Verkehrsrecht

Notwendigkeit einer erneuten Ortskundeprüfung nach dem Erlöschen einer früheren Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung

Aktenzeichen  11 CE 16.2435

Datum:
11.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NZV – 2017, 399
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 2 Abs. 3 S. 4
FeV FeV § 48 Abs. 4 Nr. 7
VwGO VwGO § 123 Abs. 1 S. 2, § 146 Abs. 4 S. 6

 

Leitsatz

1 Allein die beabsichtigte berufliche Tätigkeit als Taxifahrer, die ohne die begehrte Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht ausgeübt werden kann, reicht für die gebotene Dringlichkeit zum Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nicht aus. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für eine (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung muss der Antragsteller auch dann, wenn er früher einmal Inhaber einer solchen war, die erforderlichen Ortskenntnisse erneut durch eine Prüfung nachweisen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 6 E 16.3803 2016-11-08 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu erteilen, ohne zuvor eine Ortskundeprüfung ablegen zu müssen.
Der am … 1969 geborene Antragsteller war seit 1990 Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, die zuletzt bis zum 29. März 2005 gültig war. Die Ortskundeprüfung für das Pflichtfahrgebiet der Landeshauptstadt München hatte er letztmals im Rahmen des damaligen Erteilungsverfahrens abgelegt.
Am 17. März 2016 beantragte er die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen und Mietwagen. Für Mietwagen erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Erlaubnis am 27. Mai 2016 gemäß § 48 Abs. 4 Nr. 7 Satz 1 Halbs. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung ohne Ortskundenachweis, da G. als Ort des Betriebssitzes des Mietwagenunternehmens weniger als 50.000 Einwohner hat. Nachdem die Antragsgegnerin den Antragsteller für die Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen mehrfach zum Nachweis der erforderlichen Ortskenntnisse durch Ablegen einer entsprechenden Prüfung aufgefordert hatte, ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München (zuletzt) beantragen, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen vorläufig zu erteilen, bis über den Antrag auf Erteilung dieser Fahrerlaubnis bestandskräftig entschieden sei. Zum Nachweis der Ortskunde reiche die damals erfolgreich abgelegte Ortskundeprüfung aus, die weiterhin Gültigkeit habe. Er wohne seit 2001 in München und sei durchgehend Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen. Seit 2015 sei er beruflich als Kurierfahrer in München und Umgebung tätig. Es sei abwegig anzunehmen, dass er seine Ortskunde durch Zeitablauf verloren habe.
Mit Beschluss vom 8. November 2016 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen, bevor er nicht durch die erfolgreiche Ablegung einer entsprechenden Prüfung (erneut) hinreichende Ortskenntnisse nachweise. Es liege auf der Hand, dass bei einem Bewerber, der die Fahrerlaubnis seit mehr als zehn Jahren nicht mehr besitze, auf den erneuten Nachweis ausreichender Ortskenntnisse nicht verzichtet werden könne. In München und Umgebung hätten sich seither derart viele Veränderungen ergeben, dass nicht mehr ohne weiteres vom Vorhandensein ausreichender Ortskenntnisse ausgegangen werden könne. Außerdem habe der Antragsteller einen Ortskundenachweis für die Landkreise Erding und Freising nach Aktenlage nie erbracht.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde lässt der Antragsteller ausführen, er habe die Ortskundeprüfung unstreitig bereits erfolgreich abgelegt. Die bestandene Prüfung sei nicht befristet. Es sei auch weder gesetzlich geregelt, dass deren Wirkung durch Zeitablauf entfalle, noch seien begründete Tatsachen dafür ersichtlich, dass der Antragsteller, der seit rund 15 Jahren im Stadtgebiet von München wohne und hier regelmäßig mit dem Auto unterwegs sei, seine Ortskenntnisse verloren habe. Er sei zur Sicherung seines Lebensunterhalts dringend auf die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen angewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen und auf die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um u. a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht.
Unabhängig davon, dass allein die beabsichtigte (zusätzliche) berufliche Tätigkeit des Antragstellers als Taxifahrer, die er ohne die begehrte Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht ausüben kann, für die gebotene Dringlichkeit zum Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nicht ausreicht (vgl. insoweit BayVGH, B.v. 18.8.2015 – 11 CE 15.1217 – juris Rn. 8 m. w. N.), ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen kein Anspruch des Antragstellers auf vorläufige Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen unter Verzicht auf einen aktuellen Nachweis der Ortskunde.
