Verkehrsrecht

Verwaltungsgebühren für eine Gutachtensanforderung, Inzidentkontrolle der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung

Aktenzeichen  AN 10 K 20.01003

Datum:
26.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 36918
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 3 Nr. 6
StPO § 153a
StVG § 6a Abs. 1 Nr. 1a
§ 1
§ 2 Abs. 1
GebOSt § 4

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Klage gegen die in der Gutachtensanforderung des Landratsamtes … vom 4. Mai 2020 enthaltene Kostenentscheidung ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die Kostenentscheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weswegen die erhobene Anfechtungsklage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Gutachtensanforderung vom 4. Mai 2020, mit der der Kläger aufgefordert wurde, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, war mit einer Kostenentscheidung verbunden, nach der der Kläger eine Gebühr in Höhe von 25,60 Euro nebst Auslagen in Höhe von 4,11 Euro insgesamt also 29,71 Euro zu zahlen hatte.
Die Gebühr entspricht der Regelung nach § 6a StVG, wonach Kosten für Amtshandlungen, einschließlich Prüfungen und Überprüfungen im Rahmen von Begutachtungen und Untersuchungen erhoben werden. Die Gebührenhöhe ergibt sich aus § 1 GebOSt, wonach für Amtshandlungen einschließlich Prüfungen und Untersuchungen nach § 6a StVG Gebühren erhoben werden, wobei sich der Tarif aus der Anlage zur GebOSt ergibt. Kostenschuldner ist gem. § 4 GebOSt derjenige, der die Amtshandlung verlasst, hier also der Kläger, dessen Fahreignung von dem Beklagten überprüft werden sollte. Nach Ziff. 208 der Anlage zur GebOSt sind für Anordnungen von Maßnahmen zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung oder Einschränkung der Fahrerlaubnis Gebühren in Höhe von 12,80 bis 25,60 Euro zu veranschlagen. In diesem Rahmen verhält sich die im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzte Gebühr in Höhe von 25,60 Euro. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass angesichts des in diesem Fall angefallenen verhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwands die Höchstgebühr veranschlagt wurde, da vom Landratsamt ein hoher Material- und Personaleinsatz für dieses Verfahren aufgewandt wurde. Der Kläger verhält sich im Übrigen zur Höhe der Gebühr überhaupt nicht. Auch die Auslagen in Höhe von 4,11 Euro sind nicht zu beanstanden, sondern betreffen die Zustellungskosten im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt.
Der Bescheid ist also weder in der Gebührenhöhe noch bei der Auswahl des Gebührenschuldners zu beanstanden.
Selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass bei der gerichtlichen Überprüfung eines Verwaltungsgebührenbescheids über die gebührenrechtliche Kontrolle im engeren Sinne hinaus auch eine Inzidentkontrolle der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Amtshandlung zu erfolgen hat, ist der Gebührenbescheid vom 4. Mai 2020 nicht zu beanstanden.
Zwar spricht nach der einschlägigen Rechtsgrundlage des § 6a Abs. 1 Nr. 1a StVG und dem – zumindest dem Rechtsgedanken nach – anzuwendenden Art. 16 Abs. 5 BayKG viel dafür, dass auch im Hinblick auf eine Gutachtensanforderung nur solche Kosten erhoben werden dürfen, die auch bei richtiger Sachbehandlung entstanden wären, mit anderen Wort nur dann, wenn die Amtshandlung rechtmäßig gewesen war.
