Versicherungsrecht

Deckungsumfang einer Betriebsschließungsversicherung

Aktenzeichen  35 O 747/20 Ver

Datum:
10.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 37763
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305

 

Leitsatz

1. Bestimmen die Bedingungen einer Betriebsschließungsversicherung „Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger” enthält die nachfolgende Benennung eine abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger, so dass eine wegen des SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 Virus angeordnete Betriebsschließung nicht unter den Versicherungsschutz fällt, wenn dieses Virus in der Aufzählung nicht enthalten ist. (Rn. 24 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige Klausel ist für den Versicherungsnehmer weder überraschend noch unangemessen benachteiligend. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.  
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Das Landgericht Kempten (Allgäu) ist sowohl sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG als auch örtlich nach § 215 Abs. 1 VVG zuständig.
II.
1. Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche aus der in der zwischen den Parteien bestehenden Gewerbeversicherung „Helvetia Business All Inclusive Police“ enthaltenen Betriebsschließungsversicherung zu.
Nach Abschnitt C Ziffer 1.1 a) der dem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt.
Vorliegend wurde zwar aufgrund der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020, die am 18.03.2020 zunächst bis zum 30.03.2020 für Gastronomiebetriebe in Kraft trat und die im Folgenden durch Verordnungen bis 17.05.2020 verlängert wurde, durch die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) der versicherte Betrieb der Klägerin zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen in dem in der Allgemeinverfügung und den Verordnungen angeführten Umfang geschlossen.
Allerdings ist eine Betriebsschließung wegen des Auftretens des in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (bzw. COVID-19) nicht von der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung umfasst.
In Abschnitt C der Versicherungsbedingungen unter 1.2. heißt es wie folgt:
„Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:
a) Krankheiten“
Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 18 Krankheiten, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Botulismus“ und endend mit „die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers“.
„b) Krankheitserreger“ 
Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 49 Krankheitserregern, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Adenoviren“ und endend mit „Toxoplasma gondii (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)“.
Weder unter Ziffer 1.2. a) noch unter Ziffer 1.2. b) ist das in der Begründung der Allgemeinverfügung enthaltene neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. das Virus COVID-19 aufgeführt.
Die Auslegung von Ziffer 1.1. und 1.2. ergibt, dass allein die dort namentlich angeführten „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt BGH, Urteil vom 08.01.2020 – IV ZR 240/18, Rz. 9, m.w.N.) sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.
Ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer kann bereits nach dem Wortlaut von Ziffer 1.2. der dem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen erkennen, dass ausschließlich die in dieser Ziffer folgenden, im Einzelnen unter a) namentlich aufgeführten Krankheiten und unter b) namentlich aufgeführten Krankheitserreger versichert sind.
So steht zwischen dem Wort „folgenden“ und dem weiteren Text in Ziffer 1.2. der Versicherungsbedingungen „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“ ausdrücklich ein Komma. Das Wort „folgenden“ bezieht sich damit nicht auf die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger, sondern betrifft nur die anschließend unter a) aufzählend aufgeführten Krankheiten sowie die unter b) aufzählend aufgeführten Krankheitserreger. Hierdurch ist für den die Versicherungsbedingungen aufmerksam lesenden Versicherungsnehmer klargestellt, dass nur diese jeweils aufzählend aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger von der Versicherung umfasst sind. Der Versicherungsnehmer kann auch ohne weiteres und eindeutig den Versicherungsbedingungen entnehmen, welche Krankheiten und Krankheitserreger im Falle einer Betriebsschließung tatsächlich versichert sind.
Die Aufzählung ist auch aus der Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers abschließend. Ein solcher Versicherungsnehmer kann aus dem Wortlaut der vorliegenden Versicherungsbedingungen nicht entnehmen, dass weitere in §§ 6 und 7 sowohl zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags als auch zukünftig namentlich genannte Krankheiten oder Krankheitserreger, jedoch in der Aufzählung der Versicherungsbedingungen nicht enthaltene Krankheiten oder Krankheitserreger versichert sein sollen.
Ziffer 1.2. der Versicherungsbedingungen enthält auch keine Einschränkung dahingehend, dass „insbesondere“ oder „beispielsweise“ nur die folgenden Krankheiten oder Krankheitserreger meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne der Bedingungen sind und damit im Falle einer Betriebsschließung versichert sind.
Soweit der Begriff „namentlich“ in einem bestimmten Kontext auch die Bedeutung „insbesondere“ haben kann, kommt eine solche Bedeutung des Begriffs „namentlich“ im vorliegenden Kontext und bei der Stellung des Wortes „namentlich“ in Ziffer 1.2. keinesfalls in Betracht.
Auch der Sinn und Zweck der Versicherungsbedingungen lässt aus der Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers keine andere Auslegung zu.
Einem solchen Versicherungsnehmer, der, wie hier, zudem Kaufmann ist, ist auch bewusst, dass ein Versicherungsunternehmen seinen Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legt und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämien setzt (ebenso LG Bayreuth, Endurteil vom 08.09.2020, Az. 22 O 207/20). Ebenso ist es einem solchen Versicherungsnehmer bewusst, dass ein Versicherer nur für die von ihm angeführten Krankheiten und Krankheitserreger und von ihm deshalb einschätzbaren Risiken einstehen will.
Einem Versicherer steht es auch, was einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ebenfalls bekannt ist, frei, nur bestimmte Risiken, vorliegend nur die Betriebsschließung aufgrund bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger, die er in seinen Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Einzelnen aufgezählt hat, zu versichern.
So hat die beklagte Versicherung, die in Ziffer 1.1. der Versicherungsbedingungen auf das Infektionsschutzgesetz verweist, nicht alle dort aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger in Ziffer 1.2. der Versicherungsbedingungen mit aufgeführt. So fehlt bei den Krankheiten die in § 6 Infektionsschutzgesetz aufgeführte Krankheit „humane spongiforme Enzephalopathie, außer familiärhereditärer Formen“. Auch Keuchhusten, Mumps oder Röteln sind in Ziffer 1.2. der Versicherungsbedingungen nicht enthalten.
Der Versicherungsnehmer kann, wie bereits ausgeführt, aus Ziffer 1.2. der Versicherungsbedingungen ohne weiteres und eindeutig erkennen, welche Krankheiten und Krankheitserreger im Falle einer Betriebsschließung versichert sind. Eine nach § 305 c Abs. 1 BGB überraschende Klausel liegt ebenso wenig vor wie eine den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligende Klausel.
Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. das Virus COVID-19 kann auch nicht unter eine der in Ziffer 1.2. unter a) aufgeführten Krankheiten oder unter b) aufgeführten Krankheitserreger 35 O 747/20 Ver – Seite 8 – subsumiert werden. Ließe man eine solche Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs für diesen im Ergebnis unkalkulierbar sein (ebenso LG Bayreuth, Urteil vom 08.09.2020).
Der Klägerin als Versicherungsnehmerin wäre es unbenommen gewesen, das neuartige Coronavirus, das spätestens im Februar 2020 durch entsprechende Medienberichte bekannt war, vor Erlass der Allgemeinverfügung in den Versicherungsschutz ausdrücklich aufnehmen zu lassen, soweit die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt einverstanden gewesen wäre.
Da kein versicherter Fall einer Betriebsschließung vorliegt, kann dahinstehen, ob der Betrieb der Klägerin vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob vorliegend die Entschädigungsrechnung der Klägerin richtig ist.
2. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten oder die geltend gemachten Zinsen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Verkündet am 10.12.2020


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