a) Nach § 48 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), bedarf ein Kraftfahrzeugführer einer zusätzlichen Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, wenn in dem Fahrzeug Fahrgäste befördert werden und für diese Beförderung eine Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz erforderlich ist. Die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung wird für eine Dauer von nicht mehr als fünf Jahren erteilt und auf Antrag des Inhabers jeweils bis zu fünf Jahren verlängert (§ 48 Abs. 5 FeV). Soll die Erlaubnis für Taxen gelten, setzt die Erteilung voraus, dass der Bewerber die erforderlichen Ortskenntnisse in dem Gebiet, in dem Beförderungspflicht besteht, in einer Prüfung nachweist (§ 2 Abs. 3 Satz 4 des Straßenverkehrsgesetzes [StVG] vom 5.3.2003 [BGBl I S. 3109], zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.11.2016 [BGBl I S. 2722], i. V. m. § 48 Abs. 4 Nr. 7 Satz 1 FeV). Dieser Nachweis dient dem Interesse der Fahrgäste, durch einen ortskundigen Fahrer auf dem kürzesten und kostengünstigsten Weg zum Ziel gefahren zu werden und von ihm auch weitere Auskünfte, etwa zu Sehenswürdigkeiten, Unterkunftsmöglichkeiten etc. im Pflichtfahrgebiet erhalten zu können.
b) Zwar hat der Antragsteller die erforderlichen Ortskenntnisse bereits für seine frühere Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nachgewiesen. Diese Fahrerlaubnis ist jedoch, nachdem sie nicht mehr verlängert wurde, mit dem 29. März 2005 durch Zeitablauf erloschen. Für die Neuerteilung muss der Antragsteller die Ortskunde erneut nachweisen. Es drängt sich auf, dass hierfür eine mehr als zehn Jahre zurückliegende Prüfung nicht ausreicht. Vielmehr bedarf es nach dem Erlöschen der früheren Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung einer aktuellen Ortskundeprüfung.
§ 48 Abs. 5 Satz 2 FeV sieht nur im Falle einer Verlängerung erleichterte, auf die geistige und körperliche Eignung, das Sehvermögen und die Gewähr für die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen beschränkte Nachweise unter Verzicht auf den Ortskundenachweis vor. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Bewerber für eine (Neu-)Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung auch dann, wenn er früher einmal Inhaber einer solchen war, die erforderlichen Ortskenntnisse erneut durch eine Prüfung nachweisen muss.
Gegenteiliges lässt sich entgegen der Beschwerdebegründung auch nicht der Vorschrift des § 48 Abs. 9 Satz 2 FeV entnehmen, wonach der Inhaber der Erlaubnis seine Ortskenntnisse auf Verlangen der Fahrerlaubnisbehörde erneut nachzuweisen hat, wenn Tatsachen Zweifel begründen, ob er diese Kenntnisse noch besitzt. Diese Regelung ist ausdrücklich auf Inhaber einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung beschränkt und gilt nicht für Fahrerlaubnisbewerber. Letztere müssen daher ihre Ortskenntnis nicht nur bei Zweifeln, sondern in jedem Fall durch eine entsprechende aktuelle Prüfung nachweisen. Der Umstand, dass der Antragsteller bereits einige Jahre in der Landeshauptstadt München wohnt und mittlerweile auch als Kurierfahrer tätig ist, wird ihm zwar die Prüfung erleichtern, ersetzt aber den erforderlichen Ortskundenachweis nicht.
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass der Antragsteller einen Ortskundenachweis für die Landkreise Erding und Freising nie erbracht habe. Dem ist der Antragsteller nicht näher entgegengetreten. Die Ortskunde ist nach § 48 Abs. 4 Nr. 7 Satz 1 FeV für das gesamte Gebiet nachzuweisen, in dem die Beförderungspflicht besteht. Die Beförderungspflicht besteht gemäß § 47 Abs. 4 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) für Fahrten innerhalb des Geltungsbereichs der nach § 51 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 2 Satz 1 PBefG festgesetzten Beförderungsentgelte (Pflichtfahrbereich). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 der Taxitarifordnung der Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2016 (MüABl S. 436) umfasst das Pflichtfahrgebiet die Landeshauptstadt München, die Landkreise München, Freising, Erding, Ebersberg, Starnberg, Fürstenfeldbruck, Dachau und die nördlich der B 472 gelegenen Gebietsteile des Landkreises Bad Tölz – Wolfratshausen. Auch aus diesem Grund kann eine frühere Ortskundeprüfung, die nicht den gesamten derzeitigen Pflichtfahrbereich abdeckt, den erforderlichen aktuellen Nachweis nicht ersetzen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 und 46.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Anh. § 164 Rn. 14), wobei der Senat dem Ansatz des Verwaltungsgerichts folgt, das den Streitwert aufgrund des Umstands, dass lediglich die Notwendigkeit des Ortskundenachweises für die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen im Streit steht, zugunsten des Antragstellers auf 2.500,- Euro begrenzt hat.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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