Allerdings kann von dem Erfordernis der Inzidentkontrolle der Rechtmäßigkeit der Amtshandlung dann abgesehen werden, wenn es zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig erscheint, beispielsweise, weil eine angreifbare Sachentscheidung vorliegt, bei der eine identische Rechtmäßigkeitsüberprüfung erfolgen müsste, also im vorliegenden Fall eine Fahrerlaubnisentziehung. Eine solche liegt hier gerade vor, weil im vorliegenden Verfahren mitgeteilt wurde, dass die Fahrerlaubnis des Klägers mit Bescheid vom 30. September 2021 entzogen wurde und der Kläger hiergegen ein Widerspruchsverfahren in die Wege geleitet hatte. Im Fahrerlaubnisentzugsverfahren, das auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt ist, ist letztendlich inzident genauso die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung vom 4. Mai 2020 zu überprüfen, wie vorliegend im Rahmen der Rechtmäßigkeitsüberprüfung der Kostenentscheidung der dem Entzug vorausgehenden Gutachtensanforderung. Dies hat zur Folge, dass eine doppelte Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung zu erfolgen hätte, worauf aber auch bei weiter Auslegung des Rechtsstaatsprinzips kein Anspruch besteht. Es ist in der Rechtsprechung hinreichend geklärt, dass es sich bei der Überprüfung der Entziehung einer Fahrerlaubnis um nachrangigen Rechtsschutz handelt und einem Betroffenen daher zuzumuten ist, die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis auch unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes erst nach der Entziehung in Anspruch zu nehmen, was wiederum zur Folge hat, dass eine Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung bereits nach Erlass der Gutachtensanordnung nicht zu erfolgen hätte. Würde man dies anders sehen, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass die Gutachtensanordnung bereits im gerichtlichen Verfahren gegen die Kostenentscheidung zu überprüfen wäre und später dann im Verfahren gegen den Fahrerlaubnisentzug nochmals. Hierfür besteht allerdings kein Rechtsschutzbedürfnis. Es ist zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes auch im vorliegenden Verfahren nicht notwendig, die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung doppelt zu überprüfen, da dem Kläger mittlerweile, wie dargelegt, die Fahrerlaubnis entzogen wurde und der Kläger hiergegen Rechtsmittel eingelegt hat, wo im Rahmen der Überprüfung der Entziehung nach § 11 Abs. 8 FeV die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung inzident zu überprüfen sein wird.
Aber selbst wenn man davon ausginge, die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung wäre im Falle der Kostenerhebung stets zu überprüfen (so wohl VGH Mannheim, U. v. 12.12.2016, Az. 10 S 2406/14, juris), wäre die Gebührenerhebung rechtmäßig, weil die der Gebührenforderung zugrundeliegende Gutachtensanordnung ebenfalls rechtmäßig ist.
Diese ist auf § 11 Abs. 3 Nr. 6 FeV gestützt. Danach kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden, wenn beim Betroffenen eine erhebliche Straftat vorliegt, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere, wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Das Landratsamt hat sich auf einen Vorfall vom 18. Februar 2017 bezogen, wonach der Kläger möglicherweise einen anderen Fahrzeugführer, der zuvor einen Fahrfehler begangen hatte, mehrfach durch das geöffnete Fenster an Kopf geschlagen und ihm die geöffnete Fahrertür gegen das Bein gestoßen hat. Nach den Feststellungen der Strafjustiz hat der Geschädigte dadurch Schmerzen an Kopf und Bein, ein Anprall-Trauma am Schädel und eine Verletzung am Unterschenkel mit Weichteilschwellung davongetragen. Diesbezüglich war der Kläger in erster Instanz vom Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe mit Führerscheinentzug verurteilt worden, wobei das Verfahren jedoch auf die Berufung des Klägers hin vom Landgericht … nach § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 1.500,00 Euro eingestellt wurde.
