechischen Führerschein zu prüfen. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein europäischer Führerschein darf gem. Art. 7 Abs. 1 lit. e RL 2006/126/EG durch die ausstellende Behörde nur an Bewerber ausgestellt werden, die im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sie während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten dort studiert haben (sog. Wohnsitzprinzip). Nach Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126/EG werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wurde ein tschechischen Führerschein gegen die Regelungen des Wohnsitzprinzips ausgegeben hat die deutsche Fahrerlaubnisbehörde gem. § 47 Abs. 2 S. 1 FeV die Befugnis die Vorlage zu fordern, um einen Vermerk einzutragen, durch den der Rechtsschein beseitigt wird. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,- festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1966 geborene Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung der Inlandsungültigkeit seiner österreichischen Fahrerlaubnis der Klasse B mit Unterklassen. Er besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit und lebt in B* … Mit seit 4. September 2001 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts München wurde der Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt und eine isolierte Fahrerlaubnissperre angeordnet.
Nach weiteren strafrechtlichen Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis bzw. Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubten Entfernens vom Unfallort, die mit der Anordnung einer erneuten isolierten Sperrfrist von zwei Jahren verbunden waren, wurde ein Antragsverfahren auf Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis nicht weitergeführt.
Bei einer polizeilichen Verkehrskontrolle am … Januar 2009 zeigte der Antragsteller einen tschechischen Führerschein der Klasse B vor, ausgestellt durch A* … … … am … November 2007. Ausweislich der bei den Akten befindlichen Führerscheinkopie ist in Feld 8 des Führerscheindokuments als Wohnsitz „B* … * … …“ eingetragen.
Bei einer Verkehrskontrolle am … Oktober 2016 zeigte der Antragsteller einen am … Januar 2010 von der Bezirkshauptmannschaft C* … … im D* … ausgestellten österreichischen Führerschein vor. Nach einer von der Antragsgegnerin daraufhin eingeholten Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom … Februar 2017, der eine Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft C* … … im D* … vom … Februar 2017 beigefügt war, sei der österreichische Führerschein „aufgrund des tschechischen Führerscheins“ ausgestellt worden, nachdem der Antragsteller einen Antrag auf „Austausch von seinem tschechischen Führerschein“ gestellt habe. In dem darüber hinaus beigefügten Auszug aus dem österreichischen Führerscheinregister ist für alle Führerscheinklassen der Code „70 (* … CZ)“ angegeben, wobei des Weiteren ersichtlich ist, dass der Antragsteller nur die Fahrerlaubnisklasse B besitzt, welche ihm am … November 2007 erteilt wurde.
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom … April 2018 wurde ein gegen den Antragsteller eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Nach vorheriger Anhörung stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27. Juni 2018 fest, dass für den Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland mit der österreichischen Fahrerlaubnis der Klasse B, erteilt am … Oktober 2010 durch die Bezirkshauptmannschaft C* … … im D* …, keine Fahrberechtigung bestehe und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids zur Eintragung eines entsprechenden Sperrvermerks vorzulegen. Die sofortige Vollziehung beider Verfügungen wurde angeordnet.
Hiergegen ließ der Antragsteller am 26. Juli 2018 Klage erheben. Zugleich begehrt er vorläufigen Rechtsschutz und beantragt (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen Nummern 1 und 2 des Bescheids vom 27. Juni 2018 wiederherzustellen.
Da die tschechische Fahrerlaubnis des Antragstellers am … November 2007 und damit über 16 Monate nach Einführung des Wohnsitzprinzips durch die Tschechische Republik erteilt worden sei, sei ausgeschlossen, dass dieser in österreichischer Verwahrung befindliche Führerschein den behaupteten deutschen Wohnsitzeintrag aufweise. Der Antragsteller habe von diesem Führerschein keine Kopie mehr. Die tschechische Fahrerlaubnis, die Grundlage der Ausstellung des österreichischen Führerscheins gewesen sei, sei unter Wahrung des Wohnsitzerfordernisses erteilt und der tschechische Führerschein unter Angabe der damaligen tschechischen Wohnanschrift ausgestellt worden. Die Antragsgegnerin werde den behaupteten Wohnsitzverstoß aus dem tschechischen Führerscheindokument nicht beweisen können. Unter zutreffender Würdigung der Rechtslage habe die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Ermittlungen wegen des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis verfügt, dass das Verfahren wegen erwiesener (!) Unschuld (nicht wegen Unaufklärbarkeit oder Zweifeln) einzustellen sei.
Außerdem führe die Antragsgegnerin für ein angeblich überwiegendes öffentliches Interesse lediglich formelhafte Wendungen an, die jede Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des Einzelfalls vermissen lasse. Die vorgenommene Interessenabwägung sei fehlerhaft, da die Antragsgegnerin kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung darlege.
Die Antragsgegnerin beantragte unter Vorlage der Behördenakten, den Antrag abzulehnen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Die Begründung des Sofortvollzugs entspricht den sich aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ergebenden Erfordernissen. An den Inhalt der Begründung sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Zwar wäre es unzureichend, die sofortige Vollziehbarkeit allein mit dem Vorliegen eines öffentlichen Interesses zu begründen. Denn damit wird lediglich der Gesetzeswortlaut wiederholt, was dem Begründungsgebot nicht genügen kann. Es müssen vielmehr die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe angegeben werden, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen. Das hat die Antragsgegnerin im hier zu entscheidenden Fall getan, nachdem sie auf die mögliche Gefährdung der Allgemeinheit durch die weitere Teilnahme des Antragstellers am motorisierten Straßenverkehr abgestellt hat.