Unabhängig davon, dass der Kläger deswegen nicht verurteilt wurde und daher nicht rechtskräftig festgestellt wurde, ob der Kläger diese Straftat auch tatsächlich begangen hat, konnte die Gutachtensanordnung zur Klärung der Fahreignung des Klägers zutreffend auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV gestützt werden. Sollte der Tatvorwurf zutreffen, würde es sich um eine erhebliche Straftat handeln, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht und bei der insbesondere Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential des Klägers im Raum stehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Erheblichkeit nicht von vornherein mit „schwerwiegend“ gleichzusetzen ist, sondern sich vielmehr auf die Kraftfahreignung bezieht, ohne dass bei Begehung der Tat zwingend ein Kraftfahrzeug als Mittel der Straftat benutzt worden ist. Es ist allein Voraussetzung, dass konkrete Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung von Tat- und Täterpersönlichkeit Rückschlüsse auf die Kraftfahreignung zulassen (so BayVGH, B. v. 5.7.2012, Az. 11 C 12.874, juris). Im Raum steht vorliegend der Vorwurf, dass der Kläger den Geschädigten mehrfach durch die geöffnete Fahrertür mit der Faust auf den Kopf geschlagen hatte, um ihn dann die Fahrertür gegen das Bein zu stoßen. Eine solche Tat ist durchaus als erheblich anzusehen, da der Täter das Opfer mit erheblicher Gewalteinwirkung verletzt hat, was wiederum eine latent vorhandene hohe Gewaltbereitschaft und ein hohes Aggressionspotential beim Kläger voraussetzt (vgl. dazu BayVGH, B. v. 6.11.2017, Az. 11 Cs 17.1726, juris). Hinzu kommt, dass die dem Kläger vorgeworfene Tat zwar nicht durch das Führen eines Kraftfahrzeugs selbst begangen wurde, aber immerhin anlässlich der Teilnahme des Klägers und seines möglichen Opfers am Straßenverkehr. Es ist – jedenfalls nach dem Tatvorwurf – nicht bei einer bloß verbalen Auseinandersetzung geblieben, sondern, so jedenfalls der Vorwurf, der Kläger habe emotional impulsiv reagiert und in aggressiver Weise Gewalt angewendet.
Soweit der Kläger ausführt, er habe die Tat nicht begangen und sei diesbezüglich auch nicht verurteilt worden, hat dies – jedenfalls im vorliegenden Fall – keine Auswirkungen auf die präventive Maßnahme des Landratsamts, die Fahreignung des Klägers überprüfen zu lassen. Der Kläger führt zwar aus, er habe die Tat nicht begangen und niemanden geschlagen, weswegen das Verfahren beim Landgericht auch eingestellt worden sei, räumt aber auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung ein, die Verletzungen des Geschädigten seien im Zuge von Handgreiflichkeiten entstanden, weil es eine Auseinandersetzung gegeben habe. Der Kläger führt allerdings aus, nicht er habe angegriffen, sondern sich lediglich gegen Angriffe des Anderen verteidigt. Ungeachtet der Tatsache, dass so zwar die Verletzungen des Geschädigten am Kopf erklärbar sind, nicht aber die Verletzungen am Unterschenkel mit Weichteilschwellung, die dadurch herrühren, dass dem Geschädigten die eigene Fahrertür gegen das Bein geschlagen wurde, der Geschädigte sich also im Bereich seines Fahrzeugs, womöglich noch auf dem Fahrersitz sitzend, befunden haben muss, wurde im Übrigen auch festgestellt, dass nur der Geschädigte verletzt war, nicht aber der Kläger. Letztendlich aber bedeutet die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Kläger nach § 153a StPO nicht, dass davon auszugehen ist, dass die Straftat nicht begangen wurde (vgl. BayVGH, B. v. 21.3.2016, Az. 11 Cs 16.175, juris). Der Sachvortrag des Klägers, dass die Unschuldsvermutung durch eine Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153a StPO nicht widerlegt wird, ist zwar zutreffend, bedeutet aber nicht, dass gegen ihn eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr nicht getroffen werden darf. Dies liegt darin begründet, dass es nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (a.a.O.) im Rahmen des Einstellungsverfahrens nach § 153a StPO darauf abzustellen ist, ob von der Strafverfolgung unter Auflagen und Weisungen abgesehen werden kann, weil die Schwere der Schuld dem nicht entgegensteht und bei Zweifeln, ob überhaupt ein Straftatbestand erfüllt ist, eine Anwendung des § 153a StPO auszuschließen wäre. Demzufolge ist auch nur bei der Möglichkeit der Unschuld eines Täters von der Anwendung des § 153a StPO abzusehen. Vielmehr muss mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung ausgegangen werden, denn nur dann könne einem Angeklagten die Übernahme besonderer Pflichten zugemutet werden, vorliegend also die Zahlung von insgesamt 1.500,00 Euro. Dies wiederum hat zur Folge, dass auch die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO der Fahrerlaubnisbehörde nicht verbietet, Feststellungen über Tatsachen, die den Straftatbestand erfüllen, in dem erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden präventiven sicherheitsrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten. Hierbei darf sich die Verwaltungsbehörde sogar auf dieselben Beweismittel stützen wie das Strafgericht, ist aber andererseits an dessen Bewertung nicht gebunden (BayVGH v. 21.3.2016, a.a.O.).
Das Landratsamt durfte den Vorfall vom 18. Februar 2017 daher als Anknüpfungstatsache für eine Gutachtensanordnung heranziehen.
Die gewählte Fragestellung und die zur Gutachtensvorlage gesetzte Frist sind nicht zu beanstanden. Die Fragestellung entspricht der bei der Gutachtensanforderung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 FeV üblichen Fragestellung, bezieht sich auf den dargelegten Sachverhalt und fragt nach einem künftigen erheblichen oder wiederholten Verstoß gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen. Dies ist nicht zu beanstanden. Auch die Frist, die sich allein danach zu bemessen hat, wann ein Gutachter zumutbarer Weise ein Gutachten erstellen könnte, ist nicht zu beanstanden. In der Gutachtensanordnung vom 4. Mai 2020 wurde eine Frist bis zum 31. Juli 2020 gesetzt, die später noch großzügig, bis zum 8. September 2021 verlängert worden war. Hiergegen ist nichts einzuwenden und der Kläger verhält sich zu diesen Fragen überhaupt nicht.
Auch die Ausübung des Ermessens durch das Landratsamt ist nicht zu beanstanden. So wurde in der Gutachtensanordnung ausführlich dargelegt, warum vom dargelegten Sachverhalt die Anforderung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung als notwendig erachtet wird. Es wurde insbesondere ausgeführt, dass, ausgehend vom Sachverhalt, Zweifel an der Geeignetheit des Klägers an der Teilnahme am Straßenverkehr entstehen würden, weil Anhaltspunkte dafür zu erkennen seien, dass der Kläger seinen Aggressionen unter gewissen Voraussetzungen, auch im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, freien Lauf lassen könnte. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob sich der Kläger bei der Durchsetzung seiner eigenen Interessen nicht in rücksichtsloser Art und Weise über berechtigte Interessen anderer hinwegsetzen könnte und dass möglicherweise eine ausreichende Kontrollfähigkeit und Verhaltenssteuerung beim Kläger nicht vorliege, was auf ein gesteigertes Aggressionspotential beim Kläger hindeute und was insbesondere die Frage aufwerfe, ob eine entsprechende charakterliche Neigung vorliege und die Fahrsicherheit dadurch beeinträchtigt werde. Es wurde dargelegt, dass – immer den Sachverhalt vorausgesetzt – die Reaktion des Klägers in keinem Verhältnis zu der von ihm hingenommenen Beeinträchtigung stünde. Dies alles ist nicht zu beanstanden. Im Gegenteil, das Landratsamt hat in der Gutachtensanforderung vom 4. Mai 2020 ihr Entschließungsermessen ausführlich ausgeübt und dabei auch die Interessen des Klägers behandelt, aber letztendlich der Frage der allgemeinen Verkehrssicherheit den Vorzug eingeräumt. Ein Auswahlermessen stand dem Landratsamt nicht zu, weil in § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV allein auf ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle abgestellt wird.
Auch hat das Landratsamt entgegen der Rechtsauffassung des Klägers nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern ist auch gerade davon ausgegangen, dass die Tat nicht zu einer Verurteilung des Klägers geführt hat, sondern eben nach § 153a StPO eingestellt wurde. Es ist gerichtlich nicht zu beanstanden, dass das Landratsamt auch im Hinblick auf die strafrechtliche Einstellungsverfügung nicht vom festgestellten Sachverhalt abgewichen ist, sondern diesen dem Kläger nach wie vor vorhält. Anders als vom Kläger dargelegt, wird ausgeführt, dass zwar eine entsprechende Verurteilung nicht vorliegt, dass aber im Falle einer Einstellung nach § 153a StPO vom gerichtlich festgestellten Sachverhalt auszugehen sei. Auch dies ist nicht zu beanstanden, da, wie oben bereits ausführlich dargelegt, nicht davon ausgegangen werden musste und durfte, dass dem Kläger insoweit kein Verschulden trifft.