Im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht im Übrigen eine eigene Ermessensentscheidung, die sich – soweit überschaubar – auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert. Hier ist davon auszugehen, dass der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt daher das Suspensivinteresse des Antragstellers.
Die im streitgegenständlichen Bescheid aufgrund von § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV getroffene Feststellung ist dahingehend zu verstehen, dass der dem Antragsteller am … Januar 2010 in Österreich ausgestellte Führerschein ihm nicht die Befugnis verschafft, in der Bundesrepublik Deutschland fahrerlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge der in jenem Führerschein bezeichneten Klasse B zu führen (das im Bescheid angegebene Ausstellungsdatum …10.2010 ist erkennbar ein Schreibversehen und damit eine offenbare Unrichtigkeit) und ist mit diesem Inhalt rechtmäßig.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinn von § 7 Abs. 1 oder 2 FeV im Bundesgebiet haben, vorbehaltlich der sich aus § 28 Abs. 2 bis 4 FeV ergebenden Einschränkungen im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Der Kläger besitzt zunächst keine österreichische Fahrerlaubnis, die ihn zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigen würde. Vielmehr wurde ihm insoweit lediglich im Wege eines Führerscheinumtausches im Sinn von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG und von Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG anstelle eines tschechischen Führerscheins ein österreichischer Führerschein ausgestellt. Dass die dortige Behörde insoweit nur den Umtausch eines Führerscheins vornehmen, aber keine neue Fahrerlaubnis erteilen wollte, folgt aus den Angaben der österreichischen Ausstellungsbehörde im Schreiben vom … Februar 2017, wonach der Führerschein im Austausch aufgrund des tschechischen Führerscheins ausgestellt wurde, und aus der Tatsache, dass in dem Auszug aus dem österreichischen Führerscheinregister die Zahlen-Buchstaben-Kombination „70 (* … CZ)“ eingetragen ist. Der harmonisierte Gemeinschaftscode „70“ bedeutet sowohl nach dem Anhang Ia zur Richtlinie 91/439/EWG als auch nach dem Anhang I zur Richtlinie 2006/126/EG, dass der Führerschein im Weg eines Umtausches ausgestellt wurde. Das diesem Code nachgestellte Kürzel „CZ“ bringt nach dem Wortlaut des Anhangs Ia zur Richtlinie 91/439/EWG und des Anhangs I zur Richtlinie 2006/126/EG (vgl. dort jeweils die Erläuterungen zum Code 70) zum Ausdruck, dass der umgetauschte Führerschein durch eine Behörde der Tschechischen Republik ausgestellt wurde. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch das sowohl im Führerscheinregister als auch auf dem Führerscheindokument angegebene Erteilungsdatum … November 2007 für die Fahrerlaubnisklasse B.
Die Ausstellung der Beweisurkunde „Führerschein“ bewirkt nicht, dass der Betroffene allein dadurch eine Fahrerlaubnis erlangt. Eine unionsrechtliche Anerkennungspflicht gilt nur für solche in einem anderen Mitgliedstaat neu erworbenen Fahrerlaubnisse, deren Erteilung – auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben – eine Eignungsüberprüfung des Bewerbers vorangegangen ist. Das ist bei einem bloßen Umtausch einer Fahrerlaubnis nicht der Fall (BVerwG, B.v. 8.9.2011 – 3 B 19/11 – ZfSch 2012, 597; BayVGH, U.v. 22.11.2010 – 11 BV 10.711). Die österreichischen Behörden haben in dem ihnen durch das Kraftfahrt-Bundesamt übersandten Fragebogen auch nicht angegeben, dass der Führerscheinausstellung eine Befähigungs- oder Verhaltensprüfung vorausgegangen wäre. Damit dokumentiert der österreichische Führerschein lediglich die ursprüngliche tschechische Fahrerlaubnis. Diese aber verleiht dem Antragsteller nicht die Berechtigung, Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland zu führen (§ 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV).
Die tschechische Fahrerlaubnis des Klägers berechtigt ihn nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Diese Bestimmung steht mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl. EG Nr. L 403 S.18) in Einklang. Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Allerdings darf ein Führerschein nur an Bewerber ausgestellt werden, die im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sie während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten dort studiert haben (Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie). Nach Art. 7 Abs. 5 Unterabsatz 2 der Richtlinie achten die Mitgliedstaaten bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis sorgfältig darauf, dass eine Person die Anforderungen des Absatzes 1 – und somit auch die Wohnsitzvoraussetzung – erfüllt.
Ausweislich der bei den Akten befindlichen Kopie des tschechischen Führerscheins ist als damaliger Wohnsitz des Antragstellers „B* … * … …“ angegeben. Es ergibt sich daher bereits aus dem Führerscheindokument, dass die tschechischen Behörden den Antragsteller im Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins nicht als in Tschechien wohnhaft ansahen und damit gegen das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. E) der Richtlinie verankerte Wohnsitzprinzip verstoßen haben. Dass der Antragsteller im Jahr 2007 entgegen der Eintragung im Führerschein tatsächlich seinen Lebensmittelpunkt in der Tschechischen Republik hatte, hat er weder dargelegt noch nachgewiesen.
Besitzt der Antragsteller aber keine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis, durfte ihn die Fahrerlaubnisbehörde auch auffordern, den tschechischen Führerschein zur Eintragung eines Vermerks vorzulegen, durch den der Rechtsschein beseitigt wird, den dieses Dokument hervorruft. Die hierfür erforderliche Befugnisnorm ist § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.