Ein im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich relevanter Ermessensfehler ist daher nicht ersichtlich.
In der Gutachtensanforderung selbst ist allerdings keine Abwägung dahingehend ersichtlich, warum im vorliegenden Fall vom in § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG geregeltem Vorrang des Fahreignungsbewertungssystems abgewichen werden muss. Eine solche Abweichung ist regelmäßig bei der Anordnung der Beibringung eines Gutachtens näher zu begründen. Allerdings hat der Beklagte, wie oben bereits ausgeführt, sein Entschließungsermessen ordnungsgemäß ausgeübt und die Ermessenserwägungen ausführlich dargelegt, so dass eine Ergänzung des Ermessens nach § 114 Satz 2 VwGO im vorliegenden Fall möglich war. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte, als diese Problematik erörtert worden war, ausgeführt, dass seiner Rechtsauffassung nach ein so schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung vorliege, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die Geeignetheit der Verkehrsteilnahme des Klägers unmittelbar zu treffen gewesen sei, ohne letztendlich noch auf die Frage des Fahreignungsbewertungssystems einzugehen, insbesondere auch, weil die Tat nicht zu einer Verurteilung geführt hat und deshalb auch keine Punkte diesbezüglich ins Fahreignungsbewertungssystem eingetragen worden waren. Da die Frage, ob dem Fahreignungsbewertungssystem der Vorrang einzuräumen ist oder – wie vorliegend – eine Prüfung der Geeignetheit des Betroffenen unmittelbar zu erfolgen hat, weiterer Ausfluss des Entschließungsermessens ist, das der Beklagte in der Gutachtensanordnung selbst ausführlich ausgeübt hatte, steht einem Nachschieben von weiteren Ermessenserwägungen gem. § 114 Satz 2 VwGO vorliegend nichts entgegen. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass dann, wenn wie vorliegend eine Aggressionshandlung im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr vorliegt, die letztendlich nicht zu einer Verurteilung geführt hat und die deshalb vom Fahreignungsbewertungssystem nicht erfasst wird, ein Vorrang i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG überhaupt nicht geprüft wird. Das Fahreignungsbewertungssystem als präventive Einrichtung baut insoweit ausschließlich auf repressiven Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden auf und kommt dann, wenn, aus welchen Gründen auch immer, es nicht zu einer entsprechenden Verurteilung kommt, nicht zu einer Bewertung der Fahreignung des Betroffenen, auch wenn es hinreichende Anknüpfungstatsachen dafür gibt, konkrete Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen zu haben. Eine Abgrenzung zum Fahreignungsbewertungssystem hatte sich dem Landratsamt daher im vorliegenden Fall nicht aufgedrängt. Im Übrigen ist der Gutachtensanordnung auch im vorliegenden Fall hinreichend zu entnehmen, dass es als gerechtfertigt erachtet wurde, außerhalb des Punktesystems vorzugehen und die medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen. Es wurde auf das Bestehen eines hohen Aggressionspotentials beim Kläger abgestellt und dargelegt, dass die Tat nicht abgeurteilt, sondern das Verfahren eingestellt wurde. Es liegt daher auf der Hand, dass vorliegend nicht darauf abgestellt werden konnte, wie viele Punkte im Verkehrszentralregister tatsächlich für den Kläger eingetragen sind, weil dargelegt wurde, dass ein möglicher charakterlicher Mangel des Klägers vorliege, der so gewichtig sei, dass die Aufklärung der Fahreignung des Klägers unmittelbar zu erfolgen habe. Dies ist nicht zu beanstanden. Liegen nämlich so erhebliche Zweifel an der Fahreignung eines Betroffenen vor, können diese im Hinblick auf die Verkehrssicherheit nur durch eine zeitnahe gutachterliche Abklärung ausgeräumt werden (so auch VG Würzburg, U.v. 7.10.2020, Az. W 6 K 19.872, juris, unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 7.11.2013, Az. 11 Cs 13.1779, juris).
Dies hat zur Folge, dass die Erwägungen des Landratsamtes auch im Hinblick auf § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG nicht zu beanstanden sind.
Auch soweit der Kläger noch vorträgt, er habe seit der ihm vorgeworfenen Tat vom Februar 2017 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Oktober 2021 fast fünf Jahre unbeanstandet am Straßenverkehr teilgenommen, kann dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Aus den vorgelegten Fahrerlaubnisakten des Klägers ergibt sich nämlich, dass, wie dargelegt, eine erstinstanzliche Verurteilung erst im Juli 2017 erfolgte und die Einstellung durch das Landgericht … erst im November 2017 erfolgte. Da die Tat allerdings nicht zu einer Verurteilung führte, wurde sie nicht im Fahreignungsbewertungssystem eingetragen und gelangte erst dann zur Kenntnis des Landratsamtes, als der Kläger im Februar 2019 die Verlängerung seiner Fahrerlaubnis Klassen C/CE beantragte. Bereits im Mai 2019 forderte man den Kläger zur Vorlage eines entsprechenden Gutachtens auf, um letztendlich im Mai 2020 die streitgegenständliche Gutachtensanforderung zu erlassen. Dazwischen hatte der Kläger verschiedene gerichtliche Verfahren in die Wege geleitet, sodass nicht zu beanstanden ist, wenn der Ausgang dieser Verfahren zunächst bei der weiteren Bearbeitung abgewartet wurde, sodass die Verzögerung dadurch entstand. Die gerichtlichen Laufzeiten, die allerdings auch dadurch entstanden sind, dass der Kläger verschiedene Klage-, Antrags- und Prozesskostenhilfeverfahren durchführte, können nicht zu Lasten des Beklagten und damit der Verkehrssicherheit herangezogen werden. Immerhin musste das Landratsamt die Original-Fahrerlaubnisakten den Gerichten vorlegen und hat nach dem Antrag auf Verlängerung seiner Fahrerlaubnis sofort umfangreiche Amtsermittlungsmaßnahmen eingeleitet. So gingen die Akten der Staatsanwaltschaft …ausweislich der vorgelegten Behördenakten am 6. Mai 2019 beim Landratsamt ein, wohingegen bereits am 20. Mai 2019 nach Sichtung aller Unterlagen und Abklärung der rechtlichen Voraussetzungen eine erste Gutachtensanforderung erging. Es ist daher nicht ersichtlich, dass es die Fahrerlaubnisbehörde auch nur ansatzweise hingenommen hätte, dass der Kläger trotz entsprechender Eignungszweifel ungehindert weiter am Straßenverkehr teilnimmt.
Darüber hinaus ist weder ersichtlich noch vom Kläger überhaupt vorgetragen, dass sich ein entsprechender Einstellungswandel ergeben haben könnte, der eine Wiederholung eines Aggressionsdelikts im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr als unwahrscheinlich darstellen könnte. Der Kläger führt nur aus, er habe die ihm vorgeworfene Tat niemals begangen und sei insbesondere dafür nicht verurteilt worden.
Im Übrigen ist für die vorliegende Anfechtungsklage der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die letzte Behördenentscheidung erging, d.h. der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung der Gutachtensanordnung vom Mai 2020. Selbst wenn man alle dazwischenliegenden gesetzlichen Fristen, Postlaufzeiten und Bearbeitungszeiten nicht berücksichtigen würde, wäre dies ein Zeitraum von nur gut drei Jahren seit der dem Kläger vorgeworfenen Tat. Wäre das Verfahren nicht eingestellt worden, sondern hätte es – wie erstinstanzlich – zu einer Verurteilung geführt, wäre sie noch in den Registern, auch im Fahreignungsbewertungssystem, eingetragen, und könnte ebenfalls noch bei der Abklärung der Fahreignung des Klägers berücksichtigt werden. Es ist dem Gericht also nicht ersichtlich, dass die streitgegenständliche Aufklärungsmaßnahme verwirkt sein könnte.
Damit ist die Gutachtensanordnung rechtmäßig, was wiederum zur Folge hat, dass auch unter Berücksichtigung von § 6a StVG und dem Rechtsgedanken des Art. 16 Abs. 5 BayKG die Verwaltungsgebühr zu Recht in Rechnung gestellt worden war.
Die Klage ist